
Vier
Ich dachte immer, dass die High School ein Ort wäre, an welchem Klischees zum Leben erwachen würden. Zickige Cheerleader, heiße Sportler und graue Mäuse. Vermutlich war ich an die einzige High School in den Staaten geraten, auf welche fast alle Klischees wie die Faust aufs Auge passten, doch das College wäre sicherlich ein anderer Ort gewesen.
Nun, falsch gedacht.
Das Studentenheim der Tennessee U glich einer puren Homeparty. Vermutlich war es nicht gerade sinnvoll gewesen, sich einen Samstag auszusuchen, um seinen Bruder und seine beste Freundin zu überraschen.
Auf den Fluren war die pure Partystimmung ausgebrochen. Überall standen junge Menschen herum, knutschen, tranken und machten Dinge, welche definitiv nicht auf den Fluren eines Wohnheimes hätten stattfinden sollen. In diesem Moment sehnte ich mich noch mehr, nach der sonnigen Ruhe in Lex' Strandhaus, doch ich hatte mich entschieden und musste nun damit leben. Eine weitere Sache, welche mich am Erwachsen sein nervte: Man musste mit den Folgen von Entscheidungen leben.
Ich drängelte mich also durch den überfüllten, engen Flur und entschuldigte mich brav bei denjenigen, welchen ich die Füße unter den meinen zerquetschte.
Man musste mir sofort angesehen haben, dass ich nicht zum Inventar gehörte. Braun gebrannt, lässig, geflochtene Strähnen und einen riesigen Reiserucksack, in welchem ich mein komplettes Leben der letzten zwei Jahre mit mir rumschleppte, ich fühlte mich wie ein Zwergkanninchen im Schlangengehege.
Den Blicken der Jungs zu urteilen, war ich jedoch ein recht exotisches Häschen.
Der sexuelle Input der vergangenen Wochen hing mir immer noch mächtig nach. Jeden Menschen, welchen ich anschaute, stellte sich mein hormonüberflutetes Hirn nackt vor und nur in den seltensten Fällen bereute ich die Vorstellung.
Während ich mich also durch die dicht gedrängten Flure kämpfte und nach dem Zimmer meines Bruders Ausschau hielt, lauschte ich hier und da der dröhnenden Musik und freute mich innerlich zutiefst auf meine kommende Studienzeit in Deutschland.
Ich wusste, dort würde es niemals so ausarten. Mila und ich würden niemals die Zeit damit vergeuden in einem Studentenwohnheim zu feiern. Wir würden die Partys in Clubs austragen, uns betrinken und mitten in der Nacht versuchen, den richtigen Nightliner zu erwischen, um nach Hause zu kommen. Eine Vorstellung, die mein Herz hüpfen ließ.
Nach ein paar Minuten hatte ich Kyles Zimmer gefunden und klopfte an, obwohl ich wusste, dass er mich nie hätte hören können, schließlich dröhnte die Musik auf dem Flur so heftig, dass selbst meine heimlichen Pupse verschluckt wurden. Diese ekelhaften Bonbons machten mir tatsächlich zu schaffen.
Ich versuchte mein Glück erneut und hämmerte mit meiner Faust gegen die Tür. Grinsend gestehte ich mir ein, dass es keinen Sinn machte und legte innerlich meine Hände zusammen.
Lieber Gott, wenn es dich wirklich geben sollte, dann bitte, bitte erspare mir einen erneuten Anblick von Kyles leibhaftiger Sexualität.
Ich atmete tief durch und nahm die verrückten und aufgekratzten Spirits des College-Flurs auf, bevor ich die Tür zu seinem Zimmer öffnete und zum ersten Mal in meinem Leben schien Gott mein stilles Flehen erhört zu haben.
Ich blickte in ein kleines Zimmer mit zwei Betten an deren Enden jeweils zwei kleine Schränke standen. Auf dem linken Bett saß eine junge Frau, nur mit Handtuch bekleidet und lachte gerade herzlich über etwas, das der Gegenpart am Telefon gesagt haben musste. Am Lachen erkannte ich sofort, dass es sich nur um mein Nüsschen handeln konnte.
So leise ich konnte, schloss ich also die Tür und versuchte mit einem Räuspern auf mich aufmerksam zu machen. In diesem Moment drehte sich die halbnackte Hasel um.
Das Gesicht immer noch so hübsch wie vor zwei Jahren, die zierliche Gestalt mit etwas mehr Fraulichkeit untermauert und der Gesichtsausdruck genauso dramaturgisch wie immer, stand sie da und starrte mich mit ihren wunderschönen Augen an, als wäre ich ein Geist.
"Hallo Freundin", witzelte ich schüchtern und ließ meinen Rucksack von meinen Schultern gleiten, während Hasel neben ihrem Gesichtsausdruck, auch das Handy aus der Hand glitt und sie mich anstarrte, als wäre ich eine Fata Morgana.
"C-Cara?", stotterte sie unbeholfen und in diesem Moment stieß ich einen heiteren Freudenschrei aus, bevor ich auf sie zustürmte und ihr um den Hals fiel. Hasel roch wie immer. Ihr Duft von Blumen und purem Verrücktsein, ernährte meine Seele sofort mit einem ordentlichen Schwall Nachhausekommen, obwohl ich mich inmitten eines Studentenwohnheims befand.
