Kapitel 02 ࿐ strangers
FLORENTINA
Meine Augen schweiften blitzschnell über die Menge. Von meinem nun vor Wut fast explodierenden Vater hin zu seinen neutral blickenden Soldaten und schließlich zu dem Fremden, der mich überrascht musterte.
Vor Scham und Angst zitternd, bückte ich mich schließlich und griff ungeschickt nach dem alten Buch, während ich zwischen den schmalen Säulen des Geländers hinunter zu dem jungen Mann sah.
Er konnte nicht älter als 20 Jahre alt sein; hatte ein markantes Gesicht mit einer geraden Nase und geschwungenes Lippen. Im Großen und Ganzen sah er unglaublich gut und vollkommen aus. Breite Schultern, keine spindeldürren Beine wie die Prinzen und Höflinge in meinem Alter und-
„Verzeiht das unhöfliche Verhalten meiner Tochter, Prinz Charles", meinte mein Vater mit knirschenden Zähnen und widmete seine Aufmerksamkeit wieder unserem Gast. Charles... Charles, der offensichtlich ein Prinz wie ich eine Prinzessin war.
Nervös erhob ich mich, strich mein Kleid glatt und blickte erneut zu dem Fremden, dessen Mund sich zu einem kurzen Lächeln verzog, ehe er seinen Blick abwandte. Durch diese kleine Geste vollkommen aus der Bahn geworfen, stolperte ich den Weg zurück in den Flur und presste mich schweratmend an die steinerne Wand.
CHARLES
Das Mädchen erhob sich zitternd und ihre grün-braunen Augen huschten beinahe hektisch umher. Ich musste schmunzeln, da sie sich etwas ungeschickt verhielt. Es war nicht so, dass ich dies als etwas Schlimmes empfand. Tollpatschigkeit machte Menschen meiner Meinung nach eher sympathischer.
„Verzeiht das unhöfliche Verhalten meiner Tochter, Prinz Charles", entschuldigte sich der neapolitanische König mit knirschenden Zähnen. „Stets taucht sie an den Orten auf, wo sie nichts zu suchen hat."
„Es ist nichts passiert", erwiderte ich höflich und sah dem unscheinbaren, braunhaarigen Mädchen zu, wie es verschwand. Sie hatte ein äußerst hübsches Gesicht gehabt... Und weshalb war ihr Vater so genervt von ihr, wenn sie nichts verbrochen hatte, außer ein Buch fallen zu lassen?
„Also?" Mit einem gelangweiltem Unterton in der Stimme sah er an mir hinunter. Der König war ausgesprochen groß und überragte mich, der schon recht groß für einen Mitteleuropäer war, sicherlich um einen halben Kopf. „Weshalb seid Ihr anstelle Eures Vaters hier?"
„Ich bin ausgesandt worden, um zu verhandeln", erklärte ich mit fester Stimme, nachdem Francesco von Neapel mich aus meinen kurzen Tagträumen über seine Tochter gerissen hatte. „Im Auftrag meines Vaters."
„Verhandeln? Wie das?" Misstrauisch schaute er mich mit seinen eiskalten, grauen Augen an. „Lasset uns doch in einem anderen Zimmer darüber reden, was ich Euch für ein Angebot stelle", versuchte ich lächelnd die Situation aufzulockern. „Diese Eingangshalle erscheint mir etwas ungünstig zu sein."
Mürrisch nickte er schließlich. „Nun gut... Euch bei diesem Wetter zurückschicken, kann ich ja nun schlecht."
Für einen kurzen Moment glaubte ich den Hauch eines Lächelns auf seinen Lippen erkannt zu haben. Wenig später kam ich jedoch schon zu dem Entschluss, dass dies bei jenem Mann eher etwas Unmögliches verkörpert hätte.
~*~
FLORENTINA
Den ganzen Tag über war es schwierig gewesen, einen klaren Gedanken zu fassen. Der hübsche Prinz, der so freundlich von meinem Vater empfangen worden war, hatte sich in meinem Kopf festgesetzt. Ich fragte mich, woher er kam und was er hier tat. Schließlich hatte ich ihn ja schon einmal gesehen - wenn auch nur in meiner Fantasie. Je mehr ich mir darüber bewusst wurde, desto seltsamer kam mir diese Tatsache vor. Möglicherweise handelte es sich auch um ein Irrtum, und mein Gedächtnis hatte mir einen Streich gespielt.
Abgesehen davon fühlte ich mich etwas traurig, sa ich vor dem Abendessen gehofft hatte, ihn dort anzutreffen... und er war nicht erschienen war. Stattdessen hatte ich erfahren, um wen es sich bei unserem Gast handelte.
Mama hatte meinen Vater zaghaft über seine schlechte Laune angesprochen - was eigentlich ein unnötiges Unterfangen war, da er diese immer hatte, wenn er nicht gerade bei seiner Mätresse war - und er hatte ihr zur Überraschung aller eine Antwort gegeben.
Es handelte sich um den Thronfolger des Herzogtum Savoyen-Piemonts. Unser Nachbarland, über welches sich mein Vater stets beschwerte. Seit einiger Zeit waren unsere Häuser aufgrund einer Erbschaft verfeindet. Abgesehen davon, dass wir protestantisch und des Prinzens Familie, die Savoyer, katholisch waren, schienen unsere Vorfahren, wenn es um Politik ging, stets verschiedener Meinung gewesen zu sein.
