-3-
Rosé / 29. August, 15:30 Uhr
Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ich hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit, was sich nun direkt vor meinen weit aufgerissenen Augen befand. „Das ist das Haus von Frau Choi?"
„Ja", sagte Jennie nur und zerrte ihre Koffer über die Kieselsteine und Steinplatten, die den Waldboden in einem flüssigen Übergang ablösten. „Ich dachte schon, wir würden nie ankommen."
Ich konnte mich immer noch nicht von der Stelle bewegen. Das Haus war fantastisch. Ach, was sagte ich, mehr als fantastisch. Eigentlich war es ein Wunder, dass Frau Choi es Jennie ganz ohne Miete für ein paar Wochen überlassen hatte.
Der Weg, den Jennie gerade entlanglief, führte zur Eingangstür, und noch weiter, bis er auf dem Abhang verloren ging. Wahrscheinlich ging er bis zu dem See, der etwa hundert Meter von uns entfernt still im Tal lag.
Das Haus an sich war eher ein flacher Gebäudekomplex, gekrönt von dunklen geschwungenen Dächern. Der vorderste Teil sah aus wie die typischen traditionellen Koreanischen Häuser. Je weiter man jedoch zum See blickte, desto moderner wurde es. Riesige Glasfronten, die derzeit noch von schweren Jalousien verdeckt waren, zierten die Wände. Wenn ich mich auf die Entfernung nicht täuschte, gab es sogar eine Art Terrasse, die direkt über dem See lag.
Alles war perfekt. Mehr, als ich nach einer Tour von mehr als vier Kilometern mit fünf Gepäckstücken erwartet hätte.
"Rosie! Muss ich dich etwa erst an die Killerhornissen erinnern, damit du nicht mehr mit diesem verzückten Blick ins Nichts starrst?" Lisa fuchtelte wie wild vor meiner Nase herum.
Ich schreckte auf. "Was? Wo sind die?"
Lisa verdrehte die Augen. "Allerhöchstens werde ich gleich zur Killerhornisse, wenn du dich nicht beeilst. Jennie und Jisoo sind schon längst im Haus."
Oh. Aber das war doch noch lange kein Grund, so hysterisch zu werden. Im Gegensatz zu den Hornissen. Und meinem Magen, der sich laut grummelnd zu Wort meldete. Ich brauchte dringend etwas zu Essen.
Angetrieben von dem Gedanken an einen gefüllten Kühlschrank lief ich an Lisa vorbei zur Tür, die von einem Holzkeil offengehalten wurde. Und erneut konnte ich nicht anders, als fasziniert hinter diese Tür zu starren. Sie führte nämlich wider Erwarten nicht in einen Raum, sondern in einen arkadenähnlichen Gang. Hinter dessen Säulen sich ein wunderschön angelegter Garten befand. So langsam bezweifelte ich, dass das hier überhaupt noch real war.
"Park Chaeyoung! Jetzt reiß dich mal zusammen und geh einfach rein!", rief Lisa. Ich blinzelte.
"Echt mal, wenn du in einem Anime wärst, würden deine Augen praktisch nur noch aus Sternchen bestehen..." Sie schob sich kopfschüttelnd an mir vorbei, schmiss sämtliche Taschen und Koffer auf den Boden und rannte den Gang entlang.
Ich überlegte nicht lange und machte dasselbe. Ich war schon bei der Tür zu einem der Gebäude angekommen, als mir auffiel, dass die Eingangstür noch sperrangelweit auf stand. Sofort überkam mich schlechtes Gewissen. Ich hätte fast vergessen, sie zuzumachen...
Als die Tür dann endlich verschlossen war, fühlte ich mich um einiges besser. Aber Hunger hatte ich immer noch. Also lief ich zurück zu der Tür am Ende der Arkaden, durch die Lisa eben verschwunden war.
Dieses Mal bemühte ich mich, nicht stehenzubleiben und mir alles anzuschauen. Das Einzige war, dass sich selbst der lange Flur veränderte, je näher ich dem See kam. Parkettboden wurde zu einem seltsam schimmernden, hellen Material, und Holzverkleidungen und verputzter Stein zu glatten Wänden und großen Fenstern. Selbst die Beleuchtung war anders. Es war, als würde man von einer Welt in die andere gehen.
Als von dem traditionellen Stil kaum mehr etwas zu sehen war, erreichte ich endlich die Küche. Sie befand sich direkt neben dem Esszimmer und war ein heller, quadratischer Raum.
Ohne mich groß umzuschauen, ging ich zum Kühlschrank und öffnete ihn. Doch anstatt von der Menge an Essen, die ich in einem Kühlschrank dieser Größe erwartet hätte, war dort nichts als gähnende Leere. Hektisch riss ich die anderen Schränke und Schubladen auf. Unmengen an Geschirr und Besteck, die seltsamsten Küchengeräte, die ich je gesehen hatte, eine Spülmaschine, ein Backofen, eine Mikrowelle, sogar ein Dampfgarer - aber nirgends eine Spur von Essen.
Ungläubig starrte ich in den Raum. Ich befand mich in einem Haus, in dem es kein Essen gab. Das konnte man eigentlich schon als Katastrophe bezeichnen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro