9.
Was das Doofe daran war, wenn man das schönste Date seines Lebens erlebt hatte? Man konnte nicht mehr aufhören, darüber nachzudenken. Seit mich Nick irgendwann spät in der Nacht bei mir zuhause abgesetzt hatte, hatte ich nicht mehr aufgehört zu strahlen wie ein bescheuertes Honigkuchenpferd. Es war zwei Tage her und ich hatte immer noch das Gefühl seine Lippen auf meinen zu spüren.
Nachdem wir uns in der Bücherei geküsst hatten, hatte mich Nick noch einen Film aussuchen lassen, also hatte ich mich für König der Löwen entschieden und danach hatte Nick mich zuhause abgesetzt. Nachdem er mich zur Tür gebracht hatte und sich mit einem weiteren Kuss von mir verabschiedet hatte, war ich erstmal ziemlich klischeehaft an der Tür herabgesunken, ohne das Lächeln aus meinem Gesicht vertreiben zu können.
Heute war Dienstag, zwei Tage nach unserem Date und in einer halben stunde war die Schule aus. Gerade waren die Kinder mit Mathe beschäftigt und ich sollte eigentlich rumgehen und ihnen helfen, anstatt über mein Date zu fantasieren. Aber das war schwierig, weil ich wusste, dass Nick Jamie gleich abholen würde. Montags lag seine Schicht bei der Polizei so, dass er Jamie nicht selbst abholen konnte. Dann holten seine Eltern Jamie ab und holten ihn zu sich. Aber dienstags hatte er die Spätschicht, die erst begann, wenn er Jamie abgeholt hatte. Die letzten Tage hatten wir sehr viel getextet und bei dem Gedanken, dass ich ihn gleich wieder sehen würde, fühlte ich mich selbst wieder wie eine Teenagerin.
Wobei sich unter die Schmetterlinge auch eine gehörige Portion Ungewissheit mischte. Denn ich hatte keine Ahnung, wie ich mich Nick gegenüber verhalten sollte, in der Gegenwart von Jamie. Geschweige denn, wie es vielleicht von meinen Kollegen aufgenommen würde, dass ich jetzt den Vater von einem meiner Schüler datete. Mit den meisten meiner Kollegen verstand ich mich gut und mit einigen war ich sogar über die Schule hinaus befreundet, aber es gab überall Menschen, die einem aus solchen Dingen einen Strick drehten. Energisch schob ich diese Gedanken beiseite. Jetzt musste ich erstmal den Schultag hinter mich bringen.
"Sicher können wir einen Termin machen. Meine Sprechstunde ist immer donnerstags zwischen 12:00 – 13:00 Uhr. Wenn Sie einen Termin außerhalb der Zeit vereinbaren wollen, schreiben Sie mir doch bitte eine E-Mail mit Vorschlägen und wir schauen, ob wir eine gemeinsame Lösung finden", sagte ich freundlich zu Mrs. Johnson und setzte ein unverbindliches Lächeln auf. Meistens mochte ich es, mich mit Eltern zu unterhalten, aber es gab einen Grund warum ich lieber mit Kindern, als mit Erwachsenen arbeitete. Manche Eltern waren tausendmal anstrengender als ihre Kinder.
"Sie haben nur eine Sprechstunde in der Woche?", fragte sie missbilligend und schaute mich pikiert an. "Jonas ist das talentierteste Kind, dass sie jemals unterrichten wird. Er spielt drei Instrumente und spricht schon Englisch und Französisch und ich verlange..." Was auch immer sie verlangte, blieb ungehört, da sich in diesem Moment eine männliche Stimme in das Gespräch einmischte. "Entschuldigen Sie Miss Roberts wohl für einen Moment? Sie hatte mir versprochen, mir ein paar Nachhilfelehrer zu empfehlen und ich muss jetzt gleich leider wieder zur Arbeit". Nick warf Mrs. Johnson ein charmantes Lächeln zu und es war lustig zu beobachten, wie ihr Gesichtsausdruck zwischen Empörung und Fassungslosigkeit schwankte. Ich warf ihr ein entschuldigendes Lächeln zu und sagte: "Wie gesagt, schreiben Sie mir Anliegen gerne in einer E-Mail. Ich muss jetzt wirklich mit Mr. Miller mitgehen".
Sobald wir ein Stück außer Hörweite waren, stieß ich erleichtert die Luft aus. "Danke, du bist meine Rettung", bedankte ich mich mit einem schiefen Lächeln bei ihm.
"Du bist dir aber schon darüber bewusst, dass sie dich jetzt für ewig auf den Klassenkonferenzen auf dem Kieker haben wird?", schob ich dann hinterher. Er lachte. "Ich denke damit komme ich schon klar. Außerdem ist es das wert gewesen. Du sahst aus, als hättest du dich am liebsten auf der Stelle erhängt". Ich verzog mein Gesicht zu einer Grimasse.
"So offensichtlich?". Er wog den Kopf hin und her.
"Naja, wenn man selbst schon das Vergnügen hatte mit dieser Frau über die richtige Erziehung von Kindern zu erziehen, ist es nicht schwer die Signale zu deuten. Sie schafft es echt bei jeder noch so kurzen Unterhaltung, dass ich mich danach wie ein absoluter Rabenvater fühle". Ein gequältes Lächeln erschien auf seinen Lippen. "Andererseits tut mir auch Jonas leid. Wenn ich höre, worauf er seine ganze Freizeit verwenden muss. Das kann doch auch nicht der Sinn von guter Erziehung sein". Er schüttelte den Kopf, wie um den Gedanken zu vertreiben.
"Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du am Donnerstagabend schon etwas vorhast". Erwartungsvoll sah er mich an und mein Herz hüpfte kurz in die Höhe. "Kommt drauf an, was du für Pläne hast", erwiderte ich. Eine leichte Röte erschien in seinem Gesicht und er rieb sich über den Nacken – eine Verlegenheitsgeste, die ich bei ihm jetzt schon öfter gesehen hatte. "Ich weiß, dass wir uns noch nicht so lange kennen, aber ich gehe grundsätzlich nur auf Beziehungen ein, wenn ich mir etwas Ernstes vorstellen kann. Denn das Letzte was Jamie gebrauchen kann, sind ständig wechselnde Frauen in seinem Leben. Er erinnert sich zwar kaum aktiv an seine Mutter, weil sie gestorben ist, als er zwei war, aber wenn man ein Kind hat und sich auf eine Beziehung einlässt, sind es in der Regel zwei gebrochene Herzen, die am Ende zurückbleiben und das möchte ich Jamie auf keinen Fall antun". Ein Schatten huschte über sein Gesicht bei der Erwähnung von Jamies Mutter, aber er sprach schnell weiter. "Auf jeden Fall mag ich dich echt gerne und würde dich gerne zu mir nach Hause zum Essen einladen, damit wir mit Jamie darüber reden können, wenn das okay ist".
Offensichtlich nervös sah Nick mich an und wartete auf meine Antwort. Einerseits war ich ein bisschen überrumpelt, aber andererseits fühlte sich die Sache mit Nick bedeutend an. Wie etwas Ernstes und ich fühlte, dass es für Nick auf dieser Welt nichts Wichtigeres gab als Jamie. Und dieses Mal würde ich mich nicht selbst sabotieren, bevor die Sache überhaupt angefangen hatte. "Its a date", sagte ich deshalb und lächelte ihn an.
Ich saß gerade vor dem Kamin und bereitete den Unterricht für den nächsten Tag vor, als meine Klingel ertönte. Ich warf einen Blick auf die Uhr. 22:29 Uhr. Wer wollte um diese Uhrzeit noch etwas von mir? Olive hätte ein bestimmtes Klingelzeichen benutzt, dass sie immer benutzte, wenn sie bei mir klingelte und sonst gab es niemanden, der ohne sich anzukündigen so spät bei mir auftauchen würde. Ein ungutes Gefühl breitete sich in mir aus. Vielleicht war ich paranoid, aber mein Bauchgefühl schrie mir zu, die Tür nicht aufzumachen. Es klingelte erneut und ich stand auf. Ich übertrieb bestimmt. Die Begegnung mit Logan hatte mich durcheinandergebracht und jetzt vermutete ich hinter jeder Ecke meinen gewalttätigen Ex. Aber ich war umgezogen, hatte die Schule gewechselt und hatte meine Spuren verwischt. Er konnte es nicht sein. Ich trat auf den Flur, schaltete das Licht ein und warf einen Blick durch den Türspion. Sofort schrak ich zurück und meine Kaffeetasse, die ich noch in der Hand hielt glitt mir aus den Händen und zersprang auf dem Boden. Alle Farbe wich mir aus dem Gesicht. Nein, ich musste mir das einbilden.
Er konnte nicht hier sein. Wie zur Hölle hatte er mich gefunden? Logan musste mich gehört haben, denn er rief: "Honey, mach die Tür auf. Ich weiß, dass du da bist. Ich habe dich vermisst". Alkohol troff förmlich jeder seiner Silben und eine Welle der Übelkeit überrollte mich angesichts des vertrauten Spitznamens. Langsam wich ich von der Tür zurück, während Panik mich überwältigte. Er kann dir hier drin nichts tun. Du bist sicher. Er kann dir nicht mehr wehtun. Wie ein Mantra, sagte ich diese Sätze für mich auf, doch es half nichts. Kälte kroch meinen Rücken herauf und meine Finger wurden taub.
"Honey, mach die Tür auf", die Süße war jetzt aus Logans Stimme verschwunden und er klang drängender. Ich schüttelte panisch den Kopf, obwohl er mich nicht sehen konnte.
"Verschwinde", presste ich schließlich laut genug hervor, damit er mich hören konnte. Meine Stimme zitterte, so wie auch mein ganzer Körper. "Ah, da hat ja eine ihre Stimme wiedergefunden", spottete er jetzt. "Aber ich verliere langsam meine Geduld. Ich zähle bis drei und wenn du dann die Tür nicht aufmachst, dann breche ich die verdammte Tür auf", drohte er.
Jetzt begann ich zu hyperventilieren. Er klang betrunken genug, dass ich ihm diese Aktion wirklich zutrauen würde. In diesem Haus gab es zwei weitere Wohnungen, aber die Leute über mir waren verreist und die Oma in dem Apartment unter mir war so gut wie taub. Tränen begannen meine Sicht verschwimmen zu lassen. Dumpf hörte ich Logans Stimme, die zu zählen begann, bevor mein Fluchtreflex einsetzte. Ich rannte zu meinem Badezimmer und schloss mich dort ein und ließ mich bebend an der Tür herabsinken. Diese Tür würde mir auch nicht viel nützen, falls Logan es schaffen sollte, meine nicht gerade massive Tür zu überwinden, aber sie verschaffte mir wenigstens Zeit. Mit bebenden Fingern holte ich mein Handy heraus und brauchte drei Anläufe, bis ich das Display entsperren konnte. Dann wählte ich die Nummer der Polizei, etwas das ich nie wegen Logan machen wollte. Aber mein Überlebensinstinkt hatte eingesetzt und war gerade sehr viel lauter als alles andere.
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