Kapitel 93
Dieses Mal gibt es keine Wölkchen, die meinen Verstand einlullen oder ein tiefes, schwarzes Meer, dessen Oberfläche ich erreichen möchte, da ist einfach nur Leere. Ein in Dunkelheit gehülltes Nichts, in dem ich als Person nur als kurzweilige Besucherin existiere. Denn nach einer gewissen Zeit, die wenige Sekunden oder auch ein Jahr messen könnte, gibt es da plötzlich noch etwas anderes außer Stille und Schwärze. Zunächst ist es nur ein sanftes Pochen in weiter Ferne, dem ich zunächst einmal keine Beachtung schenke, doch schnell schwillt dieses Gefühl zu einer präsenter werdenden Plage an. Nun durchzuckt mich ein stetiger Schmerz, der gleichzeitig überall und nirgendwo ist.
Denn noch immer scheint es so als hätte mein Geist keinerlei Verbindung zu meinem Körper. So als würde ich als formlose Gestalt irgendwo im weiten, kalten Universum schweben. Oder jedenfalls war das meine Vorstellung, bevor sich nicht nur dieser unbekannte Schmerz in meine Welt quetschte, sondern auch ein Ziepen. Es gibt vermutlich keine bessere Art dieses Gefühl zu beschreiben als ein leichtes Reißen an einer Hundeleine, das einen aus unerklärlichen Gründen nach unten zieht. Immer weiter, aber nie in großen ruckartigen Bewegungen, sondern in kleinen sachten, die ebenso regelmäßig sind wie der pochende Schmerz, den ich mittlerweile als Kopfweh identifizieren kann.
Und obwohl ich nun um eine Information schlauer bin, fühlt sich mein Verstand immer noch wie leergefegt an, so als ob man sämtliche Gedanken, Sorgen und Gefühle mit einer Hand gepackt und mit samt der Wurzel aus meinem Gehirn entfernt hätte. Auch mein Körper ist immer noch ein entferntes Mysterium, das kaum Lebenszeichen sendet. Doch das ändert sich leider in dem Moment als das Herrchen der Leine sich dazu entscheidet, dass es für den verbleibenden Weg nach unten mehrere kleine Stufen zu einem riesigen Sprung verbinden möchte.
Mit einem Mal rieselt alles auf mich ein und es fühlt sich wirklich so an, als wäre ich mit vollem Karacho in meinen Körper gesprungen, denn dieser überschüttet mich erst einmal mit Schmerzsignalen. Mit meinen pochenden Kopfschmerzen bin ich ja bereits vertraut, aber ich wusste nicht, dass mich nach meinem Schlag auf meine Schädeldecke auch noch ein Bus überfahren hat... Für einen Augenblick höre ich auf zu atmen und auch mein Herz scheint einen Schlag auszusetzen.
Schlag auf die Schädeldecke, schreien alle Stimmen gleichzeitig in meinem Kopf und obwohl ich eigentlich überrumpelt die Augen aufreißen wollte, stelle ich sogleich fest, dass sich meine Lider noch nicht dazu bereit fühlen, dieser Aufgabe nachzugehen. Also harre ich weiter in meiner Blindheit aus, während mich meine gesamte Gefühlswelt zu überspülen scheint. Für einen Augenblick zucken meine Gedanken zu meinen letzten Erinnerungen, bevor ich mit größter Wahrscheinlichkeit K.O gegangen bin, doch dann werden diese auch schon von einer alles zerstörenden Angst verschluckt.
Ist das Massenmassaker schon vorbei? Sind meine Freunde tot? Habe ich die letzte Chance auf Rettung an einen Maulwurf innerhalb des Kerkers verloren? Sofort geht mein Atem schneller und all die Gedanken, die mich sonst noch beschäftigen verschwimmen zu einer unklaren Masse, während meine Schuldgefühle das Zepter an sich reißen. Du hast es vermasselt. Vermasselt. Vermasselt. Meine inneren Stimmen erheben sich zu einem schrecklichen Chor und jedes einzelne Echo trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube. Warum habe ich nicht gleich den Plan B gewählt? Ich hätte meine Entscheidung verdammt nochmal nicht aufgrund von Vertrauensbeweisen und meinen eigenen, selbstsüchtigen Wünschen treffen sollen!
Wie von selbst erscheinen die toten Gesichter von meinen Freunden in meinem Kopf. Cassie liegt auf dem eleganten Marmorboden, der jetzt von einer großen Blutlache verunziert wird. Ihre grünen, einst so energiegeladenen Augen starren leblos an die Decke und ihre braunen Locken sind nun an einer Stelle rot verfärbt. Gleich daneben liegt Macen mit aufgerissenem Mund und vor Qual verzerrter Miene. Sein Körper liegt in einem seltsamen verdrehten Winkel vor meinen Füßen und ich glaube ein paar hervorstehende Knochen ausmachen zu können. Zudem steckt ein Dolch seitlich in seinem Hals und lässt ihn wirken wie das aufgespießte Hauptgericht eines Menschenfressers. Und als ich meinen Blick weiterschweifen lasse, entdecke ich auch Cameron – oder zumindest den größten Teil von ihm. Von seinem Kopf mit seinem wilden, unordentlichen Haarschopf fehlt nämlich jede Spur, doch ansonsten scheint noch alles vorhanden zu sein. Einen Arm hat er weit ausgestreckt als ob er etwas erreichen wollte und es dauert nur wenige Sekunden bis mich das Gesamtbild der Drei zu einer Korrektur meiner Vermutung bringt. Nicht etwas, sondern jemand, denke ich, während sich meine Augen an den wenigen Zentimetern festnageln, die Macens Hand von dem seines Geliebten trennen.
Auf einmal habe ich große Lust mir mein Gesicht zu zerkratzen, doch irgendetwas stimmt mit meinen Händen nicht, denn ich kann sie nicht einmal in die Nähe meiner Wangen heben. Ruckartig flaut meine Panik ab, als hätte ich einfach nur einen Knopf zu betätigen brauchen, um mich aus einem weiteren meiner Verzweiflungsstrudel herauszuwinden. Denn plötzlich hat nicht mehr meine Emotionswelt die Vorherrschaft, sondern mein messerscharfer Verstand, der sich auf diese kleine Information stürzt wie ein verhungernder Löwe auf eine Antilope. Es ist fast so als ob ich unwissentlich eine Art mentale Rettungsleine freigelegt hätte, die mich vor einem weiteren Kopfsprung in ein Netz aus Reue bewahrt. Und genau deshalb klammere ich mich sofort mit all meiner Kraft daran fest und beginne mit einer Analyse der Situation.
Zuerst einmal versuche ich weiterhin meine Hände zu bewegen und stelle dabei fest, dass alles unterhalb des Handgelenks voll funktionstüchtig ist. Meine Finger lassen sich mit Leichtigkeit bewegen, doch sobald ich meine Hand nach rechts, links oder nach oben gleiten lassen möchte, wird die Bewegung auf magische Weise gestoppt. Ich bezweifle jedoch, dass mich ein paar Feen gekidnappt und anschließend in einen Kokon aus undurchdringlichem Sternenstaub gehüllt haben. Denn die kalte, feste Masse mit der ich bei jedem Bewegungsversuch in Berührung komme sprechen ganz klar für Metallfesseln.
Und jetzt, da mein Gefühl für meinen Körper sowie mein Verstand langsam aber sicher wieder auftauen, wird mir auch klar, dass ich auf einem Stuhl sitzen muss. Zudem sind nicht nur meine Handgelenke mit einem Teil des Stuhls verbunden, sondern auch meine Fußknöchel und der Grund für meine fehlende Sicht sind auch keine müden Lider. Jemand muss mir eine Augenbinde umgebunden haben, denn jetzt da ich mich bewusst darauf konzentriere spüre ich ganz klar einen rauen Stoff auf meiner Haut und eine leichte Spannung genau im selben Bereich.
Mein Verstand arbeitet auf Hochtouren und legt sich mehrere Theorien zu Recht wo und warum ich hier bin, aber ohne einen Blick auf meine Umgebung ,kann ich mir unmöglich sicher sein. Also kanalisiere ich meine anderen Sinne und lege kurz darauf eine Liste an Infos zusammen. Geruch? Undefinierbar. Für die muffige Luft in den Kerkern aber viel zu frisch. Geschmack? Tja, da ich nicht auf Grund von einem Betäubungsmittel bewusstlos geworden bin, ist das wohl kaum relevant. Aber im Moment bin ich einfach heilfroh, dass ich nicht den Geschmack von Stoff und die Fülle eines Knebels wahrnehme.
Geräusche? Kurz lege ich den Kopf schräg, so als ob ich dadurch wie ein bescheuerter Vampir einen Superhörsinn aktivieren könnte, doch mir bleibt nur die Leistungskraft meiner normalen, menschlichen Ohren, die irgendetwas zwischen gänzlicher Stille und geschäftiger Ruhe empfangen. Stimmen kann ich jedenfalls keine hören, aber ab und zu vernehme ich ein metallisches Klirren, das vielleicht von dem Hantieren mit anderen Fesseln stammt. Darunter mischt sich immer wieder das Geräusch von Schritten, doch es scheinen nicht immer dieselben zu sein und auch die Zeit variiert stark. Manchmal ist es ein kurzes Tap Tap Tap, ein anderes Mal dauern die aufeinanderfolgenden Schritte länger an und werden irgendwann zu einem leisen Hintergrundgeräusch. Aber was wirklich interessant ist, sind die seltenen Knarz-Töne, denn diese könnten von anderen Menschen zeugen, die ebenfalls an einen Stuhl gefesselt in diesem Raum ausharren.
Für einen Moment gewähre ich mir, dass Hoffnung in mir aufsteigt. Vielleicht ist es noch nicht zu spät und ich kann sie alle noch retten, schießt es mir durch den Kopf und der Lichtblick erleuchtet meine dunklen Hirnsphären wie ein gleißender Blitz. Doch ebenso schnell wie mein mentales Naturphänomen durch meine Nervenbahnen geschossen ist, ist es auch wieder weg, denn die wenigen Informationen, die ich sammeln konnte reichen einfach nicht für eine klare Diagnose. Immerhin könnte es sich bei den Knarz-Tönen auch einfach um lose Bodendielen oder eine altersschwache Tür handeln. Und nur weil ich unbedingt möchte, dass wir alle noch eine Chance auf Rettung haben, muss das nicht automatisch heißen, dass dies auch wirklich der Fall ist.
Auf der anderen Seite... Wäre es nicht gegen jedes ihrer Prinzipien mich am Leben zu lassen? Oder hat Daimon vielleicht einen Deal ausgehandelt, damit die Koslower mein Leben verschonen? Möglichweise haben sie aber auch, trotz des Blutes an meiner Eiswaffe, erkannt, wobei es sich dabei handelt und mich deshalb am Leben gelassen. Ich kann mich nämlich nicht daran erinnern, meinen Dolch vor meiner Bewusstlosigkeit weggezaubert zu haben, weshalb ich das jetzt sofort nachhole. Es ist zwar ein Risiko, weil ich nicht weiß, ob jemand ihr Verschwinden mit eigenen Augen mitansieht, aber es ist besser als irgendwann unter den Auswirkungen der Trennung zu leiden. Einen Aufschluss auf das Warum gibt mir die Lösung dieses Problems aber trotzdem nicht. Es ist unmöglich zu sagen, ob das Massenmassaker bereits vorbei ist oder ob sie noch mitten in den Vorbereitungen dafür stecken.
Die eigentliche Frage ist nur, was meine nächsten Schritte sind. Anders als bei der kompakten Stahltür sollte ich nämlich in der Lage sein meine Fesseln durchzuschmelzen. Zum einen ist die Fläche nämlich um ein vielfaches kleiner und zum anderen müsste es auch weniger dick sein. Trotzdem werde ich eine Weile dafür brauchen, da meine Feuerkraft nun mal keine alles durchdringende Laserschusswaffe ist. Doch so lange ich diese bescheuerte Augenbinde trage ist es wohl besser einfach abzuwarten. Schließlich kann ich nicht riskieren, dass mir irgendjemand dabei zuschaut wie ich meine Fesseln drangsaliere. Ich denke zwar nicht, dass dieser Akt allzu auffällig ist, doch falls mich jemand stetig beobachtet, würde es nicht nur auffallen, sondern vielleicht auch eine weitere Reise in die Dunkelheit nach sich ziehen.
Oder jedenfalls scheint mir das, die nachvollziehbarste Reaktion auf eine ,,Feuermagierin" zu sein. Und ja, vielleicht zieht gerade ein äußerst komischer Film an meinem inneren Auge vorbei, in dem einer der Koslower meine Fähigkeiten entdeckt und mich kurz darauf mit einem ,,Ahhh! Hexe!" mit einem weiteren Schlag auf den Kopf Schachmatt setzt. Dabei scheint sich mein Hirn aber nicht einig zu werden, ob sie dem hysterischen Mann lieber ein Brett oder einen dicken, fetten Hardcoverschinken in die Hand drücken soll, denn das Bild wechselt beinahe sekündlich. Ich persönlich bin ja ein Fan von der zweiten Idee, vor allem wenn ich mir vorstelle, dass mich dieser Wachmann mit Lesebrille und einem Kitschroman in der Hand bewacht.
Oh man, ich verliere hier noch den Verstand, denke ich und verdrehe unter der Binde die Augen. Denn wenn ich derartige humorvolle Vorstellungen aus dem hintersten Eck meines Verstandes krame, kann das nur bedeuten, dass ich kurz davor bin vollkommen am Rad zu drehen, weil mich eine Situation überfordert. Tja, und das ist nun mal leider gerade der Fall. Denn noch schlimmer als wie ein blindes Häschen in einer Jägerfalle zu sitzen, ist die Tatsache, dass mich mit jedem Schlag meines Herzens auch ein Schwall an Ungewissheit heimsucht. Ich weiß weder wo ich bin noch was ich hier soll, aber das wohl wichtigste an der ganzen Sache ist, dass ich keinen blassen Schimmer habe, ob die Menschen, die mir etwas bedeuten noch am Leben sind. Und leider gilt das nicht nur für Cassie, Macen und Cameron, die wohl während meiner Inhaftierung ebenfalls in einer Zelle saßen, sondern auch für Miri, die ich seit heute Mittag nicht mehr gesehen habe. Für Dean, der irgendwo an der Mauer im Sterben liegt oder vielleicht auch schon seinen Weg ins Jenseits angetreten hat. Für Rave, Dylan und die anderen Teammitglieder, die mir während dem Planen ans Herz gewachsen sind und dessen Plan wahrscheinlich gescheitert ist. Und auch für Daimon, obwohl er wohl derjenige ist, der durch seine Scheinzusammenarbeit mit den Koslowern am meisten Sicherheit genießt.
Aber trotzdem weiß ich auch über seinen Zustand nicht Bescheid und dieses Unwissen frisst mich langsam aber sicher auf, auch wenn ich mir die größte Mühe gebe logische Überlegungen anzustellen und meine Gefühle aus dem Spiel zu lassen. Doch da meine Gedankengänge darauf hinauslaufen, dass ich erstmal abwarten sollte was passiert, kann mir auch das nicht weiterhelfen. Denn mal abgesehen davon, dass mich vielleicht ein lesewütiger Koslower wieder in die Dunkelheit der Bewusstlosigkeit zerrt, muss ich wissen, was hier vorgeht, bevor ich meine Kräfte einsetze. Falls ich mich nämlich immer noch in einem Kerker befinde – obwohl die frische Luft eigentlich dagegen spricht – und jemand von meinen Fähigkeiten erfährt, werden sie mich entweder als Superwaffe einsetzen wollen oder an mir herumexperimentieren. Und leider werde ich dagegen nichts tun können, da die Zellen im unteren Teil des Schlosses selbst für mich ein unüberwindliches Fluchtproblem darstellen.
Gerade ziehe ich es in Erwägung einfach jemanden anzusprechen und wie ein naives Schäfchen auf eine Antwort zu hoffen, als plötzlich ein autoritäres Räuspern ertönt. >>Ihr könnt beginnen, Hauptgeneral Sken. Es ist alles soweit vorbereitet<< Die Stimme dringt kraftvoll durch den Raum und erzeugt dabei einen leichten Hall, was dafür sorgt, dass mein Herz einen kleinen Hüpfer macht. Denn gerade deutet alles darauf hin, dass wir uns im Ballsaal befinden und einer der oberen Offiziere gerade das Startsignal für die große Show gegeben hat.
Vielleicht sitzt Cassie zusammen mit Cameron und Macen irgendwo vor oder neben mir, während sie sich fragen, ob das hier ihr letzter Tag auf Erden sein wird. Möglicherweise gilt dasselbe auch für Miri und sie geht gerade ihre Putzroutine durch, um sich abzulenken. Ein weiterer Strahl der Hoffnung kriecht durch mein Herz und entzündet dabei keinen kurzweiligen Blitz, sondern eine kleine, brennende Flamme. Ihre tanzenden Bewegungen entsenden zwar kein besonders helles Licht, aber zumindest ist es ein stetiges Flimmern in der Dunkelheit, dem ich nur zu gerne beim Wachsen zu sehen würde.
Angespannt halte ich die Luft an und warte darauf, dass irgendetwas passiert, das meine Vermutung bestätigt und ich werde glücklicher Weise nicht enttäuscht, denn in diesem Moment tönt das tiefe Grollen eines Mannes durch den Raum, der wohl von seinem Land als Hauptgeneral Sken bekannt ist. >>Sehr schön, aber da gibt es eine Sache, die ihr noch für mich erledigen müsst, bevor wir mit unserer landesweiten Show beginnen können<<, schnurrt er verheißungsvoll und ein dunkler Schauer rieselt über meinen Rücken.
Ich bin normalerweise kein Freund davon Tonlagen mit animalischen Verben auszudrücken, aber in diesem Moment gibt es keinen besseren Vergleich als ein Schnurren, obwohl ich wohl nicht erst erwähnen muss, dass seine Aussprache überhaupt nicht den Eindruck eines harmlosen Kätzchens erweckt. Nicht mal ein Löwe könnte mit dieser Erhabenheit konkurrieren und das sage ich in dem Wissen, dass das meine Go-to-Metapher für den heavensentischen König war. Doch allein an diesem einen Satz kann ich ablesen, dass er Henry Sinclair in Sachen Grausamkeit noch mal um ein Vielfaches übertrifft. Denn auch wenn der König seinen Feueropfern mit einem befriedigten Lächeln und einem Ausdruck des Wahns in den Augen zusieht, haftet ihm immer diese distanzierte Kälte an.
Doch dieses Exemplar eines Verrückten hört sich eher so an als würde er bei jedem brennenden Schopf und bei jedem sterbendem Leib einen Freudentanz aufführen und sich dabei scheckig lachen. Und von dem wenigen, das ich über den Hauptgeneral aufschnappen konnte, ist diese Einschätzung nur einen Steinwurf von der Wahrheit entfernt. Leider ist er nämlich nicht nur der Befehlshaber über die Streitmächte seines Landes, sondern auch der herrschende Diktator, denn in Koslow scheint das Militär und die Regentschaft eng miteinander verwoben zu sein. Und das ist leider nur einer der Gründe, die mir spontan zu der Frage einfallen, warum man diese bisher körperlose Stimme fürchten sollte. Ein anderer Auslöser ist die immer noch anhaltende Kunstpause, die trotz ihrer Länge ihre dramatische Wirkung nicht zu verlieren scheint.
Die Luft kocht nämlich vor Spannung und mir ist fast so, als könnte ich die Angst der Personen, die wahrscheinlich um mich herum sitzen, am eigenen Leib spüren. >>Löst ihre Augenbinden<<, befiehlt Sken schließlich und klingt dabei wie ein lauerndes Raubtiermonster, das kurz vor der Ausführung seines letzten Prankenhiebs steht, bevor seine Beute tot und schmackhaft vor ihm liegt, >>Ich möchte, dass sie bei ihrem qualvollen Davonscheiden sehen, wer die Waffe hält, die ihnen den letzten entscheidenden Stoß versetzt<<
Ein fieses Grinsen manifestiert sich vor meinen Augen und dabei sind seine Untertanen noch nicht einmal dazu gekommen mir das Stück Stoff vom Kopf zu reißen. Aber das werden sie hoffentlich bald, denn ich kann es kaum erwarten, den gesamten Raum mit Argusaugen abzuscannen und auf dessen Grundlage dann meine Rettungspläne zu entwerfen. Mittlerweile ist es nämlich unbestreitbar, dass das Massenmassaker gerade erst beginnt und obwohl mich zum Teil auch Hoffnung und Erleichterung durchströmt, spüre ich vor allem eine stetige Anspannung durch meine Nervenbahnen kreisen.
Nachdem ich heute gleich zwei unverzeihliche Fehler begangen habe, kann ich die Angst davor daraus ein Trio zu zaubern, einfach nicht unterdrücken. Denn falls ich schon wieder die falsche Entscheidung treffen sollte oder anderweitig etwas schief geht, sind nicht nur die Menschen, die sich aktuell in diesem Schloss befinden, verloren, sondern ganz Heavensent. Und da ich wohl die einzige Person bin, dessen Gewinnchancen nicht mit Null Komma Null beginnen und zwanzig Stellen voller weiterer Nullen mit einer süßen kleinen eins enden, gibt es für dieses Land nur eine einzige Chance: Mich.
Und noch während mir diese eindrückliche Erkenntnis fast den Atem raubt spüre ich plötzlich Finger, die an meinem Hinterkopf herumfrieseln. Schnell kneife ich die Augen zusammen, denn keine zwei Sekunden später, gleitet der Stoff plötzlich von meinen Lidern und gibt eine gleißende Helligkeit frei. Trotz meiner geschlossenen Augen möchte ich mir am liebsten schützend die Hände vors Gesicht halten, doch in meiner Situation ist das nichts weiter als ein naiver Wunsch. Also warte ich darauf, dass mir die Lichtverhältnisse nicht mehr wie eine Pein vorkommen und kurz drauf hebe ich unter einem heftigen Blinzelanfall die Lider.
Sofort identifiziere ich den riesigen Raum vor meinen Augen als den Ballsaal des Schlosses, doch in diesem Moment haftet ihm keinerlei Feierlichkeit an. Vor mir breitet sich ein Heer aus Koslowern aus, die alle Position vor der riesigen Treppe bezogen haben, die zu einen der vielen Eingänge mündet. Durch meinen seitlichen Blickwinkel kann ich erkennen, dass der Personenkasten aus sechs Reihen besteht, die zudem noch eine beachtliche Länge aufweisen. Augenblicklich rutscht mir mein Herz bis runter zu den Kniekehlen, denn wenn ich das Ganze grob überschlage müssten sich in diesem Raum zwischen hundert und zweihundert Soldaten befinden, die alle mindestens mit einer auf Hochglanz polierten Stichwaffe ausgestattet sind.
Wahrscheinlich ist mir mittlerweile sämtliches Blut aus dem Gesicht gewichen, denn selbst meine pessimistische Ader hat nicht damit gerechnet einer halben Armee gegenüber zu stehen. Mein Herz klopft weiterhin wie wild in meiner Brust und in mir kommen die ersten Zweifel auf. Werde ich es schaffen so viele Personen auf einmal Schachmatt zu setzen?, frage ich mich, während ich meinen Blick endlich weiterschweifen lasse. Als nächstes landet er auf den gefesselten Gestalten, die auf einer Art kleinem Podest ihren Hintern platt sitzen.
Die erhöhte Position soll wohl jedem in Sichtweite sofort klar machen, wer heute die Hauptattraktion ist und trotz der ernsten Lage durchzuckt mich kurz Genugtuung als ich sehe, dass der König unseres Landes bereits um ein blaues Veilchen reicher ist. Er hat wie immer eine kalte, distanzierte Miene aufgesetzt, doch diese kann nicht vollständig über die Blässe in seinem Gesicht hinwegtäuschen. Trotz seiner mühsam zusammen geklaubten Ruhe fehlt seinen Zügen nämlich die stetige Überlegenheit, die er normalerweise zu jeder Tageszeit sein Eigen nennt. Auch seine Frau, die bei unserem letzten Gespräch noch einer gehässigen Hyäne Konkurrenz machte, badet nun deutlich in Angstschweiß. Ihre sonst so makellose Haltung ist vollkommen in sich zusammengefallen und strahlt jetzt keine zügellose Macht mehr aus, sondern lässt sie vor allem wie eine Marionette mit abgeschnittenen Fäden wirken. Hilflos. Resigniert. Gebrochen.
Ein paar Meter weiter entdecke ich dann einen Mann mit schwarzen Haaren, der von einer solchen Aura der Macht umgeben wird, dass ich ihn ohne irgendeinen Zweifel mit den Namen Sken in Verbindung bringen kann. Er scheint Mitte vierzig zu sein und trägt eine hochfertig hergestellte Uniform, die anders als die der Soldaten von Luxus statt von Zweckdienlichkeit zeugt. Mehrere Orden sind an seiner Brust festgesteckt und an den Schultern wurde sowohl mit Polstern als auch mit Goldfaden gearbeitet, so dass es fast so aussieht als lägen darauf wertvolle Goldbarren. Doch am eindrucksvollsten sind seine Augen, die wohl gerade beobachten wie einer seiner Soldaten Binde um Binde von den Köpfen seiner baldigen Opfer entfernt. Seine Iriden scheinen vollständig in Dunkelheit getaucht zu sein, so dass er zumindest aus der Ferne aussieht wie eine dämonische Ausgeburt der Hölle. Die gleiche Geschichte erzählt auch das breite Grinsen auf seinen Lippen, das sich vor allem durch einen bösartigen Zug auszeichnet.
Nur schwer kann ich den Blick von dem Mann lösen, der dieses Königreich zu Grunde richten wird, wenn ich nichts unternehme. Die Alarmsignale in meinem Kopf schlagen nämlich mit einer derartigen Einvernehmlichkeit aus, dass ich den Hauptgeneral am liebsten die ganze Zeit im Auge behalten hätte. Doch mein Wunsch, einen Blick nach rechts und links zu werfen ist noch einmal eine Ecke größer. Mit angehaltenem Atem drehe ich meinen Kopf also weit genug, um endlich neben mich sehen zu können. Sofort verhaken sich meine Augen, mit denen von Cassie und mich durchströmt eine derartige Erleichterung, dass ich am liebsten lauthals geschrien hätte. Ich kann nämlich keine offensichtlichen Wunden erkennen und auch wenn ihr unablässig Tränen über die Wange strömen, scheint es ihr so weit gut zu gehen.
Sofort öffne ich meinen Mund, um ihr ein paar tröstende Worte zuzuflüstern. Um ihr zu versichern, dass ich einen Weg finden werde, um uns alle zu retten und vorsorglich noch einmal zu sagen, wie lieb ich sie habe. Doch Cassie schüttelt panisch den Kopf als sie bemerkt, was ich vorhabe und als sich die Angst in ihren Augen noch ein Stückchen intensiviert, komme ich zu dem Schluss, dass die Gefangenen angewiesen wurden zu schweigen, wenn sie nicht wollten, dass ihnen vor ihrem Tod noch eine Folterrunde blüht.
Also schließe ich meinen Mund wieder und gebe ihr stattdessen mit den Augen zu verstehen, was ich gerade nicht verbal kommunizieren kann. Denn obwohl meine innere Rebellin mich dazu drängt, gegen diese Regel zu verstoßen, rät mir meine Soldatenseite strikt davon ab. Der Ohnmacht nahe und von zahlreichen Verletzungen ausgelaugt nütze ich nämlich keinem etwas. Doch ich kann nicht leugnen, dass mich der panische Gesichtsausdruck und die tränennassen Wangen meiner Freundin in große Versuchungen führen, weshalb ich mein Gesicht kurzerhand auf die andere Seite drehe.
Ich weiß nicht, ob ich dem Schicksal für die kurze emotionale Verschnaufpause danken oder mich stattdessen über die fehlenden Informationen beschweren soll. Links von mir sitzt nämlich nur irgendeine von Trishs Speichelleckerinnen, die mir die Sicht auf weitere Personen versperrt. Deshalb werde ich von einem erneuten inneren Amok überspült, weil ich keine Ahnung habe wie es der Mehrheit meiner Freunde geht, doch ich dränge das Gefühl zurück. Schließlich kann ich gerade nichts tun, um etwas an meiner Ungewissheit zu ändern. Stattdessen beginne ich damit die visuellen Bilder zu analysieren und mir danach einen Plan zurechtzulegen, bei dem ich mir nicht wirklich sicher bin, ob er den Begriff mit seinen zusammengebastelten Ideenfetzen überhaupt verdient. Aber die vielen Soldaten und die fehlenden Materialien, die mir zur Verfügung stehen, geben eben nicht viel Raum für ausgefuchste Konzepte.
Augenblicklich beginnt mein Körper wieder mit der Adrenalinausschüttung, denn die Chance, dass ich all die Menschen hier retten kann und zudem auch noch zwei Herrscher stürze, ist selbst für meine Verhältnisse schwindend gering. Aber aufgeben ist keine Option, weshalb ich einfach versuche die Nerven zu behalten, bis ich endlich mit dem ersten Schritt meines Plans beginnen kann. Doch ich möchte nicht riskieren meine Fesseln zu schmelzen so lange Sken seine zukünftigen Opfer mit Argusaugen beobachtet. Nicht, wenn er sich mit großer Wahrscheinlichkeit schon bald zu der aufgebauten Kamera wenden wird, die wohl das Geschehen im Raum filmen und dann direkt auf FTP übertragen soll.
Zum Glück muss ich nicht lange warten bis sich der Soldat von zuvor wieder mit untergebenem Tonfall meldet. >>Erledigt, Hauptgeneral<<, lässt er seinen Herrscher wissen, der kurz darauf in die Hände klatscht und sich mit einem ,,Hervorragend! Dann kann die Show ja endlich beginnen!" zu dem Objektiv dreht. Natürlich steht hinter der Kamera schon ein tüchtiger Diener in schwarzer Kleidung bereit, der Sken in diesem Moment mit einem Wink zu verstehen gibt, dass die Übertragung nun beginnt.
Das wiederum ist für mich der Startschuss endlich meine Fesseln zu erhitzen. Was leider nicht nur einen Großteil meiner Konzentration beansprucht, sondern sich auch als kleine Herausforderung hervortut. Denn wer denkt, dass ich einfach entspannt auf dem Stuhl fläzen kann und ein wenig Löcher in die Luft starre, während das Metall fröhlich vor sich her köchelt liegt leider falsch. Obwohl es mir nämlich keine Schwierigkeiten bereitet einfach einen großen Strahl meines Feuers freien Lauf zu lassen, ist eine konzentrierte, feingliedrige Handlung schon immer ein größerer Aufwand. Doch gleich vier separate Angriffsflächen auf einmal einer Behandlung zu unterziehen, ist gelinde gesagt etwa so wie eine schwierige Gleichung im Matheunterricht zu lösen – es fordert all deine Aufmerksamkeit und wenn du einen Fehler machst, kannst du die ganze Aufgabe vergessen.
Alle Fesseln einzeln zu erhitzen kommt jedoch auch nicht infrage, da der Hauptgeneral – A – nicht so aussieht als würde er lange fackeln und es – B – schlichtweg ein größeres Risiko darstellt. Immerhin könnte einer der Soldaten meine Machenschaften frühzeitig entdecken und dann bleibt mir vielleicht gerade mal meine rechte Hand um mich gegen einen ausgewachsenen Mann zu verteidigen, der jederzeit Hilfe bei seinen Kumpanen suchen kann.
Während ich mich also bemühe jeder der vier Glieder möglichst einheitlich zu erhitzen, beginnt der Hauptgeneral gerade mit seiner Anfangsrede: >>Haaallo Heavensent. Ich bin mir nicht sicher, ob mein Gesicht Ihnen allen ein Begriff ist, deshalb lasse ich ausnahmsweise Gnade walten und stelle mich einmal kurz vor. Ich bin Hauptgeneral Sken und in Koslow sowohl der regierende Diktator als auch der oberste Befehlshaber der Armee, doch ich habe vor, mir heute noch ein paar zusätzliche Titel zu verdienen. Und mit der Ernennung zu ,,Rolend Sken van Heavensent" - König dieses ganz entzückenden kleinen Reichs - werde ich beginnen!<<
Ein wahnhafter Ausdruck tritt in seine Augen und obwohl ich das ganze nur von der Seite beobachten kann, rieselt mir ein kalter Schauer über den Rücken. Normalerweise würde ich wahrscheinlich einen Witz darüber reißen, dass er bereits eine standartmäßige Vorstellungsrunde als Gnadenakt betrachtet, doch mein Humor scheint während des furchtsamen Prickelns auf meinem Rücken eingefroren zu sein. Alternativ könnte man aber auch die Tatsache, dass ich all meine Gehirnkapazität gerade für meine Befreiung und das Mitverfolgen des Geschehens verbrauche, als Erklärung betrachten.
>>Im Hintergrund können Sie sicher schon den Teil meiner Armee betrachten, die ich zu den heutigen Feierlichkeiten mitgebracht habe, doch seien Sie unbesorgt... In meinem Heimatland warten noch viel mehr tüchtige Männer darauf hierher verwiesen zu werden. Ich würde also nicht empfehlen mich in irgendeiner Art zu reizen. Es sei denn, sie wollen miterleben wie ich die Straßen dieses Königreichs in Blut tränke<<, droht er der Kamera mit einem breiten Grinsen auf den Lippen an und zieht seinen Daumennagel dabei wie das Messer seiner Klinge über seinen Hals.
>>Ich liebe ein gutes Massenmassaker, aber das werden Sie schon noch früh genug herausfinden – vor allem, wenn sie mich zu einer Wiederholung der Ereignisse heute Abend zwingen. Zum Beispiel indem Sie sich in den Kopf setzen gegen ihren neuen Herrscher zu demonstrieren oder anderweitig vorzugehen. Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe, aber ich war schon immer ein Fan von diesem wundervollen Fleckchen Erde, das der erste König einst Heavensent taufte. Worüber ich jedoch alles andere als erfreut bin, sind die lapidaren Vorgehensweisen dieses Weicheis<<, meint er angewidert und deutet währenddessen großspurig auf den gefesselten König in seinem Rücken, den die Kamera mit einem kurzen Schwenker nach rechts in all seiner Pracht einfängt.
>>Aber später mehr dazu... Jetzt wollen wir erstmal zu erfreulicheren Informationen wechseln, was mich auf direktem Wege zu diesen zwei Schmuckstücken führt, die als erste von hoffentlich vielen Heavensentnern die richtige Entscheidung getroffen haben. Aljesto, bring sie herein!<< Mit diesen Worten öffnet sich plötzlich eine reich verzierte Tür auf der anderen Seite des Raumes und zwei Gestalten mit einem dunklen Schatten im Rücken treten hervor. Wäre es nicht schon zuvor gespenstisch still gewesen, dann würde spätestens jetzt eine Ruhebombe in diesem Saal explodieren und jeden in seine Klauen gezwungen.
Auch ich bin im ersten Moment perplex, denn auch wenn ich Daimons Gesicht unter den angekündigten Verbündeten bereits erwartet habe, hätte ich nicht mit der Person an seiner Seite gerechnet. Und das sage ich als Opfer eines Schlagangriffes, der nur von einem bekannten Gesicht innerhalb der Zelle ausgeführt werden konnte. Daimon überhaupt in Betracht zu ziehen habe ich mir natürlich strengstens verboten, auch wenn eine kleine zweifelnde Stimme trotzdem in mir vorherrschte. Aber nicht besonders lange, immerhin musste ich weitaus wichtigere Dinge erledigen als Ene mene mu bei der Auswahl eines Hauptverdächtigen zu spielen.
Doch selbst wenn ich mir Zeit für eine genaue Analyse genommen hätte, wäre wohl Adrien oder eins der fremderen Mädchen auf meiner Liste der Verdächtigen ganz oben aufgeführt gewesen und nicht Trish! Ich meine, Trish?! Ernsthaft? Ich hätte nicht gedacht, dass sie überhaupt riskieren würde auf irgendetwas einzuschlagen. Schließlich sind ihre Fingernägel immer zu unechten Monsterkrallen geschliffen und sie scheint täglich achtzig Prozent ihrer Gehirnleistung in die Sorge zu investieren, dass einer dieser Dinger abbricht. Und... Schnell versuche ich meine Verwunderung in den Griff zu bekommen, denn leider lässt sich meine Fesselschmelzaktion nicht besonders gut mit meinem inneren Ausraster vereinbaren. Also zwinge ich mich dazu ein paarmal tief durchzuatmen und mich sowohl auf meine Aufgabe als auch das Geschehen zu konzentrieren.
In diesem Moment werden die beiden also von dem menschlichen Schrank dazu angehalten stehen zu bleiben, während ihre gefesselten Hände vor den Augen der Kamera befreit werden. >>Darf ich vorstellen? Daimon Sinclair und Trish Montgomery – die ersten Unterstützer meiner baldigen Herrschaft<<, frohlockt der Hauptgeneral und wirft dem jetzigen König über die Schulter hinweg einen Blick zu, den ich aus meinem Blickwinkel zwar nicht sehen kann, der jedoch sicherlich ein bösartiges Funkeln enthält.
Und obwohl Henry Sinclair alles daran setzt seine neutrale Miene aufrecht zu halten, kann man ihn den Schock über den Verrat seines eigenen Sohnes dennoch genau ansehen. Daimon auf der anderen Seite präsentiert wie immer das Musterbeispiel eines Poker Face und schafft es dabei aber trotzdem einen fast beiläufigen Blick auf die gefesselten Live-Zuschauer zu werfen, unter denen auch ich mich befinde. Für ein paar wenige Sekunden verhaken sich unsere Augen ineinander und es fühlt sich beinahe wie ein liebevoller Händedruck an, doch der Akt der Zärtlichkeit ist schnell vorbei und er blickt wieder in die Kamera.
>>Ihr müsst alle wissen, dass Prinz Daimon uns schon lange eine große Hilfe ist und dass uns die Angriffe aufs Schloss ohne ihn weit weniger leicht von der Hand gegangen wären. Unsere liebe Trish hier auf der anderen Seite ist dagegen ganz neu im Boot. Erst heute Abend hat sie sich bei dem Fluchtversuch einer Gefangenen als äußerst hilfreich erwiesen und sich somit unser sofortiges Vertrauen verdient. Und genau deswegen ist sie ein Paradebeispiel dafür, dass es nie zu spät ist das Richtige zu tun!<< Am liebsten hätte ich bei den Worten des Hauptgenerals spöttisch geschnaubt, doch so lange meine Fesseln noch nicht vollständig durchgebrannt sind, sollte ich mich lieber darum bemühen nicht aufzufallen.
Immerhin muss ich meine Verwunderung über Trishs Mitgliedschaft in Team Koslow nicht mehr gewaltsam zurückdrängen, denn sie ist gerade eben mit einem Wimpernschlag verpufft. Ich kann es mir nämlich fast bildlich vorstellen wie sie in der Zelle die Chance auf die Rettung ihres eigenen Wohlergehens gewittert und sich kurz darauf gegen ihre eigene Schwester gestellt hat. Nicht, dass ich überrascht wäre oder bei dieser heimtückischen Aktion einen Schmerzensstich verspüren würde, aber es ärgert mich dennoch maßlos, dass mein Plan wegen dieser selbstsüchtigen, in rosa gehüllten Ziege, den Bach runter ging.
Trish auf der anderen Seite scheint mit ihrer Entscheidung mehr als glücklich zu sein und strahlt in ihren neuen Kleidern in die Kamera. Scheinbar hat sie sich nämlich, durch ihre neu geschlossenen Bündnisse, einen Wechsel vom Nachthemd zum Ballkleid erkauft und so steht sie in einem Ungetüm aus Tüll hier im Saal, während alle anderen Personen in schwarzen Uniformen und zerknitterter Schlafbekleidung aussehen wie ein blasses Trauerbild.
>>Gut, da wir diesen Punkt auf der Liste abgehakt haben, können wir ja zu unserem heutigen Hauptakt kommen, bevor wir uns unseren Live-Zuschauern widmen. Oder sollte ich sie lieber Dessert nennen?<< Wiedermal legt der Koslower eine Kunstpause ein und gibt damit allen Beteiligten Zeit, den Schauer des Grausens in Ruhe zu genießen
>>Aljesto, überreiche mir meinen Dolch<<, fordert der Hauptgeneral nun und bekommt nur Sekunden später eine reich verzierte Waffe ausgehändigt. Damit schreitet Sken so langsam wie eine selbstgefällige Raubkatze auf das Königspaar zu und augenblicklich beginnt meine innere Uhr wieder mit ihren dramatischen Tick-Geräuschen.
Denn auch ohne die magische Kraft des Gedankenlesens steht es dem Hauptgeneral ganz klar auf die Stirn geschrieben, dass er seine Freude auf seinen fesselnden Tötungsakt nicht lange wird zügeln können. Das bedeutet also, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist bis er sich den Zuschauern zu wendet und auch wenn mich der Tod des Königspaar kalt lassen würde, gilt das nicht für die unschuldigen Gesichter neben mir. Angespannt starre ich also auf meine Fesseln, an denen bereits dünne Rinnsale aus geschmolzenen Metallsud entlanglaufen, doch es wird wohl noch eine Weile dauern, bis der Punkt erreicht ist, an dem ein Loch in den Ringen klafft.
Verdammt, denke ich und überschlage dabei grob wie viel Zeit mir noch bleibt bis Sken die ersten Zuschauer tötet. Und leider muss ich dabei feststellen, dass ich nicht schnell genug freikommen werde, um meinen Angriff zu starten. Sofort verkrampft sich mein Innerstes und ich kann beinahe hören wie die Räder in meinem Hirn sich lauthals zu drehen beginnen. Denn wenn nicht bald ein Wunder geschieht, wird mein Plan B auf eine Gewinnchance von null herabsinken und ein Plan C muss her. Und obwohl mir noch nichts spezielles vorschwebt bin ich mir schon fast sicher, dass dieses Konzept noch gefährlicher und hirnrissiger wird als meine letzten beiden Ideen zusammen...
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Tja, wie es aussieht wird es auf jeden Fall noch ein Kapitel geben... Na ja, und einen Epilog... Und eine Danksagung...
Die Frage ist jetzt nur, ob ich meine Liste noch durch irgendetwas ergänzen soll. Wollt ihr noch ein Q&A oder so etwas? Wenn ja, gebt mir einfach Bescheid und ich schau mal ob ich es einrichten kann ^^
Und jetzt wünsche ich euch noch eine schöne Woche! Bis dann!
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