Was für ein Angebot mein Vater erhalten hatte, blieb jedoch ein Geheimnis. Ob er es angenommen hatte, wusste ebenso niemand. Manche Mitglieder des Hofes munkelten schon seit einiger Zeit, dass sich ein Bürgerkrieg im Süden des Landes zusammenbrauen würde, und der Verhandlungsvorschlag des Prinzen etwas damit zu tun hatte.
Vielleicht war der Prinz auch schon fort. Im Endeffekt spielte es keine Rolle, ob er sich noch in Neapel aufhielt oder nicht. Ein Kennenlernen mit dem Kronprinzen würde mein Vater sicherlich aufgrund der Feindschaft unserer Familien unterbinden.
Zudem sollte ich an dem heutigen Tage meinen zukünftigen Gatten treffen. Gekonnt versuchte ich die leichte Trauer in meinem Herzen zu ignorieren, den jungen Prinzen wahrscheinlich nie wieder sehen zu können.
Aber was glaubte ich auch? Nur aufgrund einer netten Geste hatte ich mir Hoffnungen gemacht, obwohl ich verlobt war.
Es war tatsächlich bedauernswert, dass ich so gut wie keine Gesellschaft zu Gleichaltrigen pflegte. Da mich mein Vater selten auf Feste ließ, hatte ich nie die Chance erhalten, Menschen kennenzulernen und meine Schüchternheit zu überwinden. So war meine soziale Kompetenz nicht sonderlich hoch. Im Umgang mit Männern schon gar nicht.
So war ich mir sicher, dass wenn Charles von Savoyen-Piemont mich kennengelernt hätte, er höchstwahrscheinlich schon nach einem Gespräch mit mir die Beine in die Hand genommen und das Weite gesucht hätte.
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Am Mittag jenes Tages blickte ich durch ein bodentiefes Fenster auf den von der warmen Sonne beschienenen Schlosshof.
Meine Lippen bebten und ich verschränkte vor Nervosität stetig die Finger ineinander. Aufgrund der baldigen Ankunft der portugiesischen Königskutsche konnte ich an nichts anderes mehr denken.
„Du bist sehr aufgeregt, nicht wahr?", vernahm ich eine sanfte Stimme hinter mir. Zeitgleich zuckte ich zusammen und drehte mich um, um zu erkennen, dass meine Mutter mit meinen beiden Schwestern auf mich zukam. „Mama", hauchte ich unmittelbar, und war glücklich, jemanden zu sehen, der mir beistehen würde.
„Mein Kind."
Sie nahm mich in den Arm, während Maria Adelina mir verschwörerisch zuzwinkerte und Amalie irritiert zwischen uns beiden hin und hersah. Sie verstand nicht ganz, weshalb unsere ältere Schwester so erpicht auf mein Zusammentreffen mit dem portugiesischen König zu sein schien. Ich vermutete, dass sie in João VI. einen aufregenden Mann erwartete.
Meine Mutter, meine Schwestern und ich sahen alle nahezu identisch aus. Dies erzählte uns mit Ausnahme jeder. Wir hatten ähnliche Nasen, dieselben vollen Lippen und braun-grüne Augen. Jedoch war Amalia die einzige, die anstatt von dunklen, glatten Haaren rote Locken besaß.
„Und Flora? Bist du bereit, den König von Portugal kennenzulernen?" Adelina schnalzte mit der Zunge und legte einen Arm um ihre jüngere Schwester.
„Das will ich hoffen."
Mein Vater war wie aus dem Nichts hinter uns erschienen und somit unserer kleinen Familienversammlung beigetreten. Das Lächeln war aus den Gesichtern meiner kleinen Schwester und meiner Mutter verschwunden. Nur Maria Adelina, die wie sonst auch gutgelaunt und unbeschwert war, schmunzelte nach wie vor.
„Florentina wird mich in den Thronsaal begleiten. Ich bitte die Königin und die Prinzessinnen sich zurückzuziehen", befahl er kühl.
Meine Schwestern und ich versanken allesamt in einen Hofknicks vor meinem Vater, während meine Mutter tief durchatmete. Ihr blieb dieser nervige Höflichkeitsbeweis als Königin erspart. „Wird Seine Majestät am Mittagsmahl teilnehmen?"
„Selbstverständlich", blaffte mein Vater sie an. „Ein prächtiges Festmahl ist organisiert worden."
Meine Mutter senkte ihren Blick und presste die Lippen aufeinander. „Nun kommt."
Sie nahm Amalia und zu meinem Überraschen selbst Adelina an ihre zwei Hände. Meine ältere Schwester formte noch ein Viel Glück! mit ihren Lippen, und ich lächelte ihr schwach zu.
Das würde ich brauchen.
Ich betete, dass König João trotz aller Gerüchte zumindest gut-aussehend und freundlich sein würde, bevor ich meinem Vater in den Saal folgte. Es war ein schreckliches Gefühl, sich im Unklaren über seinen zukünftigen Bettgenossen und den Vater seiner ungeborenen Kinder zu sein. Wir waren uns doch vollkommen fremd.
Im Thronsaal angelangt musste ich hier sicherlich noch über eine halbe Stunde warten, ehe der Portugiese angekündet wurde.
Meine Knie fühlten sich wie Wackelpudding an, als sich die Türen schließlich öffneten und eine Gruppe von Männern hineinkamen.
Augenblicklich senkte ich meinen Blick und verharrte in einem Knicks. Ich wagte es vorerst nicht aufzusehen, bis mir eine Hand gereicht wurde und ich das erste Mal in die Augen meines Verlobten blickte.
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Das erste Zusammentreffen der beiden huii
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Übersetzungen
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( TITEL ) → Fremde
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