Neugierde ist des Engels...
Als ich aufwache, strecke ich mich und sehe nach draußen. Es regnet in Strömen. Das Wasser plätschert nur so auf das Dach, unter welchem ich geschlafen habe. Meine Flügel zittern ein wenig, als ich sie voll ausstrecke und sie wieder zusammen klappe. Ein kurzes Gähnen lässt mich meine Augen schließen, ehe ich sie wieder öffne und erneut durch das Fenster sehe. An so einem verregneten Tag kann viel passieren. Aber auch nichts. Seufzend lasse ich mein innerstes ausbreiten. Es zeigt mir an, ob jetzt, oder in der kommenden Stunde etwas Schlimmes passieren sollte. Aber nichts. Leider bezieht sich das nur auf die kommende Stunde, sodass ich das regelmäßig machen muss. Aber was tut man nicht alles für seinen Vater und die Menschheit? Ich bin die Nachfolgerin von Ash. Und ich habe einiges wieder gut zu machen. Denn was er getan hat, war unverzeihlich. Und er ist selbst daran schuld, dass er verstorben ist.
Im Augenblick habe ich die größte Lust, mir die Sonne auf die Federn scheinen zu lassen. Also öffne ich das Fenster, klettere heraus und springe. Entfalte die Flügel und schlage kräftig. Noch kräftiger als sonst, da der Regen es schwierig macht, zu fliegen. Sofort fällt mir diese schwarze Aura wieder auf und anstatt gen Himmel zu schweben, lande ich auf dem nächsten Dach. Lasse die Flügel aber nicht verschwinden, sondern nutze sie als Regenschild und sehe auf die Straße. Dieser Sebastian scheint gerade eingekauft zu haben. Ich gehe in die Hocke und beobachte ihn. Er wirkt friedlich. Sein Vertragspartner hat ihm gut im Griff. Für mich also kein Grund, ihn aufzuhalten. Auch, wenn dies die Regeln besagen. Aber wofür unnötig Energie an einen Abschaum verschwenden? Außerdem spüre ich, dass er stärker ist als ich. Es wäre auch eine Verschwendung meines Lebens. Denn er könnte meines durchaus beenden. Als hätte er meine prüfenden Blicke bemerkt, bleibt er stehen und hebt seinen Kopf zu mir hoch.
Emotionslos betrachte ich ihn. Sage und tue aber nichts. Er nickt nur und wendet sich zum Gehen. Ein interessantes Exemplar eines Teufels. Und irgendwie... nicht so, wie die anderen. Wieso greift er mich nicht an? Ich bin sein natürlicher Erzfeind. Es wäre durchaus gerechtfertigt und normal. Dennoch schaffen wir es, zu koexistieren. Es macht mich neugierig. Ich bin es gewohnt, sofort angegriffen zu werden. Aber vielleicht ist es der Umgebung geschuldet. Zu viele Leute. Denn IHN kann man sehen. Mich sehen nur vereinzelte. Langsam richte ich mich wieder auf. Ein letzter Blick auf den schwarzhaarigen, ehe ich nun endlich den eigentlichen Plan verfolge und so hoch fliege, wie es nur irgendwie geht. Je weiter ich hochkomme und je mehr Wolken ich durchbreche, desto weniger Tropfen fallen auf mich. Und schlussendlich komme ich ganz oben an. Es ist still. Nichts ist zu hören. Nur die Sonne über mir und die dunklen Regenwolken unter mir.
Die Flügel trocknen schnell und es ist angenehm, wenn auch die Kleidung wieder trocknet. Wie Menschen diese Launen der Natur nur aushalten können, bleibt mir ein Rätsel. Genau, wie so viel anderes. Und eines lässt mich wirklich nicht mehr los. Sebastian. Ich hatte bisher nur ein einziges Mal das Vergnügen, mit einem Teufel zu interagieren. Wobei das Vergnügen auf seiner Seite war. Denn er hatte mich fast umgebracht. Glücklicherweise konnte ich ihn noch aufhalten. Es war kein schönes Treffen. Und das war mein erster Eindruck von dieser Rasse an Dämonen. Unaufhaltbare Seelenverschlinger, die wilder nicht sein könnten. Aber... er sah für mich nicht wirklich wild aus. Zivilisiert. Er hatte sich an die Menschen angepasst. Meine Neugierde, mehr über Teufel zu erfahren, ist gerade enorm. Eine weitere Überprüfung zeigt mir, dass keine weitere Gefahr droht und ich fasse einen Entschluss, der von meinen Brüdern und Schwestern... und vor allem von meinem Vater als etwas... dümmlich angesehen werden könnte.
