Kathedrale
Die Mittagsruhe nutze ich, um wieder einmal die Sonne zu genießen. Wie tot liege ich auf dem Dach und lasse mich braten. Aber nach fast drei Wochen die Sonne zum ersten Mal zu sehen ist echt ein erfüllendes Gefühl. Eine leichte Brise weht, weswegen es nicht zu heiß ist. Die Blätter der Bäume und Büsche rascheln leicht und ich lächle. Perfekt. Es ist alles perfekt. Doch ein Gedanke durchkreuzt meine Gedanken. Was ist mit der Stadt? Was ist mit ihr passiert, als ich nicht da war? Ist wieder ein Engel da? Herrschen nun die Erzengel? Bitte nicht. Das wäre mehr als nur scheiße. Aber eigentlich kann es nicht sein, dass die Erzengel herrschen. Sie müssen theoretisch wo anders sein. Dort reinigen, oder gegen irgendetwas super Böses kämpfen. Was sie zumindest als super Böse ansehen. Das ist da auch immer so eine Definitionsfrage.
"Ich hoffe, ich störe nicht, Alex." Ich sehe auf die Seite und lächle sofort. "Du störst nie, Claude.", erwidere ich und setze mich auf. Er geht neben mir kurz in die Knie, legt eine Hand auf meine Schulter und gibt mir einen kurzen Kuss auf die Schläfe. Ich drehe meinen Kopf und hole mir gleich das ganze Paket. Als ich meine Lippen von seinen löse, gebe ich ihm noch ein kurzes Hauchen, ehe ich wieder nach vorn sehe. "Was ist eigentlich mit der Stadt?", frage ich nur und der Teufel steht wieder auf. "Ich weiß es zugegebenermaßen nicht." Perplex sehe ich zu ihm hoch. "Ich war nicht in der Stadt, da erstens Ihre Hoheit meine volle Aufmerksamkeit gebraucht hat nachdem klar wurde, dass du verschwunden bist. Und zweitens hat er keinem von uns erlaubt, dorthin zu gehen." Und wieder überrascht Alois mich. Er hat keinem von ihnen erlaubt, in die Stadt zu gehen, nachdem ich einen Abstecher in die Hölle gemacht habe?
Gelassen stehe ich auf und strecke die Flügel ein wenig aus. "Wie viel Zeit haben wir noch, bis Ciel und Sebastian kommen werden?" Claude holt eine kleine Taschenuhr heraus. "Exakt zwei Stunden und 43 Minuten." Seine Augen gehen zu mir. "Schaffst du das?" Herausfordernd blicke ich zurück. "Zweifelst du gerade an mir?" Der schwarzhaarige steckt die Uhr wieder weg. "Das würde ich niemals tun. Nicht bei einem Engel, der 762 Jahre lang Geduld aufgebracht hat, dafür verbannt wurde, einen anderen Engel getötet hat, sich den Gefahren eines Erzengels entgegenstellte, von sieben Erzengeln fast ausgelöscht wurde, fast drei Wochen in der Hölle war und nun mit einem herausfordernden Lächeln vor mir steht. Habe ich etwas vergessen?" Leicht empört habe ich meine Augenbrauen hochgezogen. Dann stelle ich mich direkt vor ihn und lege meine Arme um seinen Hals. "Dich. Du hast dich vergessen. Das wichtigste, wenn ich es so sagen darf.", erwidere ich und entspanne mich, als Claude seine Hände auf meinen unteren Rücken und seine Lippen auf meine legt. Wie nennen es die Menschen? Süchtig. Ich bin süchtig danach.
Nach einer kleinen Verabschiedung fliege ich von dem Anwesen weg und genieße es, erstens wieder Sonne auf meinen Flügeln und zweitens Gras und normale Landschaft unter mir zu haben. Keine Schreie. Kein Klagen. Keine Peitschengeräusche. Kein Brüllen. Einfach nur friedliche Erde. Natur. Ich lasse mich ein wenig vom Wind treiben und mache, einfach weil ich es kann und weil es sich gut anfühlt, ein paar Flugmanöver. Rollen in der Luft. Den Falken, also nach oben fliegen und sich mit angelegten Flügeln und hoher Geschwindigkeit nach unten stürzen. Ich fliege sogar für eine kurze Zeit falsch herum, sodass der Boden nach oben zeigt. Mache ein kleines Wettfliegen mit einer Taube und fühle mich frei, glücklich und fast schon unbesiegbar. Flügelschlag für Flügelschlag komme ich näher an die Stadt.
Was mich jedoch dort erwartet, gleicht einem niederschmetternden Ergebnis. Wieder drückt mich die Aura eines Erzengels herunter und ich weiß nicht, welcher Engel es diesmal ist. Aber ich werde es herausfinden. Auch wenn Claude mich dafür hassen wird, weil ich mich in Gefahr begebe. Es scheint noch alles irgendwie normal zu sein. Hunde bellen, Kutschen rollen über die Straßen, Leute gehen ruhig herum. Ich fliege über die einzelnen Straßen und sehe mich um. Der Markt läuft normal. Schnell drehe ich ab, als ich die Aura des Erzengels direkt vor mir spüren kann. Aber nur spüren. Ich kann ihn nicht sehen. Aber außer die Aura des Engels gibt es nichts. Keine dämonische. Keine himmlische. Nur der Erzengel. Vorsichtig lande ich auf einem der Hausdächer und sehe in die Richtung, in der die Aura liegt. Die Kathedrale.
Unsicher, ob ich hier einfach verschwinden, oder dem nachgehen sollte, öffne und schließe ich meine Flügel immer wieder leicht. Mein Blick rein auf die Kathedrale in der Ferne gerichtet. Alles andere ist ausgeblendet. Nur einmal kurz sehen, mit wem wir es zu tun haben und dann wieder weg. Ganz schnell! Das ist nur ein Blick und schon bin ich wieder weg. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf fliege ich los. In Richtung der Kathedrale. Meine Aufmerksamkeit rein auf das Gebäude mit dieser Ausstrahlung gerichtet. Alles andere wird einfach ignoriert. Grell winke ich nur kurz zu, ehe ich weiter fliege. Weiche Türmen aus, die in meinem Weg sind. Vögel, die nicht schnell genug wegfliegen können. Zwar wird mir gerade unwohl und alles in mir schreit, dass ich weg soll, aber jetzt drehe ich nicht ab. Nein. Jetzt wird erst recht nachgesehen und herausgefunden, wer hier die Herrschaft übernommen hat.
Direkt auf dem Gebäude lande ich relativ lautlos. Die Macht, mit der der Erzengel einen auf den Boden drücken kann, ist wahnsinnig stark. Aber es geht einigermaßen. Wahrscheinlich auch dank dem Tattoo auf meinem linken Oberarm. Es leuchtet ein wenig. Die Linien pulsieren minimalst. Spüren tue ich davon nichts! Ich sehe es nur. Gut. Ich merke, dass es ein wenig wärmer ist. Aber nur ein wenig. Was mir Sorgen macht ist, dass es immer mehr leuchtet. Und auch das Pulsieren verstärkt sich! Die Aura wird stärker. Sofort gehen meine Augen unter mich. Ist er da unten? Fühlt sich so an. Er scheint sich zu bewegen. Geht nach vorn? Zur Tür! Unten geht tatsächlich die Tür auf und ein Mann in einem weißen Anzug kommt heraus. Geht ein paar Schritte, dreht sich zum Gebäude und sieht zu mir hoch. Oh, scheiße. Der entgeisterte und genervte Blick ist wahrlich nicht zu übersehen. Stumm starre ich zurück. Und was jetzt?
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