Kapitel 8
Namjoon PoV
„Und? Kommt sie?", fragte Taehyung sofort nachdem Seokjin zurück in die Küche gekehrt war. Der Älteste schüttelte betrübt den Kopf und stocherte lustlos in seinem Essen herum. Namjoon entging jedoch nicht, dass Seokjin ihm dabei einen leicht vorwurfsvollen Blick zuwarf.
Der Leader verzog den Mund, mied aber den Blick seinen Hyungs. Er war immer noch sauer auf ihn, obwohl sie sich auf das Drängen von Yoongi wieder vertragen hatten. Was Namjoon ärgerte war nicht, dass Mira Seokjin offensichtlich nach der kurzen Zeit, die sie mit ihm verbracht hatte, ihn schon lieb gewonnen hatte.
Sondern, dass es Seokjin, der ja mit Abstand der Zuverlässigste von ihnen allen war, anscheinend völlig egal war, dass er fast eine Stunde zu spät gekommen war und nicht an sein Handy gegangen war. Dass Mira weggelaufen war, war nur die Sahne auf dem riesigen Berg Mist, den sie produziert hatten, und dass Yoongi ihn ganz offensichtlich angelogen hatte, war die bittersüße Kirsche auf der Spitze.
Yoongi hatte noch nie gut lügen können und Namjoon war ziemlich gut darin, zu erkennen, wann jemand ihm eiskalt ins Gesicht log. „Was ist denn mit ihr los?", fragte Taehyung besorgt, die braunen Augen auf die Tür gerichtet, als hoffte er, dass Mira jeden Moment durch die Tür tapste und sich zu ihnen setzte. „Keine Ahnung", seufzte Seokjin.
Namjoon schob seinen gegrillten Fisch lustlos auf seinem Teller hin und her, ihm war ganz plötzlich der Appetit vergangen. Der Streit mit Seokjin schlug ihm wohl mehr auf den Magen, als ihm lieb war... nein, nur das alleine konnte es nicht sein... etwas hatte sich verändern, was ihm nicht passte! Ganz kurz ließ er seinen Blick über jedes andere Member schweifen.
Über Taehyung, der noch immer zur Tür starrte und nicht bemerkte, wie Hoseok ungeniert seinen Fisch klaute, über Yoongi, der Jimins Geplapper über sich entgehen ließ, über Jungkook, der mit seinen vollen Backen mehr denn je wie ein Hase aussah. Dann fiel sein Blick auf Seokjin, der ihn nachdenklich anstarrte, als müsste er auch ganz dringend über etwas nachdenken.
Für einen Moment versank Namjoon in den sanften, dunklen Augen des Ältesten, sah all seinen Schmerz, all seine Wut, seine Nachdenklichkeit und die neugewonnene Zärtlichkeit. Dann blinzelte Seokjin einmal und wandte den Blick ab. Doch es hatte schon gereicht, Namjoon wusste, was ihm so auf die Laune schlug.
Jeder von ihnen hatte sich innerhalb von 24 Stunden verändert, jeder von ihnen war ein klein wenig sanfter geworden. Normalerweise würde ihn das nicht stören, wenn es sich nicht um eine heikle Angelegenheit handeln würde. Sie hatten offenbar den eigentlichen Grund vergessen, warum Mira bei ihnen war.
Einem Waisenkind aus dem Heim eine neue Familie zu geben, stand an zweiter Stelle. Die Medien und A.R.M.Y's standen an erster Stelle. War er wirklich der Einzige, der das nicht vergessen hatte? Wie schaffte es das kleine Mädchen, sie alle so um den Finger zu wickeln?
Namjoon war so mit seinen Gedanken woanders gewesen, dass ihm die entbrannte Diskussion, warum Mira nicht zum Essen kam, völlig entgangen war.
Der anschließende Abend verlief zäh und ohne nennenswerte Ereignisse. Namjoon hatte sich ins Wohnzimmer verzogen und las ein Buch, Taehyung, Jimin und Jungkook hatten es irgendwie geschafft, dass Yoongi eine Kissenschlacht mit ihnen machte, Hoseok war tanzen und Jin war irgendwohin verschwunden.
Für eine Weile hielt Namjoons Geduldfaden dem permanenten Gelache und Gekreische stand, aber irgendwann war der dann doch angenervt. Jimins permanentes Quietschen, Taes tiefes Lachen und Yoongis Flüche stellten seine Geduld aber auch ziemlich auf die Probe. Als der Maknae ihm dann noch mit einem Kissen das Buch aus der Hand schlug, war eben dieser Faden gerissen.
