Jerichos Niedergang
Meine Flügel erscheinen. Das Mal strahlt und pulsiert immer noch. Ohne abzuwarten, schwinge ich mich in die Luft und bleibe direkt vor dem Glasfenster stehen. Sehe hinein. Claude nickt mir zu. Alois, der scheinbar geweint hat, deutet mit dem Daumen nach unten. Die Drillinge jubeln und Hannah wischt sich eine Träne von ihrem Gesicht. Ich lächle und nicke zurück, ehe ich mich wieder auf Zedekiel unter mir konzentriere. Dieser jedoch kniet. Betet tatsächlich. Mein Lächeln verschwindet. "Mein Jagdwild betet. Es gibt kein Entkommen. Das Blut pulsiert. Es wird gejagt." Diese Worte kamen einfach über meine Lippen. So wirklich Kontrolle darüber hatte ich nicht! Aber irgendwie passt es. Soll er beten. Es bringt ihm nichts. Brav wartend, als kleines Dankeschön, dass er mich hatte aufstehen lassen, betrachte ich das neue Schwert. Geformt aus meinem Blut.
Kein einziger Riss ist mehr zu sehen. Die Schneide ist makellos glatt. Auf dem Blatt sind drei Zeichen eingraviert. Das Zeichen der Engelsmacht, welches ich auf dem linken Oberarm habe. Ein Pentagramm und ein drittes, mir völlig unbekanntes Zeichen. Ein Sichelmond, in welchem eine liegende Acht liegt. Die Linien berühren, aber überschneiden sich nicht. Das Unendlichkeitszeichen und ein Mond... Komische Mischung, aber gut. Vielleicht weiß Lucifer ja mehr, wenn das alles hier vorbei ist. Denn ich habe vor, dass hier so schnell wie möglich zu beenden. Ein kurzer Blick nach unten. Zedekiel sieht wütend zu mir hinauf. Das Schwert in Flammen gehüllt. Zufrieden lächle ich und lecke mir über die Lippen. "Und? Hast du eine Antwort bekommen?", rufe ich fragend, bekomme aber keine Regung von ihm. Stattdessen breitet er seine Flügel aus, stößt sich ab und kommt zu mir.
Ohne Probleme blocke ich sein Schwert mit meinem und sehe ihm in die Augen. "Das brave Lamm kommt zum Schlachter.", flüstere ich und grinse, ehe ich ihn von mir wegdrücke und noch weiter in die Höhe steige. Zedekiel hinter mir her. Aber eines ist mir aufgefallen. Vielleicht ist er am Boden schneller und um einiges tödlicher als ich. Aber in der Luft bin ich diejenige, die ihn um Längen schlägt. Ich bin schneller, wendiger und besitze das Können und Wissen, wie man auch auf beengtem Raum bestimmte Manöver durchführen kann, ohne drauf zu gehen. "Rom wurde vielleicht nicht an einem Tag gebaut...", fange ich an und stoppe abrupt. Starre ihn an. "Aber man kann es in einem Tag zerstören!" Überrascht schafft Zedekiel es nicht, das Schwert rechtzeitig zu heben und ich komme ihm mit meiner Klinge nah genug. Leider kann er mit seinem Kopf ausweichen und ich verpasse ihm nur eine Schnittwunde an seiner linken Wange.
Er stößt mich von sich. Doch das Ausbreiten der Flügel reicht aus, um es abzufangen und wieder auf ihn zuzurasen. Klinge trifft auf Klinge. Wir wollen beide nicht sterben. Ich scheine es zumindest wirklich nicht zu können. "Wie...! Es wurde uns alles aberkannt!" Unsere Gesichter sind beide von der Anstrengung verzogen. "Bei mir ist es keine Fähigkeit, Zedekiel.", zische ich und weiche seitlich aus, ehe ich das Schwert nach ihm schwinge und es schaffe, die rechte Kniekehle zu durchtrennen. Er hingegen unterdrückt das Brüllen und knurrt nur. Schnaubt wütend und muss das Bein hängen lassen. Ich spüre ein Schlagen in meiner Brust und fliege sofort ein wenig höher, um sicher auf meine Brust sehen zu können. Ich kann direkt auf mein Herz sehen. Alles regeneriert sich von selbst. Ohne, dass ich etwas machen muss. Davon kann ich mich jetzt aber nicht ablenken lassen.
