Paläste sind nicht für jedermann
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Ana verzieh ihm nicht. Aber falls sie jemals in ihrer Heimatwelt gekidnapt werden würde, könnte sie ihrem Entführer Tipps geben.
Sie saß neben Salem und gegenüber von Lucah in einem Planwagen, die Hände aneinander gebunden und die Füße an die Bank gefesselt. Keiner der anderen beiden Kerle war so verschnürt worden und sie spürte Salems mitleidige Blicke über den ganzen Weg in ihrem Nacken.
„Er traut dir wirklich kein Stück", bemerkte der Jägernovize, unbequem auf der Holzbank hin und her rutschend. Die Wagen holperte über einen losen Stein und alle drei stöhnten auf.
Das Schlimmste war: Ana konnte Adriel verstehen. Sie wusste, das es nicht sein Misstrauen war. Das er nicht glaubte, das sie den Verstand verloren hatte und für jeden eine Gefahr darstellte, der mir ihr reiste. Und sie wusste, das er wusste, das sie es aushalten konnte. Das die Fesseln nahe an alten hässlichen Erinnerungen waren, aber sie schon Schlimmeres ertragen hatte.
Nein. Was sie ärgerte war die Tatsache, dass er es zur Show machte, um seinen eigenen Plan durchziehen, der ihre Hilfe nicht beinhaltete. Wie sollte sie Kellen von Adriels Liebe für ihn überzeugen, wenn Adriel sie nach außen hin behandelte, als wäre sie Gefahrengut?
Das war Adriels Plan. Und sie ärgerte sich maßlos über ihn.
Seit sieben Tagen waren sie auf der Straße und selbst wenn sie nicht wie ein Geschenk verpackt gewesen wäre, hätten Ana inzwischen alle Muskeln weh getan. Just in dieser Sekunde wünschte sie sich sehnlich ihr Seelenband zurück. Sie knirschte mit den Zähnen. „In der Sekunde, in der er in meine Reichweite kommt, beiße ich ein Stück aus ihm heraus."
Lucah rollte mit den Augen, als wäre er von einer kleinen Katze angefaucht worden und lehnte sich zurück. Für einen Kerl, der seiner eigenen möglichen Hinrichtung entgegensah, war er beunruhigend entspannt. Er hatte einzelne Fragen gestellt, als Ana ihren Freunden von den Seelenweberinnen erzählt hatte, und sich danach auf gewohntes Schweigen verlegt.
Ana hätte ihm gerne noch mehr erzählt- seine Meinung gewusst. Hatte er von der Prophezeiung des zweiköpfigen Drachen gehört? Kannte er eine Form von Magie, die Walnüsse verschwinden ließ?
Salem teilte sein eisernes Nervenkostüm nicht, über das Rattern der Wagenräder und das Echo von dutzenden Hufeisen auf Stein, war er manchmal kaum zu hören.
„Ich bezweifle, dass er dann noch bereit wäre, unsere Plädoyer- das ist die Verteidigung- zu führen."
Ana wusste, was ein Plädoyer war. Aber es war sinnlos, Salems einzigen Wohlfühl-Moment zu zerstören. Das hieß, Salem war dagegen, dass sie Adriel umbrachte und damit ein Ticket nach Hause gewann? Sie hatte die Trennung ihres Seelenbandes und die Bedingungen der Seelenweberinnen aus ihrer Geschichte ausgelassen. Lucah war zwar das erste Mal interessiert gewesen, aber es war die falsche Art von Geschichte, die sie ihm erzählen wollte. Und Adriel hatte ihr kurz vor ihrer Abreise sowieso den Dolch und ihr Monokular weggenommen. Sehr zum Ärger von ihnen beiden.
„Und was schlägst du stattdessen vor?"
Salem sah hoch zu der braun bespannten Decke, die das Innere des Wagens in Zwielicht hüllte und zählte an den Fingern ab. Die Spannung in seinen Augenwinkeln machte der Aktivierung seines Verstandes Platz.
„Flucht. Logischerweise. Aber der Zeitpunkt ist kritisch. Idealerweise wartest du den gesamten Prozess ab, damit wir eine Chance haben. Aber du willst so schnell wie möglich reagieren, um irgendwie noch Mika'il einfangen."
Draußen riefen sich mehrere Männer etwas zu und der Wagen holperte erneut. Ana schloss die Augen.
„Ich wüsste nicht einmal, wo ich ihn suchen sollte."
Salem, bereits drei Finger in der Luft, hob den vierten.
"Mika'il braucht Dämonenblut, um in eine andere Welt zu reisen. Der für ihn offensichtlichste Partner wäre unser Orakel."
Ana schüttelte den Kopf und Salem senkte den Finger wieder.
„Die Weberinnen haben ihn auf die Suche nach Kaïa geschickt." Kaïa, die wusste, was die Prophezeiung des Drachen bedeutete. Die bei dem Treffen zwischen Mika'il und Adriels Vater dabei gewesen war.
Auch davon hatte Ana noch einem erzählt. Mika'il war vielleicht unschuldig. Er hatte den Usurpator zumindest nicht für die Rebellen umgebracht, sondern ihm helfen wollen.
„Ihr zwei redet, als wärt ihr nicht so gut wie tot." Lucahs Stimme ließ sie beide zusammenzucken. Er sah aus, als schliefe er, den Kopf zurück gegen die Planwand gelehnt und die Augen geschlossen. Er bewegte sich lediglich im schaukelnden Rhythmus des Wagens.
„Kein Grund zur Flucht, wenn Usurpator Kellen Galgen bauen lässt."
Sofort sank Salem wieder in sich zusammen, wie ein getretener Hund.
„Ana hat eine Chance. Der Usurpator kann kaum vor dem Volk verantworten, einen ausgerufenen Caraiden töten zu lassen."
Lucah öffnete ein Auge.
„Er hat Gabriel gehen lassen. Das ist gegen das Gesetz der Krone, egal wer sie im Augenblick trägt. Er ist genauso schuldig, wie wir."
Ana schluckte bitteren Geschmack herunter. Er hatte Gabby für sie gehen lassen. Weil sie Anas Leben beschützt hatte. Und er war vielleicht alles, was zwischen Salem, Lucah und deren Galgen stand.
„Adriel wird einen Weg finden." Sie wusste nicht, ob sie den Stallmeister ermutigen wollte, oder sich selbst. Aber merkwürdigerweise glaubte sie sich selbst. Weil es das war, was Adriel tat: Er entführte und er rettete. Nicht immer in der Reihenfolge.
Unter ihr quietschen die Radachsen. Der Stallmeister zuckte nur mit den Schultern und tat wieder so, als würde er schlafen. Salem starrte geradeaus, gefangen in einer Vision seiner eigenen Hinrichtung.
Für den Rest des Tages sagte keiner mehr was. Erst suchte Ana wie in den vergangenen Tagen nach einem Gegenstand, den sie durch ihre Konzentration verschwinden lassen wollte. Doch als dies durch ihre blanken Nerven unmöglich blieb, fummelte sie an einem der Knoten herum, die das Leinenverdeck des Wagens an den Holzseiten befestigte. Als sie ihn aufbekam, offenbarte sich ihr ein schmaler Spalt von rollenden verschneiten Wiesen. In diesem Augenblick vermisste sie ihr Monokular am meisten.
Ein großer Baum tauchte das Gras in Schatten. Zuerst kamen seine Äste ins Bild, dann sein Stamm und dann-...
Mit einem Keuchen ruckte Ana von dem Spalt zurück, die Augen riesig. Jemand hatte drei Jugendliche im Baum aufgeknüpft. Teure Kleidung und Schmuck noch an ihren grauen Körpern.
Salem sah sie an, die Frage deutlich in seinen Augen. Aber Ana war unfähig das Gesehene auch nur zu verarbeiten. Diese Teenager waren tot gewesen. Tot. Mit einem großen Schild über ihren Köpfen.
Ungeduldig schob Salem sie zur Seite, um ebenfalls hinaussehen zu können. Auch er gab einen schockierten Laut von sich und drehte sich zu Lucah um: „Die Rebellen haben Prinzen und Prinzessinnen da draußen als Warnung aufgehangen, die sie für unwürdig halten."
Ana lief eine Gänsehaut den Rücken hinunter und wenn sie nicht so festgekettet gewesen wäre, hätte sie sich gerne selbst umarmt. Das verbrannte Dorf. Tote Prinzen und Prinzessinnen. Das musste aufhören.
Lucah öffnete kein Auge. „Usurpator Kellen macht sich keine Freunde."
Für einige Herzschläge starrte Salem ihn mit offenem Mund einfach nur an. „Ich hatte keine Ahnung, dass es so weit zwischen den Parteien gekommen ist."
Ana traute sich nicht noch einmal hinaus zu blicken. Nicht diesen Tag und auch nicht den nächsten. Die Prinzen und Prinzessinnen waren kaum älter als sie gewesen. Mehr Kinder als Erwachsene. Sie dachte an das brennende Dorf zurück. Sämtliche Konzentrationsversuche auf Salems Schnürsenkel blieben daraufhin erfolglos.
„Das solltest du sehen", sagte Salem am darauffolgenden Tag und deutete mit dem Daumen auf die geschaffene Lücke in der Plane.
Umständlich drehte Ana sich auf der Bank zur Seite. Er hielt die Plane ein Stück zur Seite, damit sie nach vorne sehen konnte, wo die Hügel abfielen und sie mit der Sicht zwischen den Soldatenpferden hindurch auf goldene Dächer belohnt wurde.
Aufregung füllte ihre Hände mit Wärme und ihren Magen mit Eis.
„Ich kann den Palast sehen", flüsterte sie. Sie hatte noch nie einen Palast gesehen. Wenn sie noch ihr Monokular hätte...
Kellens Heim lag im nördlichen Westen, genau zwischen der Hauptstadt Sa'ib und der steilen Küste der riesigen Westbucht. Auf einem riesigen Thron aus grauem Stein, der sich im Licht der untergehenden Sonne warm verfärbte, erhob er sich hinter den Häusern, wie das Diadem des Landes.
Salem schob Ana zur Seite und verrenkte sich ähnlich umständlich, um ebenfalls einen weiteren Blick nach außen zu bekommen.
„Wir müssen westlicher gewesen sein, als ich berechnet hatte. Ich dachte wir hätte noch..." Er ließ den Satz unvollständig.
Ana, sicher, dass er den Palast schon einmal zuvor gesehen hatte, rempelte ihn mit der Schulter an und zwängte sich neben ihn vor den kleinen Schlitz.
Obwohl der Stein, auf dem der Palast gebaut war, kaum Platz für Bäume oder größere Pflanzen bot und er hier und da mit einzelnen Soldaten versetzt worden war, gipfelte der Berg in einem vollkommen Schneebedeckten Garten in mehreren Etagen.
Dazwischen lagen mehrere Haupthäuser aus einem ähnlichen Stein, die sich dicht aneinanderschmiegten und hoch in den Himmel erhoben, als griffen sie nach den Wolken. Ihre Höhe wuchs unregelmäßig stufenartig zur Mitte an, wo sich das Haupthaus befand. Direkt daneben befand ich ein einzelner runder Turm, der so hoch in den Himmel ragte, dass Ana glaubte er würde oben bereits in den Wolken verschwinden.
Die Kutsche fuhr über einen losen Stein und Anas und Salems Köpfe schlugen zusammen. Stöhnend richteten sich beide wieder auf.
Salem wurde noch blasser.
„Hast du die Leute auf der Straße hoch zum Schloss gesehen?"
Ana nickte. Es hatte nur eine Straße geben und die Leute waren wie die Ameisen durch das offene Tor geströmt.
„Das heißt, man erwartet uns."
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Salem und Lucah wurden zuerst aus dem Karren geholt. Der Soldat vermied jeden Blickkontakt zu Ana, als er sie losband und aus dem Wagen führte. Es war nicht Marteel, aber sie hatte ihn schon einige Male gesehen.
Ana rutschte ungeduldig auf ihrer schmalen Bank hin und her. Sie hörte Stimmen draußen, doch jedes Mal, wenn der Stoff des Karrens zurückgeschlagen wurde, blendete sie das Licht zu sehr, um hinauszusehen.
Beim dritten Mal kletterte Adriel anstatt des Soldaten in den Wagen.
Er hockte sich auf die Bank ihr gegenüber, wo bis vor einigen Augenblicken noch Lucah gewartet hatte und verschränkte die Oberarme vor seinem Oberkörper.
„Was muss ich machen, damit du uns dort drinnen nicht das Leben kosten wirst?"
Er sah müde aus. Und größer als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte.
Ana seufzte und hielt ihre gefesselten Hände in die Luft.
„Mich helfen lassen?" Es war nicht absurd. Sie hatte bisher fast ausschließlich Schwierigkeiten gemacht. Der Balancewillen war das Universum ihr etwas schuldig.
Adriels Mundwinkel zuckten. Er lehnte sich nach vorne, ihre Fesseln zu sich ziehend, um sie mit langen Fingern zu lösen.
„Ich lasse dich helfen und kann mir gleichzeitig für morgen früh einen Galgen neben Salem und Lucah aussuchen."
Draußen bellte ein Hund und jemand rief unverständliche Befehle. Kies knirschte unter Hufeisen, als jemand ein Pferd an ihrem Wagen vorbeiführte.
Der erste Knoten löste sich und Ana schüttelte mit einem erleichterten Seufzen ihre Handgelenke aus. Auffordernd streckte sie ihm ihre Füße entgegen, damit er die Fesseln dort gleich weiter lösen könnte.
„Du könntest Salem und Lucah gehen lassen."
Er griff ihre Wade und legte ihre Fersen auf sein Knie, um in Ruhe das Seil auseinander zu knoten. Ein leichter Wind drückte in den Wagen hinein und bewegte seine Haare.
„Dann darf ich morgen früh also alleine erhängt werden?"
Sein Sarkasmus war so trocken, dass Ana in einem schlechten Gewissen das Gesicht verzog. Sie stützte sich mit beiden Händen auf der Bank ab, um ihr Gleichgewicht zu behalten. Die Luft war erstaunlich warm für einen winterlichen Tag und sie hatte ihre Ärmel hochgekrempelt.
„Ich verstehe nicht, warum dein Bruder so entschlossen ist, dich tot zu sehen. Er ist motivierter als ich."
Adriel sah nicht einmal auf, vollkommen konzentriert auf den Knoten, den Ana mit ihren vielen Bewegungen während der Fahrt festgezogen hatte.
„Er fürchtet, dass ich den Thron doch zurückhaben möchte."
„Wegen der BurgerKing Bonuskarte, die er nicht zurückgeben will?"
„Weil er unserem Vater beweisen will, dass er doch zum Regieren fähig ist."
Ana schob die Augenbrauen zusammen.
„Aber euer Vater ist tot?"
Der Knoten löste sich zwischen Adriels Finger und er hob den Blick.
„Familie ist oft komplizierter als das."
Es juckte Ana in den Fingern, sie nach ihm auszustrecken, doch sie behielt sich im Griff.
„Versteh mich nicht falsch, aber ich bin als gescheitertes Experiment gezüchtet worden und meine Familie ist nicht so schwierig wie deine."
Jetzt war es an Adriel die Stirn zu runzeln. Für einen kurzen Moment lehnte er sich von ihr weg, um sie besser mustern zu können.
„Hast du mit der Nuss geübt, worum ich dich gebeten hatte?"
Die Frage kam so unvermittelt, dass Ana eine Sekunde brauchte, um sie wirklich zu hören.
"Du hast es gewusst!" Sie wusste nicht, warum sie so erleichtert klang.
Sie hatte geübt. Jede Nacht, seitdem sie diese hatte verschwinden lassen.
Inzwischen fehlte Salem wieder ein Glas aus seiner neuen Brille, mehrere Käfer hatten sich im Dunkel des Wagens in Luft aufgelöst und Lucah suchte seit zwei Tagen seinen Ring. Das war allerdings ein Versehen gewesen. Sie hatte eigentlich einen Faden aus seinem Hemd angestarrt.
Es war wie das Öffnen einer Schleuse gewesen- als hätte sie eine neue Bewegung verinnerlicht und ihr Körper erinnerte sich daran, ohne ihren Verstand zu benötigen.
Es klappte nicht immer. Aber immer öfter.
Statt einer Antwort fokussierte Ana sich auf den obersten Knopf von Adriels Hemd. Prägte sich die Musterung des Horns ein, die Färbung. Ließ ihre Gedanken zu einem Tunnel werden und dachte dann an einen vertrauten Raum in ihrem Zuhause.
Mit einem leisen Hauch verschwand der Knopf von Adriels Hemd und es fiel auf. Adriel zuckte nicht einmal. Er beobachtete Ana aus halbgeschlossenen Augen und sagte schließlich: „Du kannst mich also ausziehen. Nützlich."
Ana wurde sofort knallrot. Das war nicht, was sie beabsichtigt hatte! Sie hatte nur nichts anderes gefunden.
„I-Ich... also ich...", sie musste sich wegdrehen, um ihre Gedanken zu fokussieren, „Ich kann Sachen verschwinden lassen", sagte sie schließlich wenig hilfreich. Ihr Gesicht brannte.
Etwas Ähnliches zu Erheiterung begleitete Adriels Antwort.
„Das sehe ich."
„Das ist Magie oder?", die Worte stolperten ein wenig zu schnell von ihren Lippen. Sie hatte seit Wochen jemanden danach fragen wollen. Es jemandem zeigen. „Du hast gewusst, dass ich magisch bin, nicht wahr?"
Adriel musterte sie eingehend. Ana konnte es nicht beweisen, aber sie war sich ziemlich sicher, dass er sie immer ein wenig sanfter ansah, als den Rest der Welt. Als hätte sie ein klein wenig mehr Geduld verdient als alle anderen.
„Kannst du den Knopf auch zurückholen, oder trete ich meinem Bruder jetzt mit offenem Hemd gegenüber?"
Ana zog die Schultern hoch zu den Ohren und die Wärme über ihren Wangen breitete sich noch weiter aus.
„Vielleicht wenn wir ein paar Wochen hier drinnen bleiben..."
Dieses Mal lachte Adriel wirklich. Nur leise und kurz, aber es ermutigte Ana zumindest wieder in seine grobe Richtung zu blicken.
In seiner ausgestreckten Hand lag ihr Monokular. Glänzend und polierter als sie es jemals zuvor gesehen hatte. Immer noch alt- aber jemand hatte sich Mühe damit gegeben.
„Ich hoffe du verzeihst mir, dass ich es habe reparieren lassen."
Vorsichtig nahm Ana es wieder zu sich, doch das kleine Fernrohr hatte andere Pläne und fiel ihr förmlich entgegen. Sie musste es festhalten, damit es nicht ihren Ärmel hinunter in Sicherheit rollte.
„Es kann Erinnerungen anzeigen, aber es ist...", Adriel suchte für einen kurzen Moment das richtige Wort, „... schüchtern. Und es zeigt mir Magie in schillernden Farben an, was es bei Marteel nicht getan hat."
Oh nein. Es war schon wieder verliebt. Sofort wurde es warm und Ana ließ zu, dass es in ihrem Ärmel verschwand. Sie selbst versuchte das Brennen ihrer Wangen zu ignorieren und war dankbar, dass Adriel ihre Gefühle nicht mehr ganz so einfach lesen konnte. Ein verliebtes Monokular reichte ihr vollkommen. Und jetzt konnte es auch noch Erinnerungen zeigen.
Sofort kehrte sie zu dem ersten Mal zurück, als es ihr Erinnerungen gezeigt hatte. Sie schluckte trocken, aber die Sorge, dass sie vielleicht nie wieder die Gelegenheit haben würde, ließ sie trotzdem sprechen. Schnell und viel zu abrupt.
„Wer war Kaliah?"
Sie hatte die Frage nicht stellen wollen. Hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als so prompt das Lächeln aus Adriels Gesicht zu wischen. Aber die Worte waren raus und Ana konnte nichts weiter tun, als ihn hoffnungslos anzustarren.
Adriel sah sie nicht an. Er starrte auf seine Hände zwischen ihnen, wrang sie und sagte schließlich: „Eine Trägerin, die ich einst retten wollte." Nichts in seiner Stimme verriet, dass er etwas zu verbergen hatte, doch das ungute Gefühl in Anas Magen ließ sie nicht in Ruhe.
„Warum?" Sie wollte sich selbst ohrfeigen oder das seltsame Gefühl schütteln, das sie so neugierige Fragen stellen ließ. Warum hatte sie jahrelang von der Stadt geträumt, in der Kaliah wartete? Und warum hatte man sie verschwinden lassen?
Adriel sah aus dem Wagen hinaus, aber sein Blick verlor den Fokus. Hätten sie noch ihr Band gehabt, Ana wäre sich sicher gewesen, dass sie Trauer spürte. Verlust.
Reue füllte sie aus. Es ging sie nichts an. Keiner hatte bisher über Kaliah sprechen wollten, also warum sollte er? Betroffen nahm sie seine Hand. „Ich hätte nichts sagen sollen. Es tut mir lei-..."
„Sie war etwas Besonderes." Adriels Stimme kam von ganz weit entfernt. „Voller Leben. Voller Neugierde. Ich musste ihr jeden Monat neue Bücher nach Cerriv schicken. Über Nixen und Geister. Über die leuchtenden Pflanzen und Orakelsprüche. Sie sah alles mit ganz anderen Augen... sogar mich. Und ich wollte sie heiraten."
Es fühlte sich an wie der Aufprall auf dem kalten Poolwasser. Sie musste Mitleid mit seinem Verlust haben. Mitleid damit, dass Kaliah bei ihrem Verschwinden über ein Buch gebeugt gestanden hatte, das Adriel ihr zweifelsohne besorgt hatte. Ein Buch, das die Fragen des Mädchens bestätigt hatte und sie schließlich in eine andere Welt schickte.
Aber warum schmeckte dann das verlobt von allen Worten am bittersten? Warum erinnerte es sie daran, dass er so viel älter war als sie und vor ihr bereits ein ganzes Leben damit verbracht hatte, ein anderes Mädchen zu schützen?
Sie war nicht eifersüchtig. Sie war noch nie in ihrem Leben eifersüchtig auf ein anderes Paar gewesen.
Aber für einen winzig kleinen Moment dachte Ana, dass sie Kaliah nicht noch einmal in einer Erinnerung sehen wollte. Nur, um sich im nächsten Moment wirklich schlecht für einen derartigen Gedanken zu fühlen. Und so verpasste sie fast, wie Adriel aus dem Wagen sprang und ihr eine Hand reichte, um ihr herunterzuhelfen. Sie griff sie, mit der anderen sich gegen das viel hellere Licht abschirmend.
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"Voted für verliebte Monokulare" - Ana, hat alle Hände voll zu tun.
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