Kapitel 78
24 Stunden – Ich hätte nicht gedacht, dass sich ein Tag so lange anfühlen kann, doch seitdem Rave mir versprochen hat, dass wir uns morgen um dieselbe Zeit treffen, um zu ihrem geheimen Unterschlupf zu fahren, ist mein Körper voll von Neugierde und einer elektrisierenden Aufregung. Wie viele Mitglieder hat die Organisation tatsächlich? Welche Mittel stehen ihnen zur Verfügung? Haben sie sich für oder gegen meinen Vorschlag entschieden? Diese und noch mehr Fragen toben in meinem Kopf herum und haben es sich zur Aufgabe gemacht mich nicht loszulassen, bis ich wieder in diesem verdammten Van sitze und vor ihrer persönlichen Bathöhle haltmache.
Hinzukommt, dass ich mich nicht mal mit der Weiterplanung meiner verrückten, waghalsigen Idee ablenken kann, da mir die wenigen Informationen, die ich besitze, gerade mal Spielraum für ein paar grundlegende Strategien geben. Des Weiteren habe ich Daimon als neustes Sperrthema mit der obersten Priorität zur Nichtbeachtung gebrandmarkt. Das ewige Gedankenkarussell um einen Kerl zeigt mir nämlich, dass ich vielleicht doch eines dieser Mädchen bin, die wegen ein paar tanzender Schmetterlinge zu einem hirnamputierten Zombie mutiert, der nur noch zwei Gefühlsgebiete aufweisen kann. Zum einen das grinsende Hündchen auf der flauschigen Wolke Numero sieben, das dringend einen Drogentest machen sollte und dann die Kehrseite des durchgedreht-glücklichen: der grüblerische Emo mit einem Hang zum Kissenzerquetschen. Und außerdem habe ich schon genug Gehirnzellen an ihn verschwendet und das hat mir nichts als Fragezeichen und Im-Kreis-Gedrehe eingebracht.
Aber jetzt mögen manche sicherlich denken: Fait, es gibt doch so viele andere Dinge, über die man sich den Kopf zerbrechen kann. Da wäre zum einen die ewige Frage nach der ultimativen Lieblingseissorte oder die ungeklärten Fakten der Welt, zu der auch das ,,Zuerst das Huhn oder das Ei?-Ministerium zählt. Und ja, da muss ich euch zustimmen. Es gibt eintausend Themen, mit denen ich meine Zeit verschwenden könnte, aber mein blödes Hirn weigert sich an so etwas länger als ein paar Sekunden zu denken, weswegen das wohl kaum als Beschäftigung durchgehen kann. Und auch alles andere was mir an diesem Tag unter die Nase tritt, wirkt im Vergleich zum Organisieren eines politischen Wandels beinahe mickrig und wird von meinem Verstand deshalb unter die Kategorie Uninteressant mit einer Prise von ,,Vielleicht ein anderes Mal" sortiert.
Tja, und somit kommen wir zum aktuellen Zeitpunkt, in dem ich innerlich so breit grinse, dass meine Wangen bei einer körperlichen Umsetzung wahrscheinlich platzen würden. Denn – Trommelwirbel – die vierundzwanzig Stunden sind seit genau zwanzig Minuten um, was bedeutet, dass ich mal wieder auf meinem Stammplatz im schwarzen Van sitze und mich von Rave böse anstarren lasse. Ach, hatte ich erwähnt, dass sie die Einladung zu ihrer Bathöhle nur unter ziemlich offensichtlichen Sturheitsschmerzen herausgewürgte und diesem Verb dabei alle Ehre machte, weil sie dabei so aussah als würde sie gerade einen Motoröllatte mit einem halben Liter Teerverfeinerung trinken? Nein? Dann serviere ich euch das Kopfkino eben erst jetzt auf dem Silbertablett. Ihre Reaktion ist wahrscheinlich sowieso keine große Überraschung für euch.
Und ist euch eigentlich aufgefallen, dass ich wieder damit angefangen habe so zu tun, als würden mir und meinen Gedanken irgendwelche unsichtbaren Zuschauer lauschen? Denn mir ist es das im Zusammenhang mit den Wörtern ,,durch fehlende Geduld verrückt geworden" und ,,auf Basis von zu wenig Gedanken entstandener Rückfall" durchaus in den Sinn gekommen. Immerhin habe ich so eine Beschäftigung für die Fahrt ins Nirgendwo gefunden, denn mich zum tausensten Mal zu fragen, wo der geheime Unterschlupf genau liegt, bringt mich schließlich auch nicht weiter.
In diesem Moment spüre ich plötzlich einen Anflug von Wärme, der mich mit geballter Macht von rechts trifft, was mein Herz automatisch dazu veranlasst einen Schlag auszusetzen. Daimon, schießt es mir durch den Kopf, obwohl mein erster Gedanke sonst immer Serienkiller ist. Doch irgendetwas an der Ausstrahlung seines Körpers, der meinem schon wieder viel zu nah ist und der vertrauten Art wie sein Atem über mein Ohr streicht, macht seine Anwesenheit unverwechselbar. >>Wenn du nicht bald damit aufhörst, bohrst du dir mit deinen Zähnen noch ein Loch in die Lippe, bevor wir überhaupt angekommen sind<<, raunt er mir zu und ich kann sein breites Grinsen ohne Schwierigkeiten seinem Tonfall entnehmen. Diese Mischung aus neckend, leicht provozierend und einem rauen Unterton höre ich schließlich nicht zum ersten Mal, doch heute ist einer der wenigen Momente, in denen seine Stimme in mir den Wunsch auslöst unruhig auf dem Sitz herumzurutschen.
Schnell maßregele ich meine Gedanken wieder, bevor ich meinen Ellenbogen gegen seine Brust stemme und vorsichtig Druck ausübe, bis sein Atem zu weit weg ist, als dass mein Ohr noch unter einem warmen Luftzug leiden könnte. >>Und wenn du nicht damit aufhörst mir so auf die Pelle zu rücken, dann werde ich mich bei Ms. Swan darüber beschweren und du kannst dir ihre zweistündige Predigt über Anstand und Knigge anhören, bis dir die Ohren abfallen. Glaub mir, das ist kein Spaß, wenn du irgendwann halb schlafend und zu Tode gelangweilt dasitzt, während sie zum vierzigsten Mal ihren ,,Das schickt sich nicht"-Spruch ablässt<<, erwidere ich und verziehe meine Lippen dabei zur Abwechslung mal zu einem siegreichen Lächeln, anstatt unterbewusst mit meinen Zähnen darauf herum zu knabbern.
Und ehrlich gesagt, wäre es mir auch lieber gewesen in Ungewissheit gelassen zu werden, denn die Tatsache, dass Daimon nichts Besseres zu tun hat, als mich auf meine schlechte Denkangewohnheit hinzuweisen, deutet schwer daraufhin, dass die Sache mit einem Konter noch nicht gegessen ist. >>Da scheint jemand aus Erfahrung zu sprechen<<, flüstert er mir zu und ich kann mir ein Augenverdrehen nicht verkneifen. Denn leider liegt er damit goldrichtig und ich würde lügen, wenn ich sage, dass sich diese Erinnerung nicht auch in meinem Kästchen ganz hinten in meinem Versand befindet.
>>Aber ob du es glaubst oder nicht: Ich habe diese Tirade mittlerweile so oft gehört, dass ich schon fast immun dagegen bin. Du musst dir also schon eine bessere Drohung einfallen lassen... Jedenfalls wenn du das überhaupt willst. Denn meiner Ansicht nach war das nur ein mehr als halbherziger Versuch, mich auf Abstand zu halten<< Verdammt, denke ich, weil die Stimmung schon wieder in eine Richtung gekippt ist, die ich eigentlich unbedingt vermeiden wollte. Wobei die Atmosphäre eigentlich schon von dem Moment eine Vollbremsung mit anschließender Kehrtwende eingelegte, als Daimon den Sicherheitsabstand, den ich eigentlich zu ihm bewahren möchte, in die Mülltonne gekloppt hat.
>>Halbherzig?<<, echoe ich spöttisch, >>Ist es dir denn lieber, wenn ich dir beim nächsten Mal einfach ohne Warnung den Ellenbogen ins Gesicht ramme, anstatt dich bestimmt zurückzuschieben und dir eine Drohung zu unterbreiten?<< Reflexartig drehe ich mitten während meines kleinen Dialogs mein Gesicht zu ihm, was natürlich eine total dämliche Idee ist, die ich bisher erfolgreich ignoriert habe. Und in dem Moment als ich das provozierende Funkeln und den überheblichen Touch seines Lächelns sehe, wird mir bewusst, dass das seine neue Masche ist: Mich wie in alten Zeiten aus der Reserve locken, damit ich ihm mehr schenke als meine kalte Schulter und die mühsam aufgebrachte Ignoranz.
>>Na ja, wie wäre es, wenn...<<, beginnt Daimon schafft es aber nicht seinen Satz zu Ende zu führen, da Dylan in diesem Moment erfolgreich zur Schau stellt, dass Flüstern nicht unbedingt zu seinen Stärken zählt. >>Und es geht wieder los! Die Telenovela ,,Royal Intrigues" startet in die nächste Folge, die hoffentlich in einem Marathon mündet. Rave, was ist dein Kommentar zum Geschehen?<<, fragt Smaragdglupscher sie mit kindlichem Schalk und hält ihr ein unsichtbares Mikrofon direkt vors Gesicht. >>Na ja, mal abgesehen davon, dass du dich schon wieder aufführst wie ein Fünfjähriger, habe ich noch die bahnbrechende Neuigkeit zu bieten, dass dein Fernsehapparat gerade eine Kollision mit der Realität samt Komplettabsturz erleidet. Wir sind nämlich da<<
Sofort setze ich mich auf meinem Sitz kerzengerade hin und blicke durch das Fenster, das ich während dem Gespräch mit Daimon aus den Augen verloren habe. Doch schon davor hatte ich es irgendwann aufgegeben die Landschaft mit Adlersinnen zu verfolgen, um ein Gespür dafür zu bekommen, wo sich ihr Unterschlupf befindet. Die Gegend ist mir nämlich so vertraut wie dem Schaf das Tanzen auf High Heels und die einzige geistige Notiz, die ich mir machen konnte ist, dass sich die Bathöhle wohl in einem abgelegenen Teil der Stadt irgendwo in den Außenbezirken befindet.
Ich glaube, es ist also nicht erwähnenswert, dass ich hier noch nie in meinem Leben gewesen bin. Schließlich bin ich nicht nur niemals über Solias Grenzen hinausgekommen, auch innerhalb der Stadt bewegte ich mich zu meist nur in Teilen, die ich zu Fuß erreichen konnte. Deshalb bin ich umso neugieriger als ich hinter der Glasscheibe ein altes Firmengebäude erkennen kann, dass zwar so aussieht als würde es schon einige Zeit leer stehen, aber ansonsten einen gepflegten Eindruck macht. Aber nicht nur das. Wir scheinen uns nicht in irgendeinem Armenviertel mit dicht an dicht stehenden Fabriken zu befinden, die den Eindruck machen als würden sie Schmutz magisch anziehen. Dieses Bauwerk ist im Preisbereich eher zwischen der Mittel- und der Oberschicht anzuordnen, denn obwohl es nicht die charakteristischen großen Fensterfronten aufweist, die häufig mit historischen Verzierungen, Marmor und Stuck gepaart werden, ist es doch ein stabiler, moderner Bau.
Befindet sich der Unterschlupf etwa da drin?, frage ich mich, verwerfe den Gedanken aber sofort wieder. Wahrscheinlich ist das nur ein x-beliebiges Gebäude, vor dem wir geparkt haben und wir wenden uns gleich der nächstbesten kleinen Absteige zu oder gehen zu Fuß weiter bis zu dem Wald, der mir aus dem anderen Fenster entgegenblickt. >>Tja, dann... Alle Mann aussteigen!<<, scheucht uns Dylan enthusiastisch zur Tür raus, obwohl er schon ein bisschen wehleidig wirkt, was seine zu Ende gegangene Telenovela im live-Format betrifft.
Schnell steigen wir vier aus dem Wagen und mir wird mal wieder überdeutlich bewusst, dass Rocelyn heute nicht mitgefahren ist. Doch ich schätze mal, dass ich ihr entweder im Unterschlupf begegnen werde oder sie gerade schlichtweg zu viel damit zu tun hat, meine Eltern mit irgendwelchen Köstlichkeiten zufrieden zu stellen. So oder so, gibt es bestimmt keinen Grund sich Sorgen um ihre Abwesenheit zu machen, weshalb ich meine Aufmerksamkeit sofort wieder auf die Umgebung richte. Das erste, was mir auffällt ist, dass es sich hierbei wohl um ein abgelegenes Industiergebiet handeln muss. Denn außer einigen weiter entfernten großen Gebäudekomplexen mit asphaltierten Parkplätzen gibt es hier nicht viel zu sehen. Es ist einfach einer dieser Orte, an dem jeder darauf bedacht ist sich um seinen eigenen Kram zu kümmern und niemand nach links oder rechts schaut. Alles in einem also eine ziemlich praktische Lage für ein Geheimversteck, auch wenn ich bisher noch kein Gebäude gesichtet habe, das im entferntesten mit meiner Vorstellung übereinstimmt.
>>Wo lang?<<, frage ich und sehe nacheinander Dylan und Rave an, die sich bisher noch keinen Schritt in Bewegung gesetzt haben. >>Geradeaus auf das Gebäude zu natürlich! Wir haben nicht umsonst wenige Meter davor geparkt<<, brummt die schlechtgelaunte Schwarzhaarige und stiefelt zu dem Maschendrahtzaun, der das gesamte Grundstück umgibt. Überrascht ziehe ich eine Augenbraue nach oben und mustere das Bauwerk, das ich vorher schon aus dem Fenster betrachtet habe, noch einmal eingehend. Wie können sie so einen Betonklotz als Unterschlupf finanzieren? Oder haben sie eine Möglichkeit gefunden den Zaun zu überwinden und dort illegal ihr Lager aufgeschlagen?
Plötzlich setzt sich der schwarze Van wie von selbst in Bewegung und lässt uns in diesem verlassenen Viertel zurück, wobei mir natürlich wieder erst jetzt in den Sinn kommt, dass ich immer noch keine Ahnung habe, wer dieses Auto eigentlich die ganze Zeit fährt. Aber vielleicht sollte ich mir mal lieber darüber Gedanken machen, wie wir wieder zurück zum Schloss kommen. Ist dieses Fahrzeug samt Fahrer möglicherweise so eine Art Taxigesellschaft für die Organisation? Müssen sie einfach nur die richtige Nummer wählen, ihren Standpunkt durchgeben und werden kurz darauf auch schon abgeholt?
Meine Fragezeichen scheinen mir wohl ins Gesicht geschrieben zu stehen, weshalb sich Dylan glücklicherweise erbarmt gerade jetzt in einem weiteren Redeflash einige interessante Informationen Preis zu geben. >>Keine Sorge, der kommt wieder, wenn wir ihn brauchen. Es ist nur sicherer den Van nicht hier draußen stehen zu lassen und darauf zu warten, dass irgendjemand bemerkt, dass das Gebäude vielleicht doch nicht so leer steht, wie es den Anschein macht. Jedenfalls entnehme ich euren beiden Gesichtsausdrücken jetzt einfach mal, dass ihr eigentlich mit einer wackeligen Waldhütte oder sogar mit einem Abstecher ins Abwassersystem gerechnet habt... Aber, dass -<<
>>Apropos, Bathöhle<<, fahre ich ihm gekonnt über den Mund, um den folgenden langen Ausschweifungen zu entgehen, >>Seid ihr hier einfach so illegal eingedrungen, habt eure Flagge in einen Papierkorb gesteckt und das Ganze als euer Territorium erklärt oder wie darf ich mir die Hintergrundgeschichte vorstellen?<< Mit hochgezogen Augenbrauen deute ich auf dieses Betonklotzmonster und ich kann an Dylans Grinsen ablesen, dass er mir die Antwort liebend gerne vor die Füße werfen möchte.
>>Oh nein, Schätzchen. Wir behausen doch nicht einfach so einen Privatbesitz wie schmutzige Kriminelle. Das Gebäude gehört dem Anführer unserer Gruppe, wobei es die weibliche Form des Wortes wohl eher treffen würde<<, meint Smaragdglupscher und lässt die Chance sich bei dem ersten Teil seines Monologs dramatisch ans Herz zu fassen natürlich nicht ungenutzt. Eine Anführerin also, denke ich. Und wie es den Anschein hat, ist ihr Geldbeutel nicht so spärlich bestückt wie in meinen Vorstellungen, aber das passt ja ganz gut zu dem restlichen Haufen an unzutreffenden Theorien. Jetzt bleibt nur noch die wichtigste Frage unbeantwortet...
>>Und wer ist sie?<<, hake ich nach, wobei mein Tonfall aus ehrlicher Neugierde und einer guten Prise Rück-einfach-mit-der-Sprache-raus besteht. Ich meine, warum muss Dylan genau vor dem Ausplaudern der brisantesten Informationen die magische Fähigkeit entwickeln, seinen Schnabel ohne die genervten Einwürfe anderer zu schließen? >>Tja, dafür müsst ihr euch wohl noch ein bisschen gedulden<<, brummt Rave und haut dabei auf die Tastatur eines Geräts ein, das wohl zur Sicherheitsanlage dieses Zauns gehört. Aufmerksam versuche ich einen näheren Blick zu erhaschen, doch die Schwarzhaarige verdeckt mit ihrem Oberkörper natürlich die Sicht, weshalb ich mich damit zufrieden gebe ihrem kryptischen Verhalten mit einem Augenrollen zu begegnen.
