Meine Nerven
Wie ein wild gewordener Tiger (nur etwas breiter) stampfte ich durch mein Zimmer und raufte mir das Haar.
Das konnte doch absolut nicht wahr sein! Nachdem ich das Wohnzimmer verlassen hatte, musste ich zuallererst nach den versteckten Kameras suchen.
Ich hatte keine gefunden.
Verärgert über seinen verächtlichen, herablassenden Blick stempelte ich Andrew Jones bereits als Unmensch und Parasit der Gesellschaft ab.
Wegen solchen dämlichen Typen starben arme Mädchen an einer Überdosis Diätpillen oder verhungerten lieber, als fülliger zu sein.
Aber nicht mit mir. Wenn er es wagen sollte, meine Essensrationen zu kürzen, würde ich ihn mit meinen fetten Armen erschlagen.
Ganz ehrlich: Ich mochte mich so, wie ich war.
Ich hatte schon längst mein Äußeres akzeptiert und war zu dem Schluss gekommen, dass ich es einfach nicht fertig brachte, etwas an meinem Gewicht zu ändern. Ich aß nunmal viel und machte außerhalb der Schule keinen Sport, wie sollte ich da von allein abnehmen?
Genervt faltete ich den Zettel auf, den mir meine Mutter vorhin durch den Türschlitz geschoben hatte.
Es war genau das, was ich erwartet hatte...das Grauen.
Oder genau genommen der Trainings-Plan, den Jones wohl bereits für mich entwickelt hatte.
Ich war zwar kein Pro in sowas, doch beratschlagte man sich nicht mit der Zielperson, bevor man so etwas entwarf?
Die ersten paar Zeilen waren eine handgeschriebene Notiz des Ekels persönlich.
Mein Herz klopfte laut vor Aufregung.
Liebe Rosanna, ich hoffe (und deine Eltern übrigens auch), dass wir uns in den nächsten Monaten gut verstehen werden ;).
Doch ich werde es dir gleich klarmachen: solltest du es wagen, deine Kooperation zu verweigern oder einen auf trotzig oder so'n Scheiß zu machen, werde ich mir härtere und hässlichere Maßnahmen für dich ausdenken müssen. Falls du das als Drohung verstehst, hast du es genau erfasst.
Ich denke, wir verstehen uns, Fetti.
Bis demnächst, Andrew Jones.
Was für ein widerliches Arschloch!
War das etwa einer seiner Motivationsgrüße? Wenn ja, fragte ich mich, wie er zum beruflichen Trainer werden konnte, mit so einem schlechten humanen Umgang.
Okay, human war bei dem Kerl nicht vorhanden.
Vielleicht ein Alien...welches mich trainieren wollte?
Ha, du bist zu paranoid, Rosie. Als ob man ein Alien sein muss, um einen beschissenen Charakter zu haben...
Was auch immer.
Ich las mir noch die gesamten Trainingseinheiten durch und glaubt mir, wenn ich sage, dass ich danach liebend gern mein gesamtes Essen ausgekotzt hätte, nur um mich danach aus Frust wieder vollzustopfen.
Ich erfand so gesehen eine neue Art von Bulimie.
Der Rest des Tages verlief nicht wirklich spannend.
Ich machte Hausaufgaben, duschte meine füllige Masse und musste ab und zu an die stechenden Augen des Mannes denken, der mich dünner machen sollte.
Am nächsten Morgen wurde mir mein Todesdatum genannt. Okay, besser gesagt der erste Termin mit dem Vollidioten.
Es sollte schon nächste Woche Montag losgehen, und ich konnte mich schon beinahe glücklich schätzen, dass ich von meinen Eltern eine Vorbereitungszeit bekam.
Und tatsächlich nutzte ich diese letzte Woche in Freiheit, als wäre es die letzte meines Lebens.
Bennet, Kate und Gracie würde ich wohl so schnell nicht wiedersehen, jedenfalls nach der Schule nicht.
Der Plan für das Training war nämlich für jeden einzelnen Wochentag ausgearbeitet.
Halleluja.
Und plötzlich war es schon so weit. Der Montag kam viel zu schnell, das tat er aber irgendwie immer...
"Rosanna, beeile dich doch! Andrew wird gleich eintreffen.", rief meine Mutter aus der unteren Etage zu mir herauf.
Gehetzt trampelte ich durch mein Zimmer und suchte verzweifelt nach Klamotten, in denen ich nicht allzu fett aussah.
Klar, ich hatte gesagt, ich mochte mein Aussehen, bla bla bla...
Aber irgendwie machte mich der Parasit mit den stechenden Augen nervös.
Auch wenn ich mich nicht von seiner Meinung einschüchtern lassen sollte, er hatte so eine autoritäre und...mächtige Ausstrahlung, der man ungern widersprechen wollte.
Genervt zwängte ich mich letztendlich in ein schwarzes Shirt und eine lockere Jogginghose.
Was soll's... Ist ja nicht so, als würde ich ihm gefallen wollen...
Genau! Der Typ konnte mich mal!!
Ich stürmte die Treppen herunter und kam mit Schweiß auf der Stirn in der Küche zum Stehen.
Wie erwartet stand er bereits neben meiner Mutter und sah mehr als gut aus.
Jones trug ein eng anliegendes Shirt, welches seine Muskeln an Brust und Schultern betonte.
Seine Haare wirkten zerzaust und gaben ihm einen jungen, lässigen Charme.
Ich musste aufpassen, nicht zu sabbern. Diese Genugtuung wollte ich so einem blöden Idioten nunmal nicht geben.
Als er mich sah, musterte er mich erst von Kopf bis Fuß, wodurch ich mich direkt unwohl fühlte, um dann diabolisch zu grinsen.
"Na sieh mal einer an. Da ist sie ja schon. Ich dachte schon, du würdest dich verkriechen, nachdem du dir den Plan durchgelesen hast." Ein arrogantes Grinsen zierte sein reizendes Gesicht.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust, eine abweisende Haltung müsste ihm ja schon alles sagen.
Ich sah meiner Mutter in die Augen und konnte es kaum fassen.
Es konnte gar nicht anders sein: der widerliche Schwachmat hatte meine Mutter eingelullt.
Naja, es war ja nicht so, dass sie jemals auf meiner Seite gewesen wäre...
Dem Muskelprotz schien die Stimmung gar nicht zu gefallen, denn er wandte sich nun an meine Mutter.
"Also gut, Mrs. Jordan. Wir werden ungefähr drei Stunden unterwegs sein. Keine Sorge..."
Sein Blick traf erneut meinen und war noch fieser als zuvor.
"...Ich werde mich gut um Ihre Tochter kümmern."
Ich schluckte.
Kam nur mir das wie eine Drohung vor?
Mom war begeistert von seiner Art, die er anscheinend überzeugend genug gespielt hatte, und entließ uns.
Kaum standen wir in unserer Einfahrt, verschwand das nette Lächeln von seinem Gesicht.
Oh man...
"Also gut, Fettklops.", raunte er plötzlich, und sofort zog sich mein Magen zusammen.
"Ich hoffe für dich, du weißt, was dir ab heute bevor steht. Sport, noch mehr Sport und, was fast noch wichtiger ist, eine gesunde Ernährung. Gehört das Wort gesund überhaupt zu deinem Wortschatz?"
Geschockt und zutiefst gedemütigt senkte ich den Blick.
Wie konnte er mich nur so herunter putzen, und das am ersten Tag? War er wirklich der Meinung, so etwas würde mich motivieren können?
Da hatte er sich aber geschnitten.
Das Gefühl der Erniedrigung wich schnell unbendigender Wut.
Ich hob den Kopf und funkelte ihn wütend an.
"Was zur Hölle ist Ihr verdammtes Problem, huh?", zischte ich aus zusammengebissenen Zähnen hervor.
Zuerst schien er überrascht, doch der darauf folgende Blick ließ mich erzittern.
In seinen Augen stand die pure Verachtung geschrieben.
"Du willst wissen, was mein Problem ist? Ich sage es dir."
Er kam wie ein Raubtier, das seine Beute fressen wollte, auf mich zu.
Wenige Zentimeter trennten unsere Gesichter.
"Menschen wie du sind mein Problem. Ganz einfach."
Dann drehte er sich um, streckte sich und winkte mit dem Arm.
"Und jetzt komm. Ich verschwende meine wertvolle Zeit nicht für sinnlose Gespräche. Jetzt wird gejoggt."
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