Kapitel 86
>>Ich hasse meine besonderen Kräfte, aber auf der anderen Seite tue ich es wiederum doch nicht, obwohl es wahrscheinlich kein ,,andererseits" in diesem Satz geben dürfte<<, berichte ich Daimon, während ich spüre wie mein Herz an Geschwindigkeit aufnimmt. Ich weiß, dass ich mit diesem Satz die Aufgabe bereits erfüllt habe und nichts weiter sagen müsste, doch es gibt einen Teil von mir, der in diesem Moment von innen gegen meine Lippen boxt, damit sie sich zu weiteren Worten öffnen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich diesem Part glauben soll, oder meinen Ängsten, die mich anschreien, nicht zu viel über mich preiszugeben.
Am liebsten hätte ich mir die Haare gerauft oder einmal kräftig mit meiner Stirn gegen die Steinwand geschlagen, damit sich meine Gedanken wieder in Reih und Glied begeben, doch wahrscheinlich ist auch dieser Versuch zum Scheitern verdammt. Deshalb starre ich einfach nur weiter in Daimons Gesicht, das eine Mischung aus Geduld und Zuversicht ausstrahlt, so als wüsste er bereits wofür ich mich entscheiden werde. Was ziemlicher Blödsinn ist, wenn man bedenkt, dass ich mir selbst nicht über meine nächsten Handlungsschritte im Klaren bin und nur wie eine Kuh, die nicht weiß auf welchem Feld sie grasen soll, zwischen meinen Optionen hin-und herschwanke.
Hör auf dein Herz – Das wäre sicherlich Rocelyns Rezept aus diesem Scheideweg-Schlamassel gewesen. Na ja, nicht nur ihre. Denn dieser Ratschlag ist bekanntermaßen ja die Allzwecklösung für alles, die jedes Romance-Buch dir vor die Füße wirft, sobald sich bei der Protagonistin Entscheidungsschwierigkeiten abzeichnen. Doch was sie alle dabei nicht zu bemerken scheinen ist, dass dein Herz nicht einfach so mit der Sprache rausrückt oder deinen richtigen Weg farbig aufleuchten lässt. Nein, es gibt sich inmitten des Urwalds aus Gedankengängen, Gefühlen und Ängsten ja nicht mal zu erkennen, so dass es unmöglich ist genau zu sagen, welche Aussage dir nun das pochende Organ in deiner Brust untergeschoben hat.
Aber ich muss eine Entscheidung fällen, wenn ich hier nicht ewig still vor mich hinträumen möchte, also treffe ich mit mir selbst eine Übereinkunft: Ich werde versuchen ihm meine Geschichte zu erzählen. Wenn die Worte in Strömen von meinen Lippen tropfen – dann sei es so. Aber wenn ich den Mund öffne und die Worte bauen sich irgendwo in meinem Rachen zu einer Art undurchdringlichen Mauer auf, die mir das Atmen erschwert, werde ich meine vorherige Aussage einfach so stehen lassen.
>>Seit ich geboren bin wissen nur eine Handvoll Personen von meinen Fähigkeiten und ich war in deren Augen immer nur ein Freak<<, beginne ich und stelle überrascht fest, wie einfach mir diese Silben über die Lippen kommen, >>Meine Eltern haben mich deswegen verstoßen und wenn ich an die Ärzte zurückdenke, die mich immer wieder untersucht haben, dann ist mir nur das Funkeln in ihren Augen im Gedächtnis geblieben. Die Ehrfurcht. Die Angst. Der Blick, der mich fühlen ließ als wäre ich kein kleines Mädchen, sondern eine abstruse Sensation, die man begaffen kann. Und das alles nur wegen einer Art Gendefekt, der... durch bestimmte Umstände herbeigeführt wurde und der es mir ermöglicht meine eigenen Flammen zu formen und zu nutzen. Diese Kräfte habe ich auch eingesetzt, als ich dich vor den Soldaten in dieser Küche gerettet habe, genauso wie damals als die Koslower ein Feuer im Schloss legten und die Sprinkleranlage auf magische Weise nicht ansprang. Dabei -<<
>>Das war ich <<, unterbricht mich Daimon auf einmal mit gepresster Stimme, >>Es war kein Zufall, dass die Anlage nicht funktionierte. Ich war dafür zuständig, sie abzustellen und ich habe diesen Befehl auch ausgeführt, aber nur, weil mir diese Bastarde versicherten nur ein kleines Feuer zu legen, um Chaos zu stiften und einen größeren Rummel in den Medien zu bekommen. Prinzipiell hätten sie den König schon beim ersten Mal stürzen können, doch ihr Plan war es sich erst einen brutalen Ruf beim Volk zu verschaffen, um etwaige Aufstände gegen die neuen Regierungsvorsitzenden vorzubeugen. Jedenfalls erzählten sie mir damals etwas von einem kontrollierten Feuer, das leicht löschbar wäre, aber dieses Versprechen haben sie mit ihrer Aktion gebrochen. Das Schlimmste ist ja, dass ich es wohl erst bemerkt hätte, als es schon längst zu spät war. Doch dann ist Adrien nicht im Bunker aufgetaucht und ich bekam es mit der Angst zu tun, dass ich jetzt auch noch meinen eigenen Bruder mit meinen Entscheidungen in den Tod getrieben habe.
Dabei bin ich immer zuerst das ganze Schloss abgelaufen, bevor der besagte Angriff stattfand, um zu verhindern, dass irgendwelche Nachteulen von Koslowern überrascht werden. Ein ziemlich jämmerlicher Versuch Leute zu retten, wenn man bedenkt wie viele Wachmänner meinetwegen drauf gegangen sind, aber es hat meinen Schuldgefühlen wenigstens ein wenig Erleichterung verschafft, verstehst du? Deshalb habe ich dich in der Nacht des ersten Angriffes auch gedrängt in dein Zimmer zurückzugehen, als ich dich im Trainingsraum angetroffen habe. Ich -<<
>>Warst du damals eigentlich ernsthaft in Gefahr? Immerhin standst du zu diesem Zeitpunkt ja noch auf der Seite der Koslower<<, entfährt es mir, da das einer der Fragen ist, die mir seit seiner Offenbarung am häufigsten durch den Kopf schwirren, obwohl ich mir täglich die größte Mühe gebe sie zu verdrängen. Er hat damals während unserer ersten offizielen Konferrenz in den Reihen der Organisation zwar eine Andeutung gemacht, die ein Nein auf diese Frage nahelegt, aber ich kann trotzdem nicht gänzlich sicher sein. Sofort verspannen sich meine Muskeln angesichts der ausstehenden Antwort, denn obwohl es eigentlich keinen Unterschied machen sollte, ob ich die Soldaten getötet habe, um ein Menschenleben zu retten oder nur geglaubt habe dieses Ergebnis mit dem Einsatz meiner Kräfte zu erreichen, tut es das sehr wohl. Wenn Daimon nämlich gar nicht erst in Lebensgefahr schwebte, dann radiert das das einzige Argument aus, das in dem Gerichtssaal in meinem Kopf Wirkung zeigt. Es ist sozusagen das einzige, an das ich mich Tag für Tag klammern kann, um meine Schuldgefühle soweit zu dämpfen, dass ich mich nicht heulend in der Ecke zusammenkauern möchte.
>>Ja, die Soldaten wollten mich tatsächlich töten. Es wurden nämlich nur die ranghöchsten Offiziere über meine Tätigkeit als Maulwurf in Kenntnis gesetzt. Die anderen wussten lediglich, dass es eine Art Spion im heavensentischen Schloss gibt, aber ich bezweifle dass je einer von ihnen vermutet hat, dass dieser selbst ein Sinclair ist. Deshalb ermahnten mich die Koslower auch bei jedem Treffen, mich zur Zeit des Angriffes in Sicherheit zu bringen, denn wenn mich erstmal einer der Soldaten in die Finger kriegt, könnten sie nicht für mein Überleben garantieren<<
Wahrscheinlich bin ich wirklich ein gewissenloses Monster, denn in diesem Moment fällt mir ein riesiger Stein vom Herzen, obwohl eigentlich das Gegenteil der Fall sein sollte. Immerhin bedeutet das quasi, dass ich erleichtert darüber bin, dass Daimon während der Angriffe in Lebensgefahr schwebte. Und auch die Tatsache, dass er wissentlich Menschenleben aufs Spiel gesetzt hat und sogar am Feuer beteiligt war, das ich unter Schmerzen löschte, sollte meine Meinung über ihn wohl herabsetzen. Aber der Sturzflug auf der Ansehensskala fällt irgendwie flach, was wohl der größte Beweis dafür ist, dass ich nicht mehr alle Tassen im Schrank habe – oder, dass mein moralischer Kompass während dieses Castings flöten gegangen ist.
>>Sorry, übrigens dass ich dich unterbrochen habe, aber ich dachte es wäre nur fair dir auch noch die letzten schmutzigen Details meines Lebens zu verraten. Eigentlich hätte ich es wohl schon vorher erzählen sollen, aber du solltest erst erfahren, warum ich diese ganze Schuld auf mich geladen habe, bevor ich dir Einzelheiten erzähle. Tja, und dann habe ich es irgendwie vergessen – wahrscheinlich sogar absichtlich, weil mich die Sache wieder in die Rolle des Schurken presst und ich deinen verständnisvollen Blick noch ein bisschen länger genießen wollte. Ziemlich egoistisch, oder?<<
Ich kann nicht verhindern, dass meine Mundwinkel angesichts Daimons Worte leicht nach oben zucken. Wer hätte gedacht, dass wir wirklich mal so ehrlich und offen miteinander sprechen würden? Ich jedenfalls nicht, auch wenn das die Frage in mir aufkochen lässt, ob es in Zukunft vielleicht doch ein nicht geschäftsmäßiges Wir geben wird. Sofort erstarre ich angesichts des Weges, den meine Gedanken hier einschlagen und ich bin nicht sicher, ob das nur ein winziger Ausrutscher oder der Anfang einer Rutschpartie war. So oder so ist jetzt vielleicht nicht der beste Zeitpunkt, um zu analysieren, ob ich mich bald mit weiteren dieser hoffnungsvoll-naiven Fragen herumschlagen muss. Immerhin sitzen wir beide immer noch in einem Kerker fest und schweben höchstwahrscheinlich in Gefahr.
Denn wenn ich Daimons Geschichte so Revue passieren lasse und es mit den Eindrücken paare, die ich selbst über den König gesammelt habe, dann ist es wohl besser ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit aufzubringen. Lustiger Weise ist das natürlich genau der Moment, in dem ich mein Gesicht aus einem Instinkt heraus wieder zu Daimon drehe und ihn dabei erwische, wie er mich mit angespannter Miene betrachtet. Er macht sich wohl Sorgen darüber, was ich nach diesem Restgeständnis von ihm Denken werde, doch ein Großteil der Tatsachen hatte ich bereits vorausgeahnt und obwohl ich geschockt bin, löst es in mir keine abrupte Abneigung gegen ihn aus.
>>Ansichtssache<<, erwidere ich in einem neckischen Tonfall, weil wir wohl beide wieder eine Auflockerung der Atmosphäre gebrauchen können, >>Früher hätte ich ja allein schon aus Prinzip mit Ja geantwortet, weil ich dein Ego auf die Ausmaße eines Hochhauses schätzte und dein spöttisches Getue am liebsten auf den Mond schießen würde. Aber jetzt? In diesem Augenblick? Da wirkt es einfach nur wie die Kurzschlusshandlung, die aus dem menschlichen Wunsch entstand, von einem anderen verstanden statt verurteilt zu werden<<
Wahrscheinlich wäre das jetzt der perfekte Zeitpunkt, um meinen Blick wieder auf die Tür zu richten, denn das stürmische Braun leistet gerade wieder hervorragende Arbeit mich in eine Art hypnotischen Zustand zu versetzen. Ich weiß, dass ich in Kürze nicht mehr dazu fähig sein werde, mich von ihm abzuwenden, aber meinen Körper scheint das nicht im Mindesten zu interessieren, denn er rührt sich keinen Millimeter. Auch Daimon fokussiert mich auf die übliche Weise mit seinen Augen und hinterlässt dabei das Gefühl, als könnte er mir bis in die hintersten Winkel meiner Seele schauen. Doch dieses Mal kommt es mir noch um einiges intensiver vor, weil ich mich bereits ein Stück weit geöffnet habe.
In diesem Moment wandert sein Blick zu meinen Lippen und ich muss keine Gedankenleserin sein, um zu ahnen was ihm gerade durch den Kopf schießt. Und zu meinem Leidwesen muss auch ich gestehen, dass ich die Kussszene von heute Abend noch einmal vor meinem inneren Auge ablaufen lasse. Aber dennoch... Es wäre anders als sonst – so dumm diese Aussage im ersten Moment auch klingen mag, doch jedes Mal wenn sich unsere Lippen bis jetzt berührten, war es einer der wütenden, verzweifelten Sorte oder einfach nur ein kleiner Ausrutscher, den ich mir innerhalb meiner ,,Pff, ich fühle mich rein körperlich von ihm angezogen. Sonst läuft da gar nichts"- Blase gönnte. Aber dieser hier würde nach einer tieferen Beziehung schmecken, nach dem Vertrauen, das er mir entgegenbrachte, indem er mir seine Geheimnisse erzählte... Er würde dafür sorgen, dass sich die Frage nach einem Wir in einen Wunsch umwandelt. Und ich weiß einfach nicht... Ich weiß einfach nicht, ob ich das kann.
Ich hatte so lange Angst davor einem anderen Menschen emotional derart nahe zu kommen, dass ich plötzlich nicht mehr unterscheiden kann, ob es überhaupt noch gravierende Tatsachen gibt, die dagegen sprechen oder ob meine Sorgen nur auf Fantasiegebilde basieren. Also weiche ich ein weiteres Mal zurück und was eigentlich nur eine winzige Bewegung meines Kopfes in die entgegengesetzte Richtung ist, fühlt sich in diesem Moment an wie der letzte große Schritt, den ich mich noch nicht zu wagen traue.
>>Ich sollte wohl weitererzählen<<, flüstere ich, während ich meinen Blick wieder von ihm abwende, um nichts von seiner enttäuschten Miene aufschnappen zu müssen. Wenn sich diese gerade überhaupt einen Weg über sein Gesicht bahnt, denn es besteht schließlich auch eine geringfügige Chance, dass Daimon in einem ähnlichen Zwiespalt steckte. Schließlich hat er ebenfalls keine Anstalten gemacht sich weiter vor zu lehnen.
Genervt von mir selbst verdrehe ich innerlich die Augen. Dieser Satz liegt für meinen Geschmack einfach zu nah an dieser hirnrissigen ,,Der Junge küsst das Mädchen"-Aussage und hat zudem noch diverse Ähnlichkeiten mit dem, was ich mir unter dem inneren Monolog eines verunsicherten, verliebten Teenagers vorstelle. Und ja, ich rede jetzt ganz speziell von Gedankenströme wie ,,Oh mein Gott, wollte er mich gerade etwa küssen? Aber warum hat er es dann nicht getan? Unsere Gesichter waren doch nur Zentimeter voneinander entfernt! Oder wollte er etwa, dass ich den ersten Schritt mache?... Nein, das ist doch Quatsch! Nicht einmal Jungs können so weit hinter dem Mond leben, dass sie die Nummer eins Regel fürs Küssen – Gentlemen first – nicht kennen!"
Entschieden schüttle ich den Kopf, um die lästige Stimme zu vertreiben. Anscheinend bekommen mir diese Steinmauern, um mich herum, nicht besonders gut. Oder es ist diese Anspannung, die zwischen Daimon und mir in der Luft liegt, die mein Hirn dazu veranlasst seine Dumme-Gedanken-Funktion auf volle Pulle zu stellen. Das wäre natürlich auch eine Option, die ganz hervorragend zu meiner Neigung passt sofort einen sarkastischen oder neckischen Ton anzuschlagen, wenn ich der Ernsthaftigkeit einer Situation entfliehen möchte.
Wo war ich noch mal stehen geblieben?, frage ich mich, da es mir wie eine halbe Ewigkeit vorkommt, seit ich meinen Seelenstripteas in die Wege geleitet habe. Währenddessen zerplatzt die gespielte Heile-Welt-Stimmung in meinem Kopf mit einem riesigen Plopp und lässt mich in der trübsinnigen Einöde zurück, die mich schon zuvor verfolgte und sich im ersten Moment anfühlt als würde ein riesiger Stein mein Herz zerquetschen.
>>Ich weiß nicht, ob du es dir mittlerweile schon zusammengereimt hast, aber Feuer ist nicht das einzige, das ich herbeirufen kann. Auch Eis kann ich aus dem Nichts erschaffen – eine Fähigkeit, die ich schon häufiger genutzt habe, um mir in einer brenzligen Situation eine Waffe zu erschaffen. Ansonsten führte dieser Gendefekt auch zu meiner weißen Haarsträhne und dem tattooartigen Muttermal, was meine Mutter von Anfang an dazu veranlasste mir mit Perücke und Abdeckstift zu Leibe zu rücken.
Jedenfalls hasse ich es, dass ich nie eine Wahl gehabt habe, wenn es um meine Fähigkeiten ging. Mir wurde keine Chance gelassen, mich dagegen zu entscheiden, denn sie traten jedes Mal wenn ich besonders wütend oder traurig war urplötzlich hervor. Es war quasi unvermeidlich – obwohl ich hart daran arbeitete es in den Griff zu bekommen und irgendwann besser darin wurde. Aber in den hinteren Ecken meines Verstandes pulsierte es trotzdem jedes Mal vor Angst, wenn ich das Haus verließ oder mich in der Gesellschaft anderer Leute befand. Ich wollte nicht, dass irgendjemand davon erfährt und sich kurz danach von mir abwendet, weil sie mich für ein unkontrollierbares Monster halten.
Meine Eltern haben es jedenfalls getan. Linda wollte mich zu Anfang noch in die Rolle ihrer Traumtochter quetschen, aber sie hat ziemlich schnell aufgegeben. Meine Kräfte ließen sich zu Kindertagen einfach nur schwer verbergen, weil ich oft impulsiv agierte und als dann Trish zwei Jahre später auf die Welt kam, war ich sowieso nicht weiter wichtig. Von Josh konnte man nicht mehr als eine kalte Schulter erwarten und Linda hielt mich eher wie eine Gefangene, die man nach Belieben runtermachen konnte. Mittlerweile wohnte ich schon länger im Dienstbotentrakt und die Nachricht meines angeblichen Todes hatte sich in den Köpfen der Menschen festgesetzt. Ich war also nicht nur für meine Eltern gestorben, sondern auch für die ganze Welt und das Haus durfte ich gemäß Lindas Regeln auch nicht verlassen. Denn wenn ich meine Fähigkeiten der Öffentlichkeit offenbare und mit ihnen in Verbindung gebracht werde, könnte es schließlich den gesellschaftlichen Ruin für die Montgomerys bedeuten und das wäre für meine Eltern natürlich das größte Unglück überhaupt. Aber davon ließ ich mich selbstverständlich nicht lange aufhalten, was dafür sorgte, dass ich immer mehr Zeit außerhalb des Haues verbrachte.
Doch egal wie viel Menschen ich kennenlernte oder wie sehr sich Rocelyn und die anderen Bediensteten um mich kümmerten, ich fühlte mich irgendwie trotzdem immer... ungeliebt. Nicht, dass ich anzweifeln würde, dass sie mich ins Herz geschlossen haben, aber es fühlte sich immer so an, als wäre das nur der Fall, weil sie mein Geheimnis nicht kennen. Und genau deshalb habe ich mich auch nie jemandem anvertraut, obwohl ich mir tief in meinem Inneren nichts sehnlicher wünschte als es mir von der Seele zu reden, denn an manchen Tagen fühlte es sich fast so an, als würde mich diese Last erdrücken. Ich habe so stark versucht nicht zuzulassen, dass die fehlende Liebe meiner Eltern mich an mir selbst zweifeln lässt, doch diese Gedanken schienen es einfach durch jede Barriere zu schaffen. Ich fühlte mich irgendwie fehlerhaft. Ungenügend. Wie ein Monster, das man nicht lieben kann und das dazu verdammt ist ein seltener Einzelfall zu sein.
Vielleicht stürzte ich mich deshalb so auf meinen Traum Soldatin zu werden. In meiner kindlichen Vorstellung war dieser Job irgendwie das Gegenteil eines Ungeheuers, denn sie beschützten die Unschuldigen und kämpften für ihre Heimat. Natürlich lernte ich später wie viel Blutvergießen damit verbunden ist und dass man sich manchmal unwissentlich für die falschen Dinge einsetzt. Doch irgendwie blieb mir dieser Traum trotzdem erhalten.
Also entschied ich mich eines schicksalhaften Tages den Ball zu besuchen, um dem General selbst meine Bewerbung überbringen zu können. Denn Überraschung, auch eine Ausbildung stellte für meine Eltern ein zu großes Risiko dar, weshalb meine ersten Bewerbungsversuche scheiterten. Ich denke, man könnte es als Karma bezeichnen, dass ich noch am selben Abend erwählt wurde und damit augenblicklich ins Zentrum der Öffentlichkeit rückte. Aber natürlich hatten Linda und Josh schon die nächste Lüge parat und bezeichneten mich als ihr rebellisches Adoptivkind, um die Unwahrheiten der Vergangenheit zu schützen. Na ja, und dann landete ich kurz darauf hier im Schloss, umgeben von Kameras, menschlichen Kanarienvögeln und fremden Prinzen, in die ich mich nach dem Konzept des Castings zu urteilen, irgendwie verlieben sollte. Es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass ich damals glaubte in einer Art royalem Albtraum gelandet zu sein.
Kurz kann man also sagen, dass ich meine Kräfte größtenteils wegen der fehlenden Entscheidungsmöglichkeit und der ständigen Angst vor der großen Enthüllung ablehne. Aber zu früheren Zeiten gehörte definitiv auch der Keil dazu, den es zwischen meine Eltern und mich getrieben hat. Zum Glück konnte ich zumindest dieses Trauma nach neunzehn Jahren so weit überwinden, dass ich meiner leiblichen Familie nicht mehr hinterhertrauere, sondern einfach nur noch froh, über die Menschen bin, die mich von klein auf unterstützt und aufgezogen haben.
Und was den Ich-hasse-meine-Fähigkeiten-irgendwie-doch-nicht-Part angeht... Der ist ein wenig komplizierter zu erklären – wahrscheinlich, weil ich es selbst nicht zu hundert Prozent verstehe. Jedenfalls denke ich manchmal einfach darüber nach, wie ich ohne diese Kräfte und all die Probleme, die damit einhergegangen sind, geworden wäre. Und dann frage ich mich, ob ich mich genau so verhalten würde wie Trish, die durch die Erziehung meiner Eltern quasi nur zu dieser oberflächigen Drama Queen heranwachsen konnte. Immerhin hätte ich ohne diesen Gendefekt ebenso unter Lindas Fuchtel gestanden und die Umstände der Unterschicht wahrscheinlich nie so gut kennengelernt.
Deshalb bin ich also in gewisser Weise doch froh diese Kräfte zu besitzen, denn ich würde die enge Beziehung zu Rocelyn, die Stunden im ,,Fight and Art Club" und meinen Traum Soldatin zu werden nie gegen ein Leben als Model und Familienliebling eintauschen wollen<< Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals schon so schnell geredet habe oder ob Daimon überhaupt den Inhalt meines Redeflashs aufnehmen konnte, aber das ist in diesem Moment auch gar nicht wichtig. Denn nach all den Jahren habe ich es tatsächlich geschafft mich weit genug zu öffnen, um jemandem in groben Zügen meine Geschichte anzuvertrauen.
Und ja, vielleicht habe ich das emotionale Leiden, das damit einherging, nicht so deutlich und detailliert angesprochen wie der Prinz, aber es ist trotzdem der größte Schritt aus meiner Komfortzone, den ich je gewagt habe. Vorsichtig spähe ich zu Daimon hinüber, den ich während meiner Erzählungen beinahe vollständig ausgeblendet habe, um nicht in einem Anflug von Zweifel die Wörterflut meines Mundes zu unterbrechen. Unglücklicherweise hat er mittlerweile wieder zu seinem altbekannten Pokerface zurückgefunden und ich erwische mich dabei, wie ich automatisch auch meiner Miene eine vorgetäuschte Lässigkeit verschaffe. Denn wenn ich eines nicht leiden kann, dann ist es, wenn man mir jede Gefühlsregung am Gesicht ablesen kann. Das hinterlässt immer so einen bitteren Beigeschmack von Verletzlichkeit und in diesem Moment fühle ich mich auch ohne eine offene-Buch-Visage so angreifbar wie nie zuvor.
Sofort schlägt meine anfängliche freudige Erregung über meinen Fortschritt in beißende Zweifel und einer großen Prise Angst um, die wie eine kalte Dusche über mich schwappt. Was ist wenn er diese Informationen jetzt gegen mich verwendet oder ich dem Falschen meine Geheimnisse anvertraut habe?, flüstert es in meinem Verstand und ich recke automatisch das Kinn ein wenig höher, um eine selbstbewusste Haltung anzunehmen.
>>Flämmchen, du musst wissen-<<, beginnt Daimon, doch ich hebe instinktiv eine Hand, um ihn zu stoppen. Zunächst denke ich, dass ich einfach zu viel Angst davor habe, dass meine schlimmsten Befürchtungen eintreten und er mich wegen meines Geheimnisses von sich schiebt, doch die Bewegung gehört zu einem Teil meiner antrainierten Soldatenfähigkeiten. Nach einer schier endlosen Übungszeit konnte ich mir nämlich irgendwann eine Technik namens ,,Passive Aufmerksamkeit" aneignen, die große Ähnlichkeiten zu Multi-Tasking aufweist. Im Prinzip geht es dabei nämlich lediglich darum, fähig zu sein eine Beschäftigung auszuüben, während man gleichzeitig seine mentalen Fühler ausstreckt und ein bestimmtes Sinnesorgan stärkt. In diesem Fall fokussierte ich mich auf meinen Hörsinn, so dass ein Teil von mir, trotz meiner wirren Gedanken, das Geräusch nahender Schritte wahrnimmt.
Wenn ich raten müsste würde ich anlässlich des dumpfen, schweren Untertons, sowie den unregelmäßigen Klangabfolgen auf mehrere männliche Schuhträger tippen, aber ich kann unmöglich sicher sein. Trotzdem verfällt mein Herz sofort in einen schnelleren Takt und meine Muskeln spannen sich kampflustig an, während ich nochmals den Plan durchgehe, den ich vor unserem Austausch ausgetüftelt habe. Wobei der Begriff ,,Plan" vielleicht nicht die ultimative Definition, für das ist, was mir gerade durch meinen Verstand rast. Es sind mehr einzelne Anhaltspunkte und Vorgehensweisen für verschiedene Szenarien, als eine Schritt für Schritt Anleitung alla ,,Aus dem Kerker fliehen für Dummies". Aber wer jetzt denkt, dass das eine nette Umschreibung dafür ist, dass ich mit nichts dastehe und meine gesamte Vorbereitungszeit mit Starrwettbewerben und Geschichtenerzählen verbracht habe, liegt falsch, denn angesichts der Tatsache, dass ich nur erahnen kann, was der König von uns wollen könnte, ist es wohl besser so flexibel wie möglich zu sein.
Schnell werfe ich Daimon einen erklärenden Es-kommt-jemand-Blick gefolgt von einem Ich-habe-alles-im-Griff-Nicken zu, bevor ich auch schon höre wie sich ein Schlüssel im Schloss herumdreht. Für einen Moment stellt sich meine Atmung wie von selbst ein, doch ich zwinge meine Lunge sofort wieder dazu ihre Arbeit zu verrichten, während mir gefühlt hunderte von Gedanken auf einmal durch den Kopf rauschen. Hat uns wirklich der König hier eingesperrt? Warum sollte er das tun? Steht auf seiner heutigen To-do-Liste meine eigene kleine Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen?
Strikt verbanne ich das Chaos hinter einer mentalen Mauer, denn all meine Antworten sind sowieso nur eine Tür weit entfernt und wie es das Schicksal so will öffnet sie sich in diesem Moment mit einem leisen, quietschenden Laut...
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Hey Leute, ich weiß gar nicht so recht, was ich schreiben soll...
Wie wäre es daher mit einer neuen Kapitelschätzung? Im Moment würde ich sagen: noch höchstens 8 Stück (plus Epilog). Aber legen wir am besten nicht zu viel Vertrauen in meine Angaben. Immerhin hatte ich den kleinen Cliffhanger dieses Kapitels eigentlich für das 85. geplant...
Jedenfalls sage ich den Satz ,,Oh mein Gott, es geht aufs Ende zu!" jetzt ständig, weil ich es irgendwie nicht fassen kann. (Wie soll das erst werden, wenn ich das letzte Kapitel poste?!!!)
Tja, dann wünsche ich euch noch eine schöne Woche ^^
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