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Am fünften Tag begann sie sich Sorgen um die Krankenhausrechnung zu machen. Das Bett, das Izzy belegte, war bestimmt nicht billig und nahm obendrein jemand anderem den Platz weg, aber Izzys Ärztin und Dr. Perez, eine Psychiaterin, die ihre Ärztin hinzugezogen hatte, warnten eindringlich davor, Izzy gehen zu lassen, weil sie immer noch nicht wussten, was ihr fehlte.

Vermutlich war sie nach allem, was passiert war und dem massiven Schlafmangel einfach umgekippt, zumindest waren ihre Blutwerte nicht auffällig gewesen. Sie hatte sich den Kopf geschlagen und eine leichte Gehirnerschütterung gehabt, die sollte aber längst wieder in Ordnung sein und nichts begründete ihre absolute Apathie und Regungslosigkeit.

Sie weigerte sich, in die Schule zu gehen, bis sie wusste, was mit Izzy los war und war jeden Tag bei ihr. Wenn sie zu Hause war, konnte sie selten schlafen.

Nach acht Tagen wurde Izzy unruhig, wollte ihr aber nicht sagen, was los war.

Am dreizehnten Tag begann Izzy zu schreien. Sie schrie, dass sie es nicht mehr aushielt, nichts zu fühlen, warf sich in ihrem Bett hin und her und brüllte unter Tränen, dass sie wieder etwas fühlen wollte.

Die Krankenpfleger wollten Izzy sedieren, aber Dr. Perez lies es nicht zu.

„Wenn sie schreit, weil sie es nicht aushält, nichts zu fühlen, dann ist sie zu sedieren, eine gänzlich dumme Idee." Sie hätte fast über ihre Worte und ihren tadelnden Blick lachen können.

Noch nie hatte sie Izzy so gesehen. Ihre Stimme so verzweifelt gehört, ihre Augen so voller Schmerz.

„Ich will aufwachen!", schrie sie. „Ich will etwas fühlen! Ich kann nichts fühlen!" Sie hatte ihre Fäuste gegen die Wand geschlagen, hatte sich in den Arm gebissen, biss das Blut auf die weißen Laken getropft war, hatte sich die Nadeln aus ihren Armen gerissen und hatte mit Blut im Mund weiter geschrien. „Ich will endlich etwas fühlen! Warum kann ich das nicht fühlen!?" Sie hatte sich mit beiden Fäusten gegen den Kopf geschlagen und Dr. Perez hatte sie beobachtet, bis Izzy vor Erschöpfung wieder eingeschlafen war.

Ende der zweiten Woche wollte die Psychiaterin mit ihr sprechen. Eigentlich unter vier Augen, aber Adam bestand darauf, dabei zu sein.

„Und wie geht es ihr?", fragte Jason, als sie vor dem Gespräch noch einmal mit ihm telefonierte, um sich selbst Mut zu machen.

„Keine Ahnung", erwiderte sie leise, gegen die Wand des Krankenhausflurs gelehnt. „Sie redet ja nicht. Das... Schreien hat aufgehört." Sie stieß den Atem aus und rieb sich den steifen Nacken. Nie hätte sie gedacht, dass es jemals so weit kommen würde. Sie liebte Izzy mehr als alles auf der Welt und innerhalb weniger Stunden, so schien es, hatte sich ihr gesamtes Leben auf den Kopf gestellt und jetzt...

„Ich würde alles tun, damit es ihr besser geht."

„Ich weiß. Kann ich irgendetwas tun?"

„Sicher landen, damit nicht alles noch beschissener wird?", scherzte sie lahm, aber er lachte trotzdem.

„Dann hab ich ja die leichtere Aufgabe von uns beiden."

„Rufst du mich an, wenn du kannst?"

„Sicher." Er zögerte kurz. „Hannah?"

„Hm?"

„Mia wäre jetzt bei dir, wenn sie es wüsste."

Sie war überrascht, dass er es zur Sprache brachte. Natürlich hätte sie gerne jemanden hier gehabt, aber sie wollte nicht, dass Mia nur deshalb ihre Hand halten wollte, weil es ihr schlecht ging. Sie wollte, dass Mia wieder ihre Freundin sein wollte, weil sie es unabhängig von anderen Dingen wollte. Mia hatte sie fallen lassen, weil sie sich in ihren Bruder verliebt hatte. Wenn sie jetzt den Haufen an Scherben betrachtete, vor dem sie stand, dann fand sie Mias Reaktion einfach übertrieben und kindisch. Sie würde sich nicht bei Mia melden und sie darum bitten, ihre Schulter zum Ausweinen zu sein.

Sie holte tief Luft. „Nichts für ungut, aber ich hab gerade keinen Kopf, mich mit Mia zu versöhnen für etwas, das sie angefangen hat."

„Das verstehe ich. Ich ertrage nur den Gedanken nicht, dass du ganz alleine bist", sagte er vorsichtig.

„Ich hab Julia. Und... wenn es dich beruhigt, rufe ich nachher eine Freundin an", sagte sie und dachte daran, dass sie Lauren ohnehin demnächst hatte anrufen wollen. Vielleicht würde Lauren vorbeikommen. 

„Okay." Er klang nicht überzeugt, aber was hätte er am anderen Ende des Kontinents auch tun sollen?

Nachdem sie aufgelegt hatte, wurde sie von der Psychiaterin und Adam abgeholt und sie zogen sich zusammen in einen kleinen Raum zurück, der wie ein Arbeitszimmer aussah. Es standen zwei Schreibtische mit Computern da und Dr. Perez, die nicht aussah, als stammte sie aus Lateinamerika, sondern eher, als habe sie asiatische Wurzeln, bat die beiden auf zwei Stühlen Platz zu nehmen. Mit Adam hatte Dr. Perez schon ein paar Mal gesprochen. Mit ihr wollte sie heute zum ersten Mal reden. Sie saß den beiden gegenüber, aber kein Tisch trennte sie. Nervosität kroch in ihre Knochen.

Dr. Perez schlug ein Bein über das andere und betrachtete sie einen Augenblick lang.

„Hannah, richtig? Du bist Isobels Halbschwester, wenn mich nicht alles täuscht."

Sie nickte. Dr. Perez lächelte nicht, sie hatte auch keine sanften Augen, aber dennoch wirkte sie alles andere als unfreundlich.

„Wie gut kommst du mit deiner Schwester klar?"

„Gut genug, um... Ihre Fragen zu beantworten, schätze ich."

„Das bezweifle ich", entgegnete Dr. Perez. „Die einzige Person, die meine Fragen wirklich beantworten kann, ist Isobel. Aber sie redet nicht mit mir." Sie fühlte sich beleidigt, und wusste nicht einmal wieso. „Aber du kannst mir sicher sagen, was du beobachtet hast."

„Was ich beobachtet habe?"

„Du kennst Isobel schon ihr ganzes Leben lang. Hast du an ihrem Verhalten Dinge bemerkt, die dir besonders aufgefallen sind?"

Sie konnte ein kurzes Auflachen nicht unterdrücken. „Wo soll ich da bloß anfangen?"

Dr. Perez nickte. „Wann hat es angefangen?"

Sie hatte kein genaues Datum. Nicht einmal einen Zeitpunkt, an dem ihr klar geworden war, dass Izzy von ihrer kleinen Schwester zu jemandem geworden war, der sich abkapselte, ihr nicht mehr vertraute und so viel Dunkles mit sich herumschleppte, dass sie sich hatte das Leben nehmen wollen. Es vielleicht immer noch tat.

„Vor ein paar Jahren, schätze ich. Sie hat jemanden kennengelernt und dieser jemand hat ihr nicht sonderlich gut getan, seitdem hat sie sich immer mehr von mir distanziert."

„Und du denkst, dass ihr Verhalten von dieser Person beeinflusst wurde?", Dr. Perez fragte es, als kennte sie die Antwort bereits und sie schüttelte den Kopf.

„Nein. Das dachte ich manchmal. Aber ich glaube nicht."

Sie konnte Justin zwar nicht leiden, aber sie war sich sicher, dass Izzy früher oder später von ihrem Weg abgekommen wäre. Sie erzählte widerwillig davon, dass Izzy oft von zu Hause weggelaufen war, dass sie nächtelang weggeblieben war, dass sie oft nach Streit gesucht und die Schule geschwänzt hatte. Dr. Perez meinte, dass sie Ähnliches schon von Adam gehört hatte und fragte, ob Izzy vielleicht versucht hatte, ihr zu Hause zu meiden. Wie hätte sie das verleugnen können?

„Ich habe ein bisschen gegraben", sagte Dr. Perez dann. „Schwer war es nicht zu finden, aber ich bin sicher, dass du und auch Sie", sie warf Adam einen Blick zu, den sie nicht ganz deuten konnte, „beide wussten, dass Isobels Mutter, deine Mutter, Hannah, mit einer bipolaren Störung diagnostiziert wurde. Schon vor dreiundzwanzig Jahren."

Sie biss die Zähne zusammen. Ihr gefiel die Richtung, die Dr. Perez eingeschlagen hatte, kein Bisschen.

Adam räusperte sich. „Ich... dachte nicht, dass das eine Rolle spielt."

„Das tut es. Weil es vererbbar ist."

„Izzy hat es nicht", schoss es aus ihrem Mund hervor und sie wäre beinahe aufgesprungen.

Dr. Perez lehnte sich zurück. „Ich kann es auch noch nicht mit Sicherheit sagen. Aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch. Fünfzig zu fünfzig. Du könntest auch an dieser Störung leiden, Hannah, sie könnte sich irgendwann bemerkbar machen."

„Blödsinn", knurrte sie. Sie war völlig normal! „Izzy hat nur... einen Nervenzusammenbruch oder so etwas. Aber sie ist nicht verrückt."

Verrückt ist sie nicht, nein."

„Sie ist nicht manisch-depressiv!"

„Deine Schwester hat eine psychische Störung, das kann ich aus einer Meile Entfernung sehen. Es lässt sich nur darüber diskutieren, welche es ist."

Sie wollte nicht, dass sich darüber diskutieren ließ. Sie wollte, dass es Izzy gut ging, dass sie gesund war. Und sie wollte sich keine Sekunde länger anhören, was Dr. Perez zu sagen hatte.

„Sie kennen meine Schwester nicht! Das, was sie in den letzten Tagen von ihr gesehen haben, das... so ist Izzy nicht."

Dr. Perez hob die Augenbrauen. „Hast du deiner Schwester nicht zugesehen? Hannah, so ein Verhalten ist nicht normal. Egal, ob es nur einen Tag lang vorkommt oder sieben. Das mag für dich ein bisschen schwer zu verstehen sein."

„Was soll das heißen?", spuckte sie aus.

„Dass du mit einem bipolaren Elternteil aufgewachsen bist und nicht einschätzen kannst, welches Verhalten noch normal ist und welches nicht."

Jetzt sprang sie doch auf. Tränen der Wut schossen ihr in die Augen. „Sie wissen einen Scheißdreck darüber, wie es ist, mit einem bipolaren Elternteil aufzuwachsen!", schrie sie und erschrak im selben Augenblick über sich selbst. Adam zuckte auch zusammen, nur Dr. Perez blieb ruhig und sah sie eingehend an.

Dann glitt Dr. Perez Blick zu Adam. „Ich glaube wirklich, dass es besser wäre, wenn Sie uns einen Augenblick geben könnten."

Adam sah sie an, aber sie wich seinem Blick aus. Sie war zu sehr darauf konzentriert, nicht in Tränen auszubrechen. Langsam stand er auf, sagte noch, dass er direkt vor der Türe wartete, bevor er sie hinter sich schloss und die Welt über ihrem Kopf zusammenbrach.

Sie begann ungehemmt zu schluchzen und klammerte sich an der Stuhllehne fest, und als Dr. Perez aufstand, zu ihr ging und ihr eine Hand auf den Rücken legte, klammerte sie sich an ihr fest.

Sie konnte kaum Luft holen und Dr. Perez sagte ihr wieder und wieder, dass sie langsam atmen musste, zählte ihre Atemzüge und wartete geduldig, bis sie sich beruhigt hatte.

Vorsichtig drückte Dr. Perez sie wieder auf den Stuhl und sagte ihr, dass sie ihr etwas zu trinken holen, aber gleich wieder bei ihr sein würde. Während Dr. Perez weg war, brachen noch ein paar Schluchzer aus ihr heraus, aber sie schaffte es, sich zu sammeln und nachdem Dr. Perez zurückgekommen war und sie ein paar Schlucke getrunken hatte, fühlte sie sich nicht mehr so, als würde sie sich in den Scherben ihres und Izzys kaputtem Leben wälzen.

Dr. Perez hatte ihr eine graue Decke mitgebracht und legte sie ihr um die Schultern. Sie stellte mit keinem Wort in Frage, wieso sie gerade zusammengebrochen war, sondern kniete sich mit einem Bein vor sie und sah zu ihr hinauf.

„Waren du, deine Schwester und eure Mutter alleine? Gab es sonst noch jemanden, der auf dich und deine Schwester aufgepasst hat?"

Sie senkte den Blick. „Manchmal. Unsere Nachbarin, aber... sie ist gestorben." Sie wollte nicht zugeben, dass Ms Davis sich umgebracht hatte.

„Ich verstehe. Du hast wohl die Verantwortung für deine Schwester übernommen, wenn eure Mutter es nicht konnte."

„Was hatte ich denn für eine Wahl?"

„Das war kein Vorwurf", sagte Dr. Perez ruhig. „Es ist auch nichts Schlechtes, ich bin mir sicher, deine Schwester kann sich glücklich schätzen, dich zu haben. Hannah, sieh mich an. Eine bipolare Störung ist kein Todesurteil. Mit den richtigen Medikamenten und einer Therapie kann man gut damit leben." Sie sagte darauf nichts. „Hannah, als ich eben draußen war, hat Adam mir erzählt, wie deine Mutter mit ihrer Störung umgegangen ist. Dass sie regelmäßig ihre Medikamente verweigert hat und ihre Therapie abgebrochen hat, als du zwei Jahre alt warst. Ist das so geblieben?" Sie nickte. „Ich nehme an, man hat es deiner Mutter deutlich angemerkt, wenn sie ihr Lithium abgesetzt hat." Wieder nickte sie.

Dr. Perez zog den Stuhl, auf dem sie vorhin gesessen hatte, näher an ihren heran und setzte sich. „Deine Schwester ist sehr jung. Im Normalfall treten die ersten Krankheitssymptome zwischen dem zwanzigsten und dreißigsten Lebensjahr auf. In dem Ausmaß, in dem du mit der Störung deiner Mutter vertraut bist, wirst du deine Schwester nie kennen lernen müssen, wenn wir mit der Therapie so bald wie nur möglich starten. Manische und depressive Episoden können sich bei jedem Patienten unterschiedlich äußern. Teilweise komplett gegenteilig, das macht diese Störung ja so heimtückisch. Ich nehme an, dass die Phasen, in denen Isobel keine Episoden hat, immer noch länger sind als die Episoden selbst. Das ändert sich vielleicht erst mit dem Alter oder nie. Mach dir jetzt keine so großen Sorgen."

„Sie haben gesagt, Sie sind sich nicht sicher, ob Izzy eine bipolare Störung hat", schniefte sie und klammerte sich an den letzten Rest Hoffnung, der ihr blieb.

„Bipolare Störungen zu diagnostizieren kann Jahre dauern, wenn keine Vorerkrankung in der Familiengeschichte besteht. Aber in diesem Fall besteht aus meiner Sicht fast keine Zweifel. Und das, was sie jetzt gerade erlebt, ist vielleicht eine Überlappung einer manischen und einer depressiven Episode. Das kommt nicht oft vor, aber manchmal passiert es. Großer Stress oder ein kürzlich aufgetretenes Trauma können eine solche Überschneidung leicht auslösen."

„Sie dachte, dass Adam und Julia sie umbringen wollen..."

„Ja, das habe ich schon gehört."

„Sowas ist doch nicht typisch für eine bipolare Störung, oder? Solche Wahnvorstellungen."

„Mir wurde gesagt, dass Isobel davor drei Tage nicht geschlafen hat." Sie nickte bestätigend. „Der Schlafmangel und eine manische Episode können durchaus in manchen Fällen Wahnvorstellungen, Halluzinationen oder Verfolgungsangst auslösen. Aber natürlich ist es nicht die Norm, da hast du recht."

Sie rieb sich die Augen trocken und atmete tief durch. „Ich will es ihr sagen." Dr. Perez sah sie an. „Ich will Izzy sagen, dass die Möglichkeit besteht, dass sie eine bipolare Störung hat."

Dr. Perez nickte. „Wenn es ihr jemand sagt, dann solltest du das sein."

Sie wusste nur nicht, wie sie Izzy etwas derart Schreckliches beibringen sollte. Und sie fragte sich, ob das Wissen darüber, dass sie wie Mom enden könnte, der absolut endgültige und unwiderrufliche Todesstoß für sie sein würde.

*

Izzy schlief, als sie zu ihr wollte, also fuhr Adam sie wieder nach Hause.

„Ist alles okay?", fragte er, als sie sich die Jacke auszog und auf den Garderobenhaken hängte. Sie drehte sich überrascht zu ihm. Wann hatte er sie das letzte Mal gefragt, wie es ihr ging? Julia fragte sie jeden Tag. Manchmal mehrmals. Aber Adam sprach immer noch nicht viel mit ihr und sie bezweifelte, dass sich das jemals ändern würde.

„Alles bestens", nickte sie misstrauisch. Sie wusste, dass Dr. Perez nach ihrem Gespräch mit ihr noch einmal mit Adam geredet hatte. Bestimmt nicht länger als eine Minute, aber sie wusste nicht, was sie ihm gesagt hatte.

Was er Dr. Perez gesagt hatte.

Er lockerte seine Krawatte. Eigentlich hätte er in die Arbeit gemusst, aber er hatte sie ins Krankenhaus gefahren, wie er es die letzten zwei Wochen jeden Tag gemacht hatte. Die ersten Male hatte sie Izzy kaum dort zurücklassen können. Sie hatte sich daran erinnert, wie es gewesen war, selbst in einem Krankenhausbett zu liegen, nichts anderes tun zu können, als zu hoffen, dass die Zeit verging und sie hatte nicht alleine sein wollen. Aber obwohl sie nicht in die Schule ging, bemühte sie sich, am Ball zu bleiben. Hao schickte ihr alle Unterlagen, hatte sie zweimal besucht, um ihr ihre Schulbücher zu bringen und er hatte mit ihr zusammen französisch gelernt, und sie ein bisschen mit Kartentricks abgelenkt. Sie wäre wirklich gerne wieder zur Schule gegangen, aber sie hätte sich schäbig gefühlt, wenn sie mit ihrem Alltag einfach so weiter gemacht hätte, während Izzy im Krankenhaus lag.

Adam ging in sein Büro und suchte auf seinem Schreibtisch nach Papieren. Sie folgte ihm und stellte sich in den Türrahmen.

„Hast du Mom deshalb verlassen?", fragte sie und fragte sich noch im selben Moment, warum sie genau jetzt zur Sprache brachte, was sie nun seit über einem halben Jahr hinunterschluckte.

Er hielt inne und sah auf, fast schon so, als hätte er diese Frage kommen sehen. „Das ist kompliziert."

Sie nickte langsam. „Erinnert mich daran, warum ich nicht gefragt habe", murmelte sie und drehte sich um. Adam seufzte.

„Hannah."

„Was?", blaffte sie.

Er betrachtete sie. „Warum möchtest du dich jetzt darüber streiten? Findest du diese Situation nicht schlimm genug, so wie es ist?"

„Ich will nicht streiten, ich will es wissen. Warum hast du Izzy und mich mit ihr alleine gelassen?" Sie spürte, wie all die unterdrückte Wut in ihr hochkroch und es gefiel ihr nicht. Es war kein guter Tag dafür und sie glaubte, dass es nicht viel gebraucht hätte, um sie wieder zum Weinen zu bringen. Oder zum Explodieren.

Adam schien das zu merken.

„Es ist nicht der richtige Zeitpunkt für dieses Gespräch", sagte er leise.

„Und wann ist der richtige Zeitpunkt?"

„Ich muss in die Arbeit."

Sie rollte mit den Augen, stampfte die Treppen hinauf und schlug die Türe hinter sich zu. Plötzlich verstand sie, warum Izzy immer so einen Abgang hinlegte. Es fühlte sich befriedigend an. Aber nur kurz, denn schnell holte sie ihr Gewissen ein. Adam tat, was in seiner Macht stand, um ihr und Izzy zu helfen. War sie undankbar?

Sie kramte ihr Handy heraus und rief Jason an, bevor ihr einfiel, dass er bestimmt noch nicht wieder gelandet war. Sie scrollte durch ihre Kontaktliste und wählte Laurens Nummer. Als sie ans Telefon ging, fragte sie, ob sie Zeit hätte, aber die hatte Lauren nicht. Sie wollte gleich zum Training aufbrechen, das wichtig klang, weil sie kurz vor einem Wettbewerb stand.

„Weißt du", sagte Lauren, obwohl sie kurz angebunden schien. „Benny, Cole und ich treffen uns am Mittwochabend bei mir zu Hause. Willst du dazukommen?"

„Nein", sagte sie sofort und schüttelte eingeschüchtert den Kopf. Benny wusste immer noch nicht, dass sie wieder mit Lauren Kontakt hatte und eher hätte sie sich eine Hand abgehackt, als Cole wieder zu sehen.

Ihre Beziehung zu Cole war beendet gewesen, als sie im Krankenhaus gelegen hatte und das wussten sie beide. Sie hatten nie über das gesprochen, was passiert war und sie wollte sich nicht ausmalen, was es mit ihr machen würde, würde sie ihn je wieder sehen müssen.

„Okay, dann... willst du dich nur zu zweit treffen?"

„Ja. Sicher."

„Okay. Ich melde mich!"

Es war ein kurzes Gespräch gewesen und es schien ihr, als wäre sie mit dem Problem, wie sie Izzy beibringen sollte, dass sie eine bipolare Störung hatte, ganz auf sich alleine gestellt.

Erschöpft legte sie sich auf ihr Bett und schlief sofort ein.

*

Am späten Nachmittag kam Hao wieder vorbei, um ihr die Unterlagen der letzten drei Tage zu bringen. Arbeitsblätter und Hausaufgaben. Als Julia sie gerufen hatte, war sie aus dem Schlaf aufgeschreckt.

Weil Julia im Wohnzimmer kochte und April in ihrer Plapperphase steckte, zog sie ihn hinauf auf ihr Zimmer, damit sie etwas Ruhe haben konnten.

„Wow", sagte er und ließ seinen Blick durch ihr Zimmer schweifen. „Genauso aufgeräumt wie du."

Sie kniff amüsiert die Augenbraune zusammen und schloss die Türe hinter sich. „Du findest, ich bin aufgeräumt?"

So war sie noch nie von irgendjemandem bezeichnet worden.

„Naja, du bist eben sehr organisiert. Du hast immer alles in deiner Tasche, was irgendjemand eventuell im schlimmsten Fall der Fälle brauchen könnte."

„Ich bin eben gerne vorbereitet." Sie versuchte ihre Haare zu bändigen und band sie in einen Pferdeschwanz. Bestimmt sah ihr Gesicht noch ganz blass und aufgeplustert vom Weinen aus. 

„Wie geht es dir?", fragte er und legte ihre Schulunterlagen auf ihren Schreibtisch.

Sie betrachtete ihn. Er war ihr Freund, aber sie wollte mit ihm nicht darüber sprechen, dass Izzy vielleicht eine bipolare Störung hatte und sie befürchtete, dass sich Izzys Wunsch, ihr Leben zu beenden, nur noch mehr festigte.

„Unverändert, denke ich."

„Das tut mir leid", sagte er. „Willst du drüber reden?"

Sie schüttelte den Kopf.

„Okay, soll ich dir was... über die Schule erzählen?"

Sie lächelte dankbar. „Unbedingt."

Die nächsten dreißig Minuten brachte er sie auf den neuesten Stand diverser Fächer, die sie zusammen hatten und für ein paar kurze Augenblicke musste sie nicht an Izzy denken. Aber jedes Mal, wenn sie nicht an Izzy dachte, dachte sie daran, dass sie froh war, nicht an Izzy zu denken und dann dachte sie doch wieder an Izzy.

„Wo sind deine Karten?", fragte sie irgendwann.

Er drehte lächelnd den Kopf zu ihr. „Vermisst du sie etwa?"

„Sie sind irgendwie ein Teil von dir. Wenn du sie nicht in der Hand hast, dann... fehlt irgendetwas."

Der Blick in seinen Augen kam ihr seltsam vertraut vor, aber sie konnte ihn dennoch nicht benennen. Hao griff in die Stofftasche seines Pullovers und zog den Stapel an Spielkarten heraus.

„Besser", nickte sie und den Rest der Zeit spielte er mit seinen Karten in den Händen herum, während er sie auf den neuesten Stand brachte.

„Zieh eine Karte", grinste er irgendwann. Diesen Gefallen tat sie ihm nur allzu gerne.

Pik Acht. „Und jetzt?"

„Steck sie wieder zurück." Sie tat es und er mischte die Karten. „Wann kommst du wieder in die Schule?"

„Wenn Izzy wieder zu Hause ist, denke ich." Sie nahm den Blick nicht von seinen Händen, die die Karten mischten und plötzlich ließ er den ganzen Stapel wieder in seinem Pullover verschwinden.

„Ich muss los", grinste er und stand auf.

„Hey!", protestierte sie. „Was war meine Karte?"

Er zog unschuldig die Schultern hoch. „Woher soll ich das wissen?"

Sie stand auf und legte den Kopf schräg. „Willst du den Trick wirklich nicht auflösen?"

Er zwinkerte. „Das mache ich, wenn du wieder in der Schule bist."

Sie boxte ihm lachend gegen die Schulter. „Spinner. Bis dahin hab ich meine Karte wahrscheinlich längst vergessen."

Sein Blick wurde ernst. „Du kannst mich immer anrufen. Egal wann, okay?"

Sie trat einen Schritt nach vorne und umarmte ihn. „Danke, das weiß ich sehr zu schätzen."

Er schlang seine Arme um sie und legte sein Kinn auf ihren Kopf. Es fühlte sich gut an und für einen kurzen Augenblick schmiegte sie sich enger an ihn, so, wie Izzy es bei ihr getan hatte, als sie in ihren Armen vor der Welt hatte flüchten wollen. Er roch angenehm und der Stoff seines Pullovers war weich.

Irgendwann lockerte Hao seine Umarmung, ließ sie aber nicht ganz los, als er seinen Kopf bewegte, zu ihrem hinabsenkte, seine Lippen ihre Wange streiften und plötzlich auf ihrem Mund lagen.

Er war dabei keinesfalls grob oder energisch. Er drängte sich ihr nicht auf, aber im ersten Augenblick war sie so schockiert, dass sie sich nicht bewegen konnte. Ihre Hand, die auf seiner Schulter gelegen hatte, lag immer noch dort, aber noch bevor sie es begriffen hatte, hatte eben diese Hand ihn geschlagen. Nicht fest, aber fest genug, dass er zurücksprang und sie sich grauenhaft fühlte.

„Oh m-mein Gott, tut mir leid, ich wollte dir nicht wehtun", stammelte sie. In ihrem Leben hatte sie noch nie jemanden geschlagen oder eine Ohrfeige gegeben.

Doch. Izzy. Einmal. Als sie-

Nein, sie war noch nicht so weit, das, was passiert war, als manische Episode zu bezeichnen.

Gut, und Drew hatte sie eine verpasst, als er sie als Schlampe bezeichnet hatte.

„Tut mir leid, tut mir so leid", sagte sie noch einmal und versuchte ihre Gedanken zu sortieren. „Tut mir leid..."

Hao stand ihr gegenüber, schwieg, und sie glaubte, ein sehr kleines trauriges Lächeln auf seinen Lippen auszumachen.

Dann erst begriff sie, was da gerade geschehen war. „Du hast mich geküsst", sagte sie. „W-Warum hast du das getan?"

Er war Mias Ex-Freund. Er wusste, dass sie mit Jason zusammen war. Izzy lag in diesem Moment im Krankenhaus, weil sie sich hatte umbringen wollen. An diesem kleinen, fast unschuldigen Kuss war so viel falsch, dass sie gar nicht weiter darüber nachdenken wollte.

Hao sah ihr nur flüchtig in die Augen. „Bitte, entschuldige."

Dann war er aus ihrem Zimmer verschwunden und sie wusste nicht, ob sie jetzt panisch ins Badezimmer hasten und sich die Lippen abschrubben, oder sich eingestehen sollte, dass es ihr nicht halb so viel ausgemacht hatte, wie es das vielleicht hätte sollen. Sie war nur fassungslos darüber, dass es passiert war. Jedoch empfand sie ihm gegenüber weder Ärger noch Verliebtheit. Im Augenblick fühlte sie gar nichts.

Sie war nur zutiefst verwirrt.

War ihre Freundschaft jetzt beendet? Hatte sie eben den einzigen, wirklichen Freund verloren, den sie im Augenblick hatte? War Hao verliebt in sie? Hatte er sie aus einem anderen Grund geküsst?

Am liebsten hätte sie sich wieder ins Bett verkrochen. Gleichzeitig wollte sie Jason anrufen und ihm davon erzählen, weil sich der Gedanke, es ihm zu verschweigen, wie Betrug anfühlte.

Als sie es nach dem Abendessen schaffte, sich wieder vor ihren Schreibtisch zu setzen, fand sie die Pik Acht zwischen den Seiten ihres Mathebuchs. 

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