Kapitel 05 ࿐ escape from naples
FLORENTINA
Schon seit langer Zeit hatte ich nicht mehr einen so schönen Morgen erlebt. Zwar war ich mitten in der Nacht geweckt worden, um daraufhin sofort gewaschen und angezogen zu werden, während Bedienstete unsere Kleider, den wertvollsten Schmuck und einige Habseligkeiten zusammenpackten; doch bekamen meine Schwestern und ich eine Kutsche für uns, während mein Vater je in einer anderen fuhr.
Gutgelaunt blickte ich aus dem Fenster und musterte unseren Palast, den ich noch nie von dieser Seite betrachtet hatte.
Uns wurde unser Frühstück in die Kutsche gebracht und die kühle Morgenluft wehte hinein, woraufhin ich fröstelnd, aber nach wie vor glücklich, die flauschige Felldecke bis zu meinem Oberkörper zog und mir eine dunkel Strähne aus dem Gesicht pustete.
Ach, war das nicht schön? In wenigen Minuten war es soweit und ich würde Neapel und diesen dunklen Palast hinter mir lassen, um endlich etwas anderes zu sehen und gewissermaßen Urlaub bei einem gutaussehenden Prinzen und seiner Familie zu verbringen.
Es spielte keine Rolle, dass ich mich sowieso niemals trauen würde, ihn von alleine noch einmal anzusprechen; ich konnte von hier fliehen, ohne mich schlecht fühlen zu müssen. Das war das Wichtigste.
„Ich nehme das schon", ertönte plötzlich eine Stimme rechts von mir und ich erstarrte, als João mit meinem Korb bewaffnet in unsere Kutsche stieg. „Wenn Ihr gestattet."
„Selbstverständlich." Amalia rutschte etwas zur Seite, sodass sich mein Verlobter neben sie setzen konnte. Perplex sah ich ihn an.
„Was schaut Ihr so überrascht, Teuerste?", wollte er lachend wissen und zeigte mir seine Zähne, ehe er mir den Korb reichte. Zitternd nahm ich mein Frühstück, welches aus vielen Früchten, Ciabattabrot und Aufschnitt bestand, entgegen und stellte es vorsichtig zwischen meine ebenso überraschte ältere Schwester Adelina und mich. „I-Ich hatte nicht erwartet, dass Ihr ebenso nach Savoyen-Piemont fahrt."
„Erwähnte dies Seine Majestät, Euer Vater nicht? Wie könnte ich Euch bloß alleine in diesem fremden Land lassen?" Er küsste meine Hand, woraufhin mir ein eiskalter Schauer über den Rücken lief.
„Wie überaus freundlich von Euch", sagte ich bloß und wandte meinen Blick ab. Nein, dies konnte nicht wahr sein... ich dachte, er würde zurück nach Portugal reisen?
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Die Fahrt, auf die ich mich anfangs aufgrund der Gesellschaft meiner Schwestern gefreut hatte, zog sich letztendlich ewig in die Länge, und die Reise, die im Endeffekt nur einer Tagesreise entsprach, fühlte sich wie mehrere Monate an. Es fiel mir zunehmend schwer auch nur ein Auge zuzutun, da ich stets Joãos Blicke an mir kleben spürte. Er war doch ein König... weshalb reiste er nicht in seiner eigenen Kutsche?
Als ich während der Fahrt einen Teil der Speisen zu mir nahm, beobachtete er mich ganz genau und lächelte stets diese schmierige Lächeln. Fast niemand sprach ein Wort.
Als wir schließlich nach etwa zwölf Stunden anhielten, um eine Pause einzulegen, hoffte ich, Charles irgendwo zu entdecken. Dieser schien jedoch schon gestern abgereist zu sein, da sich in unseren fünf Kutschen - wie schon gesagt - je bloß mein Vater und seine Mätresse, in einer anderen meine Mutter, mein Bruder und ihre Hofdamen, in der nächsten Höflinge und Berater meines Vaters, in einer nicht-ganz-so pompösen einige Bedienstete und in der letzten schließlich meine Schwestern, João und ich befanden.
Meines Vater Absicht war gewesen, „so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen" (was meiner Meinung nach mit fünf Kutschen, ein paar Duzend Soldaten und Unmengen an Koffern und Truhen nicht ganz klappen konnte), weshalb nur die wichtigsten Personen des Hofstaates uns begleiten durften.
Nach einem Abendessen in einer Gaststätte in der Nähe von Florenz setzten wir unsere Fahrt schließlich fort. Die Sonne war bereits untergegangen und meine Schwestern waren ebenso eingeschlafen. Ich bewunderte die beiden, da ich mir nicht erklären konnte, wie man in der Gegenwart dieses Portugiesen einschlafen konnte.
Ich presste nur die Augen aufeinander, und drehte meinen Kopf zur Seite. Wenigstens konnte er sich, während wir nicht allein waren, nicht an mir vergreifen, dachte ich mir hoffnungsvoll.
Irgendwann musste ich eingeschlafen sein; denn als ich schließlich durch ein Rütteln an meinem Arm erwachte, war es Morgen und die Sonne schien auf mein Haupt.
König João war verschwunden, und nur Maria Adelina und Amalia Carolina waren bei mir. „Ich glaube... wir sind da", bemerkte die Jüngste im Bunde verschlafen, sodass ich die Vorhänge zur Seite schob.
Ein wunderschöner Anblick wurde mir geboten. Ein Schloss mit einer beige-weißen Fassade und einem dunkelgrauen Dach stand in mitten einer großen Gartenanlage. Es sah wie ein gewaltiges Anwesen aus dem 18. Jahrhundert aus, und besaß zwei dicke runde Türme und einen etwas höheren Mittelteil mit vier kleinen Türmchen an jeder Ecke.
Zugleich wirkte es auf mich wie eine Mischung aus einer Burg aus dem Mittelalter, einem Schloss aus der Epoche der Renaissance und einem Palast des Barockes. Beinahe so, als hätte sich der Baumeister nicht entscheiden können, welchen Stil er verwenden sollte.
Es gefiel mir von vorne drein.
Wir fuhren durch einen weitläufigen Garten, in welchem Figuren aus der griechischen Mythologie und viele Blumenbeete mit verschiedenen Pflanzen angeordnet worden waren; ehe wir durch eine kleine Unterführung bis auf den Schlosshof fuhren, auf welchem ein großer Springbrunnen stand. Dahinter führte eine kleine Treppe in einen kleineren Garten und zu einer Terrasse.
Die Tür nach draußen wurde geöffnet und ein Lakai bot mir die Hand an. Sofort kam mir warme Luft entgegen und blinzelnd blickte ich in den strahlendblauen Himmel. Hinter mir taten es mir meine Schwestern gleich.
Neben uns wurde unser Gepäck von Bediensteten bereits hinein geschafft und ich erblickte meinen griesgrämig blickenden Vater, König João und den restlichen Hofstaat.
„Willkommen!" Ein etwas rundlicher und großer Mann mit Halbglatze, einem rötlichen Bart und in der typischen Amtskleidung eines Monarchen kam auf uns zu.
Hinter ihm kam eine schlanke Frau in einem lilafarbenen Spitzenkleid, die etwa in dem Alter des Mannes zu sein schien, gefolgt von zwei älteren Mädchen und einem jungen Herrn zum Vorschein.
Mein Herz machte einen Aussetzer, als ich Charles und offensichtlich seine zwei jüngeren Schwestern mit deren Eltern erblickte.
Mein Vater rümpfte bloß die Nase, als Herzog Louis II. von Savoyen-Piemont ihm die Hand schüttelte. Seine hellblonde Frau, die eine unglaubliche Ähnlichkeit mit ihren zwei Töchtern aufwies, versank in einem Hofknicks, während Charles sich vor meinen Eltern und meinem Bruder verbeugte.
Charles' und mein Vater wechselten einige Worte mit meinem Verlobten. Jemand pikste mich in den Rücken. „Möchtest du noch länger dort stehenbleiben?", wollte meine ältere Schwester hinter mir wissen und schmunzelte.
„Ach so, nein... natürlich nicht", faselte ich sogleich nervös, ehe wir uns hinter unseren Eltern aufstellten, sodass wir ebenso begrüßt werden konnten. Ich versuchte, Charles' Blick aufzufangen. Jedoch hatte dieser meinen sehr schüchternen, jüngeren Bruder angesprochen.
Etwas enttäuscht folgte ich dem restlichen Gefolge ins Innere des Schlosses. Ich fühlte mich mit jeder weiteren Ecke, die ich besichtigte, wohler. Dieses Schloss war sehr prachtvoll und in hellen Farben gehalten. Die Vorhänge waren (nicht wie bei uns) stets zugezogen, um ihre Bewohner vor neugierigen Blicken der Stadtbewohnern zu schützen. Alles wirkte persönlich, gemütlich und einladend.
„Sei gegrüßt! Ich bin Aliénor." Die eine jüngere Schwester von Charles war neben mir aufgetaucht und lächelte mich breit an. „Ich bin Florentina", erwiderte ich schüchtern und versank in einen Hofknicks.
„Ach, du musst dich doch nicht vor mir verbeugen", entgegnete sie fröhlich. Mir fiel auf, dass sie wunderschön dabei aussah. Als ginge die Sonne auf, wenn die Prinzessin lachte.
„Du bist unser Gast, also... wie geht es dir? Es tut mir wirklich leid, wenn du diese langweilige Führung mitanhören musst. Wenn du willst, können wir beide zusammen ausreiten oder auf unseren Wiesen einige Blumen pflücken. Wir haben sehr viele auf dem Gelände. Es ist wirklich viel besser als unser Anwesen in der Hauptstadt! Und- Oh Gott, verzeih mir! Ich spreche dich die ganze Zeit mit Du an... Es ist doch nicht schlimm, wenn wir uns duzen, nicht wahr?"
Sie strahlte mich an. Selten hatte ich eine Person so viel und schnell auf einmal reden gehört. „Ähm... natürlich", erwiderte ich langsam.
„Das ist schön... soll ich meinen Vater fragen, ob wir uns hinfort schleichen können?" Sie klimperte mit ihren langen Wimpern.
„Oh nein... Vielen Dank. Ich finde euer Schloss sehr schön... ich möchte Seine Hoheit, deinen Vater, nicht unterbrechen, während er sich Zeit nimmt, um uns über dieses Anwesen aufzuklären", erwiderte ich beschwichtigend.
„Ach, er sieht so etwas sehr locker", winkte sie ab. „Darf ich fragen, wie alt du bist?"
„Ich bin 15 Jahre alt", antwortete ich leise und in der Hoffnung, dass sie ebenso ihre Lautstärke etwas hinunterfuhr, da João uns bereits musterte. „Oh... dann sind wir ja nahezu gleich alt", meinte sie lächelnd (und zum Glück nicht allzu laut), und ihre hellblauen Augen blitzten auf. „Ich werde im Oktober ebenso 15."
Ich nickte etwas unbeholfen, da ich keine Ahnung hatte, wie ich diese Konversation weiterführen sollte. Somit war ich auch glücklich, als sie nichts weiteres erwiderte. Zwar fand ich sie sympathisch; war mir jedoch sicher, dass mein Vater es nicht gerne sah, wenn ich zu viel Kontakt zu der Herzogsfamilie pflegte.
Er hasste es sicherlich jetzt schon, sich hier aufhalten zu müssen.
~*~
Dafür war mir den ganzen, restlichen Tag Aliénor auf den Fersen. Trotz der vielen Freunde, die sie zu haben schien, wollte sie unbedingt Zeit mit mir verbringen.
Ich hatte bereits erfahren, dass sie rote Rosen vergötterte, in ihrer Freizeit von morgens bis abends ausritt, Ausflüge unternahm und unglaublich gerne redete. Zudem liebte sie den Wald, las jedoch auch sehr gern. Dafür aber eher Literatur, die ich nicht unbedingt bevorzugen würde. Zumindest verkörperten die Bücher eine der wenigen Gemeinsamkeiten, die uns verbanden.
Unsere Väter und mein Verlobter hielten sich seit dem frühen Morgen in einem Konferenzsaal auf, sodass ich diesem gut aus dem Weg gehen konnte.
Gegen Fünf hielt ich mich auf der kleinen Terrasse auf. Da Aliénor kurzfristig ausgeritten war, hatte ich endlich die Chance erhalten, die Stille der Natur zu genießen. Im Hintergrund der Kulisse vernahm ich das Plätschern eines Baches, während hohe Berge die Landschaft umrahmten und einen Augenschmaus für mich bildeten.
Als das Geräusch von sich nähernden Schritten an mein Ohr gelang, drehte ich meinen Kopf zur Seite. Das erste Mal an diesem Tage trafen Charles' Augen die Meinen.
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Übersetzungen
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( TITEL ) → Flucht aus Neapel
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