Kapitel 9
Wir kamen gerade noch rechtzeitig, bevor diese unbekannte Frau mit der Augenklappe und den roten Haaren Ishim hätte töten können. Für Mirabel jedoch kam alle Hilfe zu spät.
Als Sam und Dean ihre Pistolen hoben, hob sie schützend ihre Hände.
»Ich will euch nicht verletzen, ich will keinen Menschen verletzen«, sagte sie. »Lasst mich nur beenden, was ich angefangen habe.«
»Das ist leider unmöglich, Einauge«, sagte Dean.
Da hob die Frau die Hand und helles Licht, wie jenes eines Engels, erschien, so dass Sam und Dean die Augen zusammenkneifen mussten. Als es verschwand, hörten wir, wie ein Motor startete, und im nächsten Moment fuhr die Frau an uns vorbei. Sam wollte schießen, doch war sie zu schnell fort.
»Hast du dir das Nummernschild gemerkt?«, fragte Dean.
»Ja, hab ich.«
»Wer, zum Teufel, war das?«
Ishims Versteck war in einer alten verlassenen Kirche, wo Cas seine Wunde versorgen wollte. Der Engel dankte ab.
»Wie ist es möglich, dass sie noch lebt?«, fragte Cas und ließ sich neben ihm nieder.
Sam sah sie überrascht an. »Warte, ihr kennt sie?«
»Ja.«
»Also, mal langsam. Der einäugige Willy hat nicht versucht uns zu töten, sondern dich«, stellte Dean mit einem Blick auf Ishim fest. »Also raus mit der Sprache. Was ist hier los?«
Cas holte tief Luft. »Also vor der Apokalypse sind Engel ... Wir waren äußerst selten auf der Erde. Im Grunde eigentlich nie, nur bei ... besonderen Aufträgen.« Er sah zu mir. »Vor vielen Jahren, im Jahre 1901, gab es allerdings mal eine Anomalie. Ein Engel hat sich einen Menschen zur Frau genommen und die beiden hatten ein Kind. Ein Nephilim - genauso wie Cat es ist.«
»Nephilims sind verboten«, stellte Sam fest. »Deswegen seid ihr auf die Erde gekommen, um ihn zu -«
»- töten, ja. Nephilims, oder auch Naphil genannt, sind Mischwesen«, erklärte Ishim. »Der Vater hatte Flügel, die Mutter war ein Primat, und das Kind ist eine menschliche Seele, gepaart mit Engelsgnade. Sie sind gefährlich.« Er sah zu mir. »Deswegen gilt es jeden Naphil auszulöschen.«
»Als wir dort ankamen, stellten wir uns dem Engel«, sagte Cas. »Sein Name war Akobel. Er sollte die Menschen studieren, und verliebte sich dabei in einen. Wir töteten ihn und das Kind. Das war damals die übliche Strafe.«
Fassungslos hielt Sam sich die Hände zusammengefaltet vor den Mund. »Cas, du ...«
»Es war eine Mission. Wir haben eine Aufgabe erfüllt.«
»Und die Frau?«, fragte Dean.
»Lily Sunder. Sie war Professorin für apokalyptische Literatur«, erklärte Ishim. »Sie hat Engel erforscht und spricht fließend henochisch.«
»Und jetzt übt sie Rache.«
»Sie müsste hunderte Jahre alt sein«, meinte Sam.
»Älter«, sagte Cas.
»Ich weiß, wie sie das schafft«, sagte Ishim. »Es ist eine Art dämonischer Pakt. So bleibt sie jung, so bleibt sie immun gegen unsere Kräfte.«
Dean nickte. »Na, gut, wir werden sie finden - ich und Sam.«
Sofort schüttelte Cas den Kopf. »Nein, Dean -«
»Cas, sie hat es nicht auf uns abgesehen. Sie ist nur hinter euch her.«
»Vielleicht hört sie auf Cat. Sie ist immerhin ein Nephilim«, warf Sam ein.
»Ja, ich ... Ich versuche, was ich -« Mein Satz brach ab, als sich mein Magen mit einem Schlag umdrehte. Noch im rechten Moment konnte ich mich über einen der alten Eimer beugen und mich dort übergeben.
