Machtverhältnisse
"Du wirst nicht durch die Stadt fliegen." Gelassen sehe ich ihn an. "Deshalb wollte ich eigentlich nicht, dass du es weißt. Jetzt kommt die Diskussion." Kälte breitet sich aus. "Du. Fliegst nicht. Durch die Stadt. Habe ich mich klar ausgedrückt." Ruhig trinke ich einen Schluck und stelle das Glas ab. "Claude. Gott hat bei Adam und Eva schon verboten, die Frucht zu essen. Und sie hat es ignoriert. Verstehst du? Sie hat nicht einmal auf Gott gehört. Auf Gott! Und du glaubst, dass ich auf dich hören werde?" Nicht einen Millimeter zucke ich zurück, als Claude mit seinem Gesicht nah an meines kommt. So nah, dass sich unsere Nasenspitzen schon fast berühren. Seine Augen starren mich durch die Brillengläser an. "Vielleicht hörst du nicht auf Gott, Alexandra. Aber auf denjenigen, der ohne dich einfach so in die Stadt könnte, obwohl er den Erzengel nicht sehen kann."
Meine Augen werden groß, ehe sie drohend schmal werden. "Claude. Ich denke hier nicht nur an mich!" Zische ich und kralle meine Hände in seinen Kragen. Halte ihn so fest. "Du wirst einfach so getötet. Und das will ich verhindern. ICH kann ihm ausweichen. ICH spüre ihn. ICH kann mich verteidigen! Du nicht." Stumm starre ich ihn an, bevor ich seinen Kragen loslasse und ihn von mir wegdrücke. "Zwing mich nicht dazu, mich gegen einen Erzengel zu stellen, wenn du da einfach reinmarschierst, als wäre es nichts. Ich bin die eine von uns, die unsterblich ist. Dich kann man töten. Mich nicht." Emotionslos richtet sich der Teufel seine Kleidung und sieht dabei nicht einmal zu mir. Mit wütender Miene streiche ich mir über die Lippen und sehe selbst auf das Glas Wasser, was er mir gebracht hat. "Lass mich nicht noch einmal etwas verlieren, was mir etwas bedeutet."
Überrascht zucke ich zusammen, als er seine Hand auf einen meiner Flügel legt. Eine relativ unempfindliche Stelle. "Dann flieg nicht durch die Stadt." Seine Stimme ist sanft. Und als ich meinen Kopf zu ihm drehe, sieht er mich nicht kalt an. Ich weiß nicht, als was ich diesen Blick beschreiben kann, aber er ist nicht kalt. Nicht emotionslos. Die behandschuhten Finger fahren über einzelne Federn. "Wenn du nicht willst, dass ich meine Drohung wahr mache, dann flieg selbst nicht durch die Stadt." Ich lege meinen Kopf schief als es klick macht. "Du machst dir sorgen um mich." Als würde er es erst jetzt bemerken, blinzelt er und richtet sich wieder ein wenig auf. "Du machst dir sorgen um mich. Ansonsten würdest du diese Drohung gar nicht erst aussprechen." Seine Hand geht von meinem Flügel und ich stehe auf. Er hingegen richtet sich seine Brille. "Natürlich mache ich mir Sorgen. Immerhin wird Ihre Hoheit sonst ein wenig ungemütlich, wenn du-" "Nein, Claude." Ich stelle mich direkt vor ihn hin. Lege meinen Kopf ein wenig in den Nacken. "Du machst dir nicht sorgen um Alois. Du machst dir sorgen um mich."
Sich räuspernd, rückt er sich erneut die Brille zurecht, als wäre sie in der kurzen Zeit schon wieder verrutscht. "Es könnte durchaus die Möglichkeit bestehen, Alexandra." Dabei sieht er mich aber nicht direkt an. Grinsend lege ich meine Arme um seinen Hals. "Und was war daran so schwer?", frage ich einfach so und bin wieder ein wenig besser gelaunt. Er lässt es sich gefallen. Zumindest eine gewisse Zeit lang. "Könntest du mich nun bitte wieder loslassen?" Nachdenklich sehe ich auf die Seite. Doch bevor ich antworten kann, spüre ich eine Hand auf meinem Rücken. Sofort spanne ich mich an, als ein Finger immer näher zu meinen Flügelansätzen kommt. Und fast im selben Moment habe ich wieder dieses Pochen. "Claude...", flüstere ich leise und kralle meine Finger ein wenig in seine Kleidung. Aber aufhören tut er nicht. Ich merke, wie mein Gesicht ein wenig heiß wird. "C-Claude... Ngh..."
Mein gesamter Körper erzittert. Ohne darüber nachdenken zu können drücke ich mich an ihn. Seine Fingerspitzen streichen über den Ansatz und spielen ein wenig mit dem Flaum. Mein Atem wird schneller. Was passiert mit mir? Ein wenig presse ich meine Beine zusammen. Es ist, als würde dort etwas fehlen. "Merkst du eigentlich, was für eine Macht ich über dich habe?", fragt er und lässt mich abrupt los. Alles in mir pulsiert. Verlangt nach mehr. Doch ich schaffe es, relativ schnell wieder Herr meiner Sinne zu werden, die mir anscheinend abhandengekommen sind. Ich entkralle meine Finger aus seiner Kleidung und lasse sie nach vorn gleiten. Richte mit noch leicht zitternden Fingern das kleine Chaos. "Weißt DU... welche Macht ICH zu haben scheine?", erwidere ich und rücke die kleine Schleife an seinem Hals zurecht. "Man sieht jemanden erst als wirkliche Gefahr an, wenn man seine Macht demonstrieren muss, um die Oberhand zu behalten." Langsam sehe ich zu ihm hoch. "Und wenn du es demonstrieren musstest, indem du einen sehr empfindlichen Teil meinerseits einfach so anfasst, um mich unter Kontrolle zu bringen..." Nun wieder ein wenig ruhiger, klopfe ich ihm auf die Brust. "Heißt das schon viel, Claude Faustus."
So wirklich wissen, was er darauf antworten soll... das tut er nicht. Der schwarzhaarige betrachtet mich, als müsse er mich neu einschätzen. Doch ich nicke nur. "Und ja... ich werde außen herumfliegen.", gebe ich kund, ehe ich von ihm weg gehe und mich wieder auf den Stuhl setze. "Aber du solltest wirklich deine Finger von der Stelle lassen." Als müsste er provozieren, ist er mit einem Mal hinter mir und legt seinen behandschuhten Finger genau auf den Punkt, der mich und auch die Flügel leicht erzittern lässt. "Meinst du diesen Punkt?" Angespannt, atme ich tief ein und wieder aus. "Ja, genau. Diesen Punkt." Der schwarzhaarige beugt sich zu mir runter und sieht mich mit einem leicht provokanten Lächeln an. "Aber es macht viel zu viel Spaß.", erwidert er. Fährt langsam nach oben und kommt an meinem Nacken an. Gleitet dann zu meiner Kehle und drückt mein Kinn ein wenig nach oben. "Du kannst froh sein, dass ich dir vertraue, Claude."
Wieder kommt er ein wenig näher. Seine Wange liegt fast an meiner. "Vertrauen ist so ein starkes Wort..." Das Gespräch mit Lizzy kommt mir in den Kopf. "Hass ist auch ein starkes Wort. Und trotzdem tut man es." Langsam hebe ich meine Hand, nehme seine und lege sie knapp unterhalb der Kuhle am Hals auf meine Brust. Lehne mich gegen ihn. "Ich vertraue dir, Claude. Vielleicht ist es ein starkes Wort. Aber es ist ein Fakt." Er spannt sich an, entspannt sich aber schnell wieder. "Hast du überhaupt eine Ahnung, was du da gerade von dir gibst?" Leicht amüsiert schnaubend, nicke ich. "Ich weiß es. Ich vertraue dir. Ich will dich nicht sterben sehen... Ich mag dich, Claude. Wie genau, das weiß ich noch nicht. Dafür sind mir menschliche Emotionen noch zu neu. Der Umgang. Aber ich werde es schon irgendwann herausfinden. Ich war 762 Jahre lang komplett allein. Habe alles selbst lernen müssen. Da wird das eine Kleinigkeit sein." Ich entspanne mich noch mehr, als Claude mit seinem behandschuhten Daumen über meine Hand fährt. "Du warst nicht so lange allein, Alexandra. Du wurdest 762 Jahre lang ignoriert. Das ist etwas anderes."
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