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Lisa / 31. August, 22:47 Uhr
Ich blickte nachdenklich auf die im Mondlicht glitzernde Wasserfläche, die sich unter meinen Füßen erstreckte. "Glaubst du wirklich, es war Wendy?", fragte ich.
Jennie überlegte, während sie mit den Zehenspitzen Muster ins Wasser malte. Winzige Wellen breiteten sich auf dem See aus. "Ja. Nein. Ich weiß es nicht", sagte sie. "Ich denke nur, dass wir das nicht ausschließen sollten. Letztendlich ist sie diejenige ohne Alibi."
"Immerhin hat Jisoo das auch eingesehen. Streit wegen so etwas ist das letzte, was wir jetzt brauchen können", fügte ich hinzu und dachte an das Abendessen.
Nach ein paar unangenehmen Minuten verkrampfter Unterhaltungen hatte Jennie das Thema Wendy nochmal angeschnitten. Doch dieses Mal war es deutlich harmonischer abgelaufen. Am Ende hatten wir uns darauf geeinigt, Wendy zwar genauer im Auge zu behalten, aber auch noch nach anderen Verdächtigen Ausschau zu halten.
"Hm", machte Jennie zustimmend.
Eine Weile schwiegen wir einfach vor uns hin, bis sie auf einmal sagte: "Es ist schon irgendwie komisch... Ich habe mir die ganze Zeit Gedanken gemacht, was uns hier gefährlich werden könnte. Nur hätte ich mir darüber gar keine Sorgen machen müssen, wie es aussieht."
Ich dachte an die Killerhornissen und die Riesenspinnen. Nichts davon schien jetzt noch wirklich wichtig. Das Problem war kein was mehr, sondern ein wer.
"Weißt du, wir könnten auch einfach wieder abreisen", sprach ich aus, was mir schon etwas länger im Kopf herumgeisterte.
Jennie spielte an ihren Fingern herum. "Das wäre jedenfalls eine Option. Aber das Problem an sich würde es nicht lösen. Und wir würden nie herausfinden, was es mit dieser ganzen Sache auf sich hat."
Jetzt, wo ich diese Idee ausgesprochen hatte, kam sie mir plötzlich nicht mehr halb so gut vor wie in Gedanken. "Es würde sich anfühlen wie Weglaufen. Vor etwas, das möglicherweise nicht mal uns gilt."
"Und so etwas wie hier gibt es in Seoul auch nicht. So viele Sterne habe ich lange nicht mehr gesehen..." Jennie legte den Kopf auf meine Schulter und deutete in den klaren Himmel. "Ist das da nicht der Drache?"
"Keine Ahnung. Können wir den um diese Jahreszeit überhaupt sehen?"
Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. "Wenn du schon so fragst, wahrscheinlich eher nicht."
Das silberne Licht ließ ihre Gesichtszüge überirdisch schön erscheinen und gab ihren dunklen Augen noch mehr Tiefe, als sie ohnehin besaßen. Ein warmes, kribbelndes Gefühl machte sich in mir breit. Wie automatisch rückte ich näher an sie heran und legte einen Arm um ihre Taille.
Eine Weile saßen wir nur da und schauten auf die Sterne, von denen wir beide nicht wussten, was sie darstellten. Dieser Moment war so friedlich, fast magisch.
Ich hatte mein Zeitgefühl komplett verloren, als Jennie irgendwann das Schweigen brach. "Ich glaube, wir sollten langsam mal reingehen. Nicht, dass uns am Ende doch noch ein Schwarm Mosquitos überrascht."
Obwohl ich noch Ewigkeiten hier hätte sitzenbleiben können, hatte ihr Argument etwas. Ich wollte mich schließlich nur ungerne die nächsten Tage mit Mosquitostichen herumplagen. Also folgte ich ihr zurück ins Haus.
Etwas später lagen wir beide in unserem Bett. Erst jetzt merkte ich, wie erschöpfend dieser Tag tatsächlich gewesen war. Ich war todmüde.
"Gute Nacht", sagte ich und schloss die Augen. "Gute Nacht", kam es von Jennies Seite zurück.
Nach einer kleinen Pause sagte sie noch: "Es wird besser werden, je mehr wir wissen. Wir werden unsere mysteriöse Person finden, und alles wird sich aufklären."
Hoffentlich, dachte ich, bevor ich einschlief.
Jisoo / 01. September, 9:45 Uhr
Vorsichtig schloss ich die Tür wieder. Nachdem Rosie seit drei Stunden endlich friedlich am Schlafen war, wollte ich sie auf keinen Fall wieder aufwecken.
Ich tapste den Gang hinunter, die Fliesen unangenehm kalt unter meinen Füßen. Die Geräusche hallten durch den ganzen Flur. Ich beschleunigte meine Schritte.
An Lisas und Jennies Zimmer angekommen, lauschte ich an der Tür. Die Dusche lief, sie waren also schon wach. Ohne zu klopfen, drückte ich die Klinke hinunter.
"Guten Morgen!", rief ich in den Raum hinein.
Lisa hob den Kopf und musterte mich. "Du siehst müde aus", stellte sie fest.
Ich schloss die Tür hinter mir und ließ mich neben sie aufs Bett fallen. "Rosie ist erst vor drei Stunden eingeschlafen. Und ich hatte auch nur etwa vier Stunden Schlaf."
"Wegen gestern, oder?"
Ich nickte. Ich konnte Rosies Ängste verstehen. Es war kein angenehmes Gefühl, nicht zu wissen, ob man im Haus noch unter sich und sicher war.
"Aber na ja, immerhin schläft sie." Ich gähnte. "Am besten lassen wir sie noch bis zwölf in Ruhe. Dann hat sie danach noch eine Stunde, um sich fertigzumachen und zu essen, bis die anderen alle kommen."
Die Badezimmertür öffnete sich einen Spalt weit und Jennies Kopf erschien.
"Lisa, wo sind meine Handtücher hin verschwunden?", erkundigte sie sich.
"Oberste Ebene von diesem seltsamen Teil", sagte Lisa.
"Okay, danke." Jennie wollte gerade wieder verschwinden, als sie mich erblickte. "Oh, hallo Jisoo! Irgendwie siehst du nicht so ausgeschlafen aus..."
Sah man mir das wirklich so stark an? Anscheinend ja schon.
"Rosie ist quasi gerade erst eingeschlafen, also sie bitte wenn möglich nicht aufwecken", informierte ich auch Jennie.
"Mach ich nicht", versicherte sie mir. "Aber was ist mit dir?"
"Ich werde gleich vermutlich schauen, was ich so zum Frühstück auftreiben kann. Irgendwann muss ich mich dann auch noch um unser Warmwasser-Problem kümmern, vielleicht schiebe ich das noch hintendran", überlegte ich. Mir war nämlich in genau diesem Moment eingefallen, dass der Einbrecher nicht unser einziges Problem hier war.
Jennie und Lisa tauschten einen vielsagenden Blick.
"Wie wäre es, wenn du dich jetzt einfach zurück ins Bett legst und noch zwei Stunden schläfst?", schlug Jennie vor. "Wir kümmern uns dann ums Essen, und das Warmwasser kann noch warten. So schlimm ist das ja auch wieder nicht."
Ihr Gesichtsausdruck verriet zwar, was sie wirklich von dem kalten Wasser hielt, doch allein für diese Idee hätte ich sie mit einer Umarmung zerquetschen können.
"Ganz sicher?", hakte ich nach.
Jennie verdrehte die Augen. "Ja! Und jetzt geh, wir kommen schon zurecht."
Wenn sie diesen Tonfall anschlug, sollte man ihr besser nicht widersprechen. Also verabschiedete ich mich wieder von den beiden und ging zurück in Rosies und mein Zimmer.
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