Unheilvolle Auren
Der Tag vergeht ziemlich schnell und ich fühle mich erschöpft. Der Regen hat erneut aufgehört und die Sonne hat für eine Stunde alles ein wenig antrocknen können, ehe sie untergegangen ist. Ich habe mich wieder in irgendein Haus zurückgezogen, um in Ruhe schlafen zu können. Gemütlich strecke ich mich und gähne. Was für ein Tag. Auch meine Flügel strecke ich. Zumindest, soweit es der kleine Raum zulässt, den ich mir ausgesucht habe. Aber es reicht einigermaßen. Außerdem sollte ich froh sein, überhaupt einen Schlafplatz gefunden zu haben, den ich so habe betreten können. Ich hätte auch irgendwo draußen schlafen können. Oder direkt beim Big Ben. Wobei ich mir dahingehend sehr unsicher bin. Das Glockenspiel ist wirklich schön anzuhören. Aber es direkt beim Schlafen in den Ohren zu haben... nein, danke. Zwar werde ich kurz aufmerksam, als eine dunkle Aura in meinem Bereich des fühlbaren auftaucht, aber es ist Claude. Vielleicht muss er noch etwas erledigen.
Ich zucke überrascht zusammen, als es an dem einzigen Fenster klopft, welches es in diesem Dachgeschoss gibt und mit großen Augen sehe ich dort hin. Perplex merke ich, dass der schwarzhaarige Teufel mit den goldenen Augen mich genau durch das Glas ansieht. Zögerlich und mit gerunzelter Stirn öffne ich das Fenster. "Kann... ich Euch helfen?", frage ich skeptisch und ziemlich misstrauisch. Ohne ein Wort zu sagen, steigt er ein und ich lasse ihn gewähren. Einfach, weil ich keine Ahnung habe, was ich sonst machen soll. "Eine bescheidene Unterkunft für einen Engel.", meint er und sieht sich um. Ich ziehe eine Augenbraue hoch. "Zwei Dinge. Es reicht, um zu schlafen. Erstens. Zweitens." Mein Misstrauen wächst ein wenig. "Ihr seid sicherlich nicht hier, um Euch anzusehen, wo ich untergekommen bin. Was verschlägt Euch hier her?" Claude kann nicht einmal gerade stehen. Er ist viel zu groß für diesen kleinen Raum. Seine Augen gehen zu mir. Kalt. Emotionslos. "Ich will Euch warnen."
Eine Mischung aus Unglauben und Neugierde taucht auf. "Warnen.", wiederhole ich und lege den Kopf schief. "Und zwar..., weil?" Der schwarzhaarige geht zu mir und dann in die Hocke. Ich sitze und muss daher meinen Kopf in den Nacken legen. "Mein Vertragspartner ist nicht besonders erfreut gewesen, dass Ihr ihm seinen Spaß geraubt habt. Ich würde Euch bitten, solche Taten, wie heute, zu unterlassen." Und jetzt ist die Neugierde weg und ich sitze nur noch ungläubig da. "Ich soll also... einfach so... Menschen töten lassen, weil es sich ein kleiner Junge einbildet?" Claude starrt mich nur weiterhin an. "Ich hätte es anders gesagt. Aber ja. Im Grunde schon." Bevor ich allerdings fragen kann, ob das jetzt nicht doch ein Scherz gewesen wäre, hebt er seine Hand. "Wenn Ihr ihm nicht seinen Willen lasst, so wird er schlimmeres anstellen. Ich konnte ihn heute davon abhalten, streunende Tiere anzuzünden. Eben weil er vorher seinen Willen nicht bekommen hat."
Mit großen Augen starre ich ihn an. Er wollte... was? "Nur..., weil er seinen Willen nicht... bekommen hat?", frage ich leise und er nickt. "Ihr seid wahrscheinlich neu. Deswegen kennt Ihr ihn noch nicht. Aber lasst Euch eines gesagt sein." Er hebt ein wenig sein Kinn. "Ich bin nicht derjenige, der unzivilisiert ist. Ich führe lediglich Befehle aus." Meine Augen gehen auf die Seite. Liegt es wirklich alles an diesem kleinen Jungen? Was hat er bitte schön für narzisstische Züge? Was für einen Napoleon Komplex besitzt er? Und warum muss er ausgerechnet bei mir auftauchen? "Ich wollte Euch nur warnen. Solltet Ihr ihn ein weiteres Mal aufhalten, dann werde ich für nichts garantieren können. Weder, was er mir aufträgt noch, was in Zukunft geschehen wird." Ich schlucke und presse meine Lippen aufeinander. Kaue dann ein wenig auf meiner Unterlippe herum. Wenn er etwas nicht bekommt, will er das doppelte an Rache?
Claude macht sich schon wieder auf den Weg nach draußen und ich sehe zu ihm. "Aber eine Sache." Ich richte mich entschlossen auf. "Danke für die Warnung. Aber ich werde nicht einfach so mitansehen, wenn so etwas schreckliches passiert. Und wenn ich ihn permanent überwachen muss, wenn er in der Stadt sein sollte." Die goldenen Augen werden schmal und er richtet sich die Brille. "Eine Schande. Aber ich verstehe." Das sind die einzigen Worte von ihm, ehe er verschwindet. Das Fenster ist offen. Ich schließe es und lege mich hin. Einen Flügel über mich, sodass ich mich ein wenig wohler fühle. Und dennoch lässt es mich nicht los. Dieser kleine Junge... es wäre wahrscheinlich nicht so schlimm, wenn er nicht so viel Macht hätte! Aber diese besitzt er leider. Eben durch seinen Teufel und diesen Vertrag. Bis ich irgendwann einschlafe, bete ich zu unserem Vater, dass er mir einen Weg zeigen möge, wie ich diese Situation am besten händeln könnte.
Leider bin ich nach dem Aufwachen nicht schlauer und strecke mich erst so richtig, als ich aus dem Haus raus und auf das Dach geklettert bin. Dort kann ich die Flügel wenigstens vollkommen ausbreiten und ich atme die frische Morgenluft ein. Es wird vielleicht ein schöner Tag. Das Morgenrot ist wunderschön anzusehen und fast kann ich die Worte des Teufels von gestern vergessen. Aber nur fast. Wie eine unaufhaltbare Welle, schiebt sich dieser Gedanke wieder nach vorn und lässt mich nicht los. Egal, was ich mache. Ob ich Leben rette. Tode mit ansehe oder einfach nur fliege. Nichts schafft es, diese unheilvollen Gedanken weg zu bekommen. Und ich bekomme kein Zeichen von unserem Vater. Keines meiner Gebete wird beantwortet. Keine Reaktion. Nicht einmal einer meiner Brüder oder Schwestern scheint mir helfen zu können. Oder zu wollen. Denn ich bleibe allein.
Für eine kurze Zeit gibt es eine Ablenkung, als Grell auftaucht. Und dann auch Sebastian. Dass der rothaarige sich so sehr an den Teufel klammert... Er könnte einem schon fast leidtun! Aber nur fast. Es hilft mir tatsächlich, an etwas anderes zu denken. Ich bin eine der wenigen Engel, die nichts gegen gleichgeschlechtliche Liebe haben. Sie lieben sich. Warum sollte ich etwas an ihrem Glück ändern? Nur sieht es hier eindeutig nach einseitiger Liebe aus, der ich leider kaum helfen kann. Und Sebastian zeigt nicht das geringste Interesse. Vor allem, da er mit seinem jungen Herrn unterwegs ist. Dem Earl Ciel Phantomhive, wie ich aus einem Gespräch erfahre. Und auch dieser geht erst einmal auf Abstand als ich von Grell als Engel vorgestellt werde. Und auch ihm sage ich, dass ich nichts mit Ash am Hut habe. Natürlich bin ich in meiner menschlichen Form. Und zum ersten Mal kann ich mich mit einem Namen vorstellen. Grell erzählt ihnen stolz, dass er ihn mir gegeben hat. Lange geht das aber leider nicht mehr, da alle drei weg müssen. Und auch ich muss los. Denn es gibt eine Ansammlung an dunkler Aura. Dämonischer Energie. Und das gefällt mir überhaupt nicht!
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