»Das ist jetzt schon das fünfte Mal in den letzten Wochen, Cat«, hörte ich Dean sagen.
»Das sind die Riegel.« Hustend griff ich in meine Jackeninnentasche und zog einen Proteinriegel heraus. Zitternd erhob ich mich. »Mein Hungergefühl ist total im Arsch. Ich kriege kaum noch was runter. Die Riegel sind das Einzige, was ich essen kann, leider bleiben sie nicht allzu lange drin.« Ich warf ihn Dean zu.
»Ist es wegen des Zaubers, den Luzifer dir aufgelegt hat?«, wollte Sam wissen, während Dean die Packung des Riegels las.
Ich nickte. »Höchstwahrscheinlich, ja.«
»Hör auf, diesen Scheiß zu essen«, sagte Dean. »Ich besorg dir irgendwas anderes.« Er steckte den Riegel ein.
Ich seufzte. »Viel Spaß beim Suchen.«
Ich bemerkte, wie Cas und Ishim mich nachdenklich musterten. Ishim wollte etwas sagen, doch ließ der andere Engel ihn nicht zu Worte kommen. »Findet sie einfach und versucht sie davon zu überzeugen, dass wir uns geändert haben.«
Aufgrund des Kennzeichens, welches Sam sich gemerkt hatte, konnten wir Lily Sunder ziemlich schnell in einem Hotel ausfindig machen. Doch bevor wir ihr Zimmer gefunden hatte, stand sie uns auf einmal im Flur gegebenüber, und sofort zog sie ihre Engelsschwert.
Beschwichtigend hob Dean seine Hände. »Woah, woah, wir können das erklären.«
»Wir wollen nur mit Ihnen reden«, sagte Sam, »wir kommen in Frieden.«
»Und sie?« Lily nickte mir zu. »Ich spüre die himmlische Energie, die von ihr ausgeht.«
»Ich bin ein Nephilim«, erklärte ich, »genau wie Ihre Tochter.«
Die Frau stöhnte fassungslos auf, dann ließ sie die Schwerter sinken und kam langsam auf uns zu. »Ihr Name war May, und sie war wunderschön.« Sie fing an zu weinen. »Ich war voller Leben. Mein Leben war wundervoll. Und dann ... Sie haben mir alles genommen. Ich hab mein Leben lang nur von Engeln geträumt. Ich hab sie erforscht und sie zu meiner Lebensaufgabe gemacht. Irgendwann hab ich dann einen Zauber gelernt, einen herbeizurufen. Ishim. Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, dachte ich, ich schaue in ein göttliches Antlitz. Ich dachte, dass er perfekt war. Aber er ist ein Monster.«
Sie erzählte uns die Geschichte - dass sie und Ishim sich geliebt hatten, ehe sie ihn verließ. Erst dann traf sie Akobel. Fassungslos sahen wir sie an.
»Oh ja, meine Tochter wurde gezeugt, lange bevor ich überhaupt einen Engel gesehen habe.«
»Warte, also -«, setzte Dean an.
»Ja, meine Tochter war ein Mensch.«
Der Winchester hob seinen Zeigefinger, dann wandte er sich von der Frau ab und flüsterte uns zu: »Glaubt ihr ihr die Geschichte?«
»Ja«, sagte ich, »eine Mutter würde sich niemals so etwas über ihr verstorbenes Kind ausdenken. Was hat sie schon zu verlieren?«
Dean hob eine Augenbraue. »Seit wann bist du Expertin für Mütter?«
Verständnislos sah ich ihn an, schwieg aber.
Dean holte sein Handy aus der Hosentasche, um Cas anzurufen, allerdings ging dieser nicht ran. »War klar ...«
»Geh schon, wir bleiben bei ihr«, sagte Sam.
»Ich soll euch hier mit ihr allein lassen? Machst du Witze?«
»Sie ist nicht die geringste Gefahr für Menschen«, sprach Lily. »Und sie kann euch hören.«
Dean nickte. »Okay, okay.« Er warf mir noch einen aufmunternden Blick zu, ehe er ging.
»Kommt mit«, sagte Lily dann. »Gehen wir in mein Zimmer.«
Sam und ich folgten ihr. Irgendwie vertraute ich der Frau.
»Du bist also ein Nephilim«, bemerkte die Frau. »Und dich haben sie nicht getötet?«
»Sie haben es versucht«, erklärte ich und lehnte mich neben Sam gegen eine Kommode, »aber Cas hat mich gerettet. Er ist ein guter Engel.«
»Ich kannte einen anderen Castiel.«
»Ja, er war ... anders. Er hat sich verändert. Er tötet keine Unschuldigen mehr. Er beschützt nur seine Familie. Uns.«
Lily nickte, doch wusste ich nicht, ob sie es verstanden hatte.
»Darf ich dich etwas fragen? Wieso hast du so lange mit deiner Rache gewartet?«, wollte Sam wissen.
»Mir blieb nichts anderes übrig. Bevor die Engel gefallen sind und ihre Flügel verloren haben, gab es keine Möglichkeit sie zu jagen. Aber jetzt - Geduld ist ein Geschenk. Es ist schon erstaunlich, was ein Mensch leisten kann, wenn er eine Bestimmung und einen Überfluss an Zeit hat.«
Sam nickte. »Also, Ishim hat gesagt, dass du einen Pakt eingegangen bist und dunkle Magie benutzt.«
»Hat er das?«, gab Lily zurück. »Ich erforsche die Engel schon mein ganzes langes Leben. Ich benutze deren Magie, um zu kämpfen, sie wahrzunehmen und zu überleben.«
Sam hob eine Augenbraue. »Henochische Magie? Ist das denn möglich?«
»Ist es, wenn man bereit dafür ist, den Preis zu bezahlen.« Sie deutete ihre Augenklappe. »Jedes Mal, wenn ich einen ihrer Zauber verwende, geht ein Stück meiner Seele zugrunde. Und wenn nichts mehr da ist -«
»- wirst du nichts mehr fühlen«, beendete Sam. »Nichts wird mehr von Bedeutung für dich sein. Deine Menschlichkeit geht verloren.«
»Eine Zeitlang träumte ich jede Nacht von meiner Tochter. Jetzt träume ich gar nichts. Ich verstehe, wenn ihr mir nicht vertraut. Aber wenn dein Bruder Ishim mit der Wahrheit konfrontiert, wird der Engel ihn töten. Ishim ist im Himmel sehr mächtig, er hat viel zu verlieren, wenn die Wahrheit ans Licht kommt. Und wenn dein Bruder tot ist, werdet ihr mir nicht mehr im Weg stehen, sondern mir helfen.«
Abrupt erhob ich mich. »Sam, wir müssen sofort zu Dean.«
Das ließ er sich nicht zweimal sagen, und sofort liefen wir los. Lily folgte uns. Wir fuhren zurück zur Kirche, wo Cas schwach auf dem Boden lag. Dean hockte mit dem Schwert an der Wand, so dass Sam und ich zu ihm gingen und Lily sich auf Ishim stürzte.
»Okay, kleine Planänderung«, sagte Sam und die Brüder griffen den Engel an.
Ich fühlte mich sichtlich schwach und nutzlos, weswegen mir nichts anderes übrig blieb, mich zunächst rauszuhalten und lieber nach Cas zu sehen.
»Ist alles in Ordnung? Kann ich dir helfen?«
»Nein, Cat. Bring dich in Sicherheit.« Cas' schwache Hand ergriff meinen Kragen und zog mich etwas zu sich herunter. »Du solltest hier nicht sein.« In seinen Augen lag etwas, was ich nicht genau beschreiben konnte, doch machte es mich unruhig.
»Cas, ich -« Weiter kam ich nicht, denn da wurde ich auf einmal hochgerissen.
»Man wird mich ehren, dafür, dass ich endlich Castiels Auftrag beendet habe«, sagte Ishim und lachte, während seine Hand meine Kehle umklammerten. Er stieß mich gegen die harte Wand und ich keuchte erschrocken auf. »Egal, wer dein Vater ist, Wesen wie du sollten in der Hölle brennen.«
Ich schnappte nach Luft. Meine Hände umklammerten verzweifelt seinen Arm, mit welchem er mich festhielt. Doch trotz seiner fehlenden Flügel war er stärker.
»Du bist eine wahre Enttäuschung. Ich hatte etwas mehr erwartet.«
Ich spürte, wie er kurz davor war, mich komplett zu erwürgen, als auf einmal helles Licht erschien. Zunächst wusste ich nicht, woher es kam, doch dann bemerkte ich, dass es meine Augen waren, die so hell leuchteten. Mit der plötzlich aufkommenden Kraft stieß ich ihn nach hinten, so dass er unsanft gegen die Wand auf der anderen Seite knallte.
Lily zog ihre Augenklappe ab. Ein weißes, lebloses Auge kam zum Vorschein, welches golden leuchtete, als sie die Hand hob. Zunächst konnte Ishim gegen die Kraft nicht standhalten und stand wie angewurzelt dort, doch dann drängte er sich immer weiter nach vorn. Auf einmal stieß Cas seine Klinge von hinten durch Ishims Körper. Der schrille Piepton erklang und grelles Licht erschien, und tot stürzte der Engel zu Boden.
»Du hast an ihm lang genug festgehalten«, sagte Cas, der schwach auf die Knie fiel.
Dean half ihm hoch und setzte ihn auf die Bank. Ich kam zu ihm und ließ mich ebenfalls nieder.
Schweigend betrachtete Lily eine Weile Ishims Körper, bis sie sich umdrehte. »Rache ist alles, was ich in den letzten Jahren wollte. Dafür hab ich gelebt.«
»Es tut mir leid«, sagte Cas. »Ich hatte Unrecht, und mir war wirklich nicht klar, dass wir eine Unschuldige töten. Und dennoch - Unwissenheit ist keine Entschuldigung.« Er erhob sich. Tränen liefen an Lilys Wangen herunter. »Ich kann mir den Ausmaß deines Verlustes nicht vorstellen. Sie war dein Kind. Dein Schmerz muss unermesslich sein. Also wenn sich unsere Wege jetzt trennen und dir klar wird, dass du mir nicht vergeben kannst, werd ich auf dich warten.«
»Danke«, hauchte Lily ehrfürchtig und ging davon.
The Bunker; Lebanon, Kansas
Während die drei Jungs sich im Hauptraum aussprachen, blieb ich im Schlafzimmer und sah einige Fotos durch, die wir all die Jahre immer mal wieder gemacht hatten. Letztendlich traf ich auf das Bild von Dean als Kind und seiner Mutter. Es war alt und trotzdem glich die Frau auf dem Foto der Frau, die wir heute kannten. Äußerlich zumindest.
Ich vernahm Schritte und blickte auf. Es war Cas, der im Türrahmen stehenblieb und mich nachdenklich musterte.
»Du bist verändert«, meinte er.
»Sind wir das nicht alle?« Ich legte die Bilder zurück in die Kiste.
»Du weißt, wovon ich spreche, Cat. Das weißt du am besten.« Er ging zum Schreibtisch herüber und lehnte sich dagegen. »Was wirst du tun? Wirst du es ihm erzählen?«
»Nein.« Ich ließ den Blick sinken. »Nein, das wäre ... das wäre keine so gute Idee, nicht jetzt.«
»Du spielst mit einem Gedanken«, stellte Cas fest, der mich weiterhin musterte. »Und dieser Gedanke bringt dich weit, weit weg von hier.«
Ich sah auf. »Cas, es sind zehn Jahre. Zehn ganze Jahre.«
»Ich weiß.« Der Engel erhob sich. »Wofür auch immer du dich entscheidest, ich werde voll und ganz hinter dir stehen.« Mit diesen Worten ging er.
Noch ein letztes Mal betrachtete ich das Bild von Dean und seiner Mutter, ehe ich die Kiste verschloss und zurückstellte. Dann schaltete ich das Licht im Raum aus und ging ebenfalls.
2122 Wörter
Was, denkt ihr, verheimlicht Cat den anderen?
Mit dem letzten Absatz teaser ich schon etwas an. Vielleicht könnt ihr es euch denken.
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Gestern ist übrigens mein USB-Stick kaputt gegangen, auf welchem alle meine Geschichten waren. Alles, was auf Wattpad ist, hab ich noch, aber einige neue Projekte sind jetzt weg. Mein Onkel versucht am Wochenende sein Bestes, kann aber nichts versprechen...
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