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F I T Z
Erst nach ein paar Sekunden bewege ich mich, denn ich bin zu sehr verwirrt. Ich starre immer noch auf den Fleck, wo Rachel gerade noch stand und den Fuß in den Boden stampfte. Der dumpfe Knall der Haustür vibriert in meinem Ohren.
Mit der Wut, mit der sie hier reingestürmt war, konnte ich umgehen. Denn ich war ebenso wütend auf sie, ich wusste, dass sie ihre Stimme erhebt. Aber dass sie will, dass ich mich anziehe und mit ihr wo hinfahre überrascht mich.
Grummelnd erhebe ich mich, weil ich weiß, dass ich keine Chance habe. Dieser kraftvolle Ton in ihrer Stimme lässt mich keine Sekunde daran zweifeln, dass sie weitere schwere Geschütze aufziehen würde, wenn ich mich nicht aufrapple. Also raffe ich mich hoch, schleppe mich in mein Zimmer, hole mir etwas zum Anziehen und trotte mit dem gleichen Elan wieder nach unten. Ich habe keine Ahnung was sie vorhat, aber meine Lust irgendetwas zu unternehmen hält sich in Grenzen. Ich bin sauer auf sie.
Ich nehme die Autoschlüssel von der Kommode und ziehe mir meine Boots an. Als ich die Türe öffne und in die frische Luft hinaustrete, hebt sie augenblicklich ihren Kopf. Überraschung huscht über ihr Gesicht, aber sie fasst sich sofort wieder und setzt die entschlossene Mine von vorhin auf. Eingepackt in einer dicken Jacke lehnt sie an meinem Jeep und mustert mich mit Argwohn. Sie knabbert auf ihrer vollen Lippe, während sie die Arme vor der Brust verschränkt hat. Sie ist wütend, das ist kaum zu übersehen.
Ich vergrabe die Hände in meinen Jackentaschen, weil es arschkalt ist und sehe widerwillig zu ihr. Unsere Blicke treffen sich.
„Hast du getrunken?", fragt sie mich schließlich und bleibt ruhig. Locker lehnt sie an meinem Jeep und neigt den Kopf schief. Ihr dichtes volles Haar ist zu einem wirren Zopf zusammengebunden und ihre Wangen sind vor Kälte rot angehaucht.
Bei ihren Worten senke ich den Blick und hebe die Achseln. „Ein bisschen ... nicht viel.", nuschle ich.
Rachel seufzt leise und stößt sich vom Wagen ab. Fordern hält sie mir ihre Hand hin. „Na los, gib mir die Schlüssel."
Einen kurzen Moment zögere ich, hadere mit mir selbst, muss mich dann aber über mich selbst ärgern. Als ich nach Hause gekommen bin, nachdem ich der gesamten Mensa eine Show geliefert habe, lächelte mich das Bier im Kühlschrank so sehr an, dass ich nicht anders konnte. Ich war sauer, genervt und musste Dampf ablassen.
Missmutig hole ich die Schlüssel hervor und werfe sie ihr zu. Geschickt fängt sie Rachel auf und verschwendet keine weitere Sekunde in dieser Kälte. Ohne zu zögern, steigt sie ein und schwingt sich hinter den Fahrersitz. Ich will kein Macho sein, der sein Auto heiß und innig liebt, aber ... ich fahre lieber selbst. Das ist kein Verbrechen und es ist mir auch egal, was das über mich aussagt, aber ich lenke meinen Jeep lieber selbst. Obwohl ich zugegen muss, dass Rachel hinter dem Steuer meines Jeeps eine gute Figur macht.
Rachel blickt durch die Windschutzscheibe zu mir und klopft wartend auf das Lenkrad, als ich immer noch am Fleck verharre. Sie neigt den Kopf schief, hebt eine Braue und ich kann die aufsteigende Wurt und Ungeduld in ihren braunen Augen ablesen. Denn sie werden zunehmend dunkler. Und da nun mein Auto in ihren Händen liegt, will ich ihren Geduldsfaden nicht noch weiter strapazieren. Also schnaube ich, in der Hoffnung Rachel hört es, gehe um den Jeep rum und lasse mich auf den Beifahrersitz gleiten.
„Kannst du mir sagen, wo wir hinfahren?", frage ich sie, als den Motor startet und aus der Einfahrt fährt.
Für einen Moment ignoriert sie mich und ich habe schon die Hoffnung aufgegeben, dass sie mir eine Antwort gibt. Ich vermute schon, dass sie mich die Fahrt über mit Schweigen straft. „Wirst du schon sehen.", höre ich sie plötzlich.
Ich lehne mich zurück, versuche mich zu entspannen. Auch wenn sie sich meinen Wagen in letzter Zeit öfter ausgeborgt hat, bin ich noch nie bei ihr mitgefahren und ich war jedes Mal froh, keinen Kratzer im Lack entdeckt zu haben. Aber die Entspannung funktioniert nicht. Immer wieder schiele ich zu ihr, beobachte ihre Bewegungen und knirsche mit den Zähnen. Sie rast nicht, aber sie fährt etwas schneller als sie sollte, vermutlich angetrieben von dem Zorn.
„Hör schon auf damit.", murmelt sie schließlich.
Hastig hebe ich den Blick und mustere ihr Profil. „Was?"
Knapp sieht sie mich an und verdreht die Augen ... und das Schmunzeln verrät sie. Ich konnte es genau sehen wie sich ihre Mundwinkeln hoben. „Deinem Auto passiert schon nichts, ich habe den Führerschein nicht in der Lotterie gewonnen, du Idiot."
„Ach, tatsächlich? Hast du mir gar nicht erzählt."
Wir halten an einer Ampel und Rachel nutzt den Moment, um mich anzusehen. „So schlecht gelaunt kannst du also nicht sein, wenn du zu Scherzen aufgelebt bist.", meint sie.
„Ich bin nicht schlecht gelaunt.", murre ich und verschränke die Arme vor der Brust. Die Sonne kitzelt uns durch die Scheiben und ich blinzle ein paar Mal.
„Doch das bist du, seit Wochen. Und ich habe es satt.", sagt sie und fährt wieder los.
Ich bleibe still, widerspreche ihr nicht, weil sie Recht hat. Das wissen wir beide.
Die restliche Fahrt verläuft schweigend. Rachel konzentriert sich auf die Straße und ich muss feststellen, dass sie meinen Wagen perfekt im Griff hat. Sie fährt eigentlich ziemlich gut. Und ich versuche mich zu entspannen und warte geduldig ab, wo sie uns hinbringt.
Irgendwann muss ich weggedämmert sein, denn der Wagen hält abrupt an und ich schrecke sanft hoch. Ich kneife die Augen zusammen, stöhne leise auf und fahre mir über das Gesicht. Verwirrt sehe ich mich um.
„Wir sind da.", informiert mich Rachel und steigt aus. Ich lasse meinen Blick durch die Scheiben gleiten und weiß, wo sie mich hingebracht hat.
Wir stehen mitten im Wald, wo wir zuletzt im Herbst waren und mir Rachel erklärt hat, dass sie auf keinen Fall wandern geht. Und jetzt ist sie freiwillig hier und ich würde am liebsten wieder umdrehen. Welch eine Ironie.
Aber tief in mir weiß ich, dass ich keine Wahl habe. Diese wilde Entschlossenheit an Rachel ist mir neu und macht mir sogar etwas Bedenken. Ich weiß, dass jeder Widerstand zwecklos wäre, auch wenn ich mich wie kleiner Bengel auf den Boden schmeißen und unter Tränen betteln würde. Sie ist taffer geworden, das hat sie von mir.
„Okay, und warum sind wir hier?", frage ich sie, als sie den Reisverschluss ihrer Jacke hochzieht.
„Das kannst du dir selbst beantworten, wenn wir oben sind.", meint sie und stemmt die Hände in die Hüfte. Ich mustere sie knapp. Ihre Jacke reicht bis zu ihren schmalen Hüften und ihre perfekten Beine stecken in einer dieser dünnen Jeans, die keine Fantasie auslassen.
Ich ziehe scharf die Luft ein und wäge ab. aber schnell wird mir klar, dass ich keine Wahl habe. Also setzte ich mich in Bewegung und stapfe los, wenn auch nur missmutig. Rachel dicht hinter mir.
Der frische Wind pfeift mir um die Ohren, kühlt meinen Körper, aber durch die Anstrengung wird mir warm. Ich weiß nicht, wie lange wir schon unterwegs sind, aber ich kenne den Weg. Bewusst setzte ich einen Fuß vor der anderen und langsam dämmert es mir. Die kühle Luft, die Anstrengung und die Ruhe reinigen meinen Kopf, lösen jeglichen Gedanken und ich atme leichter. Nehme die Umgebung wahr, konzentriere mich auf meine Atmung und denke an nichts. In meinem Kopf herrscht Ruhe, angenehme stillschweigende Ruhe und ich nehme sie dankend an.
Ohne es zu merken, werde ich schneller und meine Atmung beschleunigt sich. Auch wenn ich mich die letzten Wochen so schleifen hab lassen, habe ich ein gutes Tempo drauf. Ich muss zwar schnaufen wie ein Irrer, aber keine Ahnung was mich so sehr antreibt. Vermutlich die Sucht nach einem leeren Kopf.
Wir reden nichts, Rachel hinter mir ist still, atmet schwer. Ich bin dankbar für die Stille.
„Warte mal ... können ... wir kurz ... anhalten.", schnauft Rachel schwer hinter mir.
Ich halte an und drehe mich zu ihr um. Sie stemmt ihre Hände auf den Knien ab und lässt den Kopf hängen. Schwer atmet sie und sieht mich dann genervt an. „Wie kannst du nur so schnell hier hochlaufen? Das ist unfair."
„Soll ich dich tragen?", biete ich ihr an und verkneife mir ein fieses Grinsen.
Sie verengt ihre Augen. „Halt die Klappe, Fitz.", bringt sie hervor. „Und sieh zu, dass dir das Lachen nicht auskommt."
Jetzt erlaube ich es mir zu Grinsen, was sie noch mehr auf die Palme bringt. „Hey, du wolltest wandern gehen.", erinnere ich sie und zucke mit den Schultern.
Rachel richtet sich wieder auf und ihr Blick verändert sich, als sie mich ansieht. „Nein, ich bin wegen dir hier." Mit diesen Worten eilt sie an mir vorbei und lässt mich stehen. Kurz starre ich ihr verdutzt nach, fange mich aber sofort wieder.
Die letzten paar Meter zerren an mir, aber ich raffe mich hoch und trete schließlich neben Rachel. Ihr heißer Atem verflüchtigt sich in der kühlen Luft und sie hat die Augen geschlossen, als wir unser Ziel erreicht haben. Das Land erstreckt sich vor uns, die Sonne leuchtet jeden Winkel an.
Dieser Platz überwältigt mich jedes Mal.
„Besser?", murmelt Rachel neben mir. Sie mustert mich ruhig, hat den Kopf schief geneigt und die Hände in die Hüften gestemmt.
Ich nicke, ohne den Blick von der Aussicht zu nehmen. „Ja.", sage ich. „Danke."
„Du hast mir damals erzählt, dass du hierherkommst, wenn du abschalten musst und Ruhe brauchst.", erzählt sie.
„Daran kannst du dich noch erinnern?", meine ich und drehe den Kopf zu ihr.
Sofort nickt sie und hebt die Schultern. „Natürlich. Ich erinnere mich an so ziemlich alles was du mir erzählt hast."
Manchmal vergesse ich wie wundervoll Rachel ist. Und warum ich mich in sie verliebt habe. Doch im Moment sind wir zu weit voneinander entfernt. Das ist mir klar und ich weiß, dass ich daran schuld bin aber meine Gedanken geben einfach keine Ruhe. Und was gerade alles passiert ist, holte all das von Liv damals in mir hoch. So sehr, dass es sich falsch anfühlte, wenn ich Rachel nur ansah. Ich habe das Gefühl sie zu betrügen und es ist ihr gegenüber nicht fair. Ich weiß nur nicht, wie ich das alles in den Griff kriegen kann.
Rachel schnaubt leicht und schüttelt den Kopf. „Es tut mir leid, dass ich diesen Artikel geschrieben habe, ich ..." sie stoppt und beißt sich auf die Unterlippe. Ich weiß, dass sie Schulgefühle hat, dass sie sich darüber den Kopf zerbricht. Und es war richtig scheiße von mir, so zu reagieren, aber im ersten Moment war ich wie vor den Kopf gestoßen.
„Du musst dich nicht entschuldigen, ich versteh dich.", höre ich mich sagen und wende mich ihr zu.
Überrascht hebt sie den Blick und lässt ihn verwirrt über mein Gesicht gleiten. Doch dann kullern plötzlich Tränen über ihre rosa Wangen und ich eile zu ihr. Ich ziehe sie an mich, will sie von negativen Gedanken beschützen und ihr Sicherheit geben. All das was woran ich in den letzten Wochen gescheitert bin.
Sofort schmiegt sie sich an mich, vergräbt ihr weinendes Gesicht an mir und schnieft leise. „Ich musste es einfach loswerden und schreiben hilft mir nun mal. Ich musste darüberschreiben und dieses Chaos in meinem Kopf lösen. Ich wollte dich nicht dafür benutzen, ich wollte bloß schreiben.", nuschelt sie, aber ich verstehe jedes Wort, das ihr über die zitternden Lippen kommt.
Sie löst ihren Kopf von mir und blinzelt zu mir hoch. „Und mir tut es leid, dass ich so ausgerastet bin.", meine ich und gebe ihr einen Kuss auf die Stirn.
Sanft lächelt sie. „Nein, ich hätte dir davon erzählen sollen. Das war nicht okay."
Wir verharren eine Weile so, genieße ihre Berührung, auch wenn viel zu viel Stoff zwischen uns und frage mich, was in den letzten Wochen passiert ist. Rachels Weinen wird leiser und ihre Atmung beruhigt sich langsam.
„Warum hast du ausgerechnet von Fletcher die Drogen gekauft?", murmelt sie plötzlich leise. Zuerst bin ich von ihrer Frage völlig überrumpelt und löse mich von ihr. Ich spüre ihre Blicke auf mir, bin aber nicht fähig sie anzusehen. Sie trifft einen wunden Punkt, vermutlich bewusst, weil sie mich nun mal kennt.
Ich schüttle den Kopf. „Weil er da war.", bringe ich hervor und schmecke den fahlen Geschmack auf meiner Zunge, als ich an den Moment zurückdenke.
„Du hast mich richtig erschreckt, ich ... kannte dich nicht wieder. Du warst mir so fremd.", murmelt sie. Ich höre den Schmerz in ihrer zarten leisen Stimme und weiß, was ich ihr damit angetan habe. Ich weiß noch genau ihren Blick auf mir, als sie mich nächsten Tag aus den Auto zerrten.
„Woher weißt du, dass ich bei Fletcher war?", frage ich sie und sehe sie fragend an.
„Er ist mir heute in der Mensa über den Weg gelaufen und hat mir gesagt, dass du ihm Geld schuldest.", erklärt sie. „Da war es nicht schwer eins und eins zusammen zuzählen."
„Können wir dieses Thema einfach lassen? Es war so schon scheiße genug, dass ich zu ihm gekrochen bin.", platzt es aus mir heraus, aber Rachel rührt sich nicht.
Für einen Moment ist es still zwischen uns und ich meide ihre Blicke. Doch dann höre ich ihre Stimme wieder. „Es war Liv, nicht wahr? Das Mädchen, das Fletcher fast vergewaltigt hätte."
Ich atme tief ein und spüre dieses beklemmende Gefühl in mir wieder hochkommen, dass mich seit Liv jeden Tag zerfrisst. Dieser seelische Schmerz, der mir tief in den Knochen sitzt. Ich beiße mir auf die Unterlippe und nicke langsam. „Ja."
Rachel nickt stumm und senkt den Blick.
Stille legt sich über uns, einsame Stille und dieses Mal zerfrisst sie mich fast. Wir hätten uns so viel zu sagen, aber keiner rührt sich und macht den ersten Schritt. Wir bleiben stumm und wir wissen beiden, dass es falsch ist.
Nach einer Weile machen wir uns wieder auf den Rückweg, weil uns die Kälte umfängt und wir ausgekühlt sind. Den Weg zum Auto zurück haben wir schneller hinter uns gebracht, als wir zum Aussichtspunkt brauchten. Beim Auto fängt Rachel eine Diskussion an, wer zurückfährt, aber ich versichere ihr, dass ich fahren kann und mache kurzen Prozess, indem ich einfach einsteige und den Motor anlaufen lasse. Missmutig lässt sie sich auf den Beifahrersitz gleiten und macht es sich bequem. Ich merke, wie ihr Körper mehr in sich zusammensackt und sie irgendwann ihren Kopf zur Seite neigt. Als ich einen Blick zu ihr werfe, merke ich, dass sie schläft. Entweder das oder sie tut nur so.
Mein Körper ist entspannt, ich bin entspannt. Die frische Luft, die Anstrengung taten gut und ich bin Rachel froh, dass sie mich aus meiner miesen Laune und aus dem Loch, in dem ich seit Tagen feststecke, herausgezerrt hat.
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