𝟙𝟜・The Devil Himself
Mit rasendem Herzen stoße ich die Tür zur WG auf. Die frische Nachtluft weicht der heimeligen Wärme unserer kleinen Wohnung, die mich in diesem Moment völlig kaltlässt. Felix sitzt am Tisch in der Küche, starrt auf den Bildschirm seines Laptops und scheint vertieft in seine Arbeit, als könne er kein Wässerchen trüben.
Aber ich weiß es besser.
»Warst du das?« Meine Stimme zittert vor Wut.
Er blickt auf, wirkt überrascht. »Lu, was ist passiert? Du siehst aus, als wäre ein Geist hinter dir her.«
»Spar dir das! Du warst es doch vorhin in der Gasse, oder? Du hast mich ›Lu‹ genannt!« Meine Hände ballen sich zu Fäusten. »Niemand nennt mich ›Lu‹. Nur du und meine Freunde.«
Felix steht auf und macht einen Schritt auf mich zu, doch ich weiche zurück. »Ich wollte nicht, dass du in Gefahr gerätst«, sagt er leise.
Warum macht diese Bestätigung mein Herz so schwer?
»Was hast du ihm zugeflüstert?« Ich muss es einfach wissen! Tinos panischer Gesichtsausdruck verfolgt mich noch immer.
Felix drückt sich offensichtlich um eine Antwort. Sein Gesicht verzieht sich und er schüttelt den Kopf.
Ich starre Felix an, mein Herz schlägt wild gegen meine Brustwand. Sein Schweigen ist unerträglich und ich spüre, wie die Angst langsam von mir abfällt und einer tiefen Verärgerung Platz macht.
»Was hast du ihm gesagt, Felix?«, wiederhole ich mit Nachdruck.
Er schaut mich direkt an und gibt endlich nach. »Ich habe ihm nur einen kleinen Einblick gegeben – darüber, was ihn erwartet, wenn er sich dir weiterhin nähert.«
»Was heißt das? Was genau hast du ihm gesagt?«
Felix senkt die Stimme. »Ich habe ihm ins Ohr geflüstert, dass die Hölle viele Kammern hat und eine davon seinen Namen trägt.«
Die Worte hängen in der Luft zwischen uns wie eine unsichtbare Wolke. Sie durchdringen mich, kalt und scharf wie Eis. Und dann sehe ich wieder diesen roten Schimmer in seinen Augen, der mir zum ersten Mal im Pub aufgefallen war. Und den ich für eine Reflexion gehalten habe.
»Bitte was? Wer zur Hölle glaubst du, zu sein?"
»Der Teufel höchstpersönlich.«
»Ja, und ich bin die Königin von England«, antworte ich impulsiv und versuche, meine aufkeimende Wut zu kontrollieren.
Okay, das ist definitiv nicht die Antwort, die ich auf meine Frage erwartet habe. Sie ist so absurd, dass sie fast schon lächerlich ist und die Wut in mir steigt weiter. Der Typ will mich doch offensichtlich für dumm verkaufen!
Doch Felix' Miene bleibt ernst.
Ich lache – ein kurzes, sarkastisches Lachen. »Okay, der Teufel also. Und könntest du mir vielleicht erklären, warum genau du hier bist? Was machst du in meiner WG? Was habe ich verbrochen, dass der Teufel höchstpersönlich bei mir einziehen will? Solltest du nicht irgendwo tief in der Hölle vor dich hin schmoren?«
Wenn ich so darüber nachdenke, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Hier stinkt etwas gewaltig zum Himmel! Warum sollte jemand, der offensichtlich viel Geld hat, ausgerechnet in meine WG in dieser Gegend ziehen? Felix könnte sich locker eine Single-Wohnung in einem besseren Viertel leisten. Er wollte zu mir, in meine WG. Deshalb die Eile und deshalb hat er auch sofort den Mietvertrag unterschrieben und mir noch am selben Tag das Geld für mehrere Monate überwiesen. Er brauchte nicht nur dringend eine Wohnung. Nein, er brauchte MEINE Wohnung.
Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Ich will die Wahrheit wissen, Felix! Was willst du von mir? Warum bist du hier?«
Er holt tief Luft und schließt für einen Moment resigniert die Augen. »Um dich zu beschützen«, gibt er leise zu. »Das ist meine Aufgabe.«
Fragend runzle ich die Stirn.
»Ich habe eine Wette verloren«, gibt er nach kurzem Zögern zu.
Ich lache. »Und dass ich Teil einer Wette bin, soll mich jetzt irgendwie gnädiger stimmen? Worum ging es bei der Wette?«
Er kratzt sich am Kopf. »Als ich das letzte Mal an der Oberfläche war, habe ich ein bisschen ... Chaos angerichtet. Du musst wissen, dass ich ab und zu die Hölle verlasse, um Inspiration zu finden. Es hilft mir bei Schreibblockaden. Das letzte Mal war Anfang des letzten Jahrhunderts und die Jungfernfahrt der Titanic und ihre Unsinkbarkeit waren gerade in aller Munde.«
Ich starre ihn ungläubig an, als ich ahne, was er mir da erzählen will. »Du bist schuld am Untergang der Titanic?«
Er räuspert sich und fährt sich über den Bart. »Was gibt es Verheißungsvolleres als ein großes Schiff voller Menschen aus allen Schichten, die alle ihre Heimat verlassen, in der Hoffnung, in Amerika endlich ein besseres Leben führen zu können? Na ja, die Tage plätscherten ein bisschen langweilig vor sich hin und da habe ich dem Eisberg vielleicht einen kleinen Schubs gegeben, damit er genau in die Fahrrinne schwimmt. Um ein bisschen Spannung zu erzeugen. Was ich aber nicht bedacht habe, war die Inkompetenz der Besatzung, die am Ende 1500 Menschen das Leben gekostet hat.«
Ich schnaube empört. »Natürlich! Der Teufel schiebt einem alten Dampfer, der nicht ausweichen kann, einen Eisberg in den Weg, und Schuld sind die Leute, die nicht richtig reagiert haben? Ist das dein Ernst?«
Er winkt verärgert ab. »Ich habe mir danach genug Vorträge anhören müssen, nicht du auch noch. Jedenfalls hat mich Gabriel danach zu einer Wette genötigt.«
»Gabriel? Der Erzengel?« Es wird immer abstruser.
»Genau der. Er hat mit mir gewettet, dass ich es nicht schaffe, jemanden auf der Oberfläche zu beschützen und ihm zu seinem Glück zu verhelfen. Jemandem, der ein sehr schweres Schicksal erlitten hat.«
Ich hebe eine Augenbraue. »Der Teufel in guter Mission? Ist der Teufel nicht normalerweise derjenige, der die Menschen zur Sünde verführt? Damit er sie dann mit in die Hölle ziehen kann?«
Er runzelt verärgert die Stirn. »Nein, so einfach ist das nicht! Und ehrlich gesagt, ich habe es satt, so ein schlechtes Image zu haben! Es ist viel komplizierter, als ihr Menschen euch das überhaupt vorstellen könnt. Deshalb habe ich mich da auch reingehängt.«
»Und ich bin dieser Jemand?«
Er zuckt mit den Schultern. »Das war Zufall. Gabriel hat eine Liste mit Menschen, von der er zufällig jemanden ausgewählt hat.«
»Eine Liste? Und warum stehe ausgerechnet ich auf dieser Liste?«
Er sieht mich plötzlich mit diesem undurchdringlichen Blick an, der mir verrät, dass er mehr weiß, als mir bewusst ist. »Muss ich dir das wirklich erklären?«
Mein Lachen erstirbt und ich muss schlucken, wie jedes Mal, wenn ich an meine Familie denke, schnürt es mir die Kehle zu und Verzweiflung steigt in mir auf. Woher weiß er davon? Ich habe ihm nie davon erzählt. Auch nicht, als er mich vor zwei Tagen aufgefangen hat. »Du hast doch keine Ahnung!«
Er schaut mich lange an und nickt dann langsam: »Doch, ich weiß Bescheid, Lu. Ich weiß, was mit deiner Familie passiert ist.«
»Halt die Klappe!« Meine Stimme ist kaum mehr als ein Hauch. Ich will flüchten, aber sein Blick nagelt mich fest und hindert mich daran, mich einfach umzudrehen und zu gehen.
»Ich weiß, in welchem Zentrum deine Mutter gearbeitet hat. In dem eigentlich ein Forum für den interreligiösen Dialog hätte stattfinden sollen. Und wo dein Vater und dein Bruder eigentlich nicht hätten sein sollen. Fabio hieß er doch, oder? Deine Mutter hat ihm so von den Kunstwerken vorgeschwärmt, die gerade im Zentrum ausgestellt wurden, dass er sie unbedingt sehen wollte.«
Ich spüre, wie mir das Blut aus dem Gesicht weicht. »Woher ...?«, stoße ich krächzend hervor und halte mich an der Arbeitsplatte fest, weil meine Beine plötzlich wegzuknicken drohen.
»Ich bin der Teufel, weißt du noch? Ich weiß alles, Lu. Ich weiß, dass deine Familie nie das Ziel des Mannes war, der an diesem Nachmittag in das Zentrum eingedrungen ist und die Anliegen des Dialogforums mit Füßen getreten hat. Tunesier, nach Deutschland geflohen in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Hat Schlimmes erlebt in seinem jungen Leben, das ihn leider in die Arme der Falschen getrieben hat«.
»Hör auf damit.«
»Ich weiß auch, dass deine Mutter nicht lange leiden musste. Sie war eine der ersten. Und wie dein Vater noch versucht hat, sich mit Fabio zu verstecken und ihn irgendwie zu retten.«
Ich presse mir die Hände auf die Ohren, nur um diese Worte nicht mehr hören zu müssen. Wie kann er mir das antun? Immer wieder schüttle ich den Kopf und flüstere stumm dieselben Worte.
»Hör auf!«
Aber er hört nicht auf. »Ich weiß, dass der letzte Gedanke deines Vaters dir galt. Seiner Tochter. Auf die er so stolz war. Ich weiß, dass er sich für dich gewünscht hat, dass du deine Ziele erreichst. Dass du glücklich wirst, auch wenn deine Familie dich verlassen muss.«
Ich nehme all meine Kraft zusammen und atme tief durch. »Hör auf!«, schreie ich ihm jetzt mit aller Kraft entgegen.
Ich kann nichts mehr sehen. Meine Augen sind voller Tränen. Sie laufen mein Gesicht hinunter und tropfen auf mein Oberteil. Meine Kehle ist wie zugeschnürt, ich kann kaum noch atmen.
Endlich hält er inne und verschließt den Mund. Ich weiß nicht, was ich in seinem Gesicht sehe. Bedauern? Trauer? Im Grunde ist es mir auch egal.
Dieser elende Mistkerl! Teufel, ja klar. Der hält mich wohl für total bescheuert. Er erfindet irgendeine Geschichte, um Material für sein nächstes Buch zu sammeln. Wahrscheinlich lacht er sich insgeheim ins Fäustchen, dass ich ihm überhaupt zuhöre. Aber als er meine Familie ins Spiel brachte, hat er eine Grenze überschritten. Das werde ich ihm nie verzeihen!
Ich versuche, die Tränen in meinem Gesicht wegzuwischen und funkele ihn wütend an.
»Gratuliere!«, spucke ich ihm entgegen. »Du hast eine wahnsinnige Leistung vollbracht und herausgefunden, warum ich so ein kaputter Freak bin! Ja, verdammt. Meine Familie ist bei einem Anschlag auf ein Kulturzentrum umgekommen! Das hast du sehr gut aus dem Zeitungsarchiv rausgekramt. Was soll das jetzt hier? Hast du mich meinem schlimmsten Albtraum ausgesetzt und mir diese abstruse Geschichte erzählt, du wärst der Teufel persönlich, um zu sehen, wie ich reagiere? Und dann? Ist dir das hier Inspiration genug? Du bist nicht mehr ganz dicht! Selbst wenn du der Teufel wärst - was ich definitiv nicht glaube - warum solltest du ausgerechnet bei mir abhängen?«
Seine Augen lassen meine nicht los. »Weil das Schicksal manchmal seltsame Wege geht.«
Ich lache. »Das Schicksal? Hör auf, mich zu verarschen.«
»Lu, ich weiß, es ist schwer zu glauben ...«
»Nein, Felix.« Entschieden unterbreche ich ihn. »Es ist nicht schwer zu glauben. Es ist unmöglich zu glauben. Und dass du mich so verarschst, ist einfach unbegreiflich! Ich hatte einen anderen Eindruck von dir, aber offensichtlich bist du gut darin, andere zu täuschen.«
Er öffnet den Mund, um etwas zu sagen, aber ich hebe abwehrend die Hand.
»Spar dir die Luft zum Atmen. Ich habe keine Lust auf solche Spielchen.« Ich schnappe mir meine Tasche und will die Küche verlassen.
Felix kommt einen Schritt auf mich zu.
»Lu, bitte ...«
Ich weiche zurück und hebe warnend den Finger. »Kein Wort mehr. Ich will nichts mehr von deinen Wahnvorstellungen hören. Lass mich in Ruhe! Und wage es nicht, mich weiterhin ›Lu‹ zu nennen. Das steht dir nicht mehr zu.«
Damit verlasse ich die Küche. Meine Zimmertür fällt mit einem leisen Klicken ins Schloss, als wolle sie das Ende eines Kapitels markieren. Kaum ist das Geräusch verklungen, schießen mir wieder die Tränen in die Augen und ein unterdrücktes Schluchzen dringt aus meiner Kehle. Meine Beine geben nach und ich rutsche langsam mit dem Rücken an der Tür entlang zu Boden, wo ich zusammengekauert von der Wucht meiner Gefühle überwältigt werde.
⫸ 26.660 Wörter
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro