Skip
Ein Hund weiß nicht,
wie man Liebe schreibt,
aber er weiß, wie man sie
täglich zeigt.
Der Raum ist vollgepackt mit allen möglichen Spielen. In einer Ecke steht Roulette, in einer anderen ein Greifautomat, wie sie früher auf den Weihnachtsmärkten standen.
In der Mitte des Raumes steht ein Billiardtisch und rechts neben einem Stehtisch befindet sich ein niedriger, platter Tisch. Auf ihm liegen verdeckt drei Kartendecke, jedes mit einem anderen Muster verziert. Keines der sich im Raum befindenden Objekte ist noch ganz.
Der Billiardtisch besitzt keine schwarze Kugel mehr, anstelle ihrer wurde ein runder Gummiball in die Mitte der Dreiecksform gelegt. Einer der Stäbe ist hinten etwas aufgesplittert und einem anderen fehlen gut fünf Zentimeter.
Der Greifautomat gibt nur noch etwas verstörende Geräusche von sich, verkümmerte Überreste der einstigen Festivalmusik. Eine Kralle hat er auch bereits verloren und das Gummi mancher Spielzeuge, die es zu greifen gibt, ist anscheinend einmal zu viel geschmolzen.
Ein Flipperautomat, der gleich am Eingang steht, ist so gut wie gar nicht mehr vorhanden. Er besteht lediglich aus einem Kontrollknauf und ein paar Lämpchen, die bereits den Geist aufgegeben haben.
„Der Flipperautomat da, funktioniert der noch?"
Fragend sehe ich den Mann an. Er runzelt etwas unentschlossen die Stirn.
„Willst du denn nicht lieber Karten spielen oder so? Diese alte Dame hier hat schon so gut wie den Geist aufgegeben. Der einzige Grund warum sie noch nicht auseinandergenommen wurde, ist, dass ich mich nie von Dingen trennen kann. Und auch dieser Grund wird in ein, zwei Wochen nicht mehr ausreichen. Die Rohstoffe werden immer knapper, ich kann es mir nicht leisten unnütze Dinge zu behalten."
„Aber er funktioniert noch?"
Der Mann kratzt sich stirnrunzelnd am Kopf.
„Denke schon", brummt er dann und kniet sich vor den Automaten.
Ein leises Summen ertönt und ein Timer zählt von 20 herunter.
„Drei Runden?"
Ich nicke. Das letzte und erste Mal, das ich einen Flipperautomaten benutzte, ist nun schon mehrere Jahre her. Ich muss gerade fünf Jahre alt gewesen sein.
Wir sparten zwar für die Flüge zum Mars, aber mein Vater war der Meinung gewesen, jeder Junge müsste wenigstens einmal eine Spielhalle von Innen gesehen haben. Er meinte, es würde sie wahrscheinlich bald nicht mehr geben und sie würden später zum Kulturgut gehören.
Meine Mutter hatte nur traurig gelächelt und gemeint, er solle ja nicht zu viel ausgeben. Dies war eine meiner schönsten Erinnerungen zusammen mit meinem Vater, er hatte einen Becher mit Münzen geholt und abwechselnd hatten wir bestimmt, zu welcher Maschine wir als nächstes gingen.
Es war sein Vorschlag gewesen zum Flipperautomaten zu gehen. Die Erinnerungen von jenem Tag schießen mir wieder durch den Kopf; die Lichter, die Musik, die Gerüche und die Menschen dort...All dies schien so lange Zeit her zu sein.
13 Jahre waren nicht viel Zeit. Nicht für die Erde, nicht für politische Entscheidungen und erst recht nicht um die gesamte Bevölkerung eines Planeten umzusiedeln. Dennoch genug Zeit, um zu vergessen, um neue Erinnerungen zu schaffen und andere zu verdrängen.
Die Lämpchen des Flipperautomaten leuchten auf.
End
Der Spielstand des ersten Spielers wird angezeigt. 178 Punkte. Der zweite Spielstand, der angezeigt wird, ist der des Mannes: 183 Punkte.
„Sie haben gewonnen.", stelle ich fest und bemerke im selben Moment, dass das Spiel mir Spaß gemacht hat. Es hat mich zwar in keiner Hinsicht weitergebracht, aber dennoch war es auf seine eigene Art und Weise bereichernd.
„Du warst nicht schlecht, Junge. Etwas außergewöhnliche Wahl, aber ich muss schon sagen, vielleicht hängt doch noch mehr Leben an der Dame als ich vorher dachte. Komm.", sagt er und ich folge.
„Ich habe verloren.", merke ich an.
„Was ist es, das Sie von mir haben wollen?"
Der Mann antwortet nicht, stattdessen führt er mich in einen Raum am anderen Ende des Flures.
„Ich möchte, dass du dich um jemanden kümmerst. Du bist doch einer der Wanderer, nicht wahr?"
Wanderer – so werden die genannt, die nicht bleiben. Die, die weiterlaufen, bis sie es leid sind und eine Pause einlegen.
Viele bleiben mittlerweile einfach wo sie gerade sind, oder suchen nach einer Gruppe, der sie sich dann anschließen.
Die Wanderer sind alleine unterwegs und legen lange Strecken zu Fuß zurück, ohne ein wirkliches Ziel zu haben.
Ich nicke und sehe den Mann, der offensichtlich nie einer dieser Leute war, fragend an. Worauf will er hinaus?
„Ich möchte dir jemanden vorstellen. Er braucht Auslauf, den ich ihm nicht geben kann. Er beginnt zu wimmern, wenn er nicht raus darf und es bricht mir jedes Mal das Herz. Ich wünsche mir, dass du auf ihn aufpasst und dich um ihn kümmerst. Etwas Essen kann ich dir mitgeben, aber es wird knapp."
Er besieht mich von Kopf bis Fuß.
„Du scheinst mir aber gut selbst für Essen sorgen zu können."
Er schließt nun eine braune Holztür auf.
Hinter ihr kommt ein mittelgroßer, pelziger Vierbeiner zum Vorschein. Er liegt auf dem Boden, springt jedoch sofort auf, als er uns erblickt und wedelt freudig mit dem Schwanz.
„Vor acht Jahren kam eine Familie hierher. Sie hatten noch einen Golden Retriever von früher, der bei der Geburt eines Welpen starb.
Sie konnten nicht einmal sich selbst durchfüttern und tauschten den Kleinen gegen Essen und Trinken für die beiden Kinder ein. Seitdem muss er hier leben, erstaunlicherweise passt er sich relativ gut an die Umstände an.
Er braucht jemanden und du ganz gewiss ebenfalls. Nimm ihn und den Beutel in der Ecke und dann mach das du fortkommst, ehe der nächste Sturm kommt."
Ich weiß, dass ich den Hund nicht annehmen kann. Er muss gefüttert werden und zu trinken bekommen. Außerdem bin ich allein unterwegs und der Hund ist acht Jahre alt, er wird noch maximal vier Jahre lang leben.
Es lohnt sich nicht ihn durchzufüttern. Aber ich weiß auch, dass ich dem Mann seinen Wunsch nicht abschlagen darf.
Ich habe verloren, ich nehme seine Last.
„Er heißt Skip.", sagt er, während er mir den Beutel in die Hand drückt.
„Die Kinder, die damals hier waren spielten auch am Flipperautomaten herum. Sie mochten die Lämpchen. Die Ältere von beiden war der Meinung, dass es nicht Flippern, sondern Skippern genannt wurde."
Mehr sagt der Mann nicht, er begleitet mich zur Tür und ich spüre wie er mir nachsieht, den Hund, Skip, an meiner Seite und die Tüte in der Hand.
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