[ 14 ]
Der Wind schlug mit einem lauten Knall das Fenster im Wohnzimmer zu, sodass ich vor Schreck zusammenzuckte. Meine Fresse, dachte ich und zog das gerahmte Stück Glas wieder auf. Ich stellte eine vertrocknete Blume nahe an die Angeln, um ein erneutes Krachen zu verhindern. Obwohl ich die Blume nun mehrere Tage gegossen hatte, wollte sie einfach nicht wieder zum Leben erwachen. Damit hatte ich sowieso schon gerechnet.
Das Haus sah bei Weitem nicht mehr so schlimm aus, ich hatte die letzten Tage fleißig geputzt, jedoch wollte der modrige Geruch einfach nicht verschwinden. Immerhin roch es für ein bis zwei Stunden gut, wenn ich frisch gewaschene Wäsche aufgehängt hatte.
Ich nahm den Blumentopf von der Fensterbank und warf einen Blick in den Garten. Er würde wohl die größte Baustelle werden. Vor dem Haus hatte ich schon Unmengen an altem Laub beiseiteschaffen können, aber hier hinten sah es nicht ansatzweise so schön aus, wie meine Erinnerungen es hergaben.
Meine Mutter hatte mehrere Beete angelegt, wie mittlerweile von Unkraut überzogen waren. Damals blühte hier alles. Blumen, Flechten, Kräuter. Jetzt wucherten hier hässliche Brombeeren, grenzenloses Schilfgras und undefinierbares Gestrüpp. Der Rasen war über die Jahre auf einen Meter in die Höhe geschossen und lag unter seinem eigenen Gewicht platt in alle Richtungen. Ob die Handsense noch in Ordnung war? Mit einem Rasenmäher wusste ich nicht wirklich umzugehen.
Nachdem ich das Fenster geschlossen hatte, schlenderte ich mit der toten Pflanze nach draußen. Die Erde in dem Keramiktopf war so trocken, dass ich alles ohne Widerstand herausziehen konnte. Ich schmiss den Brocken in eines der Beete. Er fügte sich so perfekt in das Gesamtbild, als wäre er von allein dort hingekommen. Den Blumentopf stellte ich außen auf die Fensterbank des Wohnzimmers, so konnte ich ihn nachher noch reinholen, sollte ich ihn hier vergessen.
Ich zog die wackelige Tür des kleinen Geräteschuppens auf und warf einen prüfenden Blick ins Innere. Hektisch liefen mehrere große Spinnen hinter die Regale, die wohl seit Ewigkeiten hier hausten. Sofort juckte es mich und ich sträubte mich etwas, einzutreten.
Unter einer dicken Schicht aus Spinnenseide hing die lange Sense an der Wand. An der Klinge war noch immer der neongelbe Schnittschutz, den mein Vater jedes mal nach Benutzung wieder aufzog. Eine Ewigkeit lang beäugte ich das riesige Gerät von links, rechts, oben und unten, bis ich mir ganz sicher war, dass kein achtbeiniger Mietnomade auf dem Holzgriff saß. Endlich traute ich mich, die Sense von der Wandhalterung herunterzunehmen. Hastig stellte ich sie vor dem Schuppen wieder ab und ließ erneut prüfend meinen Blick darüber ziehen. „Da ist keine Spinne.", redete ich mir selbst mutig zu. Ich schnappte mir noch schnell das Paar Arbeitshandschuhe, welches auf der Werkbank lag. Ich ließ sie in das platte Gras fallen und versicherte mich auch hier, ob ein Spinnentier sich zwischen, auf oder unter ihnen verkrochen hatte.
Es kostete mich Überwindung, in die Handschuhe zu schlüpfen, doch dann fühlte ich mich endlich bereit, mit der eigentlichen Arbeit anzufangen. Ich erinnerte mich noch genau an die Erklärungen meines Vaters, wie ich die Sense halten und schwingen musste, um das lange Gras schneiden zu können. Zwar war eine Sense einem Rasenmäher technisch weit unterlegen, aber in diesem Fall war sie wesentlich effektiver. Sofern man alles halbwegs richtig machte.
Ich stellte mich an die Rasenkante, holte konzentriert aus und ließ das lange, scharfe Blatt durch die gelblichgrünen Halme fahren. Ein paar kurze Grasschnipsel flogen durch die Luft, dann hielt die Sense schlagartig an. Ich hatte die Spitze im Rasen versenkt. Geduldig zog ich die Schneide heraus, stellte mich erneut leicht breitbeinig hin und holte zum zweiten mal aus.
Mit einem kratzenden Geräusch trennte ich die erste Bahn des Rasens ab. Die langen Halme flogen ein Stück nach oben und reihten sich danach nebeneinander vor mir auf. Ich hatte den Dreh raus! Das kurze Gras vor meinen Füßen strahlte in einem satten Grün und ließ mich motiviert weitermachen. Je öfter ich ausholte, desto sicherer wurde ich in meinem Tun und schlug mich Bahn für Bahn weiter durch das faserige Ungetüm.
Der kühle Wind pustete den Schweiß auf meiner Stirn trocken, als ich eine Pause einlegte. Meine Arme taten von den anstrengenden Bewegungen weh. Ich hatte gut ein Viertel des Rasens gekürzt. Es war alles andere als gleichmäßig, aber ich hatte es immerhin selbst geschafft. Diese Tatsache machte mich mehr als stolz.
Ich machte noch eine gute halbe Stunde weiter, bis ich triefnass von meinem eigenen Schweiß war. Mein Oberteil klebte an mir und ich hielt dieses Gefühl einfach nicht weiter aus. Ich stellte die Sense zurück an den Schuppen und schob den neongelben Schnittschutz auf die Klinge. Genau wie mein Vater es früher immer getan hatte. Ich drehte mich noch einmal zu meinem Werk um und nickte ihm begeistert entgegen. Dann ging ich nach drinnen.
Ich zog mir eine Jogginghose und ein frisches Shirt an und warf meine Klamotten von eben in den geflochtenen Wäschekorb im Badezimmer. Ob ich nachher noch eine weitere Maschine anstellen sollte? Es gab eigentlich genug Sachen, die ich waschen konnte. Im Prinzip musste ich ja alles hier im Haus waschen. Ich sollte die Kissen vom Sofa nachher mal mit reinschmeißen.
Ich schlenderte in die Küche und nahm mir ein Glas Wasser. Als ich die Flüssigkeit meinen Hals hinunterlaufen ließ, fiel mir ein, dass ich nicht der Einzige sein dürfte, der durstig war. Mein Mitbewohner ein Stockwerk weiter unten hatte bestimmt auch einen ganz trockenen Hals. Ich griff nach einem zweiten Glas und ließ es volllaufen.
Wie lange war es her, dass ich bei ihm unten war? Ein paar Stunden wohl. Heute morgen wollte Eunji ja nichts von mir annehmen. Wie es jetzt wohl aussah? Ich schlenderte die Treppe hinab und horchte dabei aufmerksam, ob ich ein Geräusch von ihm vernehmen konnte. Ich hörte nichts. War das riesige Regal allein schon so ein guter Schallschutz oder war er einfach durchgehend still? Wie auch immer, ich würde definitiv noch irgendwas an den Wänden anbringen. Aber nicht mehr heute.
Ich schlüpfte in den Kellerraum und schaltete das Licht an. Eunjis Augen kämpften wild zwinkernd gegen die plötzliche Helligkeit, dann sah er mich erbost an. Er traute sich nicht, etwas zu sagen und irgendwie stimmte mich das freudig. „Na? Wie geht es meinem Gast?", fragte ich und er drehte seinen Kopf abwehrend zur Seite.
