Headache
Schon seit Tagen plagten mich gewaltige Kopfschmerzen.
Ich hatte mich weder gestoßen, noch sonst irgendetwas
ähnliches bemerkt.
Dennoch war ich auf der Arbeit. Meine Patienten wären wahrscheinlich vollkommen ausgeflippt, wenn ich nicht in der Praxis erschienen wäre.
Vor allem aber der Patient, der nun vor mir saß.
Mein Stammgast.
Durch seine dicken Brillengläser schaute er mich an und wartete darauf, dass ich ihm eine Beurteilung seines derzeitigen Krankheitsstandes mitteilte. In der beigen Anzugshose mit dem viel zu engen Pullunder, versuchte er gleichmäßig ein- und auszuatmen, was ihm nur teilweise gelang.
Mein Gott, wie kann man mit 35 schon so verkorkst sein.
Seine ölig, glänzenden, schwarz grauen Haare klebten auf seiner Halbglatze.
„Okay Herr Walter, dann machen Sie einmal ganz weit den Mund auf."
„Ahhh."
Ich drückte mit dem Stäbchen die Zunge nach unten, sodass ich sein Zäpfchen besser erkennen konnte. Gleichzeitig kam mir wieder einmal eine Flutwelle seines übelriechenden Atems entgegen.
„Okay, danke."
Ich überprüfte Ohren, Blutdruck und die Atemwege und stellte ihm dann, wie immer wieder aufs Neue, folgende Diagnose:
„Herr Walter, Sie sind, wie bereits beim letzten Mal auch schon erwähnt, kerngesund."
„Das kann nicht sein. Ich meine, Frau Doktor, ich spüre doch, dass es mir schlecht geht."
Ich griff mir genervt an die Stirn. Mein Kopf hämmerte vor Überanstrengung.
Meine Nerven lagen blank. Ich musste etwas tun, sonst hatte ich Herr Walter nächste Woche wieder hier sitzen und die Übernächste auch. Ich stand auf.
„Herr Walter, ich bin ein sehr geduldiger Mensch, aber Sie bringen mich manchmal an meine Grenzen."
„Ja ich weiß, das sagt meine Mutter auch immer zu mir."
„Gut. Fakt ist, Sie sind nicht krank. Und wenn Sie darauf warten und spekulieren, dass ich Sie doch irgendwann einmal krankschreiben werde, dann können Sie gerne weiter hoffen. Es wird definitiv nicht passieren."
„Ich fühle mich aber krank."
Im Kopf ja. Sie sind im Kopf krank.
„Wenn Sie sich krank fühlen, möchte ich Sie bitten, sich zukünftig an einen anderen Arzt zu wenden, denn ich kann Ihnen hierbei nicht mehr weiterhelfen."
Es dauerte über eine halbe Stunde, bis die Diskussion zwischen mir und Herrn Walter beendet war und dieser wütend meine Praxis verließ.
Geschafft sackte ich hinter meinem massiven Akazienschreibtisch in den monströsen Drehstuhl. Die grüne Zimmertanne, links von meinem Schreibtisch, war der einzige Farbfleck in meinem Besprechungsraum. Ich hatte alles andere sehr steril gehalten.
Einige Bilderrahmen schmückten die weiße Wand. Darin hingen jedoch nur Zertifikate und Bescheinigungen.
Hier ist noch viel zu tun, aber immerhin habe ich mit meinen 30 Jahren bisher schon viel erreicht.
Eine dunkelhäutige Dame steckte ihren lockigen Haarschopf zwischen den Türspalt.
„MITTAGSPAUSE!"
Ein leichtes Grinsen umspielte meine Lippen.
„Was würde ich nur ohne dich machen Janet."
„Sie wären schon längst am Boden zerstört und noch dazu würden Sie jedes Mal die Pausen durcharbeiten. Gönnen Sie sich einen Spaziergang, das haben Sie sich nach der Predigt eben, reichlich verdient."
„Das hast du gehört?"
„Na, das war wohl kaum zu überhören. Aber dem Kerl musste das ja auch mal gesagt werden. Und jetzt raus mit Ihnen. So ein herrliches Wetter sollte man nicht verpassen."
Ich nahm meine Handtasche und ging nach draußen. Janet hatte Recht, es war wunderschön. Ich hatte völlig vergessen, wie es sich anfühlte, wenn die warmen Sonnenstrahlen die Haut berührten. Ich nahm die intensiven Ströme wahr, schloss die Augen und ließ es auf mich wirken.
In Gedanken saß ich im Park auf einer Bank, lauschte dem Vogelgezwitscher, nahm das Rascheln der Bäume wahr und der von Blütenduft durchzogene Frühlingswind umspielte mein haselnussbraunes Haar. Doch irgendetwas hinderte mich daran, meinen Gedanken zu Ende zu bringen. Ich öffnete die Augen und spürte plötzlich einen durchdringenden Blick.
Dann sah ich ihn wieder. Ein blonder, gutaussehender Mann stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite und starrte mich an.
Es war derselbe Mann, den ich bereits heute Morgen gesehen hatte.
Mein Puls beschleunigte sich und mein Herz schien sich gar nicht mehr beruhigen zu wollen. Als würde es sich auf einer rasanten Achterbahnfahrt befinden.
Was ist mit mir auf einmal los? Ich kenne diesen Mann doch gar nicht.
Sein starrer Blick und seine muskulöse Statur, brachten meinen Körper in Wallung. Ich spürte, irgendetwas verband mich mit ihm und diese Bindung war eindeutig tiefer, als alles andere, was ich bisher hatte.
Ich musste unbedingt zu ihm. Nervös und zugleich völlig überwältigt lief ich die Treppen hinab und versuchte durch den tosenden Verkehr noch einmal einen Blick von ihm zu erhaschen.
Doch ich sah nur noch das Fräulein, die direkt neben ihm gestanden hatte.
Sie hielt den Kopf nach unten geneigt, sodass ihr rabenschwarzes, langes Haar seitlich über ihren Schultern hing.
Mit ihrem rechten Schuh malte sie Kreise in den Sand und zog
andauernd den Träger ihrer blauen Latz-Hot-Pen nach oben.
Habe ich mir ihn etwa nur eingebildet?
Gedankenversunken stieg ich einige Stufen der Treppe hinauf.
Kaum entglitten mir diese Gedanken, merkte ich durch einen kräftigen Windstoß, dass irgendetwas hinter mir war.
Vorsichtig drehte ich mich um und erkannte das Mädchen vor mir auf dem Bürgersteig, die zuvor auf der anderen Straßenseite gestanden hatte.
Ein gewaltiger Schauer lief mir über den Rücken, als ich in die schwarzen Augen des Mädchens sah. Tiefe, dunkle Ränder ließen mich erahnen, dass sie womöglich seit Tagen nicht mehr geschlafen hatte. Sie beugte ihren Kopf etwas zur Seite und ihr Hals gab ein knackendes lautes Geräusch von sich.
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