Schönheit
Es war Dienstag.
Das Gespräch mit Bennet hatte mich verwirrt, doch ich blieb dabei.
Ich würde diesem Arschloch gewaltig in den Hintern treten, sobald ich ihm gezeigt hatte, dass ich es schaffen konnte.
In mir sah er jetzt vielleicht nicht mehr als eine fette Raupe, die er leicht unter seinen Nikes zertreten konnte, aber schon in mehreren Wochen...
Naja, so hatte ich es mir jedenfalls gedacht.
Doch der Tag war für mich bereits am frühen Morgen gelaufen.
Der Coach hatte meine Eltern tatsächlich dazu überredet, dass ich nur noch beim Frühstück zuschlagen durfte.
Die restlichen Mahlzeiten wurden streng rationiert und ich wünschte, ich hätte einen besseren Stoffwechsel.
Außerdem hatte ich seit Tagen das Gefühl, dass unser Butler nur noch einen mitleidigen Blick für mich übrig hatte...
Ätzend.
Genervt fuhr ich zur Schule, saß meine paar Stunde Langeweile ab und fuhr erneut mit einem flauen Gefühl im Magen nach Hause.
Als ich den Eingangssaal betrat, hätte ich bereits kotzen können.
Dort stand er, das selbstgefällige Arschloch mit dem Pracht-Haar.
"Na, Fetti? Wie war die Schule?"
Es fühlte sich an wie ein Tritt in den Magen.
Ich versuchte, ihn nicht anzusehen und so schnell wie möglich zur Treppe zu eilen.
Doch bevor ich auch nur zwei Schritte an ihm vorbei gehen konnte, wurde ich am Griff meiner Tasche zurück gezogen.
"Was soll das?", rief ich empört.
Sein fester Blick ließ mich stocken.
Wir waren uns nah, zu nah.
"Nichts. Mir gefällt es nur nicht, ignoriert zu werden."
Und das glaubte ich ihm aufs Wort. Seine gesamte Erscheinung ließ mich vor Angst zittern, und dann dieser Blick...
Ich brachte keinen Ton über die Lippen, bis er mich endlich los ließ.
"Na los, geh dich umziehen. Wir haben 'ne Menge zu tun."
Ich verschwand schnell nach oben und schloss meine Zimmertür ab. Für alle Fälle.
Dann zog ich eine Jogginghose, ein weißes Sportshirt und meine Turnschuhe aus dem Schrank.
Heute stand nicht Laufen auf dem Plan, sondern etwas fast schon Schlimmeres: Fitnessstudio.
Mit großem Unbehagen kehrte ich in die Eingangshalle zurück, um einen genervten Coach vorzufinden.
"Du brauchst verdammt lange, weißt du das? Dein Körperfett scheint dir echt die Bewegungsfreiheit zu rauben."
Autsch, mein Herz.
Einfach ignorieren...
Ich versuchte, nicht allzu verletzt dreinzublicken, und das war alles andere als leicht.
Wie konnten das manche, die genervt oder sogar gemobbt wurden, den ganzen Tag lang durchhalten? Ich schaffte diese gleichgültige Miene kaum zwei Minuten lang.
Aber es wurde noch schlimmer als das.
Wir fuhren natürlich ausgerechnet zu dem Fitnessstudio, bei welchem sich das halbe Santa Monica Collage angemeldet hatte.
Heutzutage war es leider wichtiger, mehr Muskelmasse zu besitzen, als funktionelle Hirnmasse.
Ich hatte ja lieber was im Hirn, aber meine Meinung schien in dieser widerlich gefakten und unnatürlichen Welt ja keine Bedeutung zu haben.
Bereits im Wagen meines Trainers schlotterten mir die Knie und der Angstschweiß trat an Stellen aus, die ihr nicht wissen wollt.
Ich sah im Augenwinkel den abschätzigen Blick von Jones.
"Na, nervös?"
Ha, das willst du doch, Arschloch.
Um ihn vom Gegenteil zu überzeugen streckte ich die Brüste raus, Nase hoch, Schultern zurück. Und jetzt noch ein annähernd gelassenes Lächeln.
"Warum sollte ich?"
Ich fühlte mich unglaublich stolz, weil ich glaubte, ihm die Stirn geboten zu haben.
Tja, Wirkung verfehlt.
"Komisch. Du siehst nämlich aus wie 'ne Kuh bei Gewitter."
Und BAM, sein unwiderstehliches Lächeln.
Wie ich diesen Typen hasse!
Jones stieg aus und ich hatte keine andere Wahl, außer ihm zu folgen. Dann ging es direkt in den Tempel der heutigen Schönheit und Oberflächlichkeit.
Wie erwartet wurde ich bereits in der Eingangshalle dumm angestarrt. Neben dem Tresen stand ein junges Pärchen, welches mich ansah, als wäre ich geisteskrank.
Ich glaube, sie wussten nicht, dass so ein Blick jemanden nicht zum Sport machen motiviert, sondern eher dazu, schreiend davon zu rennen und für immer fett zu bleiben.
Mr. Arrogant meldete uns an und spielte gegenüber der Dame hinter dem Tresen ganz den Charmanten. Wäre er immer so zu mir, würde ich ihn mir ganz schnell unter den Nagel reißen...
Aber da ich seinen furchtbaren Charakter bereits erlebt hatte, konnte ich gut auf sein hervorragendes Äußeres verzichten.
Wir gingen eine Treppe hoch und verstauten unseren Kram in Spinden. In getrennten, versteht sich.
Und dann bekam ich Angst.
Wir traten in den Raum, und überall um mich herum waren plötzlich mutierte Teenager-Wesen mit überdimensionalen Muskeln und einem frechen Grinsen im Gesicht.
Es waren auch Mädchen da, die ihre Rundungen mit extra enger Sportkleidung betonten.
Anscheinend war es 80 Prozent der Personen hier wichtiger, gut auszusehen, als für die Schule zu lernen.
Keine Ahnung wieso, aber dieses Bild schockierte mich so sehr, dass ich mich glatt hinter dem breiten Kreuz meines Coaches versteckte.
Verwundert sah er zu mir herunter.
"Was ist denn jetzt wieder?"
Ich musste schlucken, wich seinem Blick aber nicht aus.
"Ach...Nichts. Hab nur noch nie so ein großes Studio von innen gesehen."
Geil, jetzt hast du ihm auch noch in die Hände gespielt.
Grinsend zog mich Jones am Ärmel neben sich.
"Das ist wirklich keine Überraschung für mich, Fetti."
Frustiert biss ich mir auf die Lippe.
Wenigstens kann ich ohne die Menge Testosteron noch klar denken, Großarsch!
Den Kommentar schluckte ich lieber.
Wie Bennet es gesagt hatte, versuchte ich, diese brennende Wut in meinem Inneren aufzubewahren, zu verschließen, um sie im richtigen Moment (bei den Hölleinstrumenten der Fitness) wieder freizulassen.
Trotzdem warf ich dem Teufel noch einen höllischen Blick zu, doch seine Augen wanderten einfach durch den Raum.
Seltsamerweise blieb sein Blick nicht ein einziges Mal an einer hübschen Dame mit großen Brüsten und Sixpack hängen, die es hier allerdings zur Genüge gäbe.
Zum ersten Mal dachte ich wahrhaftig über diesen fiesen Mann nach:
Hatte er womöglich eine Frau? Kinder?
Das wäre furchtbar...die armen Kinder!
Allerdings wären die alle total bildhübsch und trainiert, also seinem Ideal entsprechend.
Er behandelte mich ja nur so, weil ich eben nicht in seine wunderschöne, braungebrannte Welt passte.
Hey, vielleicht waren seine Ansichten ja gar nicht so falsch. Vielleicht mochte er einfach nur muskelbepackte Menschen, weil er es eben schön und attraktiv fand. Und wenn es so war, hatte ich das eigentlich zu akzeptieren, denn ich hatte nicht das Recht, in seine Vorstellungen und seine Bedeutung der Schönheit reinzuquatschen, nur weil ich anderer Meinung war als er.
