86
Sie konnte die Musik schon aus drei Blocks Entfernung hören.
Drei Mal hatte sie sich an diesem Tag umgezogen, weil sie sich nicht sicher war, wie Mia die Party aufgezogen hatte. Schließlich hatte sie sich nur für eine schwarze Jeans und ein hübsches, helles Oberteil entschieden.
Sie klingelte an der Türe und erwartete Mia, aber es war Mason, der ihr umständlich aufmachte, in jeder Hand eine Flasche Bier.
„Endlich! Die Liebe meines Lebens!", grölte er.
„Ach, ist es nicht mehr Kody?", presste sie hervor, weil er sie so fest umarmte, dass sie keine Luft mehr bekam.
„Der ist mit seiner Blondine da."
Sie deutete auf das Bier. „Guten Start gehabt?"
Er hielt ihr eine Flasche hin, aber sie schüttelte den Kopf. „Danke, aber Izzy und ich müssen nachher noch wohin."
Er trank einen Schluck aus der Flasche in seiner linken Hand.
„Spielst du heute Gastgeber? Wo ist Mia?"
„Irgendwo", seufzte er wehmütig. „Beschäftigt." Er sah sie an. „Sehr beschäftigt. Sehr, sehr-"
„Ich habs verstanden, sie knutscht rum", unterbrach sie ihn amüsiert. Er nickte und trank einen Schluck aus der anderen Flasche. „Und wo ist Jason?"
„Küche."
Es klingelte wieder und Mason wandte sich von ihr ab, um die nächsten Partygäste in Empfang zu nehmen. Sie zog sich die Jacke aus, machte sich dann auf den Weg, Jason zu suchen und entdeckte ihn tatsächlich mit einem jungen Mann an der Küchenzeile stehen.
„Natürlich", meinte sie kopfschüttelnd. Er drehte sich zu ihr. „Die Küche. Aber über mich machst du dich lustig."
Lächelnd stellte er sein Bier weg und schlang die Arme um sie. „Schön, dich zu sehen", murmelte er und drückte ihr einen Kuss auf den Kopf, bevor er sie wieder freigab und zu dem Mann deutete, mit dem er sich unterhalten hatte. „Prämiere! Hannah, Andres. Andres, Hannah."
Sie hob verblüfft die Augenbrauen und Andres streckte ihr die Hand entgegen. „Du hier?"
„Jason hat mich in seinen Koffer gesperrt und mitgenommen. Ich hatte keine Chance."
Sie nickte. „Ja, du siehst aus, als würde man dich hier gegen deinen Willen festhalten." Er grinste und hielt ihr die kleine Schale mit den Erdnüssen hin, die er in den Händen hielt. Sie bediente sich und warf einen Blick aus dem Fenster in den Garten.
„Hat Mia die ganze Schule eingeladen?"
„Nein, sie denkt nur, dass es unter vielen Leuten weniger auffällt, wenn sie sich von ihrer eigenen Party wegschleicht."
Sie betrachtete ihn einen Augenblick. „Okay, was ist hier los? Erst deutet Mason an, dass sie gerade mit jemandem rummacht, und jetzt du?"
„Willst du was trinken?", fragte er nur.
„Sicher", seufzte sie. „Alkoholfrei. Izzy und ich müssen noch-" Sie brach ab. Es machte ihr nichts aus, mit Jason darüber zu reden, aber Andres musste nicht wissen, dass sie mit Izzy einen Termin beim Jugendamt hatte. Genauer gesagt hatte nur Izzy dort einen Termin, aber seit sie Volljährig war, war sie Izzys rechtlicher Vormund, auch, wenn sich das überhaupt nicht richtig anfühlte. Es war total absurd. Sie hatte keinen Job, keine Wohnung, hatte noch nicht einmal die Schule abgeschlossen und sollte ein Mitspracherecht bei rechtlichen Entscheidungen haben, die Izzy betrafen?
Als sie Kinder gewesen waren, hatte sie immer die Verantwortung für Izzy übernommen, aber das hatte sich auf die Bettgehzeit, Hausaufgaben und Erkältungen beschränkt. Nicht auf ihr gesamtes Leben.
„Wohin", schloss sie ihren Satz zögerlich ab.
Andres stellte sein Bier und die Erdnüsse weg. „Das war wohl mein Stichwort. Ich geh Mal..." Er sah sie an und lächelte. „Wohin."
Als er die Küche verlassen und Jason ihr ein Glas Eistee in die Hand gedrückt hatte, erzählte sie ihm davon, dass Adam und Julia vorgeschlagen hatten, Izzy zu adoptieren.
„Das ist alles so verworren und kompliziert", seufzte sie. „Weil Izzy bald sechzehn ist und ab vierzehn muss man einer Adoption zustimmen. Außerdem ist Izzy ja nicht wirklich ein Waisenkind oder wurde offiziell von unserer Mom abgegeben. Ich bin jetzt ihr Vormund, weil unserer Mom unauffindbar ist, also muss ich der Adoption ebenfalls zustimmen, es ist-" Sie schüttelte den Kopf.
„Verworren und kompliziert", griff er ihre Worte vom Anfang auf.
„Dass das einmal daraus wird, hätte ich nie gedacht, als Adam uns vor fast einem Jahr aus der Wohnung in Anchorage abgeholt hat. Stell dir bloß Mal vor, das Gericht hätte beschlossen, dass Izzy bei unserem Onkel bleiben muss..."
„Wann müsst ihr bei dem Termin sein?"
„Um vier. Izzy holt mich ab." Sie nippte an ihrem Eistee und warf ihm einen irritierten Blick zu. „Hey, warum bist du eigentlich hier? Andres hat ein Alibi, er wurde entführt und verschleppt, aber du? Musst du nicht arbeiten?"
Er sah sie nicht an. Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen, aber es war kein echtes Lächeln, kein glückliches. Dann sah er auf.
„Ich erzähle es dir ein andermal, versprochen."
„Jason-"
„Es ist alles okay", versicherte er. „Mir geht es gut. Basco ist bei meinen Nachbarn. Ich will nur heute... Ich will diesen Tag mit dir verbringen und einfach nur draußen sitzen, Cola, Eistee und Bier trinken, ich will, dass du Andres kennenlernst und ich will machen, was Mia gerade macht."
„Betrunken mit einem Kerl in einem Abstellraum knutschen?"
Er nahm ihr das Glas aus der Hand, zog sie zu sich und küsste sie. Sie fand es sehr unpraktisch, dass sie noch keine eigene Wohnung hatte und Jason privat hier war und kein Hotelzimmer in Anchorage auf sie wartete. Sie konnte hier nicht mit ihm schlafen, weil Mia und Olivia hier wohnten und bei ihr zu Hause ging es noch weniger.
Als er sie wieder losließ, sah sie ihn besorgt an. „Und es ist wirklich alles okay?"
Er nickte. „Wirklich." Dann nahm er sie an der Hand und führte sie in den Garten. Obwohl die Sonne schien, war es kühl draußen, aber es war Windstill und Mia hatte drei riesige Heizstrahler aufgestellt.
Sie fanden Andres und stellten sich etwas Abseits des Trubels unter einen der Heizstrahler. Die Hälfte der Gesichter kamen ihr nicht bekannt vor, doch dann entdeckte sie Hao, der sie ebenfalls ansah und hätte vor Schreck fast ihr Glas fallen lassen. Sie war überrascht, dass Mia ihn eingeladen hatte. Schnell wandte sie den Blick ab und versuchte an dem Gespräch teilzuhaben. Andres war ein angenehmer Zeitgenosse, fand sie, aber sie konnte nicht ignorieren, dass sie Haos Blicke auf sich spürte, besonders als Jason seinen Arm um sie legte. Sanft schob sie ihn von sich und er sah sie verwirrt an.
„Was ist denn?"
Ihr entfuhr ein nervöses Lachen. „Ich, äh... weißt du... Publikum."
Andres zog die Augenbrauen zusammen. „Ich?"
„Nicht doch, du bist liebenswert."
Jason sah sich um. „Mia ist doch drinnen, oder nicht? Im Abstellraum", grinste er.
„Ich meine auch nicht Mia."
Er sah sich noch einmal um, diesmal genauer und entdeckte Hao, der sofort den Blick abwandte. „Ah", nickte er. „Ich verstehe."
„Ich nicht, und ich wills wissen", sagte Andres sofort.
Sie lachte. „Ich bin sicher, dass du es weißt."
Jason schüttelte eisern den Kopf. „Tut er nicht, er hat keine Ahnung."
„Glaub ich dir nicht. Männer tratschen viel mehr als Frauen, auch, wenn sie es nicht zugeben." Sie drückte ihm ihr Glas in die Hand. „Ich geh mir schnell die Nase pudern."
„Wer lügt jetzt?", erwiderte er mit einem Lächeln.
Auf dem Weg ins Badezimmer sah sie Kody mit seiner Freundin, sie entdeckte Abby und die beiden Pauls. Sie war froh, kurz von dem Trubel weg zu sein, als sie im Oberstock die Türe zum Badezimmer öffnete, die Augen aufriss, sich abrupt umdrehte und die Türe wieder zuschlug. Sie brauchte einen Augenblick, um zu verdauen, was sie da eben gesehen hatte.
Andrew und Mia? Das konnte nicht sein! Aber sie hatte es gesehen. Die beiden hatten im Badezimmer gestanden und einander geküsst, als wollten sie einander auffressen.
„Nicht die Abstellkammer, also", murmelte sie, immer noch schockiert. Sie konnte hören, wie das Schloss herumgedreht und die Türe abgesperrt wurde.
„Schlau!", rief sie ihnen zu und konnte ein Kichern vernehmen, das nur Mia gehören konnte. Kopfschüttelnd ging sie wieder nach unten.
Dieser Tag war einfach nur seltsam.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro