
Kapitel 17
Als Sunshine aus dem Waschraum trat, atmete Lucifer auf. Er sah besser aus als zuvor. Wortlos kroch dieser auf das Bett neben ihm und zog die Decke über sich, bis nur noch dessen Kopf aus dieser herausschaute. Sofort bemerkte er, dass er Augenkontakt vermied, bemerkte das leichte Zittern. Was sollte er tun? Lucifer wusste es nicht.
Sunny drehte sich mit dem Rücken zu dem Dämon, wusste nicht, was er sagen sollte. Sein Mund öffnete sich, doch es kam nichts hervor. Minuten vergingen, beide schwiegen. Auf einmal spürte er eine weiche Berührung und öffnete die Augen. Eine goldene Wand in einer aschgrauen Färbung baute sich vor ihm auf und das Licht glitzerte an dieser. Erstaunt streckte er seine Hand aus und berührte diese, ließ die Finger über die weichen Federn gleiten.
Lucifer biss sich auf die Unterlippe, als die Finger über seinen Flügel wanderten. Engel waren bezüglich ihrer Flügel sehr eigen. Intensive Berührungen wie diese waren sehr intim und nur dem eigenen Gefährten gestattet. Er wusste nicht, wieso er Sunny es gestattete, doch es war die einzige Idee gewesen, die ihm gekommen war. Der gefallene Engel wollte die Dunkelheit und Angst vertreiben, die den Reaper wie ein schwarzer Schleier umgaben. Als dieser jedoch sein Gesicht in den Federn rieb, knurrte er.
„Habe ich dir wehgetan?", fragte eine besorgte Stimme, die ein seltsames Gefühl in Lucifers Bauchgegend auslöste. Der Mensch drehte sich zu ihm und Erleichterung durchströmte ihn, die Dunkelheit hatte sich gelegt.
„Nein, es ist in Ordnung, tob' dich aus", erwiderte er. Zu seinem Leidwesen tat Sunny genau das. Er fuhr seine Schwingen entlang, über die empfindlichen Bögen, rieb sein Gesicht an diesen. Lucifers Atmung beschleunigte sich. Hölle, dieser kleine Teufel weiß nicht, was er tut.
Widerwillig ließ Sunshine von dem weichen Schatz ab, schaute zu dessen Besitzer. Dessen Gesicht trug einen sinnlichen Ausdruck, die Augen schienen aus flüssigem Gold zu bestehen. Augen, in denen er ertrinken konnte. Er näherte sich dem gefallenen Engel, der die Flügel wieder einzog.
Bevor er reagieren konnte, war Sunny auf ihm, seine Härte drückte in dessen Bauch. Die sturmgrauen Augen hielten die seinen gefangen. Langsam beugte sich der Reaper vor, sein Gesicht war nahe, sodass er dessen sinnlichen Geruch wahrnahm – frischer Herbststurm, wild und ungezähmt. Lucifer wollte etwas sagen, doch Sunny kam ihm zuvor.
„Nicht. Sag' nichts", flüsterte dieser leise.
Der Dämon spürte es, spürte den warmen Atem. Eine leichte Berührung erfolgte, nur sanft. Die Lippen seiner Nemesis hatten seine nur leicht gestreift, doch das Prickeln erhitzte seinen Körper, er wollte mehr. Erneut erfolgte eine Berührung, dieses Mal blieben sie auf den seinen liegen. Unendlich langsam öffnete Sunny die Lippen, bat um Einlass, den der gefallene Engel ihm gewährte. Sinnlich strich er über Lucifers Zunge, liebkoste sie.
Das Herz des Dämons schlug schneller und er spürte eine Sehnsucht – eine Gier, die er so noch nie erlebt hatte. Ich will dich. Er wollte Sunshine unter sich begraben, jeden Zentimeter seines Körpers kosten, sich in ihm versenken und ihn zum Schreien bringen. Diese Augen sollten vor Lust vernebelt sein, seine Zeichen auf diesem Körper prangen.
Hände fuhren durch Lucifers Haare, hielten ihn in diesem Kuss gefangen. Doch als die Lippen sich lösten, war der Moment vorbei, das wusste er. Sunny zog sich zurück, keiner sagte etwas, doch sie wussten, dass dieser Kuss anders gewesen war. Er hatte eine Bedeutung und das machte beiden Angst, also schwiegen sie.
Lucifer zog den Menschen in seine Arme und dieser ließ es zu, genoss die Wärme in seinem Rücken. „Du musst nicht darüber reden. Doch manchmal ist es einfacher, eine Last zu teilen, als sie alleine mit sich zu tragen."
Die Worte des Dämons wogen schwer. Sunny dachte darüber nach. „Bist du sicher? Es ist keine schöne Geschichte." Die Arme schlangen sich enger um ihn. Sunshine hatte noch nie darüber geredet. Nur sein Meister wusste von diesem und dieser weilte nicht mehr unter ihnen. An diesem Tag hatte er das Monster tief in sich eingesperrt und geschworen, es nie wieder an die Oberfläche zu lassen.
Seine Unterlippe zitterte, sein Hals schnürte sich zu, hinderte ihn daran, auch nur ein Wort zusagen. Ich hasse es. Vielleicht war es an der Zeit, das Monster zu bekämpfen. Er atmete tief ein. „Als ich vier Jahre alt war, wurde ich von einem Mann adoptiert. Ich kann mich nicht an meine Eltern erinnern, weiß bis heute nichts über sie. Doch an ihn erinnere mich. Es gab noch andere Kinder, ich war nicht der Einzige. Wir lebten in einem großen Anwesen, das wir nicht verlassen durfte. Wir spielten Spiele, lernten lustige Sprachen und tobten, doch es gab klare Regeln, an die wir uns hielten. Alles schien normal, doch das war es nicht. Als ich sechs Jahre alt war, nahm er mich durch eine Tür, die wir nicht öffnen durften. Es war ein Verließ tief unter der Erde..."
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Schweigend folgte er Vater, tapste vorsichtig hinter ihm die steinerne Treppe hinunter. Er hielt sich unsicher an dem Geländer fest, sein Blick auf den Rücken von Vater gerichtet, dessen dunkelbraunes Haare schon von leichten grauen Strähnen durchsetzt war. Der modrige Geruch und die Kälte bescherten dem Kleinen eine Gänsehaut, doch er sagte nichts. Sie durften nur mit ihm sprechen, wenn er sie dazu aufforderte, so waren die Regeln.
Als er die letzte Stufe erreichte, blieb Vater stehen, drehte sich zu Sunny um. „Geh' weiter, mein Sohn."
Unsicher lief er weiter, er konnte mehrere Zellen sehen, kalte Eisenstangen, an denen sich Rost absetzte. In diesen war ein kleines Klo und eine schmutzige Matratze auf dem Boden. Das war der Kerker. Wer die Regeln brach, wurde in diesen gesteckt. Seine große Schwester Rina hatte davon berichtet. Sie hatte sich einmal Vater widersetzt und war für zwei Tage dort gewesen. Seitdem hatte sie es nicht erneut gewagt. Niemand tat es, der einmal diese Zelle von innen gesehen hatte.
Habe ich etwas falsch gemacht? Angst stieg in dem kleinen Jungen auf – Angst, er würde in diese Zelle müssen. Sein kleines Herz schlug schnell. Die Schritte von Vater hallten laut an den Wänden, als dieser hinter ihn lief. „Na los, geh' weiter. Schau ihn dir an", hörte er dessen Stimme.
Zitternd lief Sunny einige Schritte, dann blieb er stehen. Er hörte ein Knurren, das ihn zusammenzucken ließ. Es hatte nicht menschlich geklungen. Hielt sein Vater ein Tier? Die Schatten krochen über die Wand. Ein Klacken ertönte und das Surren von einem elektrischen Licht ertönte. Doch als dieses Licht den Raum etwas erleuchtete, erstarrte Sunny. Angst kroch sein Rückgrat hinauf und er begann zu zittern. Das Rasseln von Metallketten hallte an den Wänden wider.
Sein Atem ging schnell, dann hörte er ein tropfen. Tropfen, die zu Boden fielen und auf dem modrigen Steinboden auftrafen. Tropf, tropf, tropf. Eine Hand legte sich an seine Schulter und der warme Atem, der nach Fingerhut roch, traf auf sein Ohr. „Es wird Zeit, dass du erwachsen wirst. Mach mich stolz." Das Herz des kleinen Jungen schlug wie wild, als das Licht schwenkte und er in die Augen des jungen Mädchens sah, das auf einen Stuhl gekettet war. Rina.
Die Augen seiner Schwester waren wild, hatten nichts menschliches. Der Geruch von Verwesung drang in seine Nase und sein Magen rebellierte, zog sich schmerzhaft zusammen. Ein Knurren entkam ihrem Mund und ihre Nasenflügel blähten sich auf. Ohne Vorwarnung warf sie sich nach vorne und nur die Fesseln verhinderten, dass sie sich auf Sunny stürzte. An Rinas Händen wuchsen Krallen und Speichel lief aus ihrem Mund, als sie in seine Richtung schnappte und fauchte.
Tränen liefen über die Augen des kleinen Jungen, die Hand von Vater lag immer noch auf seiner Schulter.
„Weißt du, was das ist?", fragte die Stimme.
Sunny schüttelte den Kopf, unterdrückte ein Schluchzen. Dieses Monster war nicht seine Schwester.
„Das, mein Sohn, ist ein Rogue. Ein von einem Teufel besessener Mensch. Er lebt nur dafür, zu töten und zu fressen. Ihre Seele ist verwest." Die Worte drangen an Sunnys Ohren. Der Geruch, die Geräusche, es war alles zu viel. Er wollte weg, konnte nicht atmen. Zitternd presste er sich die Hand auf den Mund und ging auf die Knie. Vor seinen Augen erschien ein Faden in einem sanften Lavendel, doch dieser war mit Verwesungsflecken übersät.
„Du machst das gut, schau sie genau an. Nimm es an. Es ist deine Bestimmung."
Seine Bestimmung, er kniff die Augen zu. Dann spürte er, wie ihm ein kalter, harter Gegenstand in die Hand gelegt wurde. Als er die Augen öffnete, sah er einen Dolch in dieser.
„Töte es."
Sunny keuchte. Die Tränen liefen an seinen Wangen hinunter. „Ich kann nicht." Er konnte seine eigene Schwester nicht töten.
„Dann werde ich sie losbinden und sie dich fressen lassen. Die Entscheidung liegt bei dir. Willst du leben oder dich von ihren Krallen und Zähnen zerfleischen lassen?", erklang die kalte Stimme hinter ihnen.
Der gerade einmal sechs Jahre alte Junge stand in diesem Verließ, stand vor der Wahl – sein Leben oder das seiner Schwester. Der Speichel tropfte auf den Boden, das Geräusch hallte in den Ohren des Jungen wider. Tropf, tropf, tropf. Die Lampe schwankte und für einen Moment sah er in Rinas Augen einen Ausdruck von entsetzlichem Leid. Er sah das Flehen in diesen, die Bitte sie von dieser Grausamkeit zu erlösen. Seine Hände schlossen sich um den Dolch und er traf eine Entscheidung.
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Zitternd biss sich Sunny auf die Lippen. „Dämonen können Menschen in Monster verwandeln, doch es benötigt keinen Dämon, damit ein Mensch ein Monster ist. In diesem Verließ hatte an diesem Tag nur ein Monster gegeben, doch das war nicht meine Schwester gewesen."
Lucifer schlang die Arme enger um Sunshine. Er wusste, dass Sunny nicht den Erwachsenen meinte und das tat weh.
„In den darauffolgenden sechs Jahren hat er mich systematisch in eine Waffe verwandelt. Er tätowierte mir die Runen auf den Körper, zwang mich die Magie zu lernen. Wenn ich versagte, strafte er mich mit Peitschenhieben, bis mein Rücken aufgerissen war." Doch das war nicht das Schlimme gewesen, es war die Nachbehandlung gewesen. Er hatte Salz auf die Wunden gestreut, ein Schmerz der unvorstellbar gewesen war. Sunny hatte geschrien, bis ihm die Gnade der Bewusstlosigkeit gewährt worden war.
„Wieso bist du nicht geflohen?", fragte Lucifer.
Sunny lachte, doch es war keinerlei Freude darin. „Er hielt meine Geschwister als Geisel, drohte ihnen wehzutun, sie abzuschlachten. Ich war sein Meisterwerk und mit gerade einmal zehn war ich seine beste Tötungsmaschine."
Die ersten Worte hatten Zeit gebraucht, doch dann war es aus ihm herausgebrochen. Mit jedem Wort, das er aussprach, spürte er, wie es besser wurde. Er wusste nicht, ob er es jemals überwinden würde, doch es war ein Schritt – der erste, in die richtige Richtung. Dennoch fühlte er sich verletzlich, hatte seine hässliche Seite offenbart. Es war fast makaber. Er war bei unzähligen Psychologen gewesen, doch hatte geschwiegen. Ausgerechnet der König der Hölle hatte ihn zum Reden gebracht.
Lucifer hatte in seinem langen Leben viel Grausamkeit gesehen und erlebt, das musste er. Nichts davon hatte er an sich herangelassen, denn sonst würde er unter der Last zerbrechen. Doch Sunnys Schicksal ging tief und er spürte eine kalte Wut in seinem Innern. Stumm schwor er sich, diesen Menschen zu finden und grausam zu foltern.
„Als ich zwölf war, entdeckte die Gilde den Unterschlupf. Es hatten sich Gerüchte breitgemacht, also hatten sie ein Team dorthin geschickt." Es hatte sich herausgestellt, dass „Vater" Kinder in Rogues verwandelte und eines entkommen war.
Sunny konnte sich genau an diesen Tag erinnern. Es war dreizehn Tage nach seinem zwölften Geburtstag gewesen...
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Das war der erste Teil von Sunnys Vergangenheit.
Wie fühlt ihr euch?
Eure Mausegöttin
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