Das wäre ja sonst vollkommen intolerant.
"Jetzt mach doch mal, Fettklops! Oder muss ich dich durch die ganze Halle rollen?"
Akasjhdbek!!!
Einatmen, ausatmen, runterschlucken.
Ging doch ganz gut!
Ich folgte dem Mistkerl durch die ganzen Menschen, die mich ansahen wie einen Zombie, bis wir endlich in einem Raum ankamen, der kleiner und auch weniger gefüllt war.
Okay, Korrigierung, außer uns war niemand hier.
"Äh... Ist das hier ein privater Raum?", fragte ich verwundert.
Jones schloss die Tür und ging zu einem Haken, der an der Wand befestigt war.
Dann öffnete er den Reißverschluss seiner Sportjacke und ließ sie an seinen Schultern heruntergleiten.
Was sich mir nun bot, war die pure Hotness.
Damn!
Egal, was ich jemals Abstoßendes über ihn gedacht hatte, mein Kopf war wie benebelt von seinen trainierten Oberarmen.
Sie waren nicht so übertrieben ausgeprägt wie bei manchen Sportlern, aber trotzdem der Hammer.
Ich spürte die Hitze in mir aufkommen, was ich einfach meinen Hormonen zuschrieb.
Ich traute mich weder, ihn anzusehen, noch, meinen Blick von ihm zu wenden.
Oh nein, hoffentlich stellt er nicht diese total klischeehafte Frage...
"Na, gefällt dir, was du siehst?"
Oh man, ich wusste es.
Mit feurigen Wangen zwang ich mich dazu, meinen Blick woanders hinzulenken.
"Also...wollten wir nicht Sport machen?", fragte ich kleinlaut, weil ich wusste, dass er wusste, dass ich nur ablenken wollte.
Ein kehliges Lachen ging durch den Raum, und überraschenderweise klang keine Gehässigkeit mit.
Vorsichtig hob ich meinen Kopf und beobachtete, wie Jones seine Arme über dem Kopf verknotete, um sich zu dehnen.
"Hör mal, ich weiß genau, was du gerade denkst. Mir haben schon viele Frauen gesagt, wie sie mich finden. Das ist schließlich auch offensichtlich."
Wow. Ob ihm wohl auch schonmal jemand gesagt hatte, dass sein Ego so groß wie ein Elefantenarsch ist und das unmöglich gesund sein kann?
Wohl eher nicht.
Ich verschränkte trotzig die schwabbelnden Arme vor der Brust und bedachte ihn mit einem vielsagenden Blick.
Grinsend machte er mir diese Geste nach.
"Was ist? Findest du mich etwa nicht unwiderstehlich und attraktiv?"
Ich zog scharf die Luft ein. Natürlich war das der Fall. Er war wie aus einem Model-Katalog entsprungen, doch wenn ich das zugeben würde, dann wäre ich meinen letzten Rest Würde auch noch los.
"Es gibt viele Adjektive, die mir zu Ihnen einfallen. Aber attraktiv und unwiderstehlich sind wirklich nicht die ersten Worte, die mir in den Sinn kommen."
Yes, eins zu null für moi.
Doch sein breites Grinsen schwoll nur an, als hätte er den Sieg bereits in der Tasche.
"Das kann ich mir denken. Aber damit gibst du zu, dass die beiden Worte trotzdem irgendwann kommen, stimmt's?"
Ich versuchte meine Scham so gut es ging zu verbergen, doch ich fühlte mich bereits komplett bloßgestellt.
Warum war dieser Typ nur so egozentrisch und selbstverliebt?
Lange würde ich das sicher nicht mehr aushalten können.
Doch langsam schien sein Interesse daran, mich zu nerven, zu verschwinden.
Der Coach ging zu einem der Fitnessinstrumente.
"Na los, wir haben schon genug Zeit verschwendet.", raunte er.
"Heute sollen noch ordentlich die Speckröllchen schwitzen."
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