Ich lasse mich wieder auf die Erde zurückfallen. Suche speziell nach dieser einen Aura. Lasse mich vom aufkommenden Wind ein wenig hin und her treiben. Aber er ist nicht mehr in der Stadt, die ich überfliege. Nun gut. Es kann sein, dass er wieder auf dem Rückweg ist! Ich denke nach. Von welcher Richtung kam die Kutsche noch einmal...? Ich sehe mich um und fliege noch ein wenig höher. Der Regen macht den kleinsten Flügelschlag beschwerlich. Meine Augen werden groß, als ich die Richtung erkenne. Und die Aura, die genau in diese Richtung zu verschwinden droht! Ein Lächeln erscheint auf meinem Gesicht und ich mache mich ebenfalls in diese Richtung auf. Fliege, so schnell ich kann und bin etwas froh, dass ich Rückenwind habe. Es hilft mir ein wenig und spart Kraft, die ich an einem anderen Zeitpunkt einsetzen kann. Ich habe ihn schon fast erreicht, als er mich bemerkt und... schneller wird? Will er flüchten?
So leicht lasse ich mich nicht abschütteln. Entschlossen, ihm ein paar Fragen zu stellen und alles hoffentlich friedlich ablaufen zu lassen, folge ich ihm. Und wenn er schneller wird, werde ich es auch. Es ist ermüdend. Wirklich! Aber ich gebe nicht auf! Wenn ich ihn nicht sehe, weil er durch einen Wald läuft, so kann ich immer noch seiner Aura folgen, die unverwechselbar ist. Plötzlich wird er langsamer und ich bin froh, weil mir zugegebenermaßen die Geschwindigkeit irgendwann zu schnell wird. Ich schaffe es, vor ihn zu kommen und fliege auf den Boden. Warte vor dem Wald auf ihn. Die Flügel eingeklappt und mit einem neugierigen Blick. Die dunkle Aura kommt auf mich zu. Wird noch langsamer und er lässt sich Zeit, bis er aus dem Wald kommt. Aber er tut es. Und nicht gerade begeistert. Die roten Augen schmal. Die Haare tropfend. Die Kleidung völlig durchnässt. Er wirkt angespannt. "Was will ein Engel von einem Teufel." Die Stimme ist so kalt, wie das Wetter.
Entschuldigend lächle ich. "Ich... also... Ich will nicht kämpfen! Bitte nicht!", rufe ich und er entspannt sich ein klein wenig. "Ich..." Ich werde nervös und spiele mit meinen Fingern, ehe ich mich räuspere. "Ich würde gern mehr über Teufel erfahren!" Das scheint er nicht erwartet zu haben. Sein Blick wird irritiert. Die Stirn leicht gerunzelt. "Es tut mir leid, aber ich muss ablehnen. Mein junger Herr wartet auf mich." Mein Lächeln wird ehrlich. Weitere Neugierde baut sich auf. Ich gehe ein wenig auf ihn zu. "Genau deswegen wollte ich Euch Fragen! Ihr wirkt viel zivilisierter als den Teufel, den ich einmal getroffen habe. Er wollte mich umbringen. Nicht schön. Aber Ihr... Ihr wirkt so gefasst! Trotz Eurer Macht! Und da die letzte Begegnung mit einem Teufel die erste war und ich mir dachte, dass alle irgendwie so aggressiv und ungestüm sind, war es für mich wirklich überraschend, Euch zu treffen!" Sebastian wirkt ein wenig überfordert. Scheint nicht zu wissen, wie er antworten solle. Wasser tropft von seinen Haaren und ich stelle mich neben ihn. Er beobachtet genau, was ich tue und sieht dann nach oben. Ich habe einen Flügel über ihn ausgebreitet und lächle ihn an.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro