Kapitel 11
Ich nicke begeistert. Ein paar Egos herunterzukurbeln hat mir schon immer gefallen. Vor allem wenn es sich um Wachmänner handelt. Im Laufe der Zeit habe ich nämlich schon ein paar im ,,Fight and Art Club" geschlagen und ich muss sagen, dass Soldaten wirklich die schlechtesten Verlierer sind.
>>Also, wer von euch hilft mir dabei herauszufinden ob Fait wirklich selbst klar kommt oder ob ich doch noch als ihr Retter in Nöten einspringen muss<<, fragt Macen kurz darauf, als wir wieder draußen vor dem Gewächshaus stehen. Ich fühle bereits, wie sich das Adrenalin vor einem Kampf in meinen Blutbahnen aufbaut und kann es kaum erwarten ein bisschen was von der angestauten Energie in mir abzubauen. >>Wir sollen mit ihr kämpfen? Einem Mädchen? Das ist doch lachhaft<<, stößt ein Mann im selben Alter wie Dean hervor und mustert mich abschätzig von oben bis unten. >>Da haben wir auch schon unseren Freiwilligen<<, melde ich mich das erste Mal wieder zu Wort. Es sollte relativ einfach werden diesen Mann zu besiegen. Es ist immer einfacher jemanden zu besiegen, der einem von Grund auf unterschätzt.
>>Von mir aus. Aber heul am Ende bitte nicht rum, weil du ein paar blaue Flecken hast. So funktioniert kämpfen nun mal<<, belehrt mich der schwarzhaarige Mann bissig. Ich verdrehe darauf nur die Augen. Wenn er denkt ich wäre ein zartes Pflänzchen, hat er sich eindeutig geschnitten. Ich musste in meinen Anfangsjahren im Boxring eine Menge einstecken, aber jede Verletzung und jeder Rückschlag hat mich stärker gemacht, so dass ich im Nachhinein keine dieser Erfahrungen missen möchte.
Ich und Schwarzhaar stellen uns mit gebührendem Abstand vor einander auf und aus dem Augenwinkel kann ich erkennen, dass sich neben Macen und dem Kamerateam auch die drei übrigen Wachen in einem Halbkreis um uns formiert haben. >>Okay, Püppchen. Wer von uns zuerst auf dem Boden liegt hat verloren und ich glaube jeder hier weiß, dass du das sein wirst. Also wer gibt das Startzeichen?<<, spielt er sich auf und in mir baut sich eine richtige Vorfreude auf, ihm das überhebliche Grinsen aus dem Gesicht zu wischen. Ich finde, allein wegen dieser Püppchenbezeichnung sollte ich ihm einen gezielten Tritt in seine Kronjuwelen verpassen. Doch ich besinne mich eines Besseren, wenn ich das hier gewinne dann doch mit etwas mehr Stil.
>>Okay, dann heißt es jetzt wohl: Auf die Plätze. Fertig. Kämpft<<, schreit Macen aufgeregt als ich Schwarzhaar kampfbereit in die schlammbraunen Augen stiere. Sofort schärfen sich meine Sinne und mein Kopf befreit sich wie von selbst von jeglichen Gedanken. Meine Augen beobachten wie von selbst jegliche Bewegungen des Mannes, genauso wie es mir Dan beigebracht hat. Du kannst deinen Gegner nur besiegen, wenn du seinen nächsten Schachzug kennst, höre ich seine Stimme in meinem Kopf und genau in diesem Moment nehme ich ein kaum wahrnehmbares Zucken der rechten Schulter wahr.
Blitzschnell schnellt die Faust des Soldaten in meine Richtung, doch ich bin darauf vorbereitet und entscheide mich für eine Angriff-Abwehr-Technik. Also fange ich seine heranschnellende Faust mit einer Hand ab, tauche unter seinem Arm durch und umklammere ihn im nächsten Moment von vorne. Danach ziehe ich meinem Gegner mit meinem Bein den Boden unter den Füßen weg und befördere ihn in einer kreisförmigen Bewegung auf das frisch gemähte Gras. Das alles dauert nicht mehr als ein paar Sekunden und als er erstmal realisiert hat, dass er auf dem Boden sitzt, kann er mich nur verdutzt von unten mustern. Sofort muss ich grinsen. Damit hat er wohl nicht gerechnet.
>>Und ist es jetzt immer noch lachhaft mit einem Mädchen zu kämpfen?<<, frage ich von oben herab und kann es nicht lassen eine Augenbraue provozierend in die Höhe zu ziehen. >>Wie hast du das gemacht?<<, erwidert er seine Augen vor Verblüffung immer noch weit geöffnet. Mit einer so schnellen Niederlage hat wahrscheinlich nicht mal der selbstzweiflerische Teil seiner Selbst gerechnet. >>Training. Das kann dir auch nicht schaden. Wenn dich die Koslower genauso umnieten können wie ich, ist Macen ein toter Mann<<, sage ich noch bevor ich mit hocherhobenem Haupt über ihn drüber steige und mich wieder zu Macen geselle. >>Na? Überzeugt?<<, frage ich nun deutlich entspannter und selbst der Gedanke an die immer noch anwesenden Kameras verunsichert mich nicht mehr.
>>Und wie. Erinnere mich bitte daran mich bloß nicht mit dir anzulegen. Aber ich muss auch gestehen, dass es ungemein sexy war, wie du diesen Typen umgelegt hast. Also falls du mal vor hast so eine Art Showboxen zu machen, lad' mich ein<<, teilt mir Macen zwinkernd mit und wird zum Ende hin immer leiser damit uns die Kameras nicht hören können. Ich verdrehe anlässlich seines Kommentars nur die Augen. Manchmal ist Macen wirklich ein wenig zu charmant.
Deshalb wende ich das Gesicht neugierig ab, um die Reaktionen der anderen Schaulustigen einzufangen. Während das Kamerateam sich ein breites Grinsen nicht verkneifen kann, schauen die anderen Soldaten überrascht zu mir hinüber. Und in einigen Blicken kann ich sogar so etwas wie Bewunderung aufblitzen sehen. Einzig und allein Schwarzhaar zeigt sich jetzt nicht mehr so verblüfft und wirft mir stattdessen immer wieder abwertende Blicke zu. Tja, was will man auch von einem angeknacksten Ego anderes erwarten?
>>Wollen wir wieder rein sitzen oder willst du lieber noch einen anderen Mann hier zu Fall bringen, Kampftiger?<<, ergreift Macen plötzlich das Wort und als ich ihn ansehe funkeln seine Augen vor Vergnügung. >>Nein, ich denke, dass reicht für heute. Ich muss mir schließlich noch ein paar Tricks für mein Training mit Dean morgen aufheben<<, erkläre ich und mache mich dicht gefolgt von Macen wieder auf den Weg ins Gewächshaus. >>Dean? Welcher Dean? Ich dachte, ich bin das einzige männliche Wesen das deine ungeteilte Aufmerksamkeit besitzt<<, meint Macen entrüstet. Und wenn mich sein Kommentar noch nicht zum Lachen gebracht hätte, dann würde die drollige Schnute, die Macen jetzt zu tage bringt diese Wirkung auf jeden Fall erreichen.
>>Dean ist mein Wachmann, aber keine Sorge ich stehe nicht auf über dreißig jährige Männer. Obwohl ich sagen muss, dass er schon gut aussieht und außerdem hat er mir heute ein Frühstück To-go mitgebracht, es könnte also sein, dass ich meine Meinung diesbezüglich noch ändern werde<<, ziehe ich ihn ein wenig auf und lasse mich wieder auf den reich verzierten Gartenstuhl fallen. >>Und das soll mich beruhigen? Vielleicht lasse ich dir einfach eine andere Wache zuteilen. Frank aus der Personalabteilung hat zwar keine Soldatenausbildung, aber mit seinen über fünfzig Jahren und seinem Gehstock könnte er dich wahrscheinlich trotzdem verteidigen. Ich meine, als Sidekick, der dir im Kampf im letzten Moment seinen Gehstock als Waffe zuwirft, ist er bestimmt gut geeignet<<, fantasiert Macen und ich würde ihm in diesem Moment am liebsten ein Kissen ins Gesicht werfen, doch diese sind im Gewächshaus Mangelware. Das Einzige, das in irgendeiner Weise werfbar aussieht sind die Kekse mit Schokostückchen, die immer noch vor mir auf dem Tisch liegen, doch um nichts in dieser Welt würde ich diese an Macens Gesicht verschwenden.
Also beschränke ich mich auf >>Voraussichtlich er verrenkt sich beim Werfen nicht den Arm<< und schnappe mir noch eine dieser Sünden von dem kleinen Teller. >>Gutes Argument<<, lacht Macen mir gegenüber. >>Aber jetzt erzähl mir mal etwas mehr über dich. Ich weiß bisher schließlich nur, dass du jemanden in Sekundenschnelle aufs Kreuz legen kannst. Das ist nicht wirklich viel<<, fordert Macen und ich beginne von meinen Freunden, Rocelyn und dem ,,Fight and Art Club" zu erzählen. Natürlich lasse ich alles was mit meiner Familie oder mit Trish zu tun hat, wissentlich weg. Doch Macen scheint sich daran kein bisschen zu stören und hakt stattdessen zu anderen Themen immer wieder nach, so dass die Zeit wie im Flug vergeht.
>>Ich finde, wir sollten zurück ins Schloss gehen. Es wird langsam spät<<, meine ich irgendwann, da ich sehe wie die Sonne bereits am Horizont immer weiter herunterwandert. >>Ich schätze, du hast recht. Ich habe meinen Eltern schließlich noch versprochen, heute bei ihnen vorbeizugehen und ihnen von meinen ersten Eindrücken zu berichten. Wir sollten also wirklich langsam los<<, lenkt Macen ein und wir erheben uns von unseren Stühlen.
Als wir nach draußen kommen, fühlt sich die Luft durch das Untergehen der Sonne deutlich kühler an, doch daran störe ich mich kein bisschen. Irgendwelche Vorteile muss es schließlich haben eine veränderte DNA zu haben. Macen und ich schlendern sofort in Richtung Schloss davon und während die Kameraleute zurückbleiben und ihr Equipment zusammenpacken, folgen uns Macens Wachleute in gebührendem Abstand.
>>Und hat es dir heute gefallen?<<, fragt Macen und stupst mich mit seiner Schulter leicht an. >>Natürlich. Das Gesicht des Soldaten, den ich in die Knie gezwungen habe ist unvergesslich<<, ziehe ich ihn auf, was ihn Schnauben lässt. >>Ich meine mal abgesehen von deinem Hang zur Gewalt, den du heute ausleben konntest<<, spezifiziert Macen seine Frage. >>Das andere hat mir auch sehr gut gefallen<<, gebe ich zu und bin selbst etwas überrascht von meiner Aussage. Wer hätte gedacht das ich es schön finden könnte mit einem Prinzen vor laufender Kamera zu reden?
Ich auf jeden Fall nicht. Wenn ich das Date Revue passieren lasse, fällt mir außerdem kein einziger Moment ein in dem mich die Anwesenheit der Kameras noch verängstigt hat. Das Herumgealbere mit Macen hat mich das irgendwie vergessen lassen.
Den restlichen Weg ins Gebäude gehen wir in Stille. Doch es ist keine dieser unangenehmen Redepausen, in denen man die Spannung in der Luft fast mit einem Messer teilen könnte, sondern ein angenehmes Schweigen, fast wie eine Art Ruhepause, nach einem aufregenden Ereignis, die es zulässt in der Anwesenheit des Anderen in seinen eigenen Gedanken zu schwelgen. Erst als wir vor meiner weißlackierten Zimmertür stehen, tauchen wir beide wieder aus unseren eigenen Welten auf.
>>Ich glaube, das war das schönste Date, das ich je hatte. Nicht dass ich schon viele Dates gehabt hätte, aber ich denke, dass sich dieses noch eine Weile auf dem Ehrentreppchen halten wird. Und sowieso wer könnte so einer tollen Frau schon wiederstehen?<<, flüstert Macen, der plötzlich ganz nah bei mir steht, so dass ich seine Wärme durch meine Kleidung bereits erahnen kann und seine Worte nicht nur meinen Hörsinn sondern auch meinen Tastsinn erreichen. Wahrscheinlich zum ersten Mal in meinem Leben bin ich sprachlos. Von der plötzlichen Wende des Abends zu überfordert um irgendein anderes Wort außer Mpfff überhaupt über die Lippen zu bringen.
Doch als Macen mit seinem Gesicht immer näher an meines rückt, schalten sich wieder alle Gehirnzellen auf einmal ein und ich trete einen Schritt zurück. >>Wir sehen uns<<, gebe ich so unverfänglich wie möglich von mir, während mein Gehirn mit der Verarbeitung der letzten Sekunden noch etwas hinterherhinkt. >>Ja, wir sehen uns<<, wiederholt Macen und ein zartes Lächeln umspielt dabei seine Lippen. Sobald der Prinz sich zum Gehen gewandt hat, öffne ich schnellstmöglich meine Tür und schlüpfe ins sichere Innenleben.
Gerade als ich mit geschlossenen Augen völlig baff an dem Holz herunterrutschen möchte, um mir einen Moment Nachdenkzeit zu gönnen, kreischt eine weibliche Stimme erfreut meinen Namen. Mit schockgeweiteten Augen sehe ich Cassie an, die es sich zusammen mit Miri auf meinem Bett bequem gemacht hat und sich von meiner Zofe einen hübschen Fischgrätenzopf flechten lässt. >>Was machst du denn hier<<, entflieht es mir und ich kann nicht verhindern, dass es eine Spur zu harsch klingt. Aber wer kann mir das schon übel nehmen, wenn ich gerade einfach nur etwas Ruhe möchte, um alle meine Gedanken wieder in Reih und Glied zu bringen?
Anscheinend nicht einmal Cassie, denn sie erwidert einfach nur freudestrahlend:<<Ich habe doch gesagt ich werde dich heute noch besuchen. Also setz dich endlich. Ich sterbe förmlich vor Neugierde, was dein Date betrifft. Sag schon, hat es dir gefallen? Ist Macen so charmant wie alle sagen? Und habt Ihr...?<< >>Ganz ruhig, Cassie. Ich erzähl ja schon<<, unterbreche ich ihren Redeschwall und lasse mich auf einen der kleinen Sessel hier im Raum fallen. Mit der ungeteilten Aufmerksamkeit von Cassie und Miri fange ich also an das Date von vorne bis hinten genauestens zu schildern, bis ich schließlich bei dem Moment vor meiner Zimmertür angelange und meine Erzählung ruckartig ins Stocken kommt.
>>Und was ist dann passiert?<<, fragt Miri gespannt und lehnt sich in ihrer Sitzposition etwas nach vorne. >>Ja, sag schon, Fait<<, fordert nun auch Cassie und befeuchtet wissbegierig ihre rosé farbenen Lippen, während ich nervös mit dem Haargummi an meinem Arm spiele. Bevor ich den ganzen Satz schlussendlich in einem Zug hinauswürge. >>Ichglaubeerwolltemichküssen<<, nuschle ich. Womit ich einen Ansturm von Hä's bei den Mädels auslöse. Also atme ich ein letztes Mal tief durch und meine nun etwas langsamer:>>Ich glaube, er wollte mich küssen<<.
>>Oh mein Gott<<, quietscht Cassie drauf los. >>Warte mal, wollte? Was hast du daraufhin denn getan?<<, fragt Miri energisch. >>Na ja, ich bin einen Schritt zurückgetreten, hab ihm mit einem ,,Wir sehen uns" abgespeist und bin so schnell wie möglich in mein Zimmer geflüchtet<<, erzähle ich und zucke nüchtern mit den Schultern. >>Du hast was?<<, kommt es unisono von Cassie und Miri, doch ich bezweifle, dass sie mich akustisch nicht verstanden haben. Also gehe ich sofort zur Abwehr über. >>Was hätte ich denn eurer Meinung nach tun sollen?<<, frage ich und werfe frustriert die Hände in die Luft. Hätte ich den Beiden bloß nichts von meinem beinahe Kuss erzählt. So wie sie das ganze aufpushen würden wir noch die ganze Nacht hier sitzen.
>>Ähh, vielleicht den romantischten und besten Kuss deines Lebens haben?<<, schlägt Cassie vor und wirft Miri einen Blick ala Da haben wir aber einen ganz schweren Fall zu. Ich seufze. Von ein wenig Ruhe konnte ich hier wohl noch lange träumen. >>Aber ich kenne ihn erst seit zwei Tagen und kennen ist da auch schon ein sehr übertriebener Begriff, da tausche ich ja nicht gleich meinen Speichel mit ihm aus<<, verteidige ich mich. Für mich steht es außer Frage, dass ich absolut richtig gehandelt habe. Immerhin will ich ja auch nichts von Macen. Oder?
Nein, beantworte ich mir die Frage prompt selbst. Ich finde ihn zwar attraktiv und ich hatte heute auch wirklich viel Spaß mit ihm, aber es hat sich mehr angefühlt wie ein Tag unter Kumpels als ein ernstzunehmendes Rendezvous. Außerdem wie wäre es sonst mit uns weiter gegangen? Ich konnte mir absolut nicht vorstellen den Platz einer Prinzessin einzunehmen oder gar den Thron zu besteigen. Nein, nein, nein, das überließ ich lieber jemand anderem.
>>Okay, ich muss sagen da ist etwas dran. Ich hätte mir so eine Chance zwar nicht entgehen lassen, aber deine Argumentation ist durchaus schlüssig<<, lenkt Cassie ein und auch Miri nickt zustimmend. >>Mal davon abgesehen wird es davon sicher noch tausend Gelegenheiten geben. Denn so wie sich das anhört, hat Macen ein Auge auf dich geworfen<<, ergänzt Miri breit grinsend.
Danach ist das Kussthema glücklicherweise vom Tisch und die Beiden widmen sich nun das Date mit Macen haarklein auseinander zu nehmen. Als sich Cassie schließlich von mir verabschiedet, ist es also schon längst dunkel draußen und die Sterne leuchten wie Feenstaub am Himmel. Kurz darauf schaffe ich es außerdem Miri ebenfalls aus meinem Zimmer zu scheuchen und ins Bett zu schicken. Sie ist nämlich auch noch am zweiten Tag fest davon überzeugt, dass es ihre Pflicht als Zofe ist bei mir zu bleiben bis ich mich schlafen lege und das alles nur für den Fall, dass ich noch irgendetwas brauchen könnte. Wie gestern schaffe ich es aber glücklicherweise sie abzuwimmeln.
Kurz bevor die Glocken in meiner Stadt Solia also neun Uhr nachts schlagen kann, bin ich endlich allein mit meinen Gedanken. Obwohl ich nichts lieber tun würde als mich friedlich in mein Bett zu kuscheln und über alles in Ruhe nachzudenken, hält mich trotzdem noch eine Verpflichtung davon ab diesem Ziel nachzugehen. Dem Interview meiner Eltern. Schon seit gestern schiebe ich das Ansehen des Gesprächs vor mir her. Doch so wenig Lust ich dazu auch im Moment haben mag weiß ich, dass es dringend nötig ist über die Lügen meiner Eltern Bescheid zu wissen.
Gestern konnte ich mich abends noch mit meiner Erschöpfung rausreden, doch heute sehe ich keinen Grund das Interview nicht sofort anzuschauen. Na ja, mal abgesehen davon, dass das sicher nicht zu meiner guten Laune beitragen wird. Trotzdem nehme ich die Fernbedienung von meinem Schreibtisch und lasse mich anschließend mit dieser auf meinem Bett nieder. Der Fernseher wurde direkt über meinem Schreibtisch angebracht, so dass ich auf dem gegenüberliegenden Bett die beste Sicht habe.
Von dem Gedanken ermutigt es endlich hinter mich zu bringen drücke ich auf den On-Knopf und das Gerät erwacht mit dem Logo von FTP zum Leben. Das ist übrigens die Firma meines Vaters, die davor schon mein Großvater und davor mein Urgroßvater geleitet haben. Als nächstes wird mein Cousin Sebastian diese Rolle einnehmen. Jetzt da ich mich als großer Flopp und Trish als Model herausgestellt haben, blieb meinem Vater aber auch groß keine andere Wahl. Was meinen Cousin nicht mal ansatzweise zu stören scheint. Jedenfalls glaube ich das, so richtig kennengelernt habe ich ihn schließlich nie. Für den Rest der Familie bin ich nämlich genauso tot wie für die Medien, da meine Eltern es für unnötig hielten sie in unser kleines Geheimnis einzuweihen. Aber reden wir nicht darüber. Ich sollte euch sowieso eher darin einweihen was es mit FTP auf sich hat.
Also erst einmal steht die Abkürzung für Flash Television Portal, was so viel heißt wie Fernseh-Flash-Portal. Am ehesten ist es wohl mit dem früheren Internet vergleichbar, dass schon vor langer Zeit in unserem Königreich ausgelöscht wurde, um Terror, Schikanen und Rassismus nicht mehr so viel Raum zu geben. Auch in anderen Staaten dieser Welt ist das Internet Geschichte. Und an seine Stelle trat FTP. Es ist so etwas wie eine umgemodelte Form des Fernsehens und auf allen Fernseher des Landes zu finden. Statt wie früher Kanäle zu haben auf denen in einer Tour irgendwelche Sendungen kamen, stellt einem FTP das ganze Universum der Filme, Serien und Shows auf einmal zur Verfügung. Fernseher sind in Heavensent also auch dementsprechend teuer.
Mit der Suchleiste kann man außerdem spezielle Sendungen finden oder man kann eine Frage eintippen. Das Portal spuckt einem dann das passende gedrehte Werk aus, dass einem eine Antwort bieten soll und stellt so auch eine Art der Recherchemöglichkeit zur Verfügung, obwohl ich den guten alten Weg der Buchrecherche besser zu schätzen weiß.
Mit geübten Finger tippe ich also mithilfe der Fernbedienung die Worte Interview mit Linda und Josh Montgomery in die Suchleiste ein. Nach der Betätigung des Suchknopfes wird mir wie immer das zuletzt hochgeladene Ergebnis angezeigt. Das Geheimnis um Fait Montgomery wird gelüftet nennt sich das zwanzigminütige Interview vom Produzenten Stern. Und mein anfänglicher Mut von vorher verpufft sofort wieder wie eine geplatzte Seifenblase. Will ich mir das wirklich genau jetzt antun?, frage ich mich, doch ich weiß, dass ich das Interview auf keinen Fall länger vor mich hin schieben darf. Ich kann schließlich nie wissen, wann ich das nächste Mal darauf angesprochen werde. Also packe ich meinen winselnden Schweinehund endgültig am Kragen und klicke auf Play.
Als der rote Stern mit einem fröhlichen wusch ins Bild schießt und die Produktionsgesellschaft Stern anwirbt weiß ich, jetzt gibt es kein zurück mehr...
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