Kapitel 58
Lucifer und Eligos liefen im Beschwörungszimmer umher. Sie warteten seit Stunden, doch es kam kein Zeichen, dass es ihren Gefährten gut ging. Das Einzige, was sie wussten, war, dass sie am Leben waren.
Die Luft begann zu schwingen und sie blieben stehen. Plötzlich leuchtete ein magischer Zirkel auf und einen Moment später erschien ein Haufen an Gliedmaßen und schmerzhafte Geräusche erklangen.
„Scheiße, Sun, ich sagte, ruf ein Höllentor. Hattest du vor, uns umzubringen?", hörten sie Jos Stimme.
Sunny und Jo entwirrten ihre Gliedmaßen und Jo kam auf die Beine. Er knurrte Sunny an, während dieser nur lachte. „Ach komm schon, Josi, das hat doch Spaß gemacht."
„Meinst du so viel Spaß, wie vor dem steigenden Wasser davon zu krabbeln, um nicht zu ersaufen?", erwiderte dieser angepisst, dann drehte er sich und schaute in die schönsten efeugrünen Augen – in diesen stand Gier. Bevor er auch nur ein weiteres Wort sagen konnte, wurde er von seinem Dämon gepackt, über die Schulter geworfen und davongetragen.
Sunny winkte nur lachend, während er die Flüche seines besten Freundes in die Ferne rücken sah. Er selbst blieb liegen, denn es war ihm schlichtweg zu anstrengend. Schwarze Haare traten in sein Sichtfeld und daraufhin blickte er in goldene Augen. „Hallo, schöner Mann, ich bin wieder da", sagte er mit einer weichen Stimme. Eine Hand fuhr unter seinen Hinterkopf und er wurde nach oben gezogen. Heiße Lippen legten sich auf die seinen und mit einem Seufzen öffnete er den Mund, um seinen Dämon einzulassen.
Lucifer drückte seinen Gefährten eng an sich. Er kostete seinen Geschmack aus, spürte seine Wärme und seinen Herzschlag unter seiner Hand, die auf Sunnys Brust lag. Sunshine lebte, atmete und war offensichtlich wohl auf. Als er sich von ihm löste, sah er wie dessen Lippen leicht gerötet waren. „Wollen wir das vertiefen, Comoară?", schnurrte dieser kleine Teufel.
Langsam richtete sich Lucifer auf und auch Sunny schaffte es in die Vertikale. „Das werden wir, doch zuerst wirst du mir erzählen, was passiert ist und vor allem, wer ist dieser Junge, der sich an dich klammert?"
Sunny schaute nach rechts, sah, wie Lev sich an seinem linken Arm festhielt. Stimmt, da war noch was. Er lächelte leicht und zog den Jungen an sich. „Erst die Kurzfassung. Ich bin der Wächter von vo dings geworden und wir haben Familienzuwachs. Das ist Lev und er wird ab heute bei uns leben."
Kurz und knackig.
Lucifer schaute zu dem Jungen mit den grauen Haaren und den verschieden farbigen Augen. Er tastete ihn vorsichtig mit seiner Magie ab und die Resonanz verwunderte ihn. Was ist er? Er konnte ihn nicht einordnen.
Lev klammerte sich fester an Sunny, dann spürte er, wie eine Hand durch seine Haare fuhr. Das beruhigte ihn und er schaute auf. „Keine Sorge, Lev. Darf ich dir meinen Gefährten vorstellen? Der mit Abstand heißeste und mächtigste Dämon der Hölle", sagte Sunny und Lev spürte eine Wärme in seiner Brust. Der Blick, den Sunshine diesem Dämon zuwarf, war voll von bedingungsloser Liebe und Zuneigung. Etwas, was er auch wollte.
Die goldenen Augen musterten ihn und er wurde unsicher. Zwar hatte Sunny ihm versichert, dass er hier leben konnte, doch ob das stimmte, wusste er nicht. „Mein Name ist Lev", sagte er etwas leiser. Er war nervös, denn er wollte keinen schlechten Eindruck machen. Was, wenn er mich nicht mag? Was, wenn ich wieder alleine an einem Ort fristen muss? Seit Sunny ihm die Hand gereicht hatte, hatte er sie nicht losgelassen. Er hatte die Hoffnung, dass er etwas erhalten konnte, wovon er nicht einmal zu träumen gewagt hätte – ein Zuhause, eine Familie.
Lucifer wusste nicht, wer der Junge war oder warum er hier war, doch er konnte sehen, dass er sich an seinen Gefährten klammerte. Er schaute Sunny an, dann Lev. „Mein Name ist Lucifer, ich begrüße dich", sagte er. Dann wandte er sich an Sunny. „Denkst du nicht, es ist besser, wenn er in ein Waisenhaus kommt?" Dort würde nach einer Familie für ihn gesucht werden.
Sunny schüttelte den Kopf. „Das geht nicht. Ich muss bei ihm bleiben und über ihn wachen." Die Worte ließen Lucifer nachdenklich werden. Wieso muss er über ihn wachen? Dann schlich sich ein Gedanke in seinen Kopf, der sich festsetzte. Er hat den Jungen von dem Ort mitgebracht, an dem vô hạn war. Ist dieser Junge etwa... vô hạn? Andererseits, wenn Sunny sich etwas in den Kopf setzte, würde er nicht nachgeben. Eine Hand legte sich an seine Wange und er schaute seinen Gefährten an. „Vertrau mir."