Wutschnaubend griff Namjoon unter seinen Sessel, packte das Buch und verließ mit den Worten „Bin im Studio" das Zimmer. Was er jetzt brauchte, war Ruhe und Frieden; kein aufgedrehter Yoongi, keine fröhlichen Maknaes. Er brauchte jetzt Stille und sein Studio.
Er war eigentlich nicht gerne alleine; er schätzte Gesellschaft. Doch wenn ihm alles zu viel wurde, zog er sich gerne ein wenig zurück, schloss sich in seinem Studio ein und produzierte ein wenig Musik. Diese Musik war nur für ihn selbst; er hatte sie nie veröffentlicht. Sie war wie ein Trost für ihn; und auch wenn er es seltsam findet, seine eigene Stimme zu hören, hörte er sich die sanften Klänge jedes Mal an, wenn er traurig war.
Als er den Flur zu seinem Zimmer entlangtrottete, um sein Buch wegzubringen und sich seine Mütze, seine Brille und den Mundschutz zu holen, fiel sein Blick wie von alleine auf die geschlossene Zimmertür von Mira. Sofort sank seine Laune noch weiter.
Das mit dem Kind war eine einzige Katastrophe gewesen! Sieben Chaoten, die ihr Privatleben völlig in den Hintergrund stellten, waren niemals in der Lage, ein Kind zu erziehen. Er nahm kaum wahr, was er eigentlich tat, so versunken war er in seine Gedanken. Seokjin hatte ihm gesagt, dass sie Rücksicht auf Mira nehmen und sie sich erst einmal eingewöhnen lassen sollten.
Seokjin hatte was Schönes mit ihr unternommen, sie hatte ein neueres Zimmer... was war also los mit ihr? Er konnte es sich nicht erklären; er kam einfach nicht auf die Lösung. Maskiert und getarnt wollte er gerade die Tür öffnen, als die schon aufschwang und ihm einen Schlag gegen die Stirn verpasste. „Autsch!"
„Oh, das tut mir leid, Namjoon! Ist alles in Ordnung?", fragte Seokjins Stimme besorgt und der Älteste erschien in Namjoons Blickfeld. Der rieb sich empört die Stirn und blinzelte Seokjin genervt an. „Lass mal sehen.", verlangte der Blonde und bevor Namjoon protestieren konnte, inspizierte Seokjin seine Stirn.
Dabei war er Namjoon so nahe, dass dieser seinen Atem auf seiner Wange spüren konnte; ein warmer Hauch Zuneigung, der über seine Wange strich. „Das gibt eine Beule", bemerkte Seokjin, „das tut mir so leid, Namjoon." Der Leader antwortete nicht, musterte stattdessen nur das Gesicht seines besten Freundes.
Ja, das war die Bezeichnung, die perfekt auf Seokjin passte. Nicht Hyung, nicht Eomma; es war diese Bezeichnung. Und obwohl sie sich manchmal stritten, wusste Namjoon ganz genau, dass er immer auf Seokjin zählen konnte. „Hyung", sagte er, ohne Nachzudenken, „es tut mir leid."
Seokjins Augen fixierten ihn überrascht; er wusste nicht, wovon Namjoon sprach. „Namjoon, was..." „Ich meine unseren Streit. Das tut mir leid. Ich hätte nicht so ausrasten dürfen." „Schon vergessen, Namjoon." Seokjin schloss ihn in die Arme, hielt ihn fest und legte seinen Kopf auf die Schulter des Leaders.
Namjoon tat genau dasselbe. Er ließ seinen Kopf auf die Schulter seinen Hyungs sinken und schlang seine Arme um den Oberkörper, der sich dicht an ihn presste. Mit geschlossenen Augen sog er den, ihm so vertrauten, Duft des Älteren ein; inhalierte ihn, damit er ihn ja nie wieder vergaß.
„Ich will auch!", nörgelte eine Stimme hinter Namjoon und ihm nächsten Moment war ihm jemand auf den Rücken gesprungen. Dank Jins festem Griff behielt Namjoon sein Gleichgewicht, doch er ächzte unter dem Gewicht. „Jimin!", lachte Seokjin, löste sich aus der Umarmung und lachte der Person auf Namjoons Rücken ins Gesicht. „Pass auf! Nicht, dass er noch unter dir zusammenbricht."
Als er eine Viertelstunde später die Tür zu seinem Studio abschloss, hatte sich seine Laune ein klein wenig gebessert. Seine Genervtheit war verschwunden und ein wenig von seiner guten Laune war zurückgekehrt.
Er hatte zwar schon geahnt, dass ihm der Streit mit Seokjin mehr zusetzte, als ihm lieb war, doch das er seine Laune so stark beeinflussen konnte, war ihm ebenfalls neu. Durch die Sonne, die den ganzen Tag in den kleinen Raum geschienen war, hatte sich die Luft aufgeheizt und war seltsam stickig, doch er öffnete keines der beiden Fenster auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes. Stattdessen schloss er einen Ventilator an, zog die Vorhänge zu und setzte sich dann an seinen überladenen Schreibtisch.
Überall stapelten sich Papiere. Notizen, die er gekritzelt hatte, wenn ihm eine neue Idee für ein Lied bekommen hatte. Ein paar waren ganz interessant, vielversprechend ebenfalls und wenige davon hatten es sogar in die Planung seines nächsten Soloalbums geschafft.
Ein paar andere waren Müll, der es niemals in ein Album schaffen würde. Doch es gab einen Zettel, bei dem er sich nicht entscheiden konnte, was damit passieren sollte. Er hatte noch keine Überschrift, keine Textstelle, sondern nur eine simple Zeichnung und eine Nummer.
Er wusste nicht einmal mehr, wann er sich das aufgeschrieben hatte; es musste schon ein paar Jahre her sein, denn der Zettel war von der ganzen Unordnung auf seinem Tisch verschluckt worden. Warum genau wollte er jetzt gerade diesen Zettel? Er wusste es nicht mehr; doch was er wusste, war, dass er sich dringend die Zeichnung nochmal ansehen sollte.
Doch zuerst musste die Unordnung hier weg; er hätte das eigentlich schon vor Monaten machen sollen. Mit einem Seufzen und von dem motonen Geräusch des Ventilators machte sich der Rapper an die Arbeit. Er trennte das Brauchbare von dem Unbrauchbaren, unterschied Zettel von unbenutzten Servierten seiner Mahlzeiten.
Irgendwann fand er, was er gesucht hatte; er erkannte das Bild gerade noch rechtzeitig, bevor er es weggeschmissen hatte. Ein einfacher grauer Kreis war darauf gezeichnet worden, neben ihm stand ein kleiner Mensch. Nachdenklich starrte er auf die Zeichnung, versuchte sich zu erinnern, wann er das Bild gezeichnet hatte. Darunter stand eine gekritzelte Nummer.
Wenigstens damit konnte er etwas anfangen. Namjoon holte seinen Laptop aus einem Regal neben der Tür und schaltete ihn an. Während das Gerät hochfuhr, suchte der Leader seine Kopfhörer, musste jedoch feststellen, dass er diese in der Wohnung gelassen hatte. Dann halt ohne!
Auf seinem Schreibtisch herrschte nun eine erschreckende Ordnung, lediglich ein kleiner Stapel Notizen war übriggeblieben. Namjoon platzierte seinen Laptop auf dem Schreibtisch und öffnete einen Ordner, wo er all seine kurzfristigen Musikproduktionen abgespeichert hatte.
Die meisten von ihnen waren nicht mal eine Minute lang und konnte er eh löschen. Er schaute noch einmal auf die hingeschmierte Nummer und durchsuchte das Register. Als er sie gefunden hatte, klickte er es ohne zu zögern an und lehnte sich zurück, während der Laptop den Soundtrack lud. Sanfte, friedliche Töne erklangen, lullten ihn innerhalb der ersten Sekunden an.
Dann erklang seine eigene Stimme und überrascht riss er die Augen auf. Er konnte sich nicht an diesen Track erinnern, geschweige denn, dass er Lyrics dafür besessen hatte. Bei seinem Glück hatte er die sicherlich gerade weggeschmissen...
„We're born in the moonlight, ain't a fantasy", erklang es sanft, „Can't breathe in the sunlight, gotta hide your heart." Namjoon schloss die Augen, versuchte sich zu erinnern. Doch es war, als wäre die Erinnerung daran nur noch ein verwischter Fleck aus ineinander verschwimmenden Farben.
Keine Bilder schlichen sich in sein Gedächtnis, nur Gefühle und Empfindungen. Er erinnerte sich an den Wind, der sein Gesicht umspielt hatte, den Lärm der Straßen, an den Geruch der Nachtluft. Doch das war alles; mehr konnte er nicht heraufbeschwören.
Die sanften Töne verklangen; wurden stetig immer leiser, bis sie ganz aufhörten. Und eine Zeit lang saß er einfach nur da, ins Nichts starrend. Bis er auf einmal beschloss, dass der Soundtrack einen Platz in seinem Album verdient hätte. Er konnte sich zwar nicht mehr an den Ort und die Zeit erinnern, doch die Empfindungen, die er dort gehabt hatte und an die er sich erinnerte, reichten aus, um ihn zu überzeugen.
Er erkannte seine Gefühle in dem Lied wieder, seine Hoffnung, sein verzweifelter Versuch, jemanden zu trösten. „Na schön", murmelte der Rapper und fuhr sich durch sein gefärbtes Haar, „als erstes brauchen wir davon eine Erweiterung."
Als er hinter sich die Wohnungstür schloss. Er war so müde, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte; dass er zurück in die Wohnung gekommen war, grenzte schon an ein Wunder. Denn er war kurz davor gewesen, einfach im Studio zu übernachten. Dagegen hatte eigentlich nur das Fehlen einer Couch gesprochen... ein Blick auf sein Handgelenk zeigte Namjoon, dass es schon fast wieder sieben Uhr morgens war.
Er war im Studio ab und zu mal eingenickt, hatte für eine Stunde die Augen zugemacht. Doch richtig geschlafen hatte er nicht. Stöhnend kickte er sich die Schuhe von den Füßen, schmiss seine Jacke in eine Ecke und schlurfte den Flur entlang. Erneut blieb sein Blick an der verschlossenen Zimmertür ihres neuen Familienmitgliedes hängen.
Das Essen war verschwunden, doch als er probeweise die Klinke hinunterdrückte, war immer noch abgeschlossen. Aus einer Laune heraus fasste er einen Entschluss, lief zurück in die Küche und griff nach einem der Schlüssel, die an einer Aufhängung neben der Küchentür hingen und lief zurück zu dem Zimmer.
Warum genau er das tat, war ihm noch selber nicht so genau klar. Aber er war es leid, darüber nachzudenken. Er tat es einfach. Vielleicht aus Neugierde, vielleicht aus Sorge. Oder weil er insgeheim ahnte, warum sie sich eingeschlossen hatte.
Ein mieses Schuldgefühl nagte bereits seit dem Heimweg in seinem Magen; er hatte es verdrängt, von sich geschoben, einfach weil er nicht gewusst hatte, warum er sich schuldig fühlen sollte. Mit Seokjin hatte er sich ja schon längst wieder vertragen.
Leise öffnete er die Tür, nachdem er aufgeschlossen hatte und streckte seinen Kopf ins Innere. Für einen Moment war er überrascht, dass das Bett leer war und er dachte schon, dass Mira wieder abgehauen wäre. Dann aber fiel sein Blick auf den Teppich, den sie mit Hoseok, Yoongi und Seokjin gekauft hatte.
Und dort lag sie, alle viere von sich gestreckt, ihr Kuscheltier saß neben ihr als wäre es ihr Bewacher. Mit seinen müden Augen brauchte er einen Moment, um es zu erkennen. Doch als er es erkannte, verzog sich sein Mund besorgt.
Was er zuerst für ein Lächeln gehalten hatte, war in Wirklichkeit das leichte Öffnen des Mundes zu einem lautlosen Schrei. Ihre Glieder zuckten im Schlaf, als würde sie gegen irgendwas ankämpfen und ihre Stirn lag in Falten. Besorgt schob er sich weiter in das Zimmer, unbewusst dessen, dass er gerade ihre Privatsphäre verletzte.
Leise schloss er die Tür hinter sich und setzte sich neben das Mädchen. Die Augen des Kuscheltieres schienen ihn zu fixieren, ihn zu beobachten; zwei dunkle Knöpfe die im beginnenden Morgenlicht leuchteten. Ein wenig zögernd legte er seine große Hand auf ihre und spürte, wie sich ihre Finger augenblicklich um seine schlossen.
Es schien ihn ein wenig wachzurütteln, er blinzelte ein paar Mal und fühlte sich wacher, doch die Müdigkeit verschwand nicht ganz aus seinem Körper. Namjoon musterte das Gesicht des Kindes, was sich ein wenig beruhigt hatte. Die Stirnfalten verschwanden und die Brauen waren nicht mehr zusammengezogen.
Erstaunt schaute er erst auf die Finger, die seine Hand umschlossen, dann wieder zurück auf Miras Gesicht. Nein, das ist doch nicht möglich...
by Durga
◕ᴥ◕
I saw it, Jimin-shii~
(Dope 2:58)
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