Kapitel 66
Bevor ich auch nur einen weiteren Gedanken fassen kann oder sogar auf die dumme Idee komme mir meine Haarbürste von der Frisierkommode zu schnappen, um mich mit meinen Werfkünsten zu verteidigen, wird die Kleiderschranktür auch schon aufgestoßen und mir bleibt nichts anderes übrig, als einfach in Verteidigungsposition zu gehen. In Erwartung mir gleich einen unausgewogenen Kampf mit einem Koslower zu leisten, spannen sich bei mir sämtliche Muskeln an und mein Herz legt einen Stolpermarathon hin.
Doch schlussendlich scheint das alles umsonst gewesen zu sein, da mir kein bewaffneter Feind gegenüber steht sondern Daimon. Ungläubig blinzele ich ein paar Mal, um mich zu vergewissern, dass da nicht gerade ein arroganter Prinz aus meinem Schrank gesprungen ist, doch das Bild bleibt dasselbe. Dunkelbraune Haare, stürmische Augen, ein überhebliches Grinsen... Und eine Lederjacke? Was zum Teufel? Die Verwirrung schlingt sich wie eine Anakonda um meinen Verstand und legt ihn somit lahm, was wohl die Begründung dafür ist, warum es mir so schwerfällt dieses plötzliche Auftauchen zu verarbeiten
>>Du weißt schon, dass mein Zimmer auch eine Tür hat, oder? Und damit meine ich eine Richtige, die allein dafür erfunden wurde, dass man diesen Raum betreten und verlassen kann und nicht die, die du gewählt hast. Diese ist dafür da, dass man das Chaos im Schrank nicht sieht, aber wie ich sehe hast du sie ja erfolgreich für gruselige Auftritte umfunktioniert<< , ist das erste, das aus mir herausplatzt, als sich mein Mund entscheidet endlich seinen Dienst wiederaufzunehmen. Tja, und wie wir sehen ist das Erstbeste, was mein Hirn zu bieten hat, eine Aneinanderreihung von Fakten, die reichlich mit meinem Hat-das-Kleinkindstadium-wieder-bei-dir-eingesetzt-Unterton getränkt ist.
>>Und was machst du hier überhaupt? Ich dachte, wir treffen uns vor dem Kinosaal und bringen das Date dann schnellstmöglich hinter uns<<, meine ich, was mir innerlich ein kleines Halleluja entlockt. Denn, ach sieh mal einer an, da ist ja doch die normale Reaktion auf einen Schrankbesuch. Soweit es dafür irgendeine Norm gibt, was ich schon fast vermuten muss, da ich Ms. Swans Wälzer über das richtige Benehmen gesehen habe. Und wenn sie nicht eigentlich plant damit gesellschaftliche Querschläger mit einem fetten Rumps aus dem Weg zu räumen, ist es wohl am wahrscheinlichsten, dass das Buch randvoll mit langweiligen Kniggeregeln für jede Lebenslage ist. Also, warum nicht auch für das Miterleben eines plötzlichen Schrankbesuchs? Wer weiß, vielleicht hat Daimon den Absatz für den Auftauchenden ja gerade erst gelesen und sich dann entschieden das Gegenteil zu machen, um seinem Ruf als Idioten gerecht zu werden.
>>Tja, kleine Planänderung, obwohl das wohl das falsche Wort für eine Idee ist, die nie richtig Thema für mich war. Der angesetzte Besuch des Heimkinos war allein zur Ablenkung des Kamerateams gedacht, damit wir beide in Ruhe etwas Anderes unternehmen können<<, teilt mir Mister Unausstehlich über seine Schulter hinweg mit, da er gerade dabei ist meinen Kleiderschrank zu durchwühlen. Einen Moment sehe ich seinen Rücken einfach nur fassungslos an, bevor ich auf ihn zu stapfe und ihm das Kleidungsstück, das er gerade in der Hand hält, aus seinen Klauen reiße.
Mein Gemütszustand kommt den Hundertachtzig gerade gefährlich nahe, obwohl meine Wut einen Moment zuvor noch im Daimonnormal-Bereich lag. Doch das passiert eben, wenn die Verwirrung abflaut und Platz für die Gefühle lässt, die darunter brodeln. Und das ist in diesem Fall ein gleißender Vulkan, der sich nicht nur darüber aufregt, dass er ohne großartige Ankündigung durch meinen Schrank hindurch in mein Zimmer einbricht, sondern auch darüber, mit welcher Selbstverständlichkeit ihm das Ganze von der Hand geht.
Hinzu kommt, dass er in meinem Schrank herumwühlt als wäre er sein Eigentum und dabei nicht mal eine Sekunde daran denkt, dass ich vielleicht ein Problem damit haben könnte, wenn Leute in meinen Privatsachen herumfingern. Ach ja, und was war das mit seiner Planänderung, die keine ist, weil er alles von Anfang an wusste und es nicht für nötig hielt mich einzuweihen?
>>Dringst du immer so rücksichtlos in die Privatsphäre anderer Leute ein oder bekomme ich eine Sonderbehandlung alla Einmal-in-den-Wahnsinn-treiben-zum-Mitnehmen-bitte? Ich meine, ich hätte gerade nackt aus dem Bad laufen oder eine Leiche unter meinem Bett verstecken können<<, fahre ich ihn an, während Daimon mit seinen Augen dem Kleidungsstück folgt, das ich gerade achtlos auf den Boden fallen lasse. >>Das habe ich natürlich in Erwägung gezogen. Also, nur ersteres, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass du klug genug bist, von dir getötete Menschen anständig im Wald zu vergraben oder unauffällig zu verbrennen<<, antwortet er und schenkt mir anschließend ein schelmisches Zwinkern, bevor er die Suche in meinem Kleiderschrank fortfährt, >>Was denkst du, warum ich angeklopft habe?<<
Dieser... Meine obere Zahnreihe reibt knirschend über die Untere und ich frage mich, ob ich seinen Rat zum Verstecken einer Leiche in den nächsten Minuten vielleicht brauchen werde. >>Klar, so ein kleines Klopfen mit nicht mal zehn Sekunden Abstand zum schlagartigen Eindringen gibt mir sicherlich die Zeit, um mir ein Handtuch zu schnappen<<, meine ich ironisch, während ich seine Hände, die durch die perfekt auf Bügel aufgehängte Kleidung streifen, böse mustere.
>>Ahh, da haben wir ja was Passendes!<<, kommt es in diesem Moment von dem Prinzen und er zieht eine meiner Lieblingsjacken aus dem Schrank. Die Oberfläche besteht aus Kunstleder, doch innendrin ist eine Art dünner Cardigan mit Kapuze angenäht, so dass sich das Kleidungsstück besser auf der Haut anfühlt und dem einfach gehaltenen Design der Lederjacke etwas Besonderes verleiht. >>Hältst du es so langsam nicht für nötig mich einzuweihen?<<, frage ich ihn jetzt, da ich seine ungeteilte Aufmerksamkeit habe.
>>Na ja, das ist eine längere Geschichte, die ich dir gerne auf dem Weg verklickern möchte, da ich vor meiner kleinen Besorgung gerne noch etwas Spaß haben würde. Also, wie wäre es, wenn du ausnahmsweise keine Fragen stellst und einfach mit mir mitkommst?<< Was denkt sich dieser Idiot nur dabei? Und was dachte ich mir dabei, als ich mir noch vor ein paar Minuten zuvor unnötiger Weise Gedanken um ein non-existentes Wir gemacht habe? Denn diese Situation beweist mal wieder, was für ein arroganter Geheimniskrämer Daimon ist. Wahrscheinlich ist das alles wieder nur ein Spiel, um mich wie eine Schachfigur auf seinem Brett herumzuschieben!
>>Nein, ich werde dir sicherlich nicht einfach blindlings irgendwo ins Nirgendwo folgen! Denn wenn ich die Situation mal kurz zusammenfassen darf: Zuerst steigst du urplötzlich durch meinen Kleiderschrank in mein Zimmer ein, dann wühlst du ungefragt in meinen Privatsachen herum, während du deinem Titel als weltgrößter Idiot mal wieder alle Ehre machst. Und dann verlangst du auch noch so einen großen Vertrauensbeweis von mir? Ist das dein Ernst?<< Böse stiere ich ihn an, während ich mir unglaublich blöd bei dem Gedanken vorkomme seine Hand bei dem vermeintlichen Angriff nicht einfach abgeschüttelt zu haben.
Erschöpft schließt Daimon die Augen, bevor er mich zum ersten Mal an diesem Tag direkt ansieht. >>Du hast Recht. Ich benehme mich wie der weltgrößte Idiot und das tut mir leid. Das ist nur eine der wenigen Chancen, die sich mir bietet hier raus zu kommen und ich dachte, dass du deine Heimatstadt auch gerne länger als für einen kleinen Ponyritt wiedersehen möchtest<< Er sieht ehrlich aufgewühlt auf, so als hätte ihn irgendeine Nachricht aus der Bahn geworfen oder als würde er gerade von mehreren Stresssituationen gleichzeitig überrollt werden. Jedenfalls ist es das, was man auf den ersten Blick erkennen kann, doch ich werde das Gefühl nicht los, dass das alles schon viel länger in ihm brodelt und von irgendetwas erneut aufgerissen wurde.
>>Du willst nach Solia?<<, hake ich nach, während sich in mir vor Heimweh alles zusammenzieht. Das Schloss liegt zwar gerade Mal eine halbe Stunde entfernt, doch durch die Mauern um das riesige Gelände herum, fühlt es sich viel weiter an. Beinahe wie etwas Unerreichbares, das zwar direkt vor deiner Nase schwebt, aber trotzdem Kilometer weit entfernt liegt. Manche teilen dieses Gefühl vielleicht mit dem Nachthimmel oder einem entfallenen Wort, das irgendwo im Gehirn verloren gegangen ist, doch für mich ist es gerade die Assoziation von allem, was vor einigen Monaten noch meine ganze Welt war.
>>Jap, und wenn du endlich aufhörst Fragen zu stellen und einfach mitkommst, haben wir noch Zeit für einen kleinen Abstecher zu einer Person deiner Wahl. Was sagst du, Flämmchen? Lieber hier versauern, weil ich ein wankelmütiger Volltrottel bin oder eine geliebte Person wiedersehen und zusätzlich noch die Stadt unsicher machen? << Rocelyn, ist das erste, was mir in den Kopf schießt. Ich könnte sie endlich sehen und mich von ihr in die Arme schließen lassen, während sie mir erzählt, dass sie sich unglaubliche Sorgen um mich gemacht hat. Ich kann ihren Duft nach frischem Gebäck und würzigen Kräutern schon fast riechen und es versetzt mir sofort einen Stich, dass ich ihr so lange nicht ins Gesicht blicken konnte. Ein melancholisches Lächeln breitet sich bei diesen Gedanken auf meinen Zügen aus und die Entscheidung ist in Sekundenschnelle gefallen.
>>Na schön, dann haben wir wohl einen Deal, Sinclair. Versuche mir aber nicht allzu sehr auf die Nerven zu gehen, okay?<<, stichle ich, doch meine Aussage verliert durch das breite Grinsen auf meinen Lippen einen Großteil seiner Schlagkraft. Innerlich gibt es zwar immer noch einen Teil von mir, der mich davor warnt, Daimon durch diese Spritztour noch näher an mich heranzulassen, doch dieser Part wird beinahe restlos von den freudigen Gefühlen übertönt. Für Rocelyn und das Wiedersehen meiner Stadt würde ich mein letztes Hemd hergeben. Warum sollte ich dann nicht auch ein kleines Risiko eingehen? Immerhin liegt es immer noch in meiner Hand, wie dieser Abend verläuft und ich habe bisher immer gute Arbeit dabei geleistet mein Herz zu beschützen.
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>>Was hast du in der Stadt eigentlich so wichtiges zu erledigen?<<, frage ich, nachdem wir einige Zeit schweigend durch die Geheimgänge geschlendert sind. Ich habe immer noch nicht aus ihm herausbekommen, wie er das Schloss überhaupt verlassen möchte oder ob bei seinem Plan irgendwelche Personenschützer eine Rolle spielen. Bei letzterem tendiere ich zu einem klaren Nein, was unter anderem an der Tatsache liegt, dass wir hier gerade durch ein Geheimsystem schleichen, anstatt einfach die kommerziellen Gänge zu benutzen. Da ich mit so einer Fragerei aber sicherlich nur meinen Atem verschwenden würde, muss ich eben anderweitig an Informationen kommen, um mein Gehirn davon abzulenken, mich ständig davor zu warnen, was das für eine saudumme Idee ist.
Daimon zu vertrauen ist wie ein Sprung in ein gesichtsloses Nichts, das einem einen Extrakick Adrenalin und wahrscheinlich auch noch einen Haufen Probleme aufhalst. Doch so egoistisch und blind vor Freude wie ich gerade eben bin, befinden sich die leuchtenden Warnblinker außerhalb meiner Vernunft. >>Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass ich zu großer Geheimhaltung verpflichtet bin, weswegen ich Ihnen keine weiteren Fragen beantworten kann<<, teilt mir Daimon gespielt wichtigtuerisch mit und grinst den Weg vor uns an. Doch als sich unsere Blicke bei einem Seitenblick treffen, ist kein Funken Schalk in seinen Augen zu finden, sondern nur ein stürmischer Orkan, der still nach Hilfe ruft. Sein Blick durchfährt mich wie ein Blitz. Ich sehe Verzweiflung, Wut und Traurigkeit in dem warmen Braun aufblitzen, doch sie bewegen sich nicht irgendwo zusammengequetscht in einer Kiste ganz hinten in seinem Sein, sondern treten mit voller Wucht in den Vordergrund.
>>Ist alles gut bei dir?<<, rutscht es mir leise heraus und der Prinz bleibt überrascht vor mir stehen, nur um sich kurz darauf wieder in Bewegung zu setzen. >>Klar, ist es das nicht immer?<< Der bittere Unterton in seiner Stimme ist anscheinend nicht nur mir aufgefallen, denn er fährt sich unruhig mit den Händen übers Gesicht. >>Hör zu. Ich gebe heute eine unglaublich schlechte Gesellschaft ab, weshalb es höchstwahrscheinlich eine blöde Idee war, dich mit diesem Ausflug so zu überrollen oder dich überhaupt erst zu fragen. Doch ich habe gehört, wie du Ms. Swan gefragt hast, ob du vor oder nach der Parade jemanden besuchen kannst. Und als sie abgelehnt hat, hast du so verdammt niedergeschlagen ausgesehen, dass ich dachte, ich könnte dir damit eine kleine Freude machen<<
Sprachlos sehe ich ihn von der Seite an, während ich das Gesagte Revue passieren lasse. Ich weiß nicht was ich darauf sagen soll, was kein Wunder ist, da ich nicht mal weiß, was ich genau darüber denken soll. Der Gedanke, dass Daimon versucht einem anderen Menschen zu helfen, empfinde ich als äußerst befremdlich. Und auch wenn ich vor nicht allzu langer Zeit gesehen habe, wie er völlig außer sich den Schutzbunker verlassen hat, um seinen unauffindbaren Bruder während eines Angriffes zu suchen, kann ich dieses Gefühl einfach nicht abschütteln. Aber vielleicht findet diese Emotion ihren Ursprung nicht in dem Gedanken, dass Daimon sich plötzlich als Helferbienchen entpuppt, sondern eher dahin, dass er etwas für mich tut.
Wobei das wohl eine übertriebene Darstellung von etwas ist, dass er sowieso erledigen muss. Ob er sich dabei aus Mitleid und Kalkulation dazu entscheidet mich mitzunehmen und mir damit einen peinlichen Auftritt erspart, ist für ihn größtenteils egal. Doch für mich besteht da durchaus ein großer Unterschied, da ich ansonsten allein zu einem gefilmten Date aufgetaucht wäre, zu dem es der arrogante Prinz auch mit zwanzig Minuten Verzögerung nicht geschafft hätte. Tja und obwohl ich reichlich wenig auf die Meinung anderer gebe, wäre das doch etwas zu viel Ballast für mein Selbstvertrauen gewesen. Da spiele ich noch lieber Daimons risikofreudigen Klotz am Bein.
>>Tja, dann ist es wirklich nett, dass du mich mitnimmst. Auch wenn du an der Formulierung und Präsentation deiner Einladungen noch arbeiten solltest<< Langsam beginne ich mich zu entspannen, was in etwa genauso überraschend ist, wie plötzlich von einem wildgewordenem Hängebauchschwein, an den Haaren gezogen zu werden. Ich meine, wie oft habe ich mich jetzt schon dazu bekannt, was für eine dumme Idee das ist? Dreimal? Viermal? Ist ja auch egal, jedenfalls war das gerademal die Spitze des Eisberges, bei dem ich noch gar nicht beleuchtet habe, dass Daimon sich mit seinem Ausflug in große Gefahr begibt.
In Heavensent sind nicht alle gut auf ihn zu sprechen, besonders die Unterschicht hegt einen natürlichen Groll gegen die Königsfamilie. Eine Tatsache, die ich verdammt gut verstehen kann, da ich durch meine Freundschaften ein ziemlich genaues Bild davon bekommen habe, wie tief die Ungerechtigkeit in diesem Land wirklich reicht. Also, muss er eigentlich nur im falschen Viertel von einem wütenden Bürger erkannt werden und tadaa wir haben einen riesen Schlamassel, weil Probleme bekanntlich nie alleine kommen.
Doch aus irgendeinem Grund weigere ich mich, ihm diese Idee auszureden. Denn so wie ich das sehe, verbringt er schon sein ganzes Leben hinter diesen Mauern und auch wenn er gelegentlich zu Veranstaltungen außerhalb des Schlossgrundstückes erscheinen muss, wird er dabei immer strengstens von mehreren Soldaten bewacht. Er lebt also in dem Paradebeispiel eines Goldenen Käfigs und obwohl ich ziemlich schnell entdeckte wie ich aus meinem entwischen kann, fühle ich sein Lechzen nach Freiheit trotzdem bei jedem unserer Schritte.
Gott, habe ich heute eigentlich ein Daimon-Besänftigungsmittel getrunken oder warum trällere ich seit Minuten in Gedanken , wie gut ich ihn verstehen kann und was er doch für ein armer, armer Tropf ist? Bei mir ist wohl eine Sicherung durchgebrannt, als er sich bei seiner Ankunft in meinem Zimmer so unverschämt verhalten hat. Tja, und statt defekt zu bleiben und langsam wieder zu einem funktionierenden Nerv zusammenzuwachsen, hat sich dieser entschieden sich lieber eine Runde im Mitleid zu wälzen, was sich bei mir als unglaublich sentimentale Stimmung auswirkt.
>>Ich habe noch gar nicht gefragt, zu wem ich dich eigentlich fahren soll<<, meint Daimon in diesem Moment und seiner Stimme ist anzumerken, dass er versucht zu seinem üblichen spöttischen Tonfall zurückzufinden. Doch es will ihm heute irgendwie nicht gelingen, weil irgendwas an dem unausstehlichen Typen, mit dem ich mir ständig hitzige Diskussionen leiste, anders ist. Er ist irgendwie verletzlicher und mehr in Gedanken versunken, was ihn eigentlich etwas Distanziertes hätte verleihen sollen, doch stattdessen kommt es mir vor, als wäre er viel offener. Echter.
Kopfschüttelnd leite ich meine Gedanken wieder zu seiner Frage um. Im Ernst, wenn ich noch mehr über ihn philosophiere werden wir irgendwann ein Massensterben von Gehirnzellen in meinem Kopf erleben. Nervös knabbere ich an meiner Unterlippe herum, weil ich immer ein kleines Problem damit habe Rocelyn richtig vorzustellen. Sie ist nicht einfach irgendeine Bekannte oder eine ältere Freundin, sondern jemand ganz Spezielles, der in meinem Herzen wohl den meisten Platz beansprucht und einer der Dreh -und Angelpunkte meines Lebens ist.
>>Ihr Name ist Rocelyn. Sie arbeitet als Köchin, in dem Haus meiner Eltern, aber für mich ist sie viel mehr als das. Ich glaube man kann es am ehesten damit beschreiben, dass sie die liebende Mutter ist, die ich nie hatte. Sie gehört für mich zur Familie<< Ich schaue während meiner Antwort ununterbrochen geradeaus, weil ich befürchte, dass Daimon ansonsten in meinem Blick erkennen könnte, dass Rocelyn ein Thema ist, das ich nicht bei jedem anschneide. Ich habe das Gefühl die ganze Sache macht mich verletzlich. Nicht nur, weil es einen eindeutigen Hinweis darauf gibt, dass die Beziehung zu meinen richtigen Eltern nicht das Gelbe von Ei ist, sondern auch weil, ich damit von etwas spreche, dass mir wirklich wichtig ist.
Ach, keine Ahnung. Wer weiß schon immerzu, warum er sich wie fühlt? Immerhin dürfte es für Daimon, der sich bereits im Schutzbunker mit Linda gestritten hat, nicht neu sein, dass sie nicht die liebende Mutter ist, die mich als kleines Kind in den Arm genommen hat. Also, warum fühlt es sich so an, als würde ich ihm ein Teil meines Selbst darlegen, der mit einem einzigen Fingerschnipsen in tausend Einzelstücke zerfällt? So langsam bekomme ich wirklich das Gefühl, dass ich eigentlich diejenige von uns beiden bin, die sich heute anders verhält.
>>Das klingt schön<<, erwidert Daimon und schaut mich von der Seite aus an, so dass ich die Wehmut in seinen Augen sehen kann. Unsere Schritte werden langsamer, doch wir bleiben nicht stehen, obwohl dass angesichts der Tatsache, dass wir beide nicht mehr auf den Weg achten wohl besser wäre. >>Was? Dass ich mir einen anderen Menschen suchen musste, der mich erzieht und mir ein Mindestmaß an Liebe entgegenbringt, weil meine echte Mutter diesen Job nicht wahrnehmen wollte?<< Mir fällt deutlich der bittere Unterton in meiner Stimme auf, doch das könnte mich in diesem Moment nicht weniger interessieren. Denn vielleicht ist genau das der Moment, um mit jemand anderem die Bitterkeit zu teilen, die sich in mein Herz gefressen hat. Einfach nur, weil es sich in diesen Geheimgängen so anfühlt als wären wir auf einem anderen Planeten, der fern ab von diesem und unserem eigenen Leben schwebt. Und natürlich, weil Daimon nicht irgendein Sonnenscheinkind ist, das mir mitfühlend die Schulter drückt und mir all die guten Seiten meines Lebens aufzeigt, um die pessimistische Wolke um mich herum zu vertreiben. Nein, sein Tonfall kann genauso plötzlich diesen bitteren Tonfall anschlagen wie meine eigene, weshalb...
>>Nein, weil du sie noch besuchen kannst<<, flüstert er, so dass ich seine Worte trotz der Stille der Flure kaum verstehen kann. Die Antwort trifft mich unvorbereitet und ich wende den Blick ab, bevor ich mich anders entscheiden kann. Ich weiß, dass es hierbei um die geheimnisvolle Sie geht, über die ich nichts weiter weiß, als dass sie Daimon viel bedeutet hat und in irgendeiner Verbindung zu dem Schleimbatzen Géza steht. Und obwohl mich meine Neugierde dazu antreibt nachzuhaken, werde ich mir plötzlich der großen imaginären Linie bewusst, die ich damit überschreiten würde.
Ich habe mir die Lederjacke, die er mir gereicht hat, übergezogen und bin in diesen Schrank mit dem Ziel gestiegen, einfach nur die Chance zu nutzen, Rocelyn zu sehen und mal aus dem Schloss zu kommen. Dabei wollte ich unter allen Umständen vermeiden, ihn noch näher an mich heranzulassen. Genau, das waren meine Worte gewesen. Und jetzt gehen wir in mitten dieser melancholischen Stimmung nebeneinander her und flüstern uns Satzfragmente zu, die niemals an die Oberfläche hätten kommen sollen.
Ich beschleunige meine Schritte wieder und Daimon setzt mir sofort hinterher, wie ein Schatten, der von der Sonne dazu beauftragt wurde sich an meine Fersen zu heften. >>Wie wollen wir eigentlich aus dem Schloss kommen?<<, frage ich und versuche damit eine 180-Grad-Themenwende zu erzeugen, die hoffentlich nicht schiefgehen wird, >>Ich vermute nämlich ganz stark, dass du nicht vorhast irgendjemand von deinem Ausflug zu erzählen, wenn du es schon auf dich nimmst hier durch die Geheimgänge zu streifen<<
>>Gut, dass du fragst. Wir sind nämlich unserer Freiheit gerade ein Stückchen näher gekommen<< Ein schelmisches Grinsen breitet sich auf seinen Lippen aus und mir schießt ein: Nochmal gut gegangen durch den Kopf. Anscheinend hält er es ausnahmsweise mal nicht für nötig, so lange auf einem Thema rumzureiten, bis ich an die Decke gehe.
Mit einer galanten Geste öffnet er eine unauffällige Tür neben einer weiteren Abzweigung und bringt mich einmal mehr zum Staunen, da dahinter eine kleine Garage zum Vorschein kommt. Das Design des Raumes ähnelt der in den Gängen – minimalistisch, sauber und modern – und auch hier sind die Lampen, die durch eine Betätigung des Lichtschalters plötzlich summend zum Leben erwachen, in die Decke eingelassen. Beeindruckt steige ich die drei Stufen herunter, die sich auf der anderen Seite der Tür befinden und mache einige Schritte in den Raum. Das erste, an dem mein Blick hängen bleibt, ist die unterirdische Straße, in die die Garage mündet. Sie verläuft leicht schräg, was in Anbetracht der vielen Treppenstufen, die wir heute schon heruntergestiegen sind, durchaus Sinn macht.
Wir befinden uns gerade höchstwahrscheinlich im Erdgeschoss oder einer Art Keller und damit wir wieder an die Oberfläche kommen, ist eine ansteigende Straße erforderlich. >>Kommst du nun, Flämmchen?<<, fragt Daimon hinter mir und ich drehe mich, von der genialen Konstruktion des Geheimsystems immer noch ein wenig geflasht zu ihm um, nur um eine weitere Überraschung zu erleben. Der Prinz steht an ein Motorrad gelehnt da, wobei der schwarze Helm mit hochgeklapptem Visier auf seinem Kopf eine ziemlich eindeutige Sprache spricht. Einen weiteren hält er unter seinem rechten Arm geklemmt und an dem überheblichen Grinsen auf seinem Gesicht, kann ich schließen, dass ich gerade einen ziemlich perplexen Eindruck mache.
Aber was erwartet er schon, wenn er plötzlich aussieht wie die Inkarnation eines Bikertypens, den ich mal eben im ,,Fight and Art Club" hätte treffen können? Ich habe Daimon bisher nur in maßgeschneiderten Anzügen und dank den Kniggeregeln der Oberschicht niemals in schwarz gesehen, weshalb die Kombination aus Jeans, T-Shirt und Lederjacke durchaus als große Veränderung gewertet werden kann. Und ich muss sagen, dass ihm das viel besser steht, als alles, was ich bisher an ihm gesehen habe. Er sieht damit nämlich aus wie der verruchte Problemverursacher, der er eigentlich ist und aus irgendwelchen, unerklärlichen Gründen lässt mich das ein wenig atemlos zurück.
Oh Gott, habe ich das gerade echt gedacht? Na toll, jetzt habe ich das dringende Bedürfnis mir das Gehirn mit einer Zahnbürste zu schrubben. Ich meine, sollte mein allererster Gedanken nicht ,,Oh toll, er sieht so verändert aus, dass die Chance, dass er erstochen in einer Gasse endet gleich um ein paar Prozent absinkt" lauten? Und danach hätte ich denken sollen: ,,Bleibt nur zu hoffen, dass das und die Tatsache, dass ihn niemand außerhalb des Schlosses vermutet wirklich dafür sorgt, dass ihn niemand erkennt"
Oder vielleicht wäre die vernünftige Reaktion auch gewesen ihm einen dummen Spruch an den Kopf zu werfen und zurück in mein Zimmer zu stürmen. So langsam habe ich wirklich das Gefühl, dass meine Vernunft Urlaub auf irgendeiner Insel im Südpazifik macht, während mein Richtig-und-Falsch-Trenner im selben Moment entschieden hat, dass ihm eine frühzeitige Rente jetzt gelegen käme. >>Also, was ist jetzt Fait? Steigst du auf oder hast du zu große Angst davor mit mir und dem Motorrad allein zu sein?<<
Erst jetzt werde ich wieder zurück in die Realität katapultiert, in der meine größte Sorge jetzt eigentlich sein sollte, ob ich Daimons Fahrstil überleben werde. >>Na ja, das kommt drauf an<<, erwidere ich, während ich locker auf ihn zuschlendere und dabei in vollen Zügen genieße endlich wieder meine Fassung zurückerlangt zu haben, >>Hast du überhaupt einen Führerschein?<<
>>Das nicht, aber ich habe lange Zeit Fahrstunden, bei einem Wachmann belegt, der einen Motorradführerschein hat. Also, sagen wir ich bin trotz der Tatsache, dass ich nie die Chance hatte eine echte Fahrprüfung zu machen, ein verantwortungsbewusster Fahrer, der dich nicht auf sein Bike steigen lassen würde, wenn er nicht einhundert Prozent sicher wäre, dass er deine Sicherheit gewährleisten kann<< Er sieht mir tief in die Augen und meine Soldatenseite ist sich sofort sicher, dass er die Wahrheit sagt, denn selbst die besten Lügner können einem nicht so tief in die Augen sehen, ohne sich zu verraten.
>>Na schön<<, meine ich und nehme ihm den Helm aus der Hand, während sich in mir eine kribbelnde Vorfreude breit macht. Wahrscheinlich sollte ich nicht einfach so auf eine dieser tödlichen Maschinen steigen, doch ich habe schon immer davon geträumt, auf einem Motorrad durch die Nacht zu brausen. Ob man dabei wirklich einen Vorgeschmack auf echte Freiheit bekommt?
Trotz meiner ungeübten Finger, schaffe ich es den Helm mit einem Klicken einrasten zu lassen und schwinge mich hinter Daimon auf das Polster. Automatisch lege ich meine Arme, um seine Mitte, genauso wie ich es in hundert Filmen zuvor schon gesehen habe. Nur, dass ich keine dieser Protagonistinnen bin, die sich zuerst unglaublich zieren und erst von dem Junge dazu angewiesen werden müssen sich an ihnen festzuhalten. Ich meine, das ist nur eine Vorsichtsmaßname, um nicht auf halber Strecke vom Gefährt zu fallen. Darum sollte man nun wirklich keinen Wirbel machen.
Dennoch dröhnt mir mein schneller Herzschlag in den Ohren. Eine Begebenheit, die sich durch gleich mehrere Dinge begründen lässt, wie zum Beispiel dem hohen Risiko bei einem Motorradunfall ins Gras zu beißen oder allgemein der Tatsache, dass das erste Mal auf so einer Maschine etwas verdammt Aufregendes ist. Doch es gibt noch etwas, das meinen Bauch zum Flattern bringt. Und zwar die lauten Warnsignale in meinen Kopf, die mit dem Aufbrummen des Motors ihr Todesschicksal assoziieren. Und nicht etwa im körperlichen Daimons-Fahrstil-wird-mich-umbringen-Sinne, sondern im Ab-hier-gibt-es-kein-zurück-Todesstoß, der meine unkluge Entscheidung besiegelt.
Denn ich werde es nicht schaffen ihn weiter von mir zu stoßen. Ich werde es nicht schaffen meine Schutzmauern aufrecht zu erhalten und vielleicht am allerwichtigsten: Ich werde es möglicherweise nicht schaffen mein Herz vor ihm zu schützen.
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Okay, Leute. Kann mir irgendjemand sagen, was das ist? *wedelt mit ihren Händen vor diesem Kapitel herum* Denn entweder leide ich unter seltsamen Halluzination oder mein Schreibstil ist irgendwie ein bisschen anders als sonst...
Also, ähmm... Wie hat es euch gefallen? Ich bin gerade ein wenig unsicher...
Ansonsten... Puh... Habe ich irgendetwas zum Fragen?... Ach ja, wie gefällt euch eigentlich die Dateidee?
Na dann, dass war es von mir. Wir sehen uns beim nächsten Mal und bis dahin eine erträgliche Woche ^^
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