Ich trat näher an ihn heran. Seine Augen hatten eine rötliche Färbung, er schien geweint zu haben. Er kniff die dichten Augenbrauen zusammen, sodass sich zwischen ihnen eine tiefe Falte bildete. Seinen Körpergeruch konnte ich schon aus einiger Entfernung riechen. „Ich habe dir ein Glas Wasser mitgebracht.", strahlte ich ihn an. Anscheinend hatte er wirklich großen Durst, denn er sah nun doch zu mir.
Ich stellte mich dicht vor ihn und sagte: „Mach deinen Mund auf.". Er haderte mit sich, gab dann aber schnell nach. Ich setzte das Glas an seiner Unterlippe an und hob es vorsichtig nach und nach an. Gierig schluckte er den durchsichtigen Inhalt hinunter. Hätte ich ihn damit vergiften wollen, wäre es spielend leicht gewesen. Entweder war er absolut leichtsinnig oder es war ihm schlichtweg egal, wenn er einfach verrecken würde.
„Ich muss aufs Klo.", sagte er, nachdem ich das leere Glas von seinen Lippen entfernt hatte. „Ja, das musstest du anscheinend schon öfter.", sagte ich und deutete auf die antrocknende Pfütze unter ihm. Sein Kopf wurde hochrot. Kein Mensch wollte sich einnässen, sobald er einmal gelernt hatte, auf die Toilette zu gehen. Naja, zumindest die Meisten. Manch einer lebte einen Fetisch in diese Richtung aus, aber Eunji zählte wohl nicht dazu. Zumindest wäre das wohl auch kein Rahmen dafür, seinen Fetisch auszuleben.
„Machst du mich jetzt los, damit ich aufs Klo kann?", sagte er mit gebrochener Stimme. Ich lachte lauthals los: „Haha, du denkst wohl, ich bin bescheuert?! Nie im Leben würde ich dich losmachen, du Trottel!". Ich stellte das kleine gläserne Gefäß auf dem Tischchen ab und schnappte mir den Gartenschlauch. Damit spülte ich die Fliesen unter Eunji ab. Zwar hätte er es verdient, in seinem eigenen Gestank zu ersticken, aber ich wollte nicht den gesamten Keller ruinieren.
Nachdem ich den Schlauch wieder an die Seite geräumt hatte und die größte Menge an Wasser im Abfluss verschwunden war, sah Eunji mich mit noch roterem Gesicht an. „Ich muss... Wirklich aufs Klo.", presste er heraus. Endlich verstand ich, was er meinte. „Ah, ich hab's kapiert! Du musst also nicht nur pissen, stimmt's?", ich verschränkte die Arme vor der Brust. Ein gequältes „Ja!" wurde mir entgegengespuckt. Ich überlegte einen Moment, dann sagte ich gleichgültig: „Schade, da hättest du wohl den Familien- und Freundschaftstarif buchen müssen. Ist leider nicht drin.".
Wutentbrannt schrie er los: „Mach mich endlich los! Ich schwöre dir, wenn du mich nicht gleich gehen lässt, dann poliere ich dir so dermaßen deine Fresse-„, ich unterbrach ihn: „Und wie genau willst du das tun?". Sofort verstummte er. Ausdruckslos sah ich ihn an: „Weil ich nett bin, lasse ich dir das Licht an, damit du nicht im Dunklen in deine Klamotten scheißen musst. In einer halben Stunde bin ich wieder hier unten.".
„Du scheiß Perverser!", brüllte er und spuckte in meine Richtung. Ich lachte ihn an, als ich sah, dass die Hälfte seines Rotzes auf seinem Pullover kleben geblieben war. Mein Blick fiel mit einem mal auf seine Unterschenkel und ich erinnerte mich daran, was ich heute morgen getan hatte. „Ich komme nachher und bringe Verbände mit. Wir wollen ja nicht, dass sich deine Beine infizieren.", erklärte ich und verschwand durch die Tür. Ich musste wohl doch noch ein paar Sachen organisieren.
___________________________________________________________________________
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro