Morgengrauen
Wer die Freiheit aufgibt,
um Sicherheit zu gewinnen,
wird am Ende beides verlieren.
-Benjamin Franklin
„Wir sehen uns wieder."
„Das werden wir nicht und du weißt es.", erwidert sie und wieder liegt diese tiefe Trauer in ihrer Stimme.
„Schreib mir mal, wenn du auf dem Mars bist und Limo schlürfst, ja?"
Gegen meinen Willen muss ich lächeln.
„Alice?"
„Was ist denn noch, du Zeitschinder?"
„Ich bin froh jemanden kennengelernt zu haben, der tschüss zu sagen so schwer macht."
„Der Unglücklichen musst du mich mal vorstellen, sie klingt echt cool!"
Und dann lächelt sie wieder ihr wunderschönes Lächeln. Und ich werde es wahrscheinlich nie wieder sehen.
Noch bevor ich realisiere, was ich tue, berühren meine Lippen bereits ihre. Mein Inneres füllt sich mit wohliger Wärme und ich bin glücklich.
Ich bin ein Idiot. Ich habe etwas, nein, jemanden gefunden der mich zum glücklichsten Menschen auf diesem Planeten macht und ich werde sie verlassen.
Ich bin derjenige, der sich zuerst löst.
„Pass gut auf dein Essen auf, nicht das es dir jemand stehlen möchte. Hab' vor allem Skip im Auge, er sieht schon den ganzen Morgen zu der Schweineschwate!"
Unter Tränen beginnen wir zu lachen.
Es ist komisch, aber dieser Moment des Abschieds fühlt sich vollkommen an. Es stimmt wohl, dass der Mensch das haben will, was er niemals bekommen kann.
Dann greife ich noch einmal in die Tüte. Ich hole ein Päckchen hervor.
„Die alte Frau hat wieder etwas von ihrem Streuselkuchen eingesteckt. Sie weiß nicht, dass ich nicht mehr kommen werde, also musst du hin und ihr sagen, wie fantastisch er war."
Ich reiche ihr das Päckchen.
„Es ist dein Essen.", merkt sie an.
„Was ist schon Deins und Meins, Alice? In einer Welt die bald untergeht und sowieso alle sterben, was soll ich da mit einem Streuselkuchen?"
„Ihn essen natürlich, du Armleuchter!"
Sie beginnt noch mehr zu lachen und nun strömen Tränen ihr Gesicht herunter. Ich nehme sie in den Arm, wie ich es bereits an jenem Tag getan hatte.
„Ich deins. Du meins. Wir eins.", flüstere ich.
Dies waren die Worte die mein Vater zu meiner Mutter sagte, als beide tot krank im Bett lagen. Gut möglich, dass es seine letzten waren.
Nach einer gefühlten viel zu kurzen Ewigkeit, lösen wir uns voneinander. Sofort dringt unsagbare Kälte in mich und ich will sie wieder an mich reißen und nie wieder loslassen.
Aber ich kann nicht.
„Ich werde wiederkommen. Noch bevor alle sterben."
„Red' keinen Stuss, Springer! Du kommst nicht wieder."
„Und ob ich das werde. Zusammen mit deiner ganz persönlichen Rakete und die fliege ich direkt vor deine Haustür. Und dann fliege ich dich hin, wo auch immer du willst!"
Sie sieht mich skeptisch an, doch widersprechen tut sie mir nicht. Wir wollen beide an diesen Traum glauben, beide nicht an etwas anderes denken.
„Wenn du nicht zum Universum kannst, dann bringe ich das Universum zu dir."
Sie lehnt sich vor und küsst mich auf die Wange.
„Ich nehme dich beim Wort, Springer."
Ich drehe mich noch bestimmt mindestens zehnmal um. Jedes Mal sehe ich das gleiche Bild: Alice, die so alt ist wie ich und nun doch erwachsener wirkt, steht am Rande einer Stadt die in Trümmern liegt. Weiter ist sie nie gegangen. In Momenten wie diesen, wünschte ich, ich könnte meinen Kopf ausstellen. Viele Fragen plagen mich während ich neben Skip immer gen Horizont laufe. Wird sie es schaffen? Auf sich allein gestellt?
Natürlich wird sie das, es ist Alice! Und bevor du hier warst, ist sie ja auch irgendwie klargekommen! Rede ich mir ein.
Trotzdem drehe ich mich noch einmal um. Ich kann sehen, dass sie etwas sagt. Aber ihre Worte kommen nie bei mir an.
„Warum Schach?", frage ich, als wir wieder auf dem Dach sitzen. Die Nacht ist lauwarm und wieder einmal erhellen Mond und Sterne unsere Stadt.
„Warum nicht? Es passt doch."
Alice sieht dem jungen Mann hinterher. Sie weiß, er wird nicht wiederkommen. Dennoch möchte sie daran glauben und in den folgenden Tagen wird sie alleine auf ihrem Dach sitzen und Ausschau nach ihm halten.
„Weil das Leben wie ein Schachspiel ist.
Wenn das Spiel zu Ende ist,
kommen König und Bauer in dieselbe Schachtel zurück."
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