Sie schien ein paar Sekunden zu brauchen, um zu verstehen, dass es sich tatsächlich um mich handelte, denn erst als sich ihre Hände in meinem T-Shirt vergruben, fing sie an vor Freude zu hüpfen. Ihr kleines, makelloses Gesicht vergrub sich in meiner Halsbeuge und ich spürte, wie sie mir leicht in den Hals biss. Vermutlich war das ihre Vampirhafte Art und Weise mir zu zeigen, dass sie sich freute mich zu sehen.
"Oh mein Gott!", quietschte sie in meinen Hals, während ich den nächsten Atemzug Zuhause inhalierte. In diesem Moment hörte ich, wie die Tür zum Zimmer aufschlug und irgendetwas zu Boden krachte. Mit einem kurzen Kuss auf meinen Hals löste Hasel die Umarmung und schob mich mit einem breiten Grinsen im Gesicht zurück.
Freudig drehte ich mich herum, um meinen Bruder nach einer gefühlt endlosen Zeit endlich wieder in meine Arme schließen zu können. Mein Blick streifte den Boden entlang und fiel auf das Männerduschbad, welches Kyle vermutlich aus Schock fallen gelassen hatte. Grinsend richteten sich meine Augen auf, nur um im nächsten Moment an Krebs zu erkranken.
"Kyle! Verdammte Scheiße, zieh dir was ein!"
Mal wieder erblickte ich etwas, was ich niemals wieder sehen wollte. Der Schock, mich wiederzusehen, schien sich auch auf das unschuldige, blaue Handtuch übertragen zu haben, denn ähnlich wie das Duschbad, hatte es die Nähe des Fußbodens im Zimmer gesucht. Ekelhaft und in einem schüttelfrostartigen Schockzustand endend, kratzte ich mir innerlich die Augen aus, bevor ich mich beschämt umdrehte und in einem heftigen Lachanfall ausbrach.
Das Wiedersehen mit meinem Bruder hätte nicht verstörender beginnen können. Erst als Kyle sich komplett eingekleidet hatte, kam der Moment, auf welchen wir Beide so sehnsüchtig gewartet hatten. Endlich hielt ich ihn wieder in meinen Armen und diesmal fühlte es sich ein Stück weit an, als wäre ich gerade aus Deutschland zurück in die Staaten gereist.
Kyle hielt mich fest in seinen Armen, während er sich das ein oder andere Tränchen verdrückte und mich lauthals dafür rügte, dass ich meine Auszeit, um ein paar Monate verlängert hatte.
Meine fünfzig Prozent Heimat hatte ich ordentlich durchgerüttelt. Rund eine Stunde saßen wir auf Kyle's Bett und während ich ihnen berichtete, was ich die letzten Monate erlebt hatte, klebten ihre Blick an meinen Lippen, als hätte ich ihnen gerade die Weltformel erklärt. Obwohl die Situation nicht unspektakulärer hätte sein können, spürte ich in diesem Moment so viel Liebe, wie selten zuvor.
Hasel lag in Kyles Armen, während ich ihnen von den Erlebnissen meiner vermeintlichen Selbstfindungsphase berichtete und dabei kein Detail ausließ. Neugierig und höchstkonzentriert hinterfragten sie jedes, noch so unwichtiges Ereignis und gaben mir damit mehr, als sie vermutlich ahnten.
Ich hatte meine Reise beendet und es hätte nicht melodramatischer sein können. Denn hier, an meinem selbst gesetzten Ende, erfuhr ich die wohl wichtigste Erkenntnis über mich selbst.
Ich konnte geliebte Menschen mit meinen Worten erreichen, sie zuhören lassen und ihnen gefiel, was ich zu berichten hatte. Zu Kyles Leidwesen berichtete ich meiner Freundin recht detailliert, welche Ereignisse mich in Tampa dazu gebracht hatten, dass ich doch noch länger blieb, bevor auch Kyle und Hasel ihre vergangenen Monate Revue passieren ließen.
Typisch Hasel hielt sie nicht damit zurück, mir von ihren Studienerfolgen zu berichten, während sich mein Gesichtsausdruck immer mehr zu dem einer weich gekochten Kartoffel entwickelte. Sie berichtete mir über ihre neuen Erkenntnisse zum Thema der beschleunigenden Wirkung der Gewichtskraft und dem herrischen Zusammenspiel der magnetischen Pole. Sie redete wie ein Wasserfall und referierte regelrecht über ihre Gedankenexperimente und während ich innerlich über die Buchstabenreihenfolge des Wortes Calixarene stolperte, unterbrach Kyle seine Haselnut mit einem spöttischen Gelächter.
"Ok Babe, ich glaube, du hast uns jetzt genug bewiesen, dass du das hellste Köpfchen in dieser Runde bist. Cara scheint noch zu benebelt, von ihrem...spirituellen...Trip nach Tampa zu sein, um dir folgen zu können."
Nach wie vor konnte mein Bruder seinen kritischen Blick nicht ablegen, wenn es um sexuelle Erfahrungen meinerseits ging. In solchen Momenten schien er zu vergessen, dass ich mehr von den seinen bereits anschauen musste, als er jemals von meinen zu hören bekam.
Wie auch immer. Kyle unterbrach meine Freundin und ihre Ausführungen durch die physikalischen Weiten ihres unendlich scheinenden Verstandes und berichtete mir, von seinen Erfolgen. Auch wenn ich mich nie wirklich für Sport interessiert hatte, Hasel katapultierte die Physik erfolgreich hinter den Sport und so lauschte ich meinem Brüderchen, während sich Hasel prächtig über meine Versuche amüsierte, auch ihm zu folgen.
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