
Kapitel 43
„Wie geht es ihm?"
Der Heiler verneigte sich. „Seine Wunden sind so weit geschlossen. Wir haben alles getan, Sire", sagte dieser.
Der Dämon stand vor dem Bett, auf dem der bewusstlose Mensch lag. Dieser schlief nun schon seit drei Tagen. Seine Heiler hatten gute Arbeit geleistet und ununterbrochen gearbeitet, doch er erwachte nicht. Schlafend ist er mir nutzlos.
Mit einer Geste bedeutete er den Heilern den Raum zu verlassen. Diese leisteten ihm sofort Folge, sodass er alleine mit dem Reaper war. Stumm setzte er sich neben das Bett, auf dem dieser lag. Er trug nur eine kurze Hose, war ansonsten unbekleidet. Er hatte einigen Untersuchungen beigewohnt und hatte dessen Rücken gesehen. Tiefe, alte Wunden. Er wusste, dass sein Handlanger die Versuchspersonen gezüchtigt hatte, doch von diesem Ausmaß hatte er keine Ahnung gehabt.
Zwar hatte er für sein Ziel jegliche Skrupel beiseitegeschoben, doch er empfand für einen Moment so etwas wie Reue. Der Junge konnte kein Jahrzehnt alt gewesen sein, als dessen Wandlung zu einem Gefäß begonnen wurde. Das Schicksal ist grausam, doch man muss es hinnehmen.
Er fuhr über die weichen, sinnlichen Züge des jungen Mannes, durch sein weiches Haar. Seine Haut war fein und die Bilder auf seiner Haut faszinierten ihn – ein wahres Kunstwerk. Das, was ihn jedoch anzog, war dessen Geruch – wie ein wilder Herbststurm – und diese sinnlichen Lippen. Sie waren so faszinierend wie dessen Augen gewesen. Als er ihm zum ersten Mal begegnet war, war dessen untere Gesichtshälfte unterhalb der Augen mit einer Maske bedeckt gewesen. Wer hätte ahnen können, dass solch eine Schönheit darunter steckte? Der gesamte Körper des Mannes war eine einzige Verführung – kein Wunder, dass Lucifer ihr erlegen war.
„Du bist also Lucifers Nemesis." Für einen Moment erwog er, diesen jungen Mann zu dem Seinen zu machen. Er wollte von dieser verbotenen Frucht kosten. Leider sah sein Ziel dessen Tod vor. Eine Schande. Langsam beugte er sich vor, war dessen Gesicht nahe. Er nahm die rote, weiche Unterlippe in den Mund, zog leicht an ihr. Ein leichtes Kribbeln wanderte über seine Lippen, bevor er sie wieder entließ. Vielleicht koste ich vor seinem Ableben doch noch seine Süße. Wortlos erhob er sich und verließ den Raum.
Die Tür schloss sich und wenige Augenblicke später öffneten sich zwei sturmgraue Augen. Angewidert wischte sich Sunny über den Mund. Bah. Der Geschmack von Flieder brannte auf seiner Zunge. Er hatte sich wirklich beherrschen müssen, nicht zu würgen, als er dessen Magie aufgenommen hatte.
Sind alle Dämonen Stalker? Er hatte dessen Blick auf sich spüren können und die Berührungen hatten ein Ekelgefühl in ihm ausgelöst, sodass er sich schüttelte. Ruhig schaute er an die Decke. Das ist doch nicht die Wahrheit. Erst werde ich von der Gilde entführt und dann schießen die mich von der Straße, damit mich ein irrer Dämon als nächstes entführt. Das machte nun schon drei Entführungen, wenn man die durch Lucifer mitrechnete. Ich scheine der geilste Shit on Earth zu sein.
Seufzend schloss er die Augen. Er fand es nicht mehr lustig. Leirum. Er wusste, dass es der Dämon war, dem er damals auf der Jagd begegnet war. Das Gefühl, das ihn damals gewarnt hatte, hatte ihn also nicht getrügt. Wer ist das und was will er von mir? Langsam kam die Erkenntnis, doch etwas anderes beschäftigte ihn mehr. Der Dämon hatte nichts gesagt, außer diesen einen Satz.
„Du bist also Lucifers Nemesis."