Als Sunny diese Worte sprach, bat er Lucifer gleichzeitig um einen Vertrauensvorschuss. Er konnte ihm nicht mehr sagen. Als sein Gefährte schließlich nickte, machte sich Erleichterung breit. „Gott sei Dank", entkam ihm. Dann schaute er Lev an. „Willkommen in der Familie", begrüßte er ihn.
„F-Familie?", stotterte dieser.
„Natürlich. Du wurdest gerade offiziell adoptiert", erwiderte Sunny grinsend und öffnete die Arme.
Lucifer wollte etwas sagen, brach jedoch ab. Er konnte die Freude in Sunnys Gesicht sehen. Familie. Er hatte mit Sunshine seinen Gefährten gefunden, beide hatten sich nach einer Familie gesehnt. So wie er damals für Lucifer seine Arme geöffnet hatte, öffnete Sunshine sie nun für diesen kleinen Jungen. Wie hätte er da nein sagen sollen?
In Levs Augen traten Tränen und er warf sich an Sunnys Brust. Er begann zu weinen und krallte sich an Sunny fest. Dieser strich ihm nur beruhigend über den Kopf. „Na, na. Wenn du mir auf den Oberkörper rotzt, werde ich dich in einen See schmeißen." Er seufzte. „Wie dem auch sei, es ist Zeit für ein Bad. Die Wunden brennen von dem Sand und dem Schweiß."
„Wunden?", fragte Lucifer. Erst jetzt sah er, dass die Stofffetzen um Sunnys Gliedmaßen eigentlich Verbände waren.
Sofort richtete sich Lev auf und legte seine Hände auf Sunnys Brust. „Hàn gắn", sagte er und seine Hand begann zu leuchten. Das Licht wanderte über Sunnys Körper und eine angenehme Wärme breitete sich in ihm aus. Das Brennen ließ nach und die Schmerzen verschwanden. Als er den Verband an seinem Arm abwickelte, stellte er fest, dass die Haut geheilt war. Wow, nicht schlecht. Instant Wiederherstellung. Wie bei Witcher. „Gut, dann hat sich das erledigt, bin wiederhergestellt. Trotzdem bin ich saumüde, also bitte einmal Transportservice ins Bad und dann ins Bett", sagte er und streckte die Arme nach seinem Gefährten aus.
Wirklich?
Ja, Kirschtörtchen. Du kennst das Spiel.
Lucifers Mundwinkel zuckten. Er umschlang Sunny, doch anstatt ihn hochzuheben, nahm er ihn über die Schulter. Sein Gefährte schnaufte. „Echt jetzt, ich dachte nun werde ich im Prinzessinnen-Stil getragen, nicht im Kartoffel-Sack-Stil."
Der Dämon ignorierte den Protest und streckte seine freie Hand dem kleinen Jungen entgegen. „Komm mit, Lev, bevor dieser Wahnsinnige noch auf andere Gedanken kommt."
Lev schaute auf die Hand, dann ergriff er sie langsam und sie liefen gemeinsam aus dem Zimmer.
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„Eine Frage, Lev, wieso bist du eigentlich ein Kind, wenn du schon mindestens einige Jahrhunderte auf den Buckel hast?" Sunny nahm eine Schüssel und gab Mehl hinein. Weitere Zutaten folgten.
Lev schaute Sunny verwundert an. „Ich war etwa ein Jahrhundert alt, als Zadkiel mit mir aus dem Himmel geflohen ist. Bei dem Versuch, mich zu beschützen, wäre sie beinahe gestorben. Um sie zu retten, habe ich alle meine Kraft verbraucht. Ich fiel in einen tiefen Schlaf. Deine Resonanz hat mich aus dem Schlaf geweckt und ich habe dich zu mir gerufen", erklärte er ruhig.
„Also bist du eigentlich erwachsen, steckst aber in dem Körper eines Elfjährigen fest?", fragte Sunny ihn erstaunt. Krass.
Lev senkte den Kopf. „Nein, ich war schon immer so... klein. Ich bin im Schlaf nicht gealtert. Man könnte sagen, die Zeit ist für mich stehen geblieben."
Ah, er braucht also länger, um erwachsen zu werden. Eindeutig nicht Mensch. War aber auch nicht verwunderlich. Lev war zwar noch ein Kind, aber geistig reifer, als er hätte sein dürfen. Er hat viel mitgemacht. „Dann kannst du jetzt also die Kindheit leben, die du verdienst. Wir werden deine Familie sein." Sunnys Augen waren warm. Lev umarmte ihn und er strich dem Kleinen über den Rücken. Bin ich dann eigentlich die Mum oder der Dad? Das war eine essentielle Frage. Hmmm...
Lucifer lief in Richtung Küche und hörte schon die Stimme seines Gefährten. Er sah, wie dieser gerade einen Teig ausrollte und Lev saß auf einem Stuhl und stach Formen aus diesem. Diese menschliche Tradition führten die Menschen immer um diese Zeit im Jahr durch. Sie nannten es Weihnachten.
Auf Sunnys Wangen waren Spuren von Mehl und auch Lev war nicht verschont geblieben. Lucifer konnte den warmen Blick in den Augen sehen und der kleine Junge lachte. Er wusste nicht, warum Sunny ihn mitgenommen hatte, doch sein Verdacht hatte sich mit jedem Wort erhärtet, das Lev gesprochen hatte. Er war vô hạn. Dass es ein lebendiges Wesen war, damit hatte er nicht gerechnet. Wer bist du und woher stammst du? Wieso hatte man ihn im Himmel versteckt?
Er hörte, wie sein bester Freund neben ihn trat. „Also habt ihr nun offiziell ein Kind adoptiert?", fragte dieser mit einem herausfordernden Grinsen.
Lucifer seufzte. „Du weißt, dass dieser Sturkopf nicht locker lässt. Einen Streit mit Sunshine zu beginnen, macht keinen Sinn. Er hat seine Gründe und ich vertraue ihm."
„Soso. Du weißt, dass das kein Dämon ist. Was auch immer Sunny mitgebracht hat, es gehört eigentlich nicht in unsere Welt", sagte Eligos und verschränkte die Arme. „Er ist vô hạn nicht wahr?"
Lucifer schaute nachdenklich nach vorne. „Ich vermute es. Sunny sagte, dass er bei ihm bleiben und über ihn wachen muss. Zudem lassen Jos Erzählungen nichts anderes zu. Wieso sollte ein Kind in dieser Höhle sein?"
Eligos nickte nur, doch sie wussten, dass sie darüber schweigen würden. Es würde sich zeigen, wie sich und vor allem zu was sich Lev entwickeln würde. Bis dahin würde er hinter Sunshines Entscheidung stehen und den kleinen Jungen in ihrer Familie willkommen heißen.
Familie.
„Gut, mein Freund, dann kannst du ja schon einmal üben. Wer weiß, wann deine Familie um einen weiteren Schreihals erweitert wird."
Überrascht schaute Lucifer zu seinem Freund. Eligos' Augen glitzerten. Dann wanderte sein Blick wieder zu Sunshine. „Ach komm schon. Kaley sagte, dass er seine Wandlung durchschritten hat und sein Magielevel stabil ist. Er ist also ein vollständiger Dämonenengel, er ist bereit", frotzelte Eligos.
Sie hatten sich bisher noch nicht auf eine Bezeichnung für Sunnys Rasse einigen können, also war das die vorläufige Bezeichnung. Kaley würde weitere Forschungen anstellen – Sunny war ihre Obsession geworden, ihr Lebenswerk, wie sie es bezeichnete.
Er ist bereit. Prinzipiell wusste er, dass Eligos recht hatte, und doch... der Gedanke stand im Raum und er wusste nicht, was er denken sollte. „Das hat noch Zeit." Mehr sagte Lucifer nicht.
„Jo, wenn ihr weiter herumlungert, wird die Mehlarmee euch überfallen", kam es aus der Küche.
Lucifer schritt in den Raum und trat zu seinem Liebsten. „Wir haben nicht herumgelungert, wir wollten euch nur nicht stören", sagte dieser.
Sunny lächelte. „Alles Ausreden, weil du zu faul zum Helfen bist." Dann nahm er etwas Puderzucker und bestreute Lucifers Hand. Langsam leckte er darüber und grinste ihn an. „Du bist Zucker, Dämon."
Ein heißes Gefühl breitete sich in Lucifers Bauch aus. Dieser Mann trieb ihn in den Wahnsinn. Also beugte er sich vor, leckte den Zucker von Sunnys Wange und flüsterte: „Nicht so süß wie du, Soare. Ich könnte dich hier und jetzt verspeisen."
Ein Lachen entkam Sunny, doch er biss sich auch auf die Unterlippe. Er ist so scharf. „Wir müssen die Plätzchen fertig machen", sagte er, auch wenn der glühende Blick Bände sprach.
Lucifer drehte sich zu Lev, der ihn anschaute. Der Kleine war immer noch etwas unsicher, also fuhr er ihm durch die Haare und sagte: „Ich zähle auf deine Unterstützung, Fiu."
Levs Augen wurden groß, denn Lucifer hatte ihn gerade als sein Kind bezeichnet. Tiefe Gefühle stiegen in dessen Brust auf und er nickte nur, konnte nichts sagen. Er war immer noch unsicher, ob er es annehmen durfte, ob er diesen Ort als sein Zuhause bezeichnen durfte. Sein Blick wanderte zu Sunshine und Lucifer, der seinem Liebsten einen Kuss auf die Lippen drückte. Ich werde dich beschützen. Das hatte Lev beschlossen.
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Lev ist nun Teil der Familie.
Das Ende ist nahe meine Lieben. Das nächste Kapitel ist das letzte vor dem Epilog. Genießt noch ein bisschen after-Weltuntergang-Zweisamkeit von Sunny und Lucifer.
Eure Mausegöttin
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