Intermedium 2.6
Als Ajax die Augen in der Zwischenwelt des Spiegelgottes aufschlug, fand er sich vor einer Tür wieder. Der Schatten, in Gestalt eines von schwarzen Partikeln verhüllten Menschen, deutete einladend auf die Tür, die, dunkel wie Ebenholz, in die graue Wand eingelassen war.
Vielleicht war es heute so weit, dachte er. Vielleicht würde der Spiegelgott heute seine Seele einsammeln.
Und er lief bereitwillig in die Falle.
Ajax' Finger schlossen sich um den silbernen Knauf, von dem aus angenehme Wärme durch seinen Körper schwappte. Er drehte ihn und stieß die Tür auf. Zwar öffnete sich sein Mund, aber ein Ton kam nicht heraus. In der Mitte des Raums ereignete sich ein gewaltiges, lautloses Feuerwerk. Einzelne Lichtpunkte flitzten immer wieder in alle Richtungen davon und verglommen. Je näher er trat, desto mehr angenehme Wärme sickerte in seine Glieder. Von der Decke flossen stetig neue Fäden, wurden Teil des bunten Lichterspektakels in der Mitte.
„Was ist das?", wisperte Ajax. Er sah den Spiegelgott an, sein Herz groß vor Dankbarkeit und der Glückseligkeit, die in dieser Kammer wohnte. „Es ist wundervoll."
Eines wurde ihm in dieser Sekunde klar: Was immer das vor ihm sein mochte, es war auch das, was der Wissenschaftler wollte. Und in der nächsten Sekunde erhielt er die Bestätigung. Er zuckte zusammen, krümmte sich nach vorne, sein Mund nicht mehr vor Entzückung geöffnet, sondern vor Schmerz.
Auch durch die Farben ging ein Ruck, als sie begannen, ihre Bewegungen anzupassen. Von unkoordiniert in alle Richtungen zu gerichtet auf Ajax zu.
Ihm war es unmöglich, sich zu regen, unmöglich, zu blinzeln.
Bevor nur ein Partikel ihn erreichte, grollte eine schwarze Mauer vor ihm in die Höhe. Etwas schubste ihn aus dem Raum, mit so viel Kraft, dass er weiterrollte und gegen die gegenüberliegende Wand des Flurs prallte. Das Knallen der Tür war zu hören und als er aufblickte, war von ihr nichts mehr zu sehen. Dafür manifestierte sich das Schattenwesen vor ihm. Aus seiner Gestik konnte Ajax nichts ablesen, seine Mimik war hinter dem Schleier sowieso nicht zu erkennen, die grünen Augen blickten einfach nur auf ihn herab. Dann drehte es abrupt den Kopf. Als könne es nicht ertragen, ihn noch länger anzusehen.
„Lass es mich erklären", wisperte Ajax und zwang sich auf Hände und Knie.
Doch die Distanz zwischen ihnen vergrößerte sich mit jeder Sekunde, auch wenn sich keiner von ihnen bewegte. Ajax' Muskeln schmerzten, er richtete sich trotzdem auf, rannte in Richtung des Wesens, stolperte und landete wieder auf den Knien. „Bitte!", schrie er. „Lass es mich erklären!" Ein Schluchzen zerfetzte sein Flehen. „Bitte!"
Er schlug die Augen in der Realität auf.
„... so nah!" Mit einer Bewegung wischte der Wissenschaftler sein Wasserglas vom Tisch. „Die ganze Arbeit, für nichts und wieder nichts!"
„Bitte. Es tut mir leid. Gib mir nur eine zweite Chance. Ich wusste nicht, was das Ziel dieser Experimente war. Ich verstehe es ja noch nicht einmal jetzt! Bitte. Ich brauchte das Geld. Ich wollte den Luxus. Ich ..." Seine Faust schlug auf seinen Oberschenkel, er legte den Kopf in den Nacken. „Götter, verdammt. Bitte!"
Ajax saß gegenüber dem einzigen Spiegel in seinem Wohnwürfel. Sein Blick tastete jeden Zentimeter des glatten Materials ab. Vergeblich. Wie die vergangenen Tage. Der Spiegelgott hatte sich von ihm abgewandt. Er hasste den Wissenschaftler-Gott, den Spiegelgott und alle anderen Götter gleich mit. Und sich selbst. Vor allem sich selbst. Oder vielleicht nur sich selbst. Und das Gefühl, etwas verloren zu haben, von dem er nicht einmal gewusst hatte, dass er es besaß. Das Vertrauen und die Freundschaft einer Person, die keinen Nutzen aus ihm zog. Nein, diesmal war es genau andersherum gewesen. Er hatte sich dazu entschieden, dem Pfad des Wissenschaftlers mit all seinen Annehmlichkeiten zu folgen. Und damit gleichzeitig dazu, den Spiegelgott zu verraten.
„Bitte", hauchte er. „Verzeih mir."
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Author's Note:
Ich kann nichts versprechen, aber wenn ich es zeitlich hinbekomme, veröffentliche ich nächste Woche alle Teile des siebten Kapitels auf einmal. Es ist ein wichtiges Kapitel und eine Verzögerung von einer Woche zwischen dem ersten und zweiten Teil würde sich noch künstlicher anfühlen, als es das bei den anderen Kapiteln sowieso schon tut^^'
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