10.
"Polizeinotrufzentrale, wie können wir Ihnen helfen?", meldete sich eine weibliche Stimme bei mir.
"Bitte... Jemand versucht meine Tür aufzubrechen. Ich habe eine solche Angst... Bitte... er darf nicht wieder... Oh Gott", presste ich zwischen Schluchzern heraus. Ich zog meine Beine an meinen Körper und versuchte irgendwie Luft in meine Lungen zu kriegen.
"Okay, können Sie uns die Adresse nennen, bei der Sie sich gerade befinden, damit wir jemanden hinschicken können?". Ein lautes Geräusch ertönte von meiner Haustür und ich zuckte zusammen und machte mich noch kleiner. Ich schloss meine Augen und atmete bebend ein und aus, doch es half nicht gegen die Angst, die von mir Besitz ergriffen hatte.
Das Geräusch versetzte mich in die Situation zurück, als Logan herausgefunden hatte, dass auf einem Mädelsabend mit ein paar Freunden Olives Bruder uns für eine kurze Zeit Gesellschaft geleistet hatte. Er hatte den Stuhl umgestoßen auf dem ich saß und ich war so hart mit dem Kopf auf dem Boden aufgekommen, dass ich kurzzeitige Sterne gesehen hatte. Schmerz explodierte in meinem Kopf. "Du miese Schlampe. Du hast mich angelogen. Hast du ihm schöne Augen gemacht, huh? Wolltest du deshalb unbedingt dahin gehen? Antworte mir gefälligst, wenn ich mit dir rede!".
"Miss, sind Sie noch da?", ertönte die Stimme der Frau erneut und ich ballte meine Hände zu Fäusten, um das Zittern in den Griff zu kriegen und schaffte es endlich ihr meine Adresse mitzuteilen. "Gut, es ist jemand unterwegs zu Ihnen. Können Sie bitte in der Leitung bleiben, bis der Wagen ankommt?". Ich nickte, nur um zu bemerken, dass Sie das ja nicht sehen konnte. "Ja", krächzte ich. "Okay, können Sie mir ihren Namen sagen?", fragte sie und ihre ruhige Stimme trug dazu bei, dass ich selbst ein wenig. "Mein Name ist Gillian Roberts", sagte ich. Das Geräusch von einer Computertastatur erklang. "Das machen Sie gut, Miss Roberts", lobte sie mich. "Es ist gleich jemand bei Ihnen".
Ein Schauder rann über meinen Körper und erneut ließ ein lautes Geräusch mich zusammenzucken. Oh Gott, war dass das Splittern von Holz? Mein Atem verschnellerte sich wieder und ein leises Wimmern entfuhr mir.
"Hey, bleiben Sie bei mir. Atmen Sie mit mir gemeinsam ein und aus". Sie holte hörbar Luft und ich schloss erneut die Augen und konzentrierte mich auf ihre Stimme und versuchte mit ihr gemeinsam zu atmen. Es half tatsächlich ein bisschen. "Gut machen Sie das". Erneut ertönte das Klackern einer Tastatur. Es beruhigte mich irgendwie. "Ist es okay, wenn ich Ihnen ein paar weitere Fragen stelle?", fragte sie.
"Ja", wisperte ich.
"Okay, wo genau in ihrer Wohnung befinden Sie sich gerade?".
"Im Badezimmer".
Erneutes Tastaturklackern.
"Kennen Sie denjenigen, der versucht einzubrechen?".
Mein Herz setzte einen Schlag lang aus. Hier war der Moment, in dem ich eine Entscheidung treffen musste. Wenn ich Logan verriet, dann gab ich auf. Ich riskierte, dass meine Halbschwester ebenfalls durch die Hölle gehen musste, etwas was ich mir geschworen hatte zu verhindern. Aber wie weit konnte ich mein eigenes Leben in Gefahr bringen, um sie zu schützen? Logan war nicht nur gewalttätig, sondern schien mittlerweile auch bereit zu sein in meine Wohnung einzubrechen. Und unter dem Einfluss von so viel Alkohol, hatte ich mittlerweile keine Ahnung mehr, was er tun würde. Logan schien in der Zeit, in der ich ihn nicht mehr gesehen hatte, noch unberechenbarer geworden zu sein.
"Ja", wisperte ich nach einer gefühlten Ewigkeit und die Tränen begannen wieder zu laufen.
Ein lauter Knall ertönte und ich hörte das Splittern und Knacken von Holz. Mein Herz sank zu meinen Knien. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass Logan es geschafft hatte meine Tür endgültig aus den Angeln zu reißen. Panisch robbte ich von der Tür weg. "Er ist hier. Er ist hier. Er ist hier", wimmerte ich. Die Frau sagte noch irgendwas, doch durch das Rauschen meines Blutes konnte ich sie nicht verstehen. Das Einzige was ich hörte, waren Schritte, die sich der Tür näherten. Ich schüttelte den Kopf und kniff die Augen zusammen, machte mich so klein wie möglich. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Nur noch zusammenhangslose Fetzen erreichten tatsächlich mein Bewusstsein. Jede Zelle meines Körpers hatte nun in den Überlebensmodus geschaltet.
Eine Faust schlug gegen das Holz der Badezimmertür und ich zuckte zusammen und beendete ausversehen das Telefonat.
"Honey, du könntest es uns so viel leichter machen. Mach die Tür auf". Seine Stimme hatte wieder diesen weichen Ton angenommen, als wäre er nicht gerade bei mir eingebrochen. Ein erneuter Schlag gegen die Tür und auch ich zuckte automatisch wieder zusammen. Sirenen ertönten und vor Erleichterung begann ich wieder zu weinen. Logan hatte die Sirenen anscheinend auch gehört, denn er fluchte laut. "Fuck". Dann sagte er: "Hast du die Polizei gerufen, du dreckige Schlampe?". Hass klang nun in seiner Stimme mit.
"Das wirst du bereuen. Denkst du ich werde dein kleines Geheimnis jetzt noch für mich behalten, huh? Was wird wohl passieren, wenn die ganze Welt das Geheimnis deiner wertvollen kleinen Schwester kennt? Die perfekte kleine Georgia, die ihr Abitur nur mithilfe von Drogen bestanden hat?". Ein gehässiges Lachen erklang und mein Herz krampfte sich zusammen, wegen Schuldgefühlen, Angst und Schmerz.
Ich würde das Leben meiner Schwester ruinieren. Meiner kleinen Schwester, die in der Highschool an die falschen Leute geraten war.
"Was denkst du, wie sich das in ihrem Lebenslauf machen wird? Was glaubst du, wo sie nach ihrem Studium, als Anwältin angestellt wird? Was werden wohl die Leute sagen? Selbst wenn alle Spuren verwischt sind, du weißt zu gut, dass Gerüchte sehr viel stärker sind, als Beweise. Eine Nachricht an meinen Freund hier und das Leben deiner Schwester ist vorbei. Nur weil du nicht weißt, wie man seine verdammte Klappe hält", verhöhnte er mich. Er manipuliert dich. Er will, dass du dich selbst verachtest und kleinmachst, sagte ich mir, doch es half nichts. Das Gemeine an emotionaler Manipulation war, dass man auch wenn man sie erkannte, nicht immun dagegen war.
"Hier ist die Polizei. Kommen sie mit erhobenen Armen aus der Wohnung raus", ertönte eine Stimme. Ich war so von Logans Worten abgelenkt gewesen, dass ich gar nicht mitbekommen hatte, dass die Polizei angekommen war. Ich hielt mir mit den Händen die Ohren zu, wollte nicht hören, was auch immer Logan noch zu sagen hatte. Ich rollte mich mit den Händen auf den Ohren zu einer kleinen Kugel auf dem Boden zusammen und versuchte die Stimmen in meinem Kopf zu ignorieren, die mir vorwarfen, der schlimmste Mensch auf diesem Planeten zu sein. Ich wendete ein paar Übungen an, die ich von meiner Therapeutin gelernt hatte, die ich aufgesucht hatte, bevor ich Logan überhaupt kennengelernt hatte. Dann nahm ich die Hände wieder von den Ohren.
Ein Klopfen ertönte an der Tür und sofort schoss mein Herzschlag wieder in die Höhe. "Miss Roberts? Hier ist Officer Mason. Ihr Angreifer ist nun im sicheren Gewahrsam. Können Sie bitte die Tür aufmachen?". Ich konnte nicht antworten und alleine der Gedanke die Badezimmertür aufzumachen und diesen für mich sicheren Raum zu verlassen, ließ die Panik in mir aufwallen. Mein Gehirn wollte mich davon überzeugen, dass das alles ein Trick war und Logan immer noch vor der Tür stand, wenn ich sie öffnete. "Miss, Roberts? Alles in Ordnung bei Ihnen?", fragte die Stimme und klopfte erneut an die Tür. Ich zuckte zusammen und robbte ein weiteres Stück von der Tür weg. "Lass mich das machen", sagte nun eine andere, ebenfalls männliche Stimme, die mir vage bekannt vorkam. Aber mein paniküberflutetes Gehirn konnte sie nicht zuordnen. Ein kurzer, leiser Gesprächswechsel fand statt, den ich nur dumpf durch die Tür mitbekam, bevor sich Schritte entfernten.
"Gillian, hier ist Nick", sagte die sanfte männliche Stimme und endlich machte es Klick in meinem Kopf. "Ich weiß, du bist gerade durch eine sehr traumatische Situation gegangen und du hast bestimmt Angst. Aber dein Ex ist jetzt weg und du bist in Sicherheit. Ich werde nicht zulassen, dass dieser Typ dir jemals wieder zu nahekommt, versprochen. Ich bin bei dir". Die vertraute Stimme beruhigte mich und ich näherte mich wieder vorsichtig der Tür, öffnete sie jedoch nicht. "Ich würde mich wirklich gerne davon überzeugen, dass es dir gutgeht, also kannst du bitte die Tür aufmachen? Oder mich zumindest deine schöne Stimme hören lassen, wenn du das nicht kannst?". Nach kurzem Zögern stand ich auf und schloss die Tür auf und öffnete sie einen Spaltbreit. Erst als ich in die erleichtert wirkenden grünen Augen von Nick sah, öffnete ich die Tür ganz. Er musterte mich, als suche er meinen Körper nach Verletzungen ab und als er keine fand, wuchs die Erleichterung in seinem Gesicht.
"Gott sei Dank. Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht". Er trat einen Schritt näher, blieb jedoch sofort wieder stehen. "Darf ich dich umarmen?". Der Kloß in meinem Hals löste sich ein wenig. Um Erlaubnis zu fragen, war etwas, dass viele Menschen nicht machen würden. In meinem Leben gab es so viele Leute, die meine Grenzen nicht respektiert hatten und jetzt in diese Situation die Wahl zu haben, die mir so oft genommen wurde, zerbrach etwas in mir und setzte mich gleichzeitig wieder zusammen. Ich nickte und Nick schloss mich in seine Arme. Und es war eine richtige Umarmung, eine von dieser Art, in denen man sich geborgen fühlt. Ich schloss meine Augen und brach zum wiederholten Male heute in Tränen aus. Von Nick gehalten zu werden, fühlte sich sicher an. Wie Nachhausekommen. Er roch nach Pinienholz und ich saugte diesen Duft in mich auf, wie eine Ertrinkende, speicherte ihn für schlechte Zeiten. Hier, in diesem Moment in seinen Armen, erlaubte ich es mir loszulassen. Ein Beben durchlief mich, als mein Körper von den Schluchzern durchgeschüttelt wurde, doch Nick hielt mich in seiner Umarmung, umfing mich mit seiner Ruhe.
Keine Ahnung, wie viel Zeit verging, während ich in seinen Armen lag und er mir irgendwelche Dinge zuflüsterte, aber er hielt mich solange fest, bis ich mich selbst von ihm löste. Zum ersten Mal, nahm ich die Umgebung um mich herum wieder wahr. Wir standen alleine im Flur, vor dem Wohnzimmer. Seine Kollegen musste Nick weggeschickt haben. Mein Blick wanderte zu meiner Haustür – oder genauer gesagt, zu der Stelle, an der meine Haustür vor wenigen Stunden noch gewesen war. Die Tür lag auf dem Boden, komplett aus den Angeln gerissen, das Holz zersplittert von der Gewalt, mit der sich Logan Zutritt zu meiner Wohnung verschafft hatte. Ein erstickter Laut kam über meine Lippen und ich schlug mir die Hand über den Mund, angesichts der Zerstörung der ich gewahr wurde. Die Tragweite der Ereignisse schlugen wie Wellen über mir zusammen. Logan hatte sich Zutritt zu meinem Zuhause verschafft, zu meinem neuen Leben und die Sicherheit zerstört, in der ich mich gewähnt hatte. Nick folgte meinem Blick zur Tür, dann positionierte er sich so vor mir, dass er meinen Blick von der Zerstörung abschirmte. Er legte seine Hand an mein Kinn und brachte mich dazu, ihm in die Augen zu schauen.
"Konzentriere dich auf mich. Ich weiß, das sieht schlimm aus, aber wir kriegen das hin. Das Wichtigste ist, dass dir nichts passiert ist, okay?". Wie konnte ich ihm diese Worte nicht glauben, wenn er mich so ansah? Ich nickte. "Kannst du bitte, deine Worte benutzen? Ich muss hören, dass es dir gut geht, Darling", bat er mich.
"Okay", sagte ich und er ließ mein Kinn los, nur um nach meiner Hand zu greifen. "Sehr gut, Darling", sagte er. "Hier kannst du heute Nacht nicht bleiben. Willst du deine Freundin oder sonst wen anrufen? Jemanden aus deiner Familie, vielleicht? Oder soll ich jemanden für dich anrufen?", fragte er dann und sofort schüttelte ich heftig den Kopf.
Spätestens nach heute, musste ich Olive und auch meiner Familie früher oder später die Wahrheit sagen, aber ich war noch nicht bereit dafür. Nicht heute. "Bitte nicht... Ich kann noch nicht... Ich meine...", meine Stimme brach. Nick drückte meine Hand.
"Okay, du musst nicht, wenn du nicht willst. Dann... komm mit zu mir", schlug er vor.
"Ich kann dich auf keinen Fall jetzt guten Gewissens in einem Hotel abliefern. Ich verspreche auch auf dem Sofa zu schlafen, wenn du dich unwohl fühlst, aber dich jetzt irgendwo ganz alleine zu lassen – das geht gegen sämtliche Instinkte die ich habe". Wärme breitete sich in meiner Brust aus und Dankbarkeit. Nick war so unglaublich rücksichtsvoll.
"Danke Nick. Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass du hier bist. Dass du für mich da bist", sagte ich, meine Stimme ganz rau und heiser von dem vielen Weinen. Seine Miene wurde weich.
"Gillian, ich glaube du hast keine Ahnung wie wichtig du mir bist. Als die Zentrale eben deinen Notruf an uns weitergeleitet hat und uns zu deiner Adresse geschickt hat, habe ich beinahe einen Herzinfarkt bekommen. Der Gedanke, dass dir etwas passiert sein könnte...". Er brach ab und sah mich mit einem so intensiven Blick aus seinen grünen Augen an, dass ich eine Gänsehaut bekam. Er schüttelte den Kopf. "Ich hätte es mir nie verziehen, wenn wir nicht rechtzeitig angekommen wären". Seine Stimme war getränkt mit so vielen Emotionen, dass ich mir unwillkürlich an die Brust griff, weil mein Herz bei seinen Worten schmerzhaft zog. Und in diesem Moment begriff ich, dass ich mein Herz schon längst an ihn verloren hatte.
Eine Stunde später, nachdem Nick seine Kollegen davon überzeugt hatte, dass ich Morgen noch genug Zeit hätte, eine Aussage zu machen und dass er sich um mich kümmern würde, befand ich mich in Nicks Schlafzimmer. Ich hatte eine kleine Tasche mit Schlaf- und Wechselsachen von zuhause mitgenommen und machte mich jetzt bettfertig. Nick befand sich in der Küche um mir eine warme Milch mit Honig zu machen, für die man seiner Meinung nach nie zu alt sein konnte. Ich war gerade fertig, als es an der geschlossenen Tür klopfte. Erst nachdem ich "Herein" gesagt hatte, betrat Nick das Zimmer, ein Tablett auf der Hand balancierend, auf dem sich eine Tasse und ein kleiner Teller, mit kreativ verzierten Keksen befand, von denen ich stark vermutete, dass sie Jamies Kreationen waren. Er stellte das Tablett auf den Nachttisch und setzte sich auf die Bettkante. Ich griff nach der Tasse und nahm einen Schluck.
"Kommst du klar?", fragte er leise. Ich nickte, dann schüttelte ich den Kopf und zuckte dann mit den Schultern. "Nicht wirklich. Aber es muss ja irgendwie gehen", erläuterte ich mit einem unsicheren Lachen.
"Wenn du darüber reden willst, bin ich da", bot Nick mir an und ich sah die Fragen in seinen Augen stehen, die er mir zuliebe zurückhielt. Ich schüttelte den Kopf. "Nicht heute", lehnte ich ab. Er nickte verständnisvoll.
"Kann ich denn sonst noch was für dich tun?", fragte er dann. "Kannst... Kannst du heute Nacht bei mir bleiben?", fragte ich ihn zögerlich und stellte den Becher zurück auf das Tablett. "In deiner Nähe sind die Gedanken nicht so laut".
"Klar, wenn du das willst", sagte er sofort. "Lass mich nur eben etwas anderes anziehen, in Ordnung?". Ich nickte.
Ein paar Minuten später kehrte er zurück. Bei der Bettseite auf der ich lag, blieb er kurz stehen und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. "Schlaf gut, Darling". Wärme breitete sich von der Stelle, wo seine Lippen meine Stirn berührt hatten, in meinem Körper aus und wenig später spürte ich, wie er sich neben mich legte. Umgeben von seiner Wärme und seinem Duft, schlief ich schließlich ein.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro