Kapitel 7 Teil 2: Wahrheiten
Eine ganze Weile herrschte Stille.
Dann setzte Hiku als Erster wieder an: „Und was machen wir jetzt? Das Hühnchen weitertrainieren?"
Munin drückte sich vom Boden ab und rieb sich den Steinstaub von den Handflächen. „Habt ihr eigentlich auch einmal darüber nachgedacht, selbst zu trainieren?" Der Reihe nach sah er die Halbgeschwister an. „Ihr seid die Neda nicht gewohnt und könnt ihnen nichts entgegensetzen. Aber vielleicht muss das nicht so bleiben. Vielleicht müsst ihr euch verändern. Weiterentwickeln." Er hielt Quesa die Hand hin. Schlanke, kalte Finger schlossen sich zögerlich um Munins und er zog den Wassergott hoch.
Quesa ließ ihn nicht los.
„Weiterentwickeln, hm?" Hiku schnaubte, doch fügte an: „Wäre vielleicht einen Gedanken wert."
Bei der Antwort musste Munin sehr an sich halten, nicht zu Seufzen und mit der freien Hand sein Gesicht zu bedecken. Die Schwäche von langlebigen Wesen. Stagnation.
Sachte drückte Quesa seine Finger. „Da wäre noch eine andere Angelegenheit. Ich würde mir den Zustand deines Körpers beziehungsweise deines Aurasystems immer noch gerne einmal genauer ansehen. Nur mit deiner Erlaubnis, natürlich."
Jetzt war es an Munin, zögerlich zu nicken. „Nur zu." Kaum hatte er ausgesprochen, war da wieder diese Wärme. Allerdings nicht nur um ihn, sondern ebenso in ihm. Ein Sonnenstrahl, der durch seinen Körper wanderte.
Dann schrak Quesa zurück und wandte den Blick ab.
„Was ist?", wollte Hiku wissen und auch Munin hing an seinen Lippen.
„Du hattest recht", murmelte Quesa gepresst und fuhr sich über den Mund. „Sie, die Kan, haben ihn sehr verändert, um ihn für ihre Zwecke benutzen zu können. Es ist alles ... falsch. Aber ... das ist nicht das schlimmste. Die vier Kan ... Sie hatten sichtlich wenig Zeit. Sie haben ihre Magiekerne in ihn transplantiert. Aber ..."
„Bei Nexals endlosen Fluren, das ist alles nichts neues", knurrte Hiku.
Quesa sah Munin direkt an und sagte: „Es ist kein Wunder, dass du damit nicht zurechtkommst. Abgesehen davon, dass du trotz der Veränderungen einfach immer noch zu menschlich bist, sind sie komplett inkompatibel mit deinem Körper und deiner Aura."
Vier Augenpaare waren auf Munin ausgerichtet, so starr wie die grauen Baumpfähle.
„Wundervoll", zischte Hiku. „Also sind wir wieder bei Null?"
Quesa schüttelte den Kopf, verschränkte die Arme, nur um sie gleich wieder herabhängen zu lassen. „Ähnlich wie bei den Auramarkern der Sem, sind auch die Kerne markiert. Die vier Kan wussten, welche Kanre kompatibel sind. Oder hatten zumindest jeweils eine Vermutung."
Leia schnipste mit den Fingern, ihr Gesicht leuchtete förmlich. „Juju, der Exritter!"
„Jurik?", wiederholte Cyriz mit geweiteten Augen, während Quesa nachdenklich murmelte: „Jurik ... ja, das könnte Munins starke Reaktion auf ihn erklären, als ihr ihm in der ‚Naschenden Katze' begegnet seid."
„Das heißt wir gehen auf eine Schnitzeljagd?", fragte ihre Halbschwester und wippte auf und ab. „Eine echte Schatzsuche?"
Mit dem Wissen um ihre Göttlichkeit, war es leicht, in ihr eine gedämpfte Version der Göttin über Luft, über Ausgelassenheit und Spaß, zu identifizieren.
„Aber ...", fuhr Quesa fort. „So wie die Kerne eingesetzt sind ... Ich weiß nicht, was passiert, wenn wir sie entfernen."
Munin lächelte ihn an und hob die Schultern. „Finden wir es heraus."
Schmerz verzog die Stirn, Augen und Lippen des Wassergottes. „Es tut mir leid, Munin. Es tut mir so unendlich leid. Das hast du nicht verdient."
„Vielleicht ist dir das endlich mal eine Lehre, dich nicht immer in anderer Leute Angelegenheiten zu mischen", meinte Hiku mit schmalen Augen. „Wer weiß, hättest du niemals eine Verbindung zu diesem Teich hergestellt – sondern zu, ich weiß nicht, jemand nützlichem, der uns hier hätte rausholen können – dann wäre alles vielleicht anders gekommen. Dann wären sie vielleicht nicht auf die Familie aufmerksam geworden. Dann wären die beiden vielleicht nicht so vertrauensselig gegenüber den falschen Göttern gewesen. Dann wäre sein Bruder vielleicht nicht –"
Munin verpasste dem Hünen eine schallende Ohrfeige. Außer seinen Stolz schien er damit aber nichts verletzt zu haben, der Hüne zuckte nicht einmal mit der Wimper. Seine Faust flog im Gegenzug auf Munins Nase zu, doch erreichte sie nicht. Blut spuckend sackte der Hüne auf die Knie.
Cyriz erfasste die Situation schneller als die übrigen zwei Geschwister. „Das reicht." Xier riss xiesen grauhaarigen Halbbruder am Arm zu sich herum „Quesa, es ist genug!"
Der Wassergott zuckte zusammen und beendete die Qual.
„Was hast du gemacht?", brachte der Hüne zwischen keuchendem Husten hervor, immer noch auf Händen und Knien.
Mit verschränkten Armen blickte Munin auf Hiku herab. „Vielleicht solltest du dir ein Beispiel an deinem Halbbruder nehmen, Hiku. Auch in Körpern ist Wasser, das sich manipulieren lässt." Er beugte sich zu ihm herunter. „Und wage es nicht noch einmal, Quesa die Schuld für meine Verfehlungen zu geben. Oder die meines toten Bruders. Ohne die ich nicht hier wäre, womit ihr hier chancenlos auf unbestimmte Zeit festsitzen würdet."
„Oho, du hältst dich für so besonders? In jeder Zeitlinie bist du der Held, ja? Dank dir sind wir schon so gut wie draußen, he?" Lachend kam Hiku wieder auf die Beine. „Dafür, dass du gerade erfahren hast, dass wir Götter sind, bist du ziemlich anmaßend."
Munin entzog seiner Stimme alle Wärme und lächelte sein bestes Jägerlächeln. „Nun, ich habe auch erfahren, dass ihr gegen Neda keine Chance habt, wenn sie euer Element beherrschen." Er kippte den Kopf leicht zur Seite. „Ich bin zwar kein Neda, aber ich bin ziemlich gut mit den Elementen."
Hiku erstarrte, schnaubte und verschränkte die Arme, aber auch Leia und Cyriz sahen nicht glücklich über seine Worte aus. Zu Quesa zu sehen, traute er sich nicht.
„Weiterentwickeln", murmelte Hiku nachdenklich, er drehte den Kopf zu Quesa. „Blutmanipulation. Interessant, Brüderchen. Ich dachte, du verabscheust es, Lebewesen Leid anzutun. Abgesehen von natürlichen Katastrophen durch Wasser. Ist das nicht einer deiner Aspekte? Heilung und Gesundheit? Ich glaube kaum, dass mein Blut einen natürlichen Grund hatte, meinen Körper zu verlassen."
Der Wassergott schlang die Arme um sich. „Verzeih."
„Nein, das war großartig!", widersprach Hiku kopfschüttelnd.
„Es ist widerlich", wisperte Quesa. „Es entspricht nicht ..."
„Es ist falsch", führte Cyriz weiter aus, nicht anklagend, lediglich überlegend. „Es ist Dissonanz. Kontrolle. Wie kamst du darauf?"
Quesa seufzte unglücklich und senkte den Kopf. „Komponente meines Aspektes ist auch Veränderung und dieser Ort hat mich verrückt gemacht", wisperte er bitter. „Fast meine gesamte Existenz habe ich als Teil von Wasser verbracht. Also habe ich nach Wegen gesucht, meinem Element auch hier nahe zu sein. Und herumexperimentiert." Er hob den Kopf, sein Lächeln hinter weißen Haarsträhnen präsent. „Und damals ... Damals hatte ich mir verboten, Neda als Lebewesen anzusehen."
„Ich wusste gar nicht, dass so viel in dir steckt. Ich hielt dich immer für einen Feigling." Hiku klopfte ihm auf die Schulter.
Quesa zuckte zusammen und wandte den Blick ab. „Deine Komplimente bestätigen mir nur, wie falsch es ist. Als der Hass erlosch, fühlte ich mich nicht stark. Ich war angewidert von mir. Bin es noch."
Weiterhin lag Hikus Pranke auf seiner Schulter. Damit drehte er ihn zu sich. „Aber du wirst mit uns kämpfen, wenn es hart auf hart kommt, oder, Qu?"
„Ja. Natürlich."
„Weiterentwickeln", wiederholte Hiku erneut leise. Dann packte er Munins Arm. Die schwarzen Augen waren aufgerissen und sein Gesicht zierte ein Lächeln, das sich nur mit dem Wort 'manisch' beschrieben ließ. „Du wirst uns trainieren. Ich vertraue keinem Neda in diesem Loch, aber dir ..." Er nickte. „... dir vertraue ich gut genug." Hiku seufzte tief. „Auch wenn ich die Begeisterung meines Halbbruders über dich oder deinen Bruder lächerlich finde. Er hätte sich ja auch einen Hund holen können. Die sind einfacher zufrieden zu stellen und zu handhaben. Wie auch immer. Ich brauche was zu trinken."
„Wir könnten alle eine Pause vertragen", warf Leia ein. „Irgendwelche Vorschläge, wo wir unterkommen könnten? Quesas Villa ist ab jetzt Sperrgebiet. Wenn sie überhaupt noch steht."
Der Hüne hob die Schultern, „Von mir aus könnt ihr mit zu mir."
„Wir gehen zu mir", widersprach Cyriz leise und langsam, als müsse xier sich selbst davon überzeugen, dass das eine gute Idee war. „Dort sollte es etwas angenehmer und geräumiger sein, als in deiner Männerhöhle. Aber zur Sicherheit sollten wir hier noch etwas ausharren."
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