Kapitel 11 | Parker
Parkers Absätze klackerten auf dem Kopfsteinpflaster, als sie über den Bürgersteig schritt. Selbst um diese Zeit waren die Straßen hellerleuchtet, während Autos an ihr vorbeirasten. Wenige Meter vor ihr türmte sich ein moderndes Gebäude auf, aus dessen breiten Fenster gleißendes Licht schien.
Bei dem Anblick begannen ihre Mundwinkel in die Höhe zu zucken, bevor sich ein kleines Lächeln auf ihre Lippen schlich. Mit den Fingern zog sie immer wieder an dem dunkelblauen Kleid, für das sie sich letztendlich nach langer Überlegung entschieden hatte. Wenn es um die Arbeit ging, fiel es ihr leicht etwas Passendes auszusuchen. Doch das hier war etwas anderes. Seit Semesterbeginn war sie kaum ausgegangen. Entweder war sie selbst meistens zu beschäftigt gewesen – nicht zuletzt wegen ihres nächtlichen Jobs – oder hatte keine ordentliche Begleitung gefunden.
Deshalb hatte sie nicht gezögert, als ihre Tante Abigail sie zur Vernissage eines Freundes eingeladen hatte. So konnte sie gleichermaßen endlich den Freund kennenlernen, von dem Abigail so viel sprach, und auf andere Gedanken konnte. Zumindest hoffte sie darauf. Denn obwohl sie die Sache mit Ashton nach dem Gespräch auf dem Parkplatz vergessen sollte, wanderten ihre Gedanken immer wieder zu dem Gesicht, das er gemacht hatte, als er den Grund für ihre Ablehnung erfuhr.
Sie schüttelte den Kopf. Das war der falsche Moment für diese Gedanken. Sie lag richtig mit dem, was sie tat und es gab keinen Grund sich selbst zu verunsichern. Besonders nicht heute Abend. Parker nahm einen tiefen Atemzug und schob den Gedanken beiseite.
Kaum hatte sie die Kreuzung überquert, entdeckte sie eine Frau, die vor dem Eingang zur Galerie auf und abging. Die Hände hatte sie tief in den Taschen ihres Mantels vergraben, während ihre Augen über die Passanten huschten, die an ihr vorbeihuschten. Das Haar, das sie zu einem Flechtzopf zusammengebunden hatte, war lediglich ein paar Schattierungen dunkler als Parkers eigenes.
„Hey Abby", rief Parker, als sie nur noch wenige Schritte von ihrer Tante entfernt war. Instinktiv wandte Abigail den Kopf in ihre Richtung. Ein Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab, während sie die Hände aus den Taschen zog: "Hey, Parker."
„Tut mir leid, ich bin ein paar Minuten zu spät", erklärte die junge Frau, während sie ihre Tante in die Arme schloss: "Die U-Bahn hatte Verspätung."
„Schon in Ordnung", Abigail winkte ab, als sie die Arme um ihre Nichte schlang: "Giovanni hat mir schon erzählt, dass die meisten sich für später angemeldet haben. Wir fallen also gar nicht auf."
Parker nickte, als sie sich voneinander lösten: "Da bin ich beruhigt. Ich wollte nicht schuld daran sein, dass du einen schlechten Eindruck bei ihm hinterlässt."
Abigail stieß ein Lachen aus, während sie mit dem Kopf schüttelte: "Dafür würde es deutlich mehr brauchen. Außerdem wäre das nicht mein erstes Zuspätkommen."
Parkers Mundwinkel hoben sich. Abigail neigte zum Chaos. So war es seit Parkers Kindheit gewesen und daran hatte sich auch mit den Jahren nichts geändert. Ihre Eltern hatten darüber stets hergezogen, wenn ihre Tante zur Sprache kam. Parker hingegen hatte diesen Teil an ihrer Tante stets bewundert. Es war ein Bekenntnis zur Imperfektion, die Parker lange gefürchtet hatte.
„Lass uns hereingehen und ihn nicht länger warten lassen", schlug Parker vor und harkte sich bei ihrer Tante unter: "Ich brenne darauf, ihn endlich kennenzulernen."
Abigail schien ihrem Blick ausweichen: "Er ist ganz nett."
Parkers Augenbraue wanderte in die Höhe. Das war ungewöhnlich. Normalerweise war ihre Tante kaum zu verunsichern. Diese ungewöhnliche Reaktion weckte Parkers Neugierde. Zweifelsfrei musste es irgendetwas Besonderes an diesem Mann geben.
Sie entschied sich jedoch fürs Erste nicht weiter nachzuhaken. Stattdessen ließ sie sich von ihr durch die Eingangshalle bis zum Empfang ziehen. Dort angekommen, gab Abigail ihren Mantel ab. Seit sie ihn bei ihrem letzten Treffen in einem kleinen Secondhand-Laden in der Nähe von Parkers Wohnung entdeckt hatten, war er merklich zu Abigails Lieblingskleidungsstück geworden.
„Dir wird seine Kunst sicher gefallen", Abigails Augen leuchteten, als sie die Garderobennummer in Empfang genommen hatte und sich wieder zu Parker umdrehte: "Er ist brillant."
„Jetzt machst du mich neugierig", verkündete Parker mit einem zuversichtlichen Lächeln. Abigail hatte ihr am Telefon bereits gesagt, wie wichtig Giovanni diese Veranstaltung war und so wie Parker sie kannte, reichte dies bereits, um es für ihre Tante genauso wichtig zu machen.
„Noch neugieriger bin ich aber darauf, ihn endlich kennenzulernen", fügte sie dann hinzu.
Immer wieder überraschte es Parker, wie viele interessante Menschen Abigail in ihrem Beruf als freiberufliche Künstlerin täglich kennenlernte. Dabei ergab es Sinn, dass sie als freiberufliche Künstlerin mit Personen in Kontakt kamen, die allesamt auf ihre eigene Weise magnetisierend wirkten. Eine Art, mit der die wenigen, die sie seit ihrem Umzug in die Großstadt kennengelernt hatte, regelrecht magnetisierte. Sie bewunderte den Mut, den es brauchte, um sich seiner Leidenschaft hinzugehen und ihr zu folgen, ohne sich zurückhalten zu lassen.
„Er ist talentiert. Du wirst ihn sicher mögen", Abigail wich ihrem Blick aus und ließ ihn stattdessen über die Köpfe der Gäste wandern, als sie in die weite Ausstellungshalle traten. Die Deckenlampen waren gedimmt. Lediglich die Strahler über den Ausstellungsstücken strahlen taghell und zogen Besucher zu Gemälden, wie Motten zum Licht. Um sie herum bewegten sich langsam die Menschen wie schläfrige Schatten zwischen den Exponaten. Andere standen mit Champagnergläsern in der Hand in kleinen Gruppen an der Seite und unterhielten sich angeregt.
Eine plötzliche Mischung aus Ruhe und Vorfreude flutete ihre Seele, wie sanfte Sonnenstrahlen, die die grauen Wolken der letzten Tage durchbrachen. Die Probleme, mit denen sie sich konfrontiert sah, verblassten. Sie warf einen Blick zu Abigail herüber. Ihre Augen flogen noch immer über die Menschen.
„Soll ich uns etwas zu trinken holen?", Parker lehnte sich zu ihr herüber, damit ihre Worte nicht im Stimmenmeer der Gäste unterging. Damit brachte sie Abigail dazu, sich ihr wieder zuzuwenden: "Gerne. Aber bitte ohne Alkohol."
„Ich achte drauf", Parker nickte, bevor sie sich von der Stelle löste, an der sie zum Stehen gekommen waren.
Sie schob sich an einem Paar vorbei, das gerade vor einem Gemälde zu Parkers Rechten zum Stehen kam. Am Rande bekam sie mit, wie sie sich darüber zu unterhalten begannen, welch ein Genie in der Kombination der Farben steckte. Doch Parker schenkte dem Kunstwerk eine Aufmerksamkeit. Bereits in ihrer Schulzeit war sie in Kunst schlecht gewesen. Den Kurs hatte sie nur bestanden, weil Abigail sich ihren Beschwerden über die, in ihren Augen unmöglich zu erfüllenden, Aufgaben immer wieder ergeben und die Sache selbst in die Hand genommen hatte. Dabei natürlich stets verborgen vor den Augen ihrer Eltern.
Bei einem Kellner in dunkler Kleidung blieb Parker stehen. Auf einer Hand balancierte dieser geschickt ein Tablett mit mehreren Gläsern.
„Guten Abend", begrüßte sie ihn und setzte ein freundliches Lächeln auf: "Ich hätte gerne zwei Getränke. Was haben Sie?"
„Natürlich, M'am", erwiderte ihr Gegenüber mit einem Nicken und reckte ihr das Tablett ein Stück weiterhin: "Wir haben Champagner und verschiedene Cocktails."
Aus dem Augenwinkel warf Parker einen kurzen Blick zu ihrer Tante, bevor sie sich dem Mann wieder zuwandte: "Haben Sie auch etwas Alkoholfreies?"
„All unsere Cocktails sind alkoholfrei", mit den Fingern zeigte er auf unterschiedliche Gläser: "Wir haben drei unterschiedliche Sorten. Orange Fizz mit Orangensaft, Virgin Colada mit Ananassaft und eine Wild Berry Drink."
Ihr Blick wanderte über die Drinks. Vielleicht konnte es nicht schaden, wenn sie an diesem Abend den Finger ebenfalls vom Alkohol ließ.
„Ein Wild Berry Drink und ein Orange Fizz, bitte", entschied sie nach kurzer Überlegung und nahm die Gläser entgegen, als der Kellner sie ihr überreichte: "Danke."
„Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend", mit den Worten setzte sich der Kellner in Bewegung, um zu einer Frau im beigen Kleid herüberzugehen, die ihn zu sich winkte.
„Den wünsche ich Ihnen ebenfalls", kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, fühlte sie sich dumm, denn der Mann hatte ihr bereits den Rücken zugewandt und war verschwunden.
Ihr Griff schloss sich fester um die Gläser, während sich durch die Menge schob, die sich um sie herum immer weiter zu verdichten schien. Wie eine verzweifelte Giraffe reckte sie den Hals und versuchte über die Köpfe der Leute hinwegzusehen. Das Einzige, was sie erblicken konnte, waren jedoch die immergleichen Hinterköpfe der übrigen Gäste. Von Abigail keine Spur.
Parker trat auf der Stelle. Ihre Finger trommelten gegen das kalte Glas. Wie konnte sie einfach vergessen, wo sie Abigail stehen gelassen hatte? Da ihr klar war, dass sie nicht einfach hier stehen bleiben und die Zeit verstreichen lassen konnte, setzte sie sich ziellos in Bewegung, um aus dem Menschenmeer zu entkommen, das sie mit sich in die hinteren Ecken des Zimmers mitreißen wollte. Ihre Augen hefteten sich auf den Eingang, durch den sie den Ausstellungsraum betreten hatte. Sie nahm einen tiefen Atemzug. Irgendwo in der Nähe von dem hellen Torbogen musste Abigail stehen.
Während sie sich zwischen den Menschen hindurchschlängelte, sah sie zwischen dem Eingang und den Getränken in ihrer Hand hin und her. Die süße Flüssigkeit darin schwappte gefährlich. Sie biss die Zähne aufeinander, während sie versuchte, nicht zu nah an den umstehenden Gästen vorbeizulaufen. Als eine Frau wenige Zentimeter vor ihr unerwartet einen Schritt rückwärts machte, sog Parker scharf die Luft ein. Geradeso gelang es ihr, die Kurve zu kriegen und den Inhalt ihres Glases nicht über den Rücken der Frau zu kippen. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht zu fluchen, während ein Teil der Flüssigkeit auf dem Boden landete und dort eine kleine Pfütze bildeten. Ein paar Tropfen landeten in ihrem Schuh.
„Na toll", flüsterte sie sich selbst zu, während sich ihre Zehen in den offenen Schuhen kräuselten. Glücklicherweise war das kein Paar Schuhe, das sie auf der Arbeit regelmäßig trug. Das Geld, das ihr für verbleibenden Tage des Monats noch üblich waren, reichte gerade so aus. Die teure Reinigung war nicht im Budget.
Kaum war es ihr gelungen, sich aus der Menge zu winden, erblickte sie Abigail. Ihre Tante hatte sich in der Nähe eines weiten Fensters an die Seite gestellt, als würde sie den eintreffenden Schaulustigen nicht im Weg stehen wollen. Neben ihr stand ein Mann, der nicht mehr als zwei Jahre jünger sein konnte.
Als Parker auf sie zuging, machte er wie automatisch einen Schritt von Abigail weg und ließ seinen Blick zu Parker herüberwandern. Sein Gegenüber brauchte einen Moment länger, um Parkers Anwesenheit zu realisieren. Abigails Blick verweilte für einige Sekunden auf seinem herzförmigen Mund, bevor sie einen Schritt auf ihre Nichte zumachte: "Da bist du ja."
„Ja, ich habe mich ein wenig im Gedränge verlaufen", gab sie offen zu, bevor ihre Mundwinkel in die Höhe zuckte: "Aber wie ich sehe, hattest du gute Gesellschaft."
„Parker, das ist Giovanni", Abigail machte eine Handbewegung in Richtung des Mannes, der nicht einmal einen Schritt von ihr entfernt stand. Mit der anderen Hand fuhr sie sich durch das dunkelblonde Haar. Ihr Blick wanderte zügig zwischen Giovanni und Parker hin und her.
Kaum hatte ihre Tante den Namen genannt, hefteten sich die Augen der Blondine auf den Mann vor ihr. Seine runden Augen, deren Farbe an gefrorenen Honig erinnerte, strahlten wie der Rest seines runden Gesichts, als sich seine Mundwinkel zu einem breiten Lächeln formten. Die vorderen Strähnen seines gelockten Haares fielen ihm ins Gesicht. Seine Haut war wie von der Sonne geküsst. Seine lange Nase war an einer Stelle gekrümmt, als hätte sie nach einem Bruch einfach nicht wieder perfekt zusammen wachsen wollen.
„Es freut mich wahnsinnig, dich endlich kennenzulernen", als er sprach, mischte sich ein kaum merklicher italienischer Akzent flüchtig in sein Englisch. Er streckte einen langen Arm aus, um ihr die Hand zu reichen.
„Die Freude ist ganz meinerseits", ein breites Lächeln nahm ihre Lippen ein, als sie in seine Augen blickte. Sie reichte den Drink, den Parker extra für sie besorgt hatte, zu Abigail herüber, um eine Hand freizuhaben. Als sie damit seine ergriff, schüttelte er sie mit einem lockeren Handschlag.
„Ich hab so einiges von dir gehört", verkündete sie.
„Hoffentlich nur Gutes", eine seiner dunklen, dicken Augenbrauen zuckte in die Höhe, während er sie interessiert anblickte.
„Klar", erwiderte sie sofort, um ihn nicht zu lange auf die Folter zu spannen.
Giovannis Blick glitt von Parker zu Abigail herüber. In seinen Augen tanzten Funken der Freude, als er die Künstlerin anblickte. Parker musste sich nicht zu ihrer Tante umdrehen, um zu wissen, wie sie reagieren würde. Als sie ihr einen Blick zuwarf, schien die Luft zwischen den beiden Künstlern zu knistern.
Instinktiv machte Parker einen Schritt rückwärts, während sie über einen guten Grund nachgrübelte, um die beiden alleine zu lassen. Bevor ihr dies gelang, meldete sich Giovanni zu Wort: "Seid mir nicht böse, aber hier ist ein Kunstkritiker unter den Leuten, der einen Artikel über meine Ausstellungsstücke schreiben will."
Mit einer Hand fuhr er sich durch das schwarze Haar, während seine Augen hin und her huschten. Seine Lippen formten sich zu einem entschuldigenden Lächeln, als würde er seine Worte selbst bedauern.
„Warte, meinst du Hopkins?", Abigails Augen wurden groß, als sie den Namen erwähnte. Parker nippte an ihrem Getränk, während sie bloß Bahnhof verstand. Ihre Aufmerksamkeit wanderte weg von der Konversation und richtete sich stattdessen deutlicher auf die Abigail. Die Wangen der für gewöhnlich so besonnen, unerschütterlichen Frau schimmerten im gedimmten Licht des Ausstellungsraumes. Mit einer Hand fuhr sie sich immer wieder durch das schulterlange Haar.
Giovanni nickte nur, als würde ihm die bloße Erwähnung des Namens die Sprache verschlagen.„Dann musst du jetzt unbedingt los", verlangte Abigail und begann mit den Armen in der Luft herumzuwedeln, um ihn die Dringlichkeit ihrer Worte bewusst zu machen: Später musst du mir unbedingt alles erzählen."
„Danke", sprach er, bevor er einen Moment die Augen schloss, als würde er sich auf das Wesentliche zurückzubesinnen: "Ich erzähl dir später alles bis in kleinste Detail. Bis später ihr beiden."
„Bis später", Abigail machte eine davon schickende Geste, während Parker ihm ein Lächeln schenkte.
Der Künstler zeigte ihnen beide Daumen hoch, den Blick weiterhin auf Abigail gerichtet, als sei er nicht ganz bereit ihn von ihr zu lösten. Dann wandte er sich jedoch um und setzte sich flink in Bewegung. Kaum hatte er sich zwischen ein paar Gästen vorbeigeschlängelt, schien die Masse ihn verschluckt zu haben.
Parkers Blick heftete sich auf Abigail, während ein triumphierendes Grinsen ihre Lippen umspielte. Dass da mehr zwischen beiden war, als eine bloße Freundschaft, würde selbst jeder Blinde spüren.
„Was ist?", Abigail legte den Kopf schief, als sie auf Parkers Gesichtsausdruck aufmerksam wurde. In ihren Augen lag etwas Vorwurfsvolles, doch ihre Finger, die auf das kalte Glas in ihrer Hand trommelten, verrieten, das sie sich ertappt fühlte.
Nun war Parker an der Reihe, den Kopf zur Seite zu legen. Entweder war ihre Tante vollkommen ahnungslos oder versuchte das Offensichtliche absichtlich zu verleugnen. Da Abigail allerdings noch nie schwer von Begriff gewesen war, hielt sie es für unwahrscheinlich, dass sie die Funken nicht bemerkte, die zwischen ihnen flogen.
Deshalb entschied sich Parker geradewegs mit der Tür ins Haus zu fallen: "Du entwickelst Gefühle."
Mit eindringlichem Blick sah sie Abigail an, als könnte Parker sie dazu bringen, sich dem zu bekennen. Doch ihre Tante nippte lediglich an ihrem Drink, den Blick auf den Boden gerichtet, als würde die Marmorierung in den Fliesen ihre Aufmerksamkeit auf magische Weise auf sich ziehen.
„Und bei ihm ist es offensichtlich genauso", fügte sie hinzu.
Augenblicklich huschte Abigails Blick in die Höhe und richtete sich auf Parkers Gesicht: "Meinst du wirklich?"
„Natürlich", die Studentin stieß einen Seufzer aus. Dass Abigail das nicht bemerkte, wirkte gleichermaßen amüsant und ernüchternd. Doch so wie es aussah, hatte selbst sie nicht immer den Durchblick, den Parker bei ihr vermutete. Eine weitere Sache, in der sie sich scheinbar zu ähneln schienen. Schließlich war sie selbst deutlich besser darin, Tipps in Sachen Liebe zu verteilen, als sie selbst anzunehmen.
„Sei ehrlich, magst du ihn?", Parker machte einen Schritt auf sie zu, als würde sie im Meer der Fremde einen Ort des Vertrauens zwischen ihnen schaffen wollen. Abigail zögerte merklich. Ihr Finger rutschte über den Rand des Glases als sie ihn nachfuhr.
„Ich bewundere seine Kunst", beantwortete sie die Frage und trat neben die junge Frau, um sich bei ihr unterzuhaken. Parker öffnete den Mund, um darauf zu entgegen, dass das nicht war, worauf sie hinausgewollt hatte. Doch Abigail zog sie sanft mit sich, als sie sich in Bewegung setzte: "Sein Talent hat mich von Anfang an beeindruckt und ich wollte unbedingt den Mann kennenlernen, der hinter dieser Malerei steckte."
Sie schob sich so gut es ging zwischen den anderen Gästen vorbei und Parker ließ sich von Abigail leiten. Ihre Worte ergaben Sinn. In vielen Branchen schien es vorzukommen, dass Bewunderung für die Arbeit des anderen solche Verbindungen zustande brachte. Sie selbst erwischte sich immer wieder dabei, wie sie hellhörig wurde, wenn in den Nachrichten über wichtige Justizentscheidungen gesprochen wurde. Nicht nur einmal war sie bei dem ein oder anderen Namen von ihrem Lehrbuch hochgeschreckt.
„Seitdem sind wir Freunde", fasste sie ihre Beziehung zu Giovanni zusammen. Für einen Moment schwieg sie und kam vor einem erleuchteten Gemälde zum Stehen, das sie gezielt angesteuert hatte. Parkers Augenbraue huschte in die Höhe. War das alles? Sie klappte den Mund auf, um zu fragen, ob es da noch mehr gab. Letztendlich verkniff sie sich das weitere Nachbohren jedoch, aus Angst, sie vollkommen zum Schweigen zu bringen und alles zu vernichten, was Abigail hinzuzufügen erwägen mochte.
„Dieses Bild hat er gemalt, nachdem wir uns kennengelernt haben", die Künstlerin nickte in Richtung des Gemäldes, das an der schwarzen Wand aufgehängt war: "Damals hat er gesagt, dass es ihn an mich erinnert, wenn er es ansieht."
Parker klappte fast die Kinnlade hinunter, während sie die Leinwand betrachtete, die mit einer Komposition aus Smaragdgrün und Purpur gespickt war: "Und du willst mir sagen, dass er nicht auf dich steht? Ach komm schon. Das ist doch offensichtlich."
„Ich schätze, du hast recht", sie löste den Blick von dem Bild und warf einen Blick zu Parker herüber: "Auch damit, dass ich ihn ebenfalls mehr mag, als bloß als Freund."
Parker musste widerstehen, ein erleichtertes Seufzen auszustoßen und die Fäuste in die Luft zu recken. Stattdessen nahm sie einen großen Schluck ihres Drinks, als könnte sie ihr triumphierendes Lächeln darin ertränken.
„Aber genug von meinen Gefühlen", ordnete sie an, um damit ein neues Thema anzuschneiden: "Wie sieht es bei dir aus? Seit du mich wegen Linden um Rat gefragt hast, hast du nicht mehr erzählt, wie es weiterging."
Nun war es Parker, die starr geradeaus blickte. Ihr Kiefer malte. Als sie Linden erwähnte, wurde ihr auf erschreckende Weise klar, wie weit dieses Problem in den Hintergrund gerückt war. Erneut realisierte sie, welch eine schreckliche Freundin sie war.
„Wenn ich ehrlich bin, war das in den letzten Tagen mein kleinstes Problem", gab sie nach kurzem Schweigen zu. Abigail war die Einzige, mit der sie so offen sprechen konnte. Damit zu beginnen, ihr nun auch etwas vorzumachen, wäre lächerlich.
Abigail schob sich in ihr Sichtfeld. Die Arme hatte sie fest vor der Brust verschränkt.
„Wie hat sich diese Sache noch weiter verkompliziert?", auf ihrem Gesicht stand ein Fragezeichen: "Welchen Teil habe ich verpasst?"
„Den Teil, bei dem sich ein Mann unerwartet in mein Leben geschlichen hat", die Zusammenfassung war eine gnadenlose Untertreibung, die kaum an das heranreichte, was in den letzten Tagen ihr Leben noch weiter durcheinander gewirbelt hatte.
„Ein Mann?", Abigails rechter Mundwinkel zuckte in die Höhe: "Ich würde vermuten, dass das etwas Gutes ist."
„In diesem Fall nicht", Parkers Finger schlossen sich fester um das Glas, als sie einen weiteren Schluck nahm. Möglicherweise hätte sie doch ein Getränk mit Alkohol wählen sollen.
„Dass er ein Schauspieler ist und zwischen seinen Frauen hin und herspringt, wie es ihm gerade passt, habe ich erst herausgefunden, als er meinen Namen schon wusste", sie kaute auf ihrer Lippe.
Etwas Weiches mischte sich in Abigails Augen, als sie die Frau ihr gegenüber musterte.
„Du machst dir Sorgen, dass es Probleme geben könnte", schlussfolgerte Abigail.
„Ja", murmelte sie in ihren Drink hinein: "Als mir Bryn gesagt hat, wie er heißt, habe ich ihn gegoogelt."
„Du hast ihn gegoogelt?", Abigail musste sich ein Lachen verkneifen.
„Ja, ich weiß, dass das blöd klingt. Als sie gesagt hat, er sei ein Schauspieler, haben bei mir aber alle Alarmglocken geklingelt", klärte sie auf: "Und falsch war mein Bauchgefühl ja nicht."
„Was ist dann das Problem?", hakte Abigail weiter nach: "Du bist dir sicher, was du von ihm hältst, soweit ich es verstanden habe."
„Schon", stimmte sie zu. Noch immer konnte sie nicht fassen, dass sie so dumm gewesen war, ihm überhaupt ihren Namen zu nennen. Doch sie konnte nicht verhindern, dass ihre Gedanken ungewollt zu dem Moment zurückwanderten, als er sie auf dem Parkplatz am Handgelenk gepackt hatte.
„Ich habe ihm das, was ich denke, nur ziemlich hart an den Kopf geknallt, als er mich danach gefragt hat", sprach sie aus, was ihr im Kopf herumschwirrte. Sie mochte ihn nicht. Wollte ihn nicht. Nicht nachdem, was sie von ihm gehört hatte. Trotzdem konnte sie ihn nicht vollkommen aus ihrem Kopf verbannen und das nervte sie wahnsinnig.
„Und?", Abigail sah sie an, als würde sie eine Fortsetzung erwarten. Parker kaute auf der Innenseite ihrer Wange herum: "Vermutlich sollte es mir egal sein, weil er nur Ärger bedeutet. Trotzdem kann ich nicht ganz aufhören, darüber nachzudenken."
„Vielleicht ist es dir dann doch nicht so egal", Abigail legte den Kopf schief.
Parker presste die Kiefer aufeinander. Das war nicht die Antwort, die sie hören wollte. Er musste ihr egal sein. Seine Nähe konnte gleichzeitig den Untergang für ihr Geheimnis und alles, was sie sich in New York aufgebaut hatte, bedeuten. Für ihre Freundschaften und die Beziehung zu ihrer Familie. Zumal sie nicht bereit war, sein Spiel mitzuspielen. Nicht, wenn sie so viel zu verlieren hatte. Erst recht nicht mit einem Mann wie ihm, wenn die Dinge stimmten, die über ihn geschrieben wurden.
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