Mein Blick geht wieder zu Zedekiel, welcher zu mir aufholt. Ich lasse es zu. "Ich bin ein Krieger Gottes und werde seine Befehle ausführen!" Schnaubend weiche ich aus, fliege unter ihn, lasse mein Schwert verschwinden und ziehe ihn, wie bei unserem ersten Übungskampf, an seinen Beinen. Nur habe ich diesmal mehr Kraft. Und ich nehme alles, was ich habe, um ihn nach unten zu schleudern. "Du bist kein Krieger, Zedekiel. Du bist ein blinder Soldat, der einfach nur Befehle annimmt und ausführt!", rufe ich und fliege ihm hinterher. Lege die Flügel an und bin schneller als er. Kralle meine Finger in seine Flügel, drehe mich so schnell es mir möglich ist und schleudere ihn krachend in die Mauer. "Kennst du den Unterschied zwischen Soldat und Krieger, Zedekiel?" Ich sehe zu, wie er benommen von der Wand abprallt und nach unten fällt. "Ein Soldat befolgt Befehle. Ein Krieger weiß, was er zu tun hat und tut nur das, was richtig ist!"
Kurz vor dem Boden fängt er sich. Die Waffe liegt schon lange auf dem sandigen Boden. Er taumelt unten. Ich warte im oberen Drittel der Arena auf ihm. Das Glas, hinter dem die Zuschauer sitzen, ist ungefähr auf der Hälfte. Zedekiel gibt nicht auf. Ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht wahrnehmen. Aber er holt sich das Schwert, braucht einen Moment, um sich zu orientieren und stößt sich mit dem einen Bein ab, welches er noch benutzen kann. Das zweite ist so nützlich wie meine Gebete. "Lieber ein guter Soldat, als ein unwissender Krieger!", ruft er mir entgegen und ich sehe kalt auf ihn hinunter. Schnaube. "Gib mir die Kraft, die Wahrheit zu sehen.", fängt er an laut zu beten und kommt näher. "Den Zweifel in meiner Seele." Langsam erkenne ich sein Gesicht. Es ist vor Wut verzerrt. "Nicht länger kann ich dieses Blutvergießen gutheißen. Bete, um die Tore des Himmels zu finden!"
Das Schwert erscheint in meiner Hand. "Es wird fast alles mit Blut gereinigt nach dem Gesetz. Und ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung.", erwidere ich und mache mich bereit. "Das Andenken des Gerechten bleibt im Segen, aber der Name der Frevler wird verwesen." Luther. Nicht schlecht. Auch er kennt die Bibel. Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, wehre ich den mehr als heftigen Schlag ab, der von Zedekiel kommt. Das Auftreffen ist so stark, dass ich kurz nach oben gedrückt werde. Wir starren uns für einen Moment einfach nur an, bis ich das Gewicht meines Schwertes ein wenig verlagere. An der nun glatten Klinge rutscht seinige auf die Seite. Seine Augen gehen dorthin. Wahrscheinlich Reflex. Ich hole mit meinem Schädel aus und knalle diesen gegen seinen, wobei etwas bricht. Meine Nase ist es nicht, also kann es nur seine gewesen sein. Überrascht und nun erneut benommen, taumelt er nach unten. Das Schwert findet den eigenen Weg auf den sandigen Boden der Arena zurück.
Ohne zu zögern, fliege ich ihm nach. Lege meine Flügel eng an den Körper und nehme Geschwindigkeit auf. Rase an dem fallenden Zedekiel vorbei und breite meine Flügel aus, ehe ich zur Mauer fliege und mich dort abstoße. In der Luft, ziemlich gut zeitlich abgemessen, treffe ich ihn von der Seite und lasse ihn gegen das Glas knallen, welches nicht einmal Risse zeigt. Er kommt langsam wieder zu sich, rutscht kurz an dem Glas herunter und sammelt sich genug, um ein wenig fliegen zu können. "Die Rache ist mein. Ich will vergelten, sprach der Herr." Meine Stimme ist ruhig und der Erzengel sieht aus, als hätte man ihn gerupft. Dennoch ist der Wille noch da. "Wer sich rächet, an dem wird sich der Herr rächen!", ruft er zurück und ich schnaube. Starke Flügelschläge reichen aus, um eine gewisse Geschwindigkeit aufzunehmen. Das Schwert ist nach vorn gerichtet. Mein Blick auf Zedekiel. "Dann geh unter, wie einst Jericho!"
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