>>Ihr werdet sie nämlich heute noch kennenlernen und da ich keinerlei Interesse daran habe euch die Folter der Unwissenheit zu ersparen, sind unsere Lippen versiegelt. Und jetzt rein mit euch. Wir haben schließlich nicht ewig Zeit<< Wie in einem Film mit perfekter Zeitplanung gleitet das Tor natürlich in dem Moment mit einem lauten Beep-Beep auf, als Rave ihre Rede beendet und das Summen der Mechanismen dringt auch dann noch zu meinem Ohr, als Daimon hinter mich tritt. Erst möchte ich mich mit einem Schritt in Sicherheit bringen, doch als sein Atem über den empfindlichen Punkt unter meinem Ohrläppchen streicht, ist von diesem Vorhaben nicht mehr viel übrig und ich verwandle mich einmal mehr in eine unbewegliche Eissäule.
>>Wenn sie sich diese Immobilie leisten kann, muss sie entweder so etwas wie die Königin der Unterwelt sein und auf einem Haufen gestohlener Kohle sitzen oder sie ist ein Teil der Oberschicht, die sich aus irgendwelchen undurchsichtigen Gründen für diese Organisation einsetzt. So oder so, ich möchte dass du vorsichtig bist, okay Flämmchen? Egal, was für Differenzen wir gerade haben, da drinnen kannst du nur mir hundertprozentig vertrauen. Wir sind ein Team – komme was da wolle<<
Mein Herz nimmt wieder eine Geschwindigkeit auf, die nur mit dem Davonbrausen eines Motorrads verglichen werden kann und ich muss schwer schlucken, als mich das volle Ausmaß seiner Worte durchströmt. Wie die Motte von dem Licht werde ich von ihm angezogen und ich drehe mich instinktiv zu ihm um, damit er meinen entschlossenen Blick und das einlenkende Nicken sehen kann. >>Komme was da wolle<<, wiederhole ich, obwohl es in meinem Kopf natürlich immer noch eine nagende Stimme gibt, die mir eintrichtern will, dass von ihm die größte aller Gefahren ausgeht. Doch ich ignoriere sie strikt. Schließlich habe ich diese Situation im Griff und wenn er mir die Hand für eine praktische Beziehung mit integrierter Überlebenstaktik anbietet, sollte ich das Angebot auf keinen Fall ausschlagen.
Außerdem hat er Recht, wir kennen diese Leute kaum und haben mit ihnen auch noch nichts durchlebt, das unser Vertrauen in den anderen festigen würde. Bei Daimon und mir sieht das aber ganz anders aus, ich habe ihn vor den Soldaten gerettet, er hat mich vor meiner Mutter verteidigt und auch während der zwei bisherigen Angriffe haben wir Seite an Seite gekämpft. Warum also nicht auch jetzt?
Plötzlich spüre ich wie seine Hand vorsichtig nach meiner tastet. Fast vorsichtig schleicht sie sich an mich heran und es kommt mir vor als würde er mich für ein scheues Reh halten, das bei einer einzigen ruckartigen Bewegung sofort wieder im Dickicht verschwindet. Stumm lasse ich es – ausnahmsweise – passieren, denn obwohl ich bisher von freudiger Aufregung erfüllt war, wird mir jetzt doch bewusst, dass wir uns genauso gut in die Höhle des Löwens begeben könnten. Deshalb scheint mir die körperliche Verbundenheit zu meiner einzigen gerade anwesenden Vertrauensperson wie eine willkommene Sicherheitsleine.
Und ich lächle still in mich hinein als wir Hand in Hand mit zielstrebigen Schritten auf das mittlerweile vollständig geöffnete Tor zulaufen und dabei wahrscheinlich aussehen wie ein Agentenduo auf einer wichtigen Mission.
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>>Das sind sie also<<, durchbricht eine Stimme die Stille und mein Blick huscht sofort zu dem dunkelhäutigen Mann mittleren Alters, der mir schräg gegenüber sitzt. Mittlerweile sind wir im Unterschlupf angekommen, doch eine ausführliche Führung haben wir natürlich nicht erhalten. Das einzige, was ich herausgefunden habe ist, dass sie ihr Hauptlager im Keller aufgeschlagen haben, weil die fensterlosen Räume den ultimativen Schutz bieten. Von außen ist das elektrische Licht, das hier überall brennt nicht zu sehen und ich muss zugeben, dass es etwas ungemein Beruhigendes hat, diese starken Wände um sich zu haben. Na ja, jedenfalls war das meine Meinung, bevor dieses behütete Gefühl sich in den Gedanken verwandelt hat, von Blicken erdrückt zu werden.
Bis auf einen nichtssagenden, spärlich bestückten Gang konnte ich nämlich auf unserer kleinen Tour nichts bewundern, da Rave und Dylan uns sofort in diesen Konferenzraum schickten. Dort wurden wir nicht nur von einer riesigen Tafel, sowie modernem Planungsequipment empfangen, sondern auch von vierzig Augenpaaren, die bis jetzt noch jede unserer Bewegungen auf das Genauste erfassen. Ich weiß nicht, ob sie von uns erwarten in der nächsten Sekunde eine höchstexplosive Bombe in den Raum zu werfen oder ob sie einfach nur neugierig sind, doch selbst meine erprobten Pokerfacekenntnisse werden gerade auf das Äußerste getestet.
Mein erster Eindruck von dem sogenannten ,,Inneren Kreis" ist etwa der gleiche wie von einem Ramschflohmarkt. Es scheint kein wirkliches Muster zu geben und es sticht keine Person besonders hervor, aber nur weil sie zunächst wie ganz normale Leute wirken, bedeutet das nicht, dass sie keine interessanten Eigenschaften verbergen. Bei näherem Betrachten könnte der Mann, der soeben das Wort erhoben hat, zum Beispiel für die Sicherheit verantwortlich sein und eine militärische Sicht auf die Dinge geben. Zumindest wirkt er mit dem sportlichen, trainierten Körperbau als hätte er in seinem Leben viel Sport getrieben und auch der wissende Ausdruck in seinen Augen könnte zu einer Soldatenausbildung passen.
Ansonsten scheint es hier wirklich jede Sorte Mensch zu geben. Ich sehe noch zwei weitere Personen in unserem Alter, aber auch mehrere Mittvierziger sowie über Sechzigjährige. Sie alle strahlen eine andere Aura aus und wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass es hier keine besondere Stärke zweimal gibt. Dieser ,,Innere Kreis" scheint wirklich breit aufgestellt zu sein, doch eine Gemeinsamkeit bleibt: Sie starren Daimon und mich auf die eine oder andere Art an, weshalb ich umso glücklicher bin, den Prinzen an meiner Seite zu haben.
In diesem Moment fühlt es sich nämlich an, als hätte ich mich in ein tödliches Hornissennest gesetzt und obwohl ich schon auf dem Weg an meiner neu eingegangenen Vertrauenspartnerschaft mit ihm gezweifelt habe, muss ich mir für diese Entscheidung nun auf die Schulter klopfen. Und wer weiß, vielleicht ist es sogar einfacher für mich ihn mit einer rein praktischen Beziehung auf Abstand zu halten, als ihm ganz aus dem Weg zu gehen.
>>Na schön, wie sieht es aus. Habt ihr noch irgendwelche Fragen an uns oder habt ihr bezüglich meines Vorschlags schon eine Entscheidung getroffen?<<, hake ich nach, da auch nach der trockenen Feststellung des Soldatentyps keine Diskussion eröffnet wurde. Und obwohl mir meine Ungeduld wahrscheinlich irgendwann das Genick brechen wird, bin ich ganz sicher nicht hier um mich drei Stunden lang tonlos von Blicken durchbohren zu lassen. Sie haben mich aufgesucht und wollten meine Hilfe – jetzt sollen sie mir auch ein wenig entgegen kommen.
>>Ich denke schon, dass noch einige Fragen von Nöten sind, aber wir haben uns gestern bereits besprochen und eine vorläufige Entscheidung getroffen, die nur noch von schwerwiegenden Fakten ins Wanken gebracht werden kann. Wenn es euch aber nichts ausmacht würden wir noch einige Sekunden warten, bis unsere Anführerin eintrifft<<, ergreift eine schlanke Blondine mit entwaffnendem Lächeln das Wort. Mit ihrer schwarz gerahmten, viereckigen Lesebrille und der vertrauensvollen Ausstrahlung, wirkt sie auf mich wie die typische Ärztin, weshalb ich sie kurzerhand auf den Namen Doktor Strahleweiß taufe, weil ihre Zähne von makelloser Perfektion nur so triefen.
>>Ich bin ihr kurz davor auf dem Gang begegnet und sie sagte mir, dass wir ohne sie anfangen sollen, weil sie noch etwas Wichtiges zu erledigen hat<<, wiederspricht ein Mann mit fahlem Haar und rundlichem Körperbau, was die Intensität der Blicke gleich auf ein neues Level hebt. Nun scheinen sie nämlich nicht nur die kleinste Regung in unseren Mienen zu suchen, sondern auch abzuwägen, welche ihrer Fragen die Dringendste ist.
>>Wenn das so ist...<<, erwidert Dr. Strahleweiß mit einer eleganten Bewegung, >>Dann liegt es wohl an mir - der rechte Hand unserer Anführerin - euch beide auf den neusten Stand zu bringen. Ich denke, es dürfte euch freuen zu hören, dass wir bereit sind eure Idee umzusetzen. Rave und Dylan haben versucht euer Gespräch so wortgetreu wie möglich wiederzugeben und eure Argumente sind durchaus schlüssig, doch wie schon erwähnt, gibt es noch einige Fragen, die wir euch stellen müssen, bevor wir mit der Planung beginnen können<<
>>Prinz Daimon<<, richtet sich die Blondine nun an den angespannten Typen neben mir, >>Könnten Sie uns etwas mehr über ihre Zusammenarbeit mit den Koslowern berichten, damit wir ein genaueres Bild von der Lage bekommen können. Ich möchte, dass sie dabei vor allem darauf eingehen, was sie Ihnen anvertraut haben. Wussten sie über ihre Pläne im Detail Bescheid? Wie würden sie ihre Arbeitsweise beschreiben?<< Vielleicht ist Dr. Stahleweiß ja auch Professorin an einer Universität überlege ich. Zu ihrem gewählten Wortschatz und ihrer Fragestellung würde es auf jeden Fall passen. Immerhin könnte die Formulierung dieser Aufgabe auch genauso gut in einer Prüfung vorkommen oder einfach so in einer Unterrichtsstunde gestellt werden.
Aber zu dieser Krisenmanagement-Atmosphäre mit einem leichten Verhörtouch will es nicht so richtig passen, was jedoch nicht bedeutet, dass ich dieser Frau für ihre Frage nicht unglaublich dankbar wäre. Immerhin habe ich zu Daimons früherer Zusammenarbeit bisher nur ein paar Brotkrumen serviert bekommen, weil ich für alles andere mit eigenen Antworten bezahlen müsste. Und das sind nun mal Informationen, die ich zu geben nicht bereit bin. An manchen Tagen frage ich mich sogar, ob ich es jemals schaffen werde, mein Geheimnis laut auszusprechen und sei es nur in einem leeren Raum mit kahlen Wänden. Es scheint nämlich so, als hätten sie sich irgendwo ganz hinten in meiner Kehle zusammengekauert und würden sich weigern aus meinem Mund zu entfliehen, weshalb die Frage, ob ich sie irgendwann mit ins Grab nehme noch ungeklärt ist.
>>Na ja<<, beginnt Daimon und nutzt seine kurze Sprechpause um sich auf seinem Stuhl zurückzulehnen und die Arme vor der Brust zu verschränken, >>Sie haben mir nicht vollständig vertraut – so viel ist sicher, aber es hat immer gereicht um eine gute Partnerschaft am Leben zu halten. Wir stehen schon seit über einem halben Jahr in Verbindung und ich habe mich manchmal auch persönlich mit einem ihrer Mittelsmänner getroffen. Vor den Angriffen hielten wir diese Zusammenkünfte an einem abgelegenen Ort auf dem Schlossgelände ab, doch nach den Sicherheitsverschärfungen stellte das ein zu großes Risiko dar, weshalb unsere letzte Begegnung in einem kleinen Juwelier in Solia stattfand<<
Kurz wirft er mir einen bedeutenden Blick zu und ich verstehe die Anspielung sofort. Deshalb suchte er während unseres Geschäfts also diesen Laden auf und bestand darauf, dass ich ihm auf keinen Fall folge, denke ich. Und das erklärt dann wahrscheinlich auch seine Weltuntergangsstimmung und die stürmische See in seinen Augen. Seine Zusammenarbeit mit den Koslowern scheint sein Gewissen wirklich zu belasten, was automatisch bedeutet, dass er keine perfiden Spielchen mit mir spielt, um mehr über meine Kräfte in Erfahrung zu bringen. Schließlich hatte er es damals noch nicht so dringend nötig mich mit dieser Masche um den Fingern zu wickeln und darüber hinaus bezweifle ich auch, dass ein einziger Mann so viel Schauspielkunst in sich tragen kann. Zwar gießt diese Information noch weiter Benzin in das tosende Problemfeuer in meinem Inneren, aber ich kann nicht leugnen, dass ich es nicht genieße, wenigstens dieser zweifelnden Stimme ein Abschiedstuch nachzuwerfen.
>>Ich lieferte ihnen jedes Mal die nötigen Informationen, um problemlos ins Schloss einzudringen und dafür nannten sie mir das Datum sowie die genaue Zeit ihres Angriffes. Die ersten waren natürlich nur dazu gedacht, in den Medien präsenter zu werden und das Volk einzuschüchtern. Die Chance eines bürgerlichen Aufstandes ist nämlich zehnmal höher, wenn man sich zuvor keinen Namen gemacht hat, der die Menschen durch Angst in Schach hält. Doch jetzt wollen sie den endgültigen Schritt machen und meine Eltern vom Thron stoßen. Auch hier habe ich nicht mehr Angaben als das Datum, aber der Mittelsmann sagte mir, ich solle damit rechnen hart angefasst zu werden, bis die Zeit reif ist, um unsere Partnerschaft zu offenbaren<<
Der Steinin meiner Brust bebt, als ich den Teil seiner Worte vernehme, die für alleanderen wahrscheinlich irrelevant sind. Bedeutet das, dass er damals wirklichin Gefahr schwebte?, frage ich mich und mein Herz pocht laut und kräftig vor sich hin, während der Raum voller Leute für einen Augenblick in den Hintergrund rückt. Wenn eine Sache ganz oben auf meiner Verdrängungsliste steht, die eine Verbindung zu Daimons Partnerschaft mit den Koslowern hat, dann ist es definitiv die nagende Frage, ob ich damals völlig umsonst mit meinem Feuer sieben Menschen vom Erdball löschte.
Ich habe mich in keinen der letzten 43 Stunden getraut von dem Prinzen eine Antwort zu fordern und es bis auf wenige Male auch geschafft, sie vollständig aus meinen Gedanken auszugrenzen. Denn egal wie schlimm meine konfusen Schuldgefühle auch sind, ich konnte mich immer an den Grashalm klammern, Daimon damit das Leben gerettet zu haben. Doch wenn dieser letzte Halt einfach so wegbrechen würde... Dann wüsste ich ehrlich gesagt nicht, wie es um meine geistige Verfassung stände.
Dochobwohl seine Worte darauf schließen lassen, dass die meisten Koslower keineAhnung von der Partnerschaft hatten und sie somit ernsthaft vorhatten ihn zutöten, kann ich mir unmöglich sicher sein. Schließlich könnte sein finaler Satzauch einfach bedeuten, dass sie dem Volk vorerst eine Gefangennahme des Prinzenvorspielen wollen und die Zusammenarbeit erst später verkünden. Jedenfallsfühlt sich das Gewicht auf meinen Schultern kein Gramm leichter an, denn mirreicht keine mehrdeutige Aussage. Ich brauche verdammt nochmal Gewissheit, aberdazu müsste ich erstmal ein vertrauliches Gespräch mit Daimon ins Leben rufenund das ist zurzeit so ziemlich das letzte was ich gebrauchen kann. >>Da sind sie ja, Kaptain<<, reißt mich die Stimme von Dr. Strahleweiß aus meinen Gedanken.
Scheinbar habe ich in meinen Erleichterungsströmen vergessen meine Soldatensinne scharf zu stellen, denn das Geräusch von nähernden Schritten hätte mir in der Stille des Raums eigentlich auffallen sollen. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass mich nur noch eine Neigung meines Kopfes davon trennt das Gesicht derjenigen zu sehen, die hinter der Gründung dieser Organisation steckt. Mit vor Aufregung angehaltenem Atem, drehe ich so lässig wie möglich meinen Kopf in ihre Richtung und sobald ich sie einmal von oben bis unten gemustert habe, fährt eine Erkenntnis wie ein Ruck durch meinen Körper.
Ich kenne diese Frau.
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Woche 4: Check! Ich muss sagen bisher läuft das mit den Updaten trotz auf mich zu rollenden Prüfungen echt gut... Aber wir wollen es lieber nicht verschreien...
Jedenfalls, irgendwelche Vermutungen, wer die Anführerin sein könnte? *wackelt mit den Augenbrauen und zeigt euch ihr bestes Ich-weiß-es-Ich-weiß-es-Lächeln*
Na dann, sehen wir uns hoffentlich nächsten Sonntag wieder und bis dahin: Eine erträgliche Woche euch allen ^^
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