Das ist nicht wahr. Das konnte nicht stimmen. Wenn er Lucifers Nemesis wäre, hätte dieser es ihm doch schon längst gesagt. ... oder?
„Es ist niemandem gestattet, die Flügel eines Engels zu berühren, außer der Gefährte oder die Gefährtin."
Nicht gut...
„Dann ist diese Nemesis also jemand, der dich in die Schranken weist und gleichzeitig in den Arm nimmt? Es gibt sicher nicht viele, die dir die Stirn bieten", redete Sunny, ohne nachzudenken, weiter.
Der Dämon schaute ihn überrascht an. „Ja, das stimmt."
Sunny drehte sich auf den Bauch. „Was machst du, wenn du diese Person findest?"
„Ich würde sie an mich binden. Mit ihr einen untrennbaren Bund schließen und mein Leben mit ihr teilen. Ich würde sie bis zum letzten Atemzug glücklich machen."
Nein, er hat gesagt, er hat sie noch nicht gefunden. Er hätte es mir bestimmt...
„Was würdest du tun, wenn du die Nemesis eines Dämons wärst, Sunshine?"
„Ich kann es nicht sagen. Es kommt auf den Dämon an. Ich weiß nicht, ob ich mit irgendeinem Wildfremden mein Leben verbringen möchte." Jemand anders außer dir.
...gesagt.
Die Worte schwebten vor seinen Augen. Oh Mann, er hat versucht, es mir zu sagen. Ich war nur zu blöd, es zu schnallen. Indirekt hatte er Lucifer eine Abfuhr verpasst, da hätte er vermutlich auch nichts gesagt. Dafür gab es nur zwei Worte: Das schlecht. (Diese Formulierung ist Absicht und kein Grammatikfehler. Das fehlende Verb drückt die Schwere der Situation aus, so zumindest die Interpretation. Bei weiteren Nachfragen, bitte den Deutschlehrer fragen.)
Hach, was machen wir jetzt? Er war in einer Zwickmühle. Eigentlich müsste er sich Gedanken machen, weshalb er hier war und wie er entkommen konnte, doch das andere beschäftigte ihn zu sehr. Zudem konnte er sich recht schlecht bewegen, das hatte er schon versucht. Mit 150 km/h gegen einen Baum zu fahren, war also genau so ungesund, wie die lieben Fahrlehrer immer gewarnt hatten. Also ihr Lieben, immer schön die Finger weg vom Handy und Alkohol beim Autofahren. Auch keine Blowjobs!
Langsam begann er seine Beine zu bewegen. Seine Muskeln ächzten und Sunny verzog sein Gesicht. Mit langsamen, rhythmischen und kreisenden Bewegungen versuchte er seine Arme und Beine zu überreden, ihren Dienst wieder aufzunehmen. Hinzu kam leider, dass er wirklich Hunger hatte. Sauladen hier.
Nach einer Weile konnte er sich immerhin aufsetzen. Laufen ist bestimmt keine gute Idee. Andererseits, er wollte nicht den Invaliden spielen und er hatte Hunger. Wenn das Essen nicht zu ihm kam, musste er zum Essen. So waren die wilden Gesetze des Dschungels. Mit viel Mühe schaffte er es auf die Beine, die wackelten. Kommt schon, wir müssen alle an einem Strang ziehen.
Auf seinen Beinen erschienen zwei Münder.
„Will er uns verarschen, Righty?", fragte das linke Beine und schaute – auch wenn es keine Augen hatte – zu seinem Nachbarn.
Dieses antwortete: „Seh ich auch so, Lefty. Wir sollen die Arbeit machen, damit er sich was Geiles reinstopfen darf. Langsam bin ich dafür, dass die Arme unseren Job übernehmen. Tagein, tagaus schleppen wir diesen unnützen Rest mit."
Das linke Bein nickte zustimmend, auch wenn das nicht möglich war.
Sunny hob die Hände: „Wow, Jungs. Auszeit. Ich weiß euer Job ist nicht leicht, aber wenn ihr mitmacht, bekommt ihr auch eine saftige Massage." Er hoffte inständig, sie zu überzeugen.
„Bro, schieb was rein", meldete sich sein Magen.
Die Beine diskutierten kurz untereinander. „Wir nehmen das Angebot an, doch es muss mindestens eine Stunde dauern und wir erhalten eine Pediküre."
Sich ergebend nickte Sunny. „Deal."
Sunny hoffte nun inständig, dass seine Beine nach diesem fruchtbaren Gespräch mit ihm zusammenarbeiten würden. Langsam steigerte er die Belastung und sie hielten wie durch ein Wunder stand. Vielleicht war es doch keine Einbildung...
Langsam ging er etwas in die Knie uns seine Schenkel zitterten. Immer wieder führte er diese Übung durch, dann setzte er sich, um diesen eine Pause zu gönnen. Er kreiste seine Arme und versuchte auch diese in Schwung zu bringen.
Als der Hunger sich durch seinen Magen fraß, stand er erneut auf. Schritt für Schritt lief er zu der Türe des Raum. Sie war nicht einmal verschlossen. Also glauben sie, dass ich so oder so nicht fliehen kann. Das konnte man positiv oder negativ deuten. Er streckte seine Nase in die Luft, in der Hoffnung Essen zu riechen. Wie das Zimmer, aus dem er gekommen war, hatten die Wände eine sandrote Farbe, die ihn an den Belag eines Tennisplatzes erinnerte, während die Fußböden schwarz waren. Er lief durch die Gänge, die mit Bildern und anderen Kunstwerken verziert waren, bis er irgendwann tatsächlich Essensgeruch vernahm. Auf zum Futtern.
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Der Hausherr lief zum Krankenzimmer, das er vor drei Stunden verlassen hatte. Als er die Tür öffnete, fand er das Bett jedoch leer vor. Was zur Hölle? Wo war sein Gefangener? Seine Beine trugen ihn durch die Gänge. Als er ein lautes Lachen vernahm, hielt er inne. Er lief in den Speiseraum, der an die Küche angrenzte. Dort fand er einen lebendigen, grauhaarigen Menschen, der von einem Brot abbiss und sich lachend mit seinen Angestellten unterhielt.
Was? Die Szene war bizarr. Sturmgraue Augen schauten ihn an.
„Hallo Leirum", begrüßte der Reaper ihn freundlich. Er trug nun eine schwarze Hose und ein weißes T-Shirt, das ein Angestellter ihm gegeben haben musste.
Sunny aß zu Ende. „Ich danke dir, du bist ein verdammt guter Koch, Zirion. Das solltest du weiterverfolgen", bedankte er sich bei dem Dämon, der ihm nur lachend auf die Schulter klopfte.
Leirum stellte sich ihm gegenüber, schaute ihn schweigend an. Der Reaper verschränkte die Finger. „Was tust du hier?", fragte er Sunny.
Langsam lehnte sich Sunny zurück. „Essen, das siehst du doch."
Ungläubigkeit breitete sich in dem Dämon aus. Dieser Mensch hatte absolut keine Angst, unterhielt sich mit fremden Dämonen, lief wie selbstverständlich durch ein fremdes Haus, aß dort und machte Späßchen mit den dämonischen Angestellten. Ist er... irrsinnig? Hatte der Mensch bereits den Verstand verloren?
Das Gesicht des Dämons wurde ernst. „Kehre ins Krankenzimmer zurück."
Sunny legte den Kopf schief. „Nein. Ich werde nun nach Hause gehen. Dort wartet bereits ein fuchsteufelswilder Dämon auf mich, aber das weißt du sicher schon, Leirum."
Die Anspielung war Leirum nicht entgangen. Er weiß es.
„Oder sollte ich dich lieber Abaddon nennen?", beendete Sunny seinen Satz.
Abaddon schwieg. „Wie hast du mich erkannt?", fragte er den Menschen.
Sunny streckte sich. „Ach komm schon. Leirum? Dein Ernst? Jeder Depp erkennt sofort, dass es Muriel rückwärts ist und das ist dein alter Name, bevor du einen Abgang in die Hölle gemacht hast."
Der Mensch war intelligent. Abaddon durfte ihn nicht unterschätzen, das hatte er gerade gelernt. Kein Wunder, dass er Lilith geschnappt hat.
Das Gesicht des Reapers wurde ernst. „Hör zu, ich weiß nicht, in was für einen Zwist ich zwischen dir und Lucifer geraten bin – doch bei diesem Hahnenkampf werde ich nicht das Karnickel zwischen euch spielen. Tragt das alleine aus, von Mann zu Mann. Gebt mir einfach Bescheid, wenn ihr fertig seid", sagte Sunshine ruhig.
„Das geht nicht."
War zu erwarten. Ich muss wirklich an meiner Überzeugungsfähigkeit arbeiten. Er schaute den Dämon an, wartete, ob er noch mehr zu sagen hatte. Der Eine-Erklärung-bitte-Blick auf seinem Gesicht, veranlasste Abaddon fortzufahren.
„Du wirst ein Gefäß, das ist deine Bestimmung seit deiner Geburt", sagte der Dämon. Es war seltsam, er sah keine Überraschung auf dem Gesicht des Reapers. Wusste er das bereits?
„Jup, ich wusste es", beantwortete der Mensch seine unausgesprochene Frage, „und ich lehne dankend ab. Ich habe keine Lust ein Dämon oder ein Gefäß zu werden. Menschsein steht mir besser."
Er ist irrsinnig. Glaubte dieser Mensch wirklich, dass er ein Mitspracherecht hätte? Wie hast du es auch nur mehr als einen Tag mit diesem Irrsinnigen ausgehalten? Auch wenn er es widerstrebte, er musste Lucifer Respekt zollen. Ein bisschen Mitleid, dass er diesen jungen Mann als Nemesis erhalten hatte, stieg ebenfalls in ihm auf. Gerade, als er weitersprechen wollte, bemerkte er, dass der Blick des Reapers durch den Raum wanderte. „Wenn du dich fügst, werde ich es so schmerzlos wie möglich machen. Du wirst es schnell hinter dir haben. Sobald deine Seele deinen Körper verlassen hat, wirst du deinen Frieden finden und kannst wiedergeboren werden", sprach der Dämon in einer ruhigen Stimme.
„Hast du wirklich vier Flügel?"
Was? Was hatte das mit dem Gesagten zu tun? Eine Vermutung beschlich ihn. Hat er mir... nicht zugehört? Es ging um sein Leben und er hörte einfach nicht zu? Das konnte doch nicht möglich sein. Er schüttelte nur den Kopf, was der Mensch missinterpretierte.
„Nicht? Oh Mann und ich dachte schon, hey wie cool. So ein Müll aber auch, dass die Bücher einen solchen Schrott schreiben."
Langsam riss Abaddon der Geduldsfaden. Seine Aura erfüllte den Raum und mit bedrohlicher Stimme sagte er: „Sei nun still, Mensch. Du wirst nun mit mir kommen und schweigen. Ich habe keine Geduld mehr. Solltest du dich mir widersetzen, werden dir Schmerzen widerfahren, die du dir nicht vorstellen kannst."
Sunny seufzte und wedelte mit der Hand. „Dass ihr auch immer gleich euren Schwanz auspacken müsst, um damit herumzuwedeln. Deine Aura juckt mich nicht im geringsten, kannst sie also wieder einpacken. Zudem werde ich absolut gar nichts tun, was man mir befielt. Wenn dich das stört, bring mich um und du hast es hinter dir. Ach ja, das kannst du nicht, denn du brauchst mich lebend, so eine Schande auch. Zudem wirst du doch sicher dieses charmante Gefäß", er zeigte auf seinen Körper, „nicht beschädigen, da du es ja noch brauchst." Schachmatt, Arschloch.
In diesem Moment spürte Abaddon eine kalte Wut, denn der Reaper hatte recht.
„Ach und noch etwas, solltest du mir nochmal deine Zunge reinstecken wollen, reiß ich sie dir raus, du ekliger Stalker", fügte Sunny nun mit glühenden Augen hinzu, die einen silbernen Schimmer angenommen haben. Die Aura des Menschen wallte auf. Ich kann das auch, wie findest du meine Schwanzlänge? Er stand auf, schaute zu dem fassungslosen Dämon.
Im nächsten Moment war Abaddon vor ihm und er schlug gegen die Wand, die sich zwei Meter hinter ihm befunden hatten. Eine Hand hatte sich um seine Kehle geschlossen, die ihm die Luft abschnitt.
Abaddon schaute dem Menschen in die Augen, sah keine Angst, keine Panik. Er wehrte sich nicht. Was ist mit ihm?
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Sunny ist in Abaddons Händen.
Habt ihr richtig gelegen?
Was wird Abaddon nun mit ihm tun?
Eure Mausegöttin
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