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Rosé / 05. September, 17:05 Uhr
"Okay, ich glaube, du hast recht", sagte Lisa mit einem Blick aus dem Fenster. "Da ist wirklich keiner."
"Habe ich doch gesagt." Ich schob das letzte Stück Kuchen in den Mund und schaute sie vorwurfsvoll an. "Ich wette, jetzt gleich kommt er zurück und wir werden erwischt. Und das nur, weil wir so lange gewartet haben."
"Aber sieh es doch mal positiv: Jetzt sind wir hundert Prozent sicher, und wir hatten sogar noch Zeit, uns zu überlegen, wie wir überhaupt in die Wohnung kommen", sagte sie und stapelte unsere Teller aufeinander. Dann brachte sie das Geschirr weg. Als sie wiederkam, stand ich auf und wir verließen das Café.
"Na dann, los geht's", murmelte Lisa. Sie klang wenig motiviert. Aber das war immerhin schon den ganzen Tag nicht der Fall gewesen. Dafür war meine Laune dank des Essens um einiges bessergeworden.
"Mach dir keine Sorgen, ich brauche nicht so lange. Höchstens zehn Minuten. Und du musst ja nur draußen warten", versuchte ich sie zu beruhigen.
"Zehn Minuten sind zehn zu viel."
Ich stöhnte. Nicht schon wieder die Diskussion. Ich dachte eigentlich, wir hätten das schon vor einer Viertelstunde abgehakt.
"Lisa, erstens muss sich jemand Gewissheit verschaffen, was Hobi angeht. Und zweitens, eine bessere Gelegenheit werden wir nie wieder bekommen."
Sie schnaubte nur, sagte aber nichts weiter. Wahrscheinlich war sie dieses Thema auch schon leid.
Wir bogen in eine kleine Seitengasse, in der hoffentlich der Hintereingang des Hauses lag. Und wir hatten Glück: Eine eher instabil aussehende dunkle Tür zierte die Rückwand des Gebäudes. Außerdem war sie so tief in der Wand, dass sich Lisa problemlos davorstellen und vom Platz nicht mehr gesehen werden konnte.
"Wie kommen wir da jetzt rein?" Lisa rüttelte an der Tür. Sie war abgeschlossen. Mist. Wenn wir sie also nicht gerade aufbrechen wollten, musste ein Schlüssel her.
Probehalber sah ich unter der abgetretenen Fußmatte nach. Außer Erde fand ich dort jedoch nichts. Meine nächste Idee wäre ein Briefkasten oder ein Blumenkübel gewesen, aber da es hier keins von beidem gab, war das wohl auch nicht zielführend. Dafür gab es allerdings ein ziemlich großes Gitter, an dem mehrere Kletterpflanzen emporwuchsen.
"Hilf mir mal bitte, dieses Teil zu durchsuchen." Ich deutete auf das Gitter. "Es ist zwar unwahrscheinlich, dass da was drin ist, aber vielleicht hält unser Glück ja an."
Es stellte sich tatsächlich heraus, dass ich recht hatte. Schon nach ein paar Sekunden Suchen stießen meine Finger auf etwas metallisches, verdächtig schlüsselförmiges. Ich griff danach und brachte einen leicht angerosteten, kleinen Schlüssel zum Vorschein. Lisa schien hin und hergerissen, ob sie sich nun freuen sollte oder nicht.
"In zehn Minuten bin ich wieder da. Ruf mich an, wenn was schiefläuft", sagte ich, während ich den Schlüssel ins Schloss steckte und umdrehte. Dann stieß ich sie auf und blickte zu Lisa. Diese nickte ergeben.
Ab dann konnte ich keine Zeit mehr verschwenden. Ich huschte durch den Flur und eine knarzende Wendeltreppe hinauf.
Ich hatte bereits von außen gesehen, dass das Haus zwei Stockwerke besaß. Also schaute ich kurz in alle Räume hinein, ob es dort irgendetwas interessantes gab. Im ersten Stock war das eher weniger der Fall. Hier gab es nur ein Esszimmer, eine Küche, ein kleines Bad sowie ein ziemlich geräumiges Wohnzimmer.
Ich raste die nächste Treppe hoch in den zweiten Stock. Zuerst fand ich ein großes Badezimmer. Darauf folgte eine Art Arbeitszimmer, das nur einen uralten Computer und ein paar Bücher beinhaltete. Der dritte Raum war endlich das, was ich suchte.
Auf den ersten Blick fand ich nichts Verdächtiges in Hobis Zimmer. Das Bett war frisch gemacht, der kleine Tisch unter dem Fenster war aufgeräumt und nur ein herumliegender Block ließ vermuten, dass hier überhaupt jemand wohnte.
Ich schaute auf die Uhr. Noch sechs Minuten. Das würde ich schaffen.
Möglichst ohne Chaos anzurichten durchsuchte ich zuerst den Schrank. Ich stieß auf alle möglichen Kleidungsstücke, nur nicht auf das, was ich suchte. Ich warf einen weiteren Blick auf die Uhr. Vier Minuten. Ich hatte viel zu viel kostbare Zeit mit dem Kleiderschrank verschwendet.
Als nächstes nahm ich mir die Kommode vor. Die erste Schublade beinhaltete Unterwäsche, die zweite Socken, die dritte Schuhe. Als ich die vierte aufzog, betete ich, dass ich wenigstens hier die Jacke finden würde. Und anscheinend wurde mein Gebet erhört.
So schnell ich konnte, öffnete ich die Kamerafunktion und machte ein Foto von der Jacke mit fehlendem Knopf. Wegen meiner Nervosität brauchte ich gleich zwei Anläufe, um ein einigermaßen scharfes Bild zu bekommen. Doch dann hatte ich es endlich.
Ich schloss die Schublade wieder und wollte gerade den Raum verlassen, als ich zufällig einen letzten Blick auf den Schrank warf.
Und das Auge einer einzelnen Kamera spöttisch zurückblickte.
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