Kapitel 13 | Parker
Kieselsteine knirschten unter ihren Turnschuhen, als Parker an Lindens Seite durch den Park schlenderte. Ein paar seichten Sonnenstrahlen kämpften sich durch das dichte Blattwerk des Grüns über ihren Köpfen und kitzelten auf ihren nackten Schultern und Armen. Obwohl die Vernissage nicht der wahre Grund für ihre anfängliche Laune gewesen war, hatte sie recht behalten. Tee und frische Luft waren genug, um die Anspannung von ihr abfallen zu lassen. Zwar hatte Linden wegen der Abbys Vernissage nach geharkt, aber ansonsten nicht weiter darin herumgebohrt, was sie ansonsten seit ihrem letzten Treffen getan hatte. Trotzdem wagte sie es nicht, sich vollkommen in Sicherheit zu wägen.
„Dahinten ist der Foodtruck, der hier manchmal steht", Linden riss sie aus ihren Gedanken, als er nach rechts deutete. Sie kniff die Augen zusammen, in dem Versuch etwas zwischen dem reflektierenden Licht zu erkennen, das vom Truck abgestrahlt wurde.
„Wollen wir was holen?", etwas Bittendes lag in seinem Blick, als Linden zu ihr herübersah: "Der steht auch manchmal vor der Uni. Vielleicht sollten wir es mal probieren?"
„Ich weiß nicht", sie kratzte sich am Hinterkopf. Ihre bisherigen Erfahrungen mit ominösen Foodtrucks ließen nichts Gutes verhoffen.
„Ach komm schon", er stieß ihr den Ellenbogen sanft in die Seite: "Lass uns etwas Neues probieren."
Sie musterte ihn einen Moment lang. Er hatte die Unterlippe vorgeschoben und seine runden Augen wirkten größer als sie für gewöhnlich bereits waren. Unmöglich konnte sie ihm so diesen Wunsch abschlagen. Zumal sie sowohl Frühstück als auch Mittagessen ausgelassen hatte. Daran erinnerte sie ihr rumorender Magen auf unangenehme Weise.
„Na gut", gab sie sich geschlagen.
Als hätte er mit der Antwort bereits gerechnet, zog er sie mit sich. Ohne auf den Weg zu achten, schleifte er sie über die Grünflächen, direkt auf den Truck zu.
„Hauptsache ich hab danach keine Lebensmittelvergiftung", grummelte sie, während sie hinter ihm hereilte.
„Sieh es positiv", entgegnete er, als gäbe es daran irgendetwas Positives: "Wenn du eine Lebensmittelvergiftung kriegst, hättest du ein paar Tage frei vom Unistress."
Entgeistert blickte sie ihn an. Ihre Augen verkniffen sich, während sie herauszufinden versuchte, wie er daran etwas Positives erkennen konnte.
„Das muss ich dann alles nacharbeiten", argumentierte sie, nicht in der Lage etwas Gutes darin auszumachen.
Er warf ihr einen argwöhnischen Blick zu, als hätte er das von ihr nicht erwartet: "Bin ich sonst nicht der Vernünftige von uns beiden?"
Parker konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. Er hatte recht. Normalerweise gehörte ihm diese Rolle.
„Also gut", räumte sie zum zweiten Mal in kurzer Zeit ein: "Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als dir zu vertrauen."
„Gute Entscheidung", ein breites Grinsen schob sich auf seine Lippen und er zog sie etwas kräftiger hinter sich her.
Kaum bei dem Gefährt angekommen, kamen sie letztendlich zum Stehen. Auf der einen Seite befand sich eine weite, längliche Öffnung, vor der sich eine kurze Schlange gebildet hatte.
„Schau, wir müssen sicher nicht einmal lange warten", Enthusiasmus schwang in seiner Stimme mit, als er sich mit ihr hinter den Wartenden einreihte.
Parker reckte den Kopf, in dem Versuch einen Blick in das Innere des Fahrzeuges erhaschen zu können. Doch sie konnte über die Köpfe der anderen nichts erkennen, als einen Haarschopf, der wild hin und herwanderte.
„Was möchtest du denn haben?", sie warf den Blick auf Linden zurück, der den Wagen musterte.
„Wenn ich die Karte finde", das erklärte seinen suchenden Blick. Einen Moment lang tat Parker es ihm gleich, bevor ihr Blick an einem Schild zu ihrer Rechten hängen blieb.
„Da!", sie umfasste Lindens Schultern, um ihn sanft in die Richtung zu drehen.
Einen Moment lang gingen beide die Gerichte durch, die mit weißer Kreide auf dem dunklen Board aufgeführt waren. Eines musste sie Linden lassen. Zumindest klang nichts, was dort stand, schlecht. Zu ihrer eigenen Entscheidung fand sie sich abwägend vor. Letztendlich entschied sie sich für ein Sandwich, bei dem sie sich erwischte, wie ihr bei dem Gedanken daran das Wasser im Mund zusammenlief.
„Lass mich dich einladen", bat sie und wandte sich ihm zu. Als sie heute Morgen auf ihr Bankkonto geschaut hatte, hatte sich Erleichterung in ihr breit gemacht. Pünktlich zum Ende des Monats war ihr Gehalt eingetroffen. Obwohl es spärlich war, reichte es aus und sie musste sich nicht immer wieder von Linden einladen lassen. Das war alles, was zählte. Denn obwohl sie wusste, dass er es nur gut meinte, wurde es ihr immer unangenehmer, je weiter sich die Vorfälle häuften.
„Parker", sein Ton war ermahnend, während er langsam mit dem Kopf schüttelte. Sie schluckte schwer. Sie hatte ihn in dem Glauben gelassen hatte, sie verdiene sich mit Nachhilfejobs lediglich etwas dazu, um mit der Zeit unabhängiger zu werden. Dass sie in Wirklichkeit ihr Geld im Club mit einem Job verdiente, der ihm vermutlich nicht gefallen würde, und dass sie sich vollkommen von ihren Eltern abgekapselt hatte, konnte er nicht wissen. Dabei war sie sich sicher, es würde ihn freuen zu hören, dass sie es schaffte von ihren Eltern mit jedem Tag unabhängiger zu werden. Doch wie sollte sie erklären, dass sie genug Geld verdiente, um ihre Wohnung zu bezahlen, ohne dabei durchsickern zu lassen, dass sie keine Nachhilfe gab?
„Mein Geld reicht dafür, Linden", beteuerte sie mit festem Blick, um ihm klarzumachen, dass sie darüber nicht diskutieren wollte: "Es ist ein neuer Monat."
Dass es ihr langsam unangenehm wurde, dass er sie immer wieder einlud, behielt sie für sich.Seine Augen verengten sich als er sie musterte und sie spiegelte die Bewegung. So musterten sie einander sekundenlang mit dem gleichen Gesichtsausdruck. Dann stieß Linden einen langgezogenen Seufzer aus.
„Ich nehme einen Hähnchen-Wrap", murmelte er und fuhr sich mit einer Hand durch die braunen Locken. Parker rieb die Hände aneinander. Ihr Lächeln reichte vom einen Ohr zum anderen.
„Super", kaum hatte sie das Wort ausgesprochen, waren sie auch schon an der Reihe.
Sie wandte sich dem jungen Mann im Van zu, von dem sie nun mehr erkennen konnte, als bloß seinen Haarschopf. Aus nussbraunen Augen blickte er sie an: "Was darf's sein?"
„Ein Truthahn Sandwich und ein Chicken Wrap", bestellte sie den Anflug eines Zögerns, um zu vermeiden, dass Linden seine Meinung wieder änderte.
„Kommt sofort!", der Koch löste sich von der Theke, auf die er sich gestützt hatte und fuhr herum, um sich dem Herz zuzuwenden. Einige Sekunden lang musterte sie ihn.
Der Wagen wirkte inmitten des Central Parks sonderbar. Das glänzende Metall und die Natur, um ihn herum, schienen nicht zusammenzupassen. Ein Phänomen, das sie in dieser Stadt immer wieder bemerkte. In New York trafen Welten aufeinander.
Mit geschickten Handgriffen wendete der Koch Fleisch, toastete Brot und schnitt Gemüse. Er wirkte vollkommen in seiner Arbeit versunken, als sei er vollkommen in seinem Element. Ähnlich wie sie, wenn sie auf der Bühne stand. Doch während es ihm möglich war, seinem Nebenjob in aller Öffentlichkeit bei Tageslicht nachzugehen, blieb ihr nichts anderes übrig als sich im Schatten zu bewegen. Die Gefahr entdeckt zu werden, ein ständiger Begleiter, den sie nicht abschütteln konnte, egal wie schnell sie lief und wie tief sie in die Schatten glitt.
„Parker?", Linden riss sie aus ihren Gedanken. Als sie sich zu ihm drehte, runzelte sie die Stirn. Er hatte die Hände tief in den Taschen seines Mantels vergraben, der für die heiße Jahreszeit viel zu dick wirkte. Mit der Spitze seines rechten Schuhs hinterließ er unordentliche Muster in den Kieselsteinen, die unter der Sohle laut knackten. Seine Augen zuckten über ihr Gesicht, während er sich räusperte. Seine Zähne drückten sich in seine Unterlippe.
„Was ist los?", sie legte den Kopf schief. Irgendetwas stimmte nicht.
„Es ist nichts Schlimmes", brachte er schneller heraus, als sie es überhaupt für möglich gehalten hatte: "Ich ... ich würde dir nur gerne etwas erzählen."
„Okay", begann sie, unsicher, was sie zu erwarten hatte. Doch er rückte nicht mit der Sprache heraus. Stattdessen starrten sie einander lediglich schweigend an.
„Worum geht es denn?", setzte sie nach einigen Sekunden der Stille heraus. Linden klappte den Mund auf, doch es drangen keine Worte hinaus.
„Hier ist eure Bestellung", der Koch unterbrach jegliche Anstrengung des Studenten, die richtigen Worte zu finden: "Ein Chicken Wrap."
Er reichte durch das unverglaste Fenster eine in Alufolie verpackte Rolle hinaus.
„Der ist für mich", Resignation klang in Lindens Stimme mit, als er sich streckte, um seine Bestellung in Empfang zu nehmen.
„Dann ist das wohl für dich", der Mann streckte ihr aus dem Van das Sandwich entgegen und Parker kramte ihren Geldbeutel heraus.
„Wie viel macht das?", fragte sie, während sie die Geldscheine durchsah. Linden griff unterdessen nach ihrer Bestellung.
„Vier Dollar", kaum hatte er die Summe genannt, zog sie die entsprechenden Banknoten hervor und reichte sie über den Tresen.
„Danke, ich wünsche euch noch einen schönen Tag", erwiderte der Verkäufer daraufhin, bevor er sich den nächsten in der Schlange zuwandte.
Parker erwiderte den Gruß und setzte sich dann gemeinsam mit ihrem Begleiter in Bewegung. Während sie über den Rasen liefen, ließ sie ihr Portemonnaie sicher zurück in ihre Tasche gleiten.
„Wo wollen wir uns hinsetzen?", hakte sie nach, als sie den Reißverschluss geschlossen hatte.
„Einfach irgendwo aufs Gras?", beantwortete er ihre Frage mit einer Gegenfrage. Seine Augen zuckten hin und her, als würde ihn die Nervosität weiterhin fest im Griff halten.
„Klingt gut", sie nahm ihr Sandwich entgegen, als er es ihr hinhielt: "Danke."
„Was wolltest du mir erzählen?", sie löste den Blick nicht von ihm, während sie das warme Brot von der Folie zu befreien versuchte. Für gewöhnlich war Linden der Besonneneres von ihnen. Doch sie bemerkte immer wieder, wie sein Verhalten Aufschluss über seine Innerstes gab. Darauf hoffte sie auch in dieser Situation. Denn zu erraten, was los war, wirkte unmöglich.
„Ich ...", setzte er an, unterbrach sich selbst dann jedoch selbst wieder, als würde ihm sein Mund den Dienst quittieren. Stattdessen begann er, mit schnellen, aber erfolglosen Griffen, die Alufolie, die um seinen Wrap geschlungen war, loszuwerden.
Abrupt blieb Parker stehen und griff vorsichtig nach seinem Arm, um ihn vom Weitergehen abzuhalten. Mitten in der Bewegung hielt er inne und sah zu ihr auf. In seinen Augen spiegelte sich Überraschung. Hatte er nicht damit gerechnet, dass sie sich für ihn interessieren würde?
„Ich habe jemanden kennengelernt", führte er den Satz zu Ende, den er angefangen hatte.
„Oh", das Wort kam über ihre Lippen, bevor Parker es zurückhalten konnte. Obwohl sie keinen Verdacht gehabt hatte, überraschte die Antwort sie. Natürlich war ihr klar gewesen, dass das früher oder später geschehen würde. Es war unmöglich, dass niemand unter den braunen Rehaugen des jungen Mannes, der mit warmen Chocolate Chip Cookies vor der Tür stand, wenn es seinen Freunden schlecht ging, schmolz.
„Wann und wo?", die Frage sprudelte aus ihr heraus. Ihr Herz, das sich in ihrer Brust schmerzhaft verkrampfte, versuchte sie zu ignorieren. Sie hatte nichts davon mitbekommen, dass er sich mit jemandem traf. Wie hatte ihr das entgehen können? Sie hatte sich für die Erste gehalten, die so etwas erfuhr. Der Griff um ihr Sandwich verkrampfte sich. Sie war schrecklich. Sie war so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass sie nicht einmal mitbekommen hatte, dass ihr bester Freund sich verliebt hatte. Parker biss sich fest auf die Unterlippe. Wann war sie so gut darin geworden, sich selbst so zu sabotieren?
„Wir haben uns auf der Arbeit getroffen", die Nervosität verließ sein Gesicht nicht, als er ihre Frage beantwortete. Doch wie sollte er sich auch entspannen, wenn sie so reagierte?
‚Reiß dich endlich zusammen', verfluchte sie sich innerlich. Dass er endlich jemanden gefunden hatte, der ihm gefiel, war großartig und musste aufhören sich wie eine Idiotin zu verhalten, ihm das kaputtzumachen.
„Eine Arbeitsplatz-Romanze?", ihr stand der Mund offen, als sie ihn musterte, doch ihre Mundwinkel hoben sich. Dass er sich auf einen Kollegen einließ, hatte sie nicht erwartet. Das sah ihm zwar nicht ähnlich, heizte ihr Interesse jedoch nur weiter an.
„Ich weiß, dass es unvernünftig ist", er schob die Unterlippe vor, als würde er sich selbst bemitleiden. Die Anspannung, die auf seiner Stirn zuvor tiefe Furchen verursacht hatte, schien von ihm abzufallen, als er ihr Lächeln sah.
„Ich habe wirklich versucht professionell zu bleiben", er entpackte seinen Wrap weiter und setzte sich wieder langsam in Bewegung: "Weißt du, ich wollte auch nicht, dass sie sich bedrängt fühlt oder mich für merkwürdig hält. Und vielleicht war es ein Fehler, aber ich mag sie."
„Bist du verrückt", als sie fest mit dem Kopf schüttelte, war es, als würde sie damit die aufkommenden Vorwürfe abschütteln: "Ich kenne dich. Du bist nicht merkwürdig. Du bist zuvorkommend und loyal. Sie hat Glück, dass du dich für sie interessierst."
Er nahm einen größeren Biss von seinem Mittagessen, als Parker es überhaupt für möglich gehalten hatte. Während er schnell kaute, zuckte er mit den Schultern und sah sie wehleidig an. Dabei bemerkte Parker einen sanften rosafarbenen Schimmer auf seinen Wangen. Sie kam nicht darum, herum sich zu fragen, ob ihr das die ganze Zeit entgangen war oder ob ihm die Röte erst jetzt ins Gesicht stieg.
Kaum hatte er den Happen hinuntergeschluckt, erwiderte er: "Mag sein."
Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie ihm nicht dabei zusehen würde, wie er sich selbst runter redete. Sie musste sich davon halten, die Fäuste triumphierend in die Höhe zu reißen.
„Trotzdem ist sie meine Kollegin", ein resigniertes Seufzen klang aus seiner Kehle: "Sowas mache ich nicht."
„Eigentlich", trotz seines ernsten Gesichtsausdruckes konnte sie sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen: "Schließlich tust du es ja plötzlich doch irgendwie."
Linden warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu: "Nicht lustig."
Seine Lippen formten sich zu einem beleidigten Schmollmund: "Das ist so unvernünftig."
„Nichts an Liebe ist vernünftig", entgegnete sie lachend.
„Was weißt du über Liebe?", seine Augenbraue hüpfte in die Höhe und ließ ihn kritisch dreinblicken: "Seit wir hier sind, hast du an niemandem Interesse gezeigt."
Es gelang ihr gerade so ihre Mundwinkel davon abzuhalten in die Höhe zu zucken und sich zu einem kleinen, verstohlenen Grinsen zu formen. Wenn er nur wüsste, wie tief sie sich in den letzten Wochen in die Gefilde der Lust hinabgestürzt hatte. Sie selbst konnte es nicht richtig begreifen. Bei der Arbeit hatte sie sich stets professionell verhalten. Bis er kam. Hingerissen von einer blöden Fantasie, hatte sie Fehler gemacht. Das war unvernünftig gewesen. Eine Kollegin zu daten, wirkte dagegen beinahe pragmatisch.
„Dafür bin ich ein Profi darin, unvernünftige Dinge zu tun", dass sie die meisten davon später bereute, behielt sie für sich. Das würde ihr wohl kaum helfen, ihn zu überzeugen. Denn obwohl die eigenen Kollegen zu daten, nicht vergleichbar damit war, in einem Stripclub mit einem Schauspieler zu flirten und damit alles in Gefahr zu bringen, was man bisher aufgebaut hatte, würde jegliche Erwähnung von Problemen ihn zurückschrecken lassen. Doch da war diese eine riskante Entscheidung, die bisher gut gegangen war. Ein Totschlagargument, das er nicht widerlegen konnte.
„Hätten wir nichts riskiert, wäre keiner von jetzt hier", erinnerte sie ihn an die Entscheidung, die sie gemeinsam getroffen hatten. Viele in ihrer Heimatstadt hatten sie als verrückt bezeichnet. Ihnen einzureden versucht, dass sie nach wenigen Wochen zurückgekrochen kommen und ihre Eltern darum anbetteln würden, zurück nach Hause kommen zu können. So unvorstellbar war es den meisten erschienen, dass sie alleine in der Großstadt überleben würden. Nur die wenigsten Erwachsenen hatten über den Tellerrand des Gewohnten geblickt. Alle anderen hatten ihre Pläne als kindischen Unsinn abgesehen. Wie ein Traum, der früher oder später ersterben würde.
Doch sie waren hier. Seit Monaten. Beide hatten einen Platz an ihrer Wunschuni erhalten und jedem von ihnen gelang es sich mit ihren Nebenjobs über Wasser zu halten. Auch wenn Natalies Job ihr von einigen Leuten zweifellos abschätzige Blicke einhandeln würde.
„Jeder hat uns gesagt, es sei keine gute Idee und dass wir in so einer Stadt ohne Unterstützung sowieso nicht weit bringen", erinnerte sie ihn: "Trotzdem stehen wir jetzt hier. Hätten wir es nie getan, hätten wir nie herausgefunden, ob es funktionieren kann."
„Willst du mir gerade raten, dass ich es erstmal mit ihr probieren soll, um zu sehen, ob es klappen kann?", er hob eine Augenbraue. In seinen Augen spiegelte sich der Widerstreit mit seinem Gewissen.
Mittlerweile hatte Parker ihr eigenes Mittagessen aufgepackt und nahm den ersten Biss von ihrem Sandwich. Bei seiner Frage nickte sie heftig.
„Wenn es dann nicht funktioniert, habe ich den Fehler aber schon gemacht und kann es nicht mehr rückgängig machen", warf er an.
„Das wird dir irgendwann sowieso passieren. Jeder macht Fehler", redete sie ihm ins Gewissen: "Du wirst Fehler nicht krampfhaft für den Rest deines Lebens vermeiden können. Wenn es schiefgeht, sollte es mit ihr nicht sein. Aber wenn du es nie versuchst, wirst du es nie erfahren. Sei mutig, Linden."
„Ich überlege es mir", murmelte er letztendlich, während er sich den Rest des Wraps in den Mund schob. Sie öffnete den Mund, um darauf etwas zu antworten. Als sie jedoch den Blick sah, den er ihr aus dem Augenwinkel zuwarf, klappte sie ihn wieder zu. In seinem Gesicht stand deutlich geschrieben, dass es nichts gab, das ihn so einfach überzeugen konnte. Und irgendwie ergab es Sinn. Linden traf Entscheidung nicht plötzlich aus heiterem Himmel. Er war ein Overthinker. Das war er immer gewesen und würde es wohl auch immer bleiben. Dass er versprach, es sich zu überlegen, verzeichnete sie deshalb innerlich als Sieg.
Um das Thema zu wechseln, deutete Parker in Richtung der Grasfläche, die sich vor ihr auftat: "Wollen wir uns hierhin setzen?"
Linden schob die Träger seines Rucksacks von seinen Schultern und ließ ihn in das Grün sinken.
„Klar", der junge Mann folgte seiner Tasche in das Gras. Mit einer Hand winkte er sich zu sich. Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen, als sie ihm dabei zusah, wie er sich auf der Wiese ausbreitete. Er ließ sich nach hinten fallen und streckte die Arme und Beine von sich wie ein Seestern.
„Komm schon", rief er ihr zu und sah zu ihr auf.
Parker stieß ein Seufzen aus, bevor sie sich ebenfalls ins Gras sinken ließ.
„Ich komme ja schon", erwiderte sie, als sie ihre Tasche vor sich abstellte. Sie streckte die Beine aus und schloss für einen Moment die Augen.
Die Zeit schien sich zu verlangsamen, während sie die Eindrücke um sich herum aufsaugte. Es war ein wunderschöner Tag draußen. Sie lauschte dem Zwitschern der Vögel um sie herum und dem Rauschen des Wassers, das nur wenige Meter von ihr entfernt, durch den Park floss. Nach einigen Minuten entschied sie sich, es Linden gleichzutun und ließ sich vorsichtig rückwärts fallen, bis sie den Erdboden unter sich spürte. Kühle Grashalme kitzelten ihre Wangen, als sie die Augen öffnete und den Kopf in seine Richtung drehte.
Linden hatte sein Handy hervorgezogen. Seine Finger folgen regelrecht über die Tastatur, während seine Augen waren auf das Display geheftet. Der Anblick brachte ein Lachen über ihre Lippen, bevor sie es zurückhalten konnte.
„Wer ärgert dich jetzt schon wieder?", lachte sie. Mit dem Zeigefinger pikste sie ihn sanft in die Seite, doch sein Gesichtsausdruck verrutschte nicht. Stattdessen hatte es beinahe den Anschein, als hätte er es nicht einmal mitbekommen.
„Linden!", sagte sie nun etwas lauter und wedelte mit einer Hand vor seinem Gesicht herum: "Was ist?"
„Ach nichts. Nichts", er schüttelte den Kopf und wandte den Blick zumindest für den Bruchteil einer Sekunde vom Bildschirm ab. Die dunklen Augenbrauen hielt er jedoch weiterhin zusammengezogen und sah dadurch unglaublich grantig aus.
„Es ist nur Scott", er rollte demonstrativ mit den Augen: "Ich kann nicht fassen, dass Mrs. Waters uns in eine Gruppe gesteckt hat, obwohl sie selbst genau weiß, wie wichtig das Projekt für die Jahresnote ist. Wenn ich mir noch eine Ausrede von ihm anhören muss, wieso er die Aufgabe nicht gemacht hat, die wir besprochen haben, kotze ich im Strahl. Er ist die unzuverlässigste Person, die ich kenne. Ich verstehe nicht einmal, wieso er sich überhaupt in den Kurs eingeschrieben hat, wenn er bisher kein einziges Mal aufgetaucht ist."
Parker könnte schwören, dass sein Gesicht sich rötete, während er sprach und dabei immer schneller wurde. Sie lauschte seinen Worten, fest damit rechnend, dass jeden Moment Rauchwolken aus seinen Ohren steigen würden. So stark wie es in ihm kochte, wäre das kaum verwunderlich. Sie versuchte Linden das Handy aus der Hand zu nehmen.
„Komm schon. Heute ärgern wir uns nicht über die Uni", erinnerte sie ihn: "Wir haben frei. Das Projekt rennt dir nicht weg und vielleicht kommt Scott bis heute Abend zur Vernunft."
„Der? Eher friert die Hölle ein", er schüttelte den Kopf, als wäre es vollkommen außerhalb des Vorstellbaren: "Ich beende nur noch eine Nachricht und dann tue ich es weg."
Damit konnte sie sich zufriedengeben. Während sie ihn beobachtete, schlang sie die letzten Happen ihres Sandwiches hinunter. Dabei beobachtete sie sein Gesicht, als würde es eine Geschichte erzählen. Als sich seine Augenbrauen hoben und sich ein fragender Ausdruck darauf ausbreitete, runzelte Parker die Stirn.
„Was ist? Hatte ich doch recht?", witzelte sie, doch ein merkwürdiges Gefühl schlich sich ein. Die Wut von vorher schien verpufft zu sein. Ersetzt durch bloße Fassungslosigkeit, niedergeschrieben auf seinem Gesicht wie in einem Buch, das sie jedoch nicht zu lesen vermochte.
Linden setzte sich auf. Langsam. Den Blick am Display klebend. Seine Lippen teilten sich, während er scharf die Luft einsog.
„Parker, was ist das?", es war das erste Mal, dass er sie ansah. Ihre Augen glitten von seinem Gesicht zu dem Handy, das er nun in ihre Richtung gedreht hielt. Parkers Glieder verkrampften sich, als sie sich aufsetzte. Wie gelähmt, starrte sie den Bildschirm, den er ihr vor die Nase hielt.
Was Linden meinte, war ein Internetartikel. Darunter eine Nachricht, 'Hey Linden, ist das nicht Parker?' Den Namen des Absenders konnte sie nicht zuordnen. Stattdessen hefteten sich ihre Augen auf das Bild, das dem Artikel voranging. Ihr blieb die Luft weg, als sie sich selbst erkannte. Dort stand sie, unverkennbar auf dem Parkplatz des Evernight, im kurzen Kleid. Mit Ashton, der nach ihrer Hand griff. Darunter stand in dicken Lettern die Schlagzeile ‚Schon wieder eine neue Affäre? Bändelt Filmstar Ashton Pierce jetzt mit einer Stripperin an?'
Ihr Herz sank. Ein dicker Kloß bildete sich in ihrer Kehle und erschwerte ihr das Atmen. Die Welt schien vor ihren Augen zu verschwimmen und ihre Hände verkrampften sich im Gras zu Fäusten, um den Halt zurückzugewinnen.
„Das ...", setzte sie an, doch brach den Satz wieder ab. Was sollte sie tun? Die Erkenntnis, dass es ihr erster Instinkt war, alles zu leugnen, erschreckte sie. Doch das konnte dieses Mal nicht ihr Ausweg sein. Nicht, wenn er sie ansah, als würde er sie nicht wiedererkennen.
Natürlich hatte sie es ihm nicht für immer verschweigen wollen. Doch die Angst vor diesem Moment und davor, dass ihre Familie es herausfinden konnte, hatte sie zurückgehalten. Und offensichtlich war sie nicht vollkommen unberechtigt gewesen. Sie hatte auf den richtigen Moment gewartet, doch je länger sie wartete, desto einfacher war es geworden, sich in die Lüge zu flüchten. Jetzt, da es so weit war, wurde ihr jedoch klar, dass es keinen richtigen Moment gab.
Fieberhaft suchte sie nach den richtigen Worten, doch ihr gelang es keinen ordentlichen Satz zu bilden. Es gab nichts, mit dem sie entschuldigen konnte, dass sie ihn monatelang angelogen hat.
„Das bin ich", ihre Stimme zitterte, als sie die vernichtenden Worte herausbrachte: "Ich kann das erklären."
Konnte sie das tatsächlich? Gerade fühlte sie sich dazu nicht wirklich in der Lage. Doch sie wusste, dass alles besser war als zu schweigen, als ihn weiter zu belügen.
„Das muss doch ein Fehler sein", er tippte mit einem Finger immer wieder auf dem Bildschirm, als würde das irgendetwas daran ändern, was er sah: "Du warst doch bestimmt bloß von der Uni dort. Das ist sicher eine Verwechslung."
Parker sog scharf die Luft ein, als sie sich gegen das Schlimmste wappnete. Hiervor hatte es ihr immer gegraut. Doch es gab keinen Ausweis. Zumindest keinen, der ihre Freundschaft nicht unwiderruflich beschädigen würde. Wenn sie das nicht bereits selbst geschafft hatte.
„Das ist kein Fehler und auch keine Verwechslung", die Worte verließen ihren Mund langsam. Ihre Stimme brach, als sie fortfuhr: "Ich war beim Evernight, weil ich dort arbeite. Nachhilfe habe ich noch nie gegeben. Das Geld verdiene ich mir als Stripperin."
Als sie verstummte, überkam sie ein überwältigendes Gefühl, das sie in die Knie gezwungen hätte, hätte sie nicht bereits im Gras gesessen. Das Gewicht, das von ihren Schultern glitt, als sie die Wahrheit aussprach, wurde durch die Last der Furcht vor den Folgen ersetzt.
Lindens Blick schien ins Leere zu gehen. Er blinzelte mehrfach, als wäre er nicht in der Lage, die neuen Informationen zu verarbeiten.
„Du hast mir nichts davon gesagt", seine Stimme war nicht mehr als ein Hauchen, als er endlich reagierte: "Wie lange machst du das schon?"
Seine Finger schlossen sich fest um das Smartphone, als würde er fürchten, es könnte ihm vor Fassungslosigkeit aus den Händen rutschen.
„Ein paar Monate", beantwortete sie seine Frage. Nun noch etwas zu verschweigen, hätte sowieso keinen Sinn mehr.
„Wie viele Monate?", bohrte er nach. Seine Stimme bebte, während er die Kiefer aufeinander presste.
„Etwa dreizehn", als die Zahl über ihre Lippen kam, realisierte sie erst wirklich, wie lange sie dieses Spiel getrieben hatte. So lange war es ihr nicht vorkommen. Die Monate waren so schnell verstrichen, dass sie es gar nicht bemerkt hatte. Sie hatte lediglich von Gehaltscheck zu Gehaltscheck gedacht, sodass sie nicht auf der Straße landete. Um sich nicht die Blöße geben zu müssen, zu ihren Eltern zurückzukriechen und sie um Geld anbetteln zu müssen.
„Ich fasse es nicht, dass du mich so belogen hast", Linden Stimme triefte vor Schmerz, als er ruckartig aufstand und seinen Rucksack packte: "Ich dachte, dass wir einander vertrauen. Da habe ich mich wohl getäuscht."
Er sah sie nicht an, als er einen Träger seiner Tasche über die Schulter schob und herumfuhr.
Parker erhob sich vom Rasen und versuchte nach seiner Hand zu greifen, um ihn dazu zu bringen, sie anzusehen und sich ihre Version anzuhören. Doch er war bereits fluchtartig losgelaufen, als könnte er es nicht ertragen, eine Minute länger neben ihr zu stehen. Sie griff nach ihrer Tasche und rannte ihm hinterher, um ihn einzuholen.
„Linden, warte bitte", rief sie ihm nach: "Lass es mich erklären."
Abrupt blieb er stehen und sie konnte sich gerade noch so davon abhalten in ihn hineinzulaufen. Das gewohnte Leuchten in seinen Augen war erloschen. Stattdessen hatten sich dunkle Schatten darüber ausgebreitet.
„Ich will keine Erklärung. Lass mich einfach in Ruhe", seine Worte waren hart, doch verdient: "Ich muss nachdenken."
Sein Kiefer war angespannt und die Zähne waren fest aufeinander gepresst. Als er die Worte herauspresste, schwang in seiner Stimme eine Mischung aus Schmerz und Enttäuschung mit. Eine Mischung, die sie härter traf, als ein Messerstich direkt ins Herz.
Ihn einfach gehen zu lassen, gefiel ihr nicht. Doch sie wusste, dass ihn darüber nachdenken zu lassen, ihre einzige Chance war, dass er ihr je wieder verzeihen würde. Bedrängte sie ihn mit der Wahrheit, würde er sich bloß verschließen und sie ein für alle Mal aussperren.
„Na gut", murmelte sie.Daraufhin fuhr er herum und lief davon. Sein sonst leicht hüpfender, enthusiastischer Gang, war verschwunden. Stattdessen schlich er mit gesenktem Kopf und eingefallenen Schultern über den Weg.
Parker blieb eine Weile mitten auf dem Fußgängerweg stehen und hielt den Blick auf die Stelle gerichtet, an der er gestanden hatte, selbst als er bereits lange verschwunden war. War das schlimmer oder besser gelaufen, als sie es sich ausgemalt hatte? Sie konnte es nicht einmal sagen. Wenigstens hatte er ihr nicht sofort die Freundschaft gekündigt. Trotzdem konnte ihr dieser Gedanke kaum Erleichterung verschaffen. Nun lag es an ihm zu entscheiden und das machte sie bereits jetzt verrückt, obwohl nur wenige Minuten verstrichen waren. Nichts zu tun, wenn sie es vergeigt hatte, war noch nie ihre Stärke gewesen. Doch sie kannte ihn. Er brauchte seine Zeit zum Abwägen.
Mit einem Seufzen löste sie sich langsam aus ihrer Starre und zog ihr Handy aus der Tasche. Zögerlich tippte sie in der Suchmaschine den Namen des Mannes ein, der sie in diese Situation verfrachtet hatte. Sofort sprang ihr eine Reihe von neuen Artikeln ins Auge, die zweifellos nicht da gewesen waren, als sie das Internet zum ersten Mal nach ihm durchforstet hatte.
Als ihr Blick auf die Bilder in einem der Artikel fiel, schluckte sie schwer. Wollte sie das überhaupt sehen? Schließlich erinnerte sie sich selbst noch lebhaft an die Situation, in der die Fotos entstanden waren. Dann entschied sich Parker jedoch dafür. Vermutlich wäre es besser sich für alles zu wappnen, anstatt im Dunkel darüber zu tappen, was man über sie schrieb. Ihre Augen huschten über die Zeilen und Bilder. Mit jedem Wort stieg Panik weiter in ihr hinauf und loderte in ihrer Brust wie ein schmerzhaftes, angsteinflößendes Feuer, das immer weiter aufpeitschte und sie zu verschlucken drohte.
Nichts von dem, was dort stand, stimmte. Sie hatten gestritten, als er sie auf dem Parkplatz abgefangen hatte. Das hätte für jeden Umstehenden unverkennbar sein müssen. Trotzdem war es dem Journalisten irgendwie gelungen, die ganze Sache zu verdrehen. Anstelle einer hitzigen Auseinandersetzung war von einem heißen Flirt auf dem Parkplatz die Rede. Damit erschienen auch die Bilder ganz anders. So wirkte es beinahe, als hätten sie sich aus dem Club gestohlen, um alleine zu sein. Als hätte Ashton sie zu sich gezogen, um die Nähe zu einer Frau zu suchen, mit der eine inbrünstige Affäre führte. Und ihr Gesicht war deutlich zu erkennen.
Das Schlimmste daran war, dass sie es vielleicht selbst geglaubt hätte, wenn sie es nicht besser wüsste. Bei ihrer vorherigen Internetsuche nach ihm war sie auf zahllose Artikel dieser Art gestoßen. Wenn es ihr so leicht gefallen war, den Bildern zu glauben, auf denen sie ihn mit anderen Frauen gesehen hatte, würde es nicht lange dauern, bis andere Leser des Artikels vollkommen überzeugt von einem Verhältnis zwischen Ashton und ihr waren.
Parker vergrub das Gesicht in den Händen. All das, vor dem sie sich gefürchtet hatte, war eingetreten. Und sie konnte niemand anderem die Schuld zuschieben. Sie hatte das Schicksal herausgefordert, als sie ihn als mehr als einen Gast wie jeden anderen gesehen hatte, und verloren. Nun kassierte sie die Rechnung.
Plötzlich kam ihr ein Gedanke, der ihr das Blut in den Adern erfrieren ließ. Erneut blickte sie auf ihr Handy. Der Artikel war seit nicht einmal drei Stunden online. Wenn er Linden so schnell erreichte, würde es nur eine Frage der Zeit sein, bis er die Leute erreichte, die der Grund für all die Geheimniskrämerei waren. Ihre Familie! Wenn sie das herausfanden, konnte sich Parker an keinen Ort der Welt flüchten, an dem sie vor dem Spott ihrer Familie verschont blieb.
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