Woche 4, Samstag, Tag
SIMON
Ich hasse es, mit Lissa zerstritten zu sein, aber ich kann es nun mal nicht. Es ist mir unmöglich, ihr zu erzählen, was ich am liebsten ändern würde. Nicht nach dem, was Conrad mir erzählt hat.
Conrad. Es ist irgendwie seltsam. Und damit meine ich nicht die Tatsache, wie wir uns begegnet sind. Ja, das war seltsam, aber nichts im Vergleich zu der Beziehung, die wir jetzt haben. Wenn man das überhaupt Beziehung nennen kann.
Ich denke an seine schokoladenbraune Haut und an die Fakten, die er mir erzählt hat. Dass es überall Kameras gibt, hat mich nicht so sehr überrascht. Es ist dumm, es ist Vertrauensbruch und es ist einfach scheiße, aber es nichts, was mich so sehr schockiert hätte.
Eher schockiert hat mich das, was Conrad mir gesagt und vor allem gezeigt hat. Diese ganzen Fakten, die mich diesen verdammten Wettbewerb in einem ganz anderen Licht sehen lassen. Die Aufzeichnungen. Die Narben. Die Erzählungen. Das alles, von dem mir jetzt noch das Blut in den Adern gefriert.
Jemand tippt mir auf die Schultern. Es ist Steve Raab und mein Herzschlag steigt gefühlt auf hundertachtzig. "H-hallo", sage ich und versuche, mir nichts anmerken zu lassen, wie auch schon in den letzten Tagen.
"Ah, Simon!", sagt Raab. Er sieht irgendwie gestresst aus, aber der Gesichtsausdruck ist der gleiche wie am ersten Tag. Die Theorie, die ich mir nach Conrads Beichte zurechtgelegt habe, dass Raab gar nicht Raab ist, sondern von einem Fremden überwältigt wurde, stimmt also nicht. Er ist noch immer ein- und derselbe wie am Anfang. Also ist er wohl kein Fremder, sondern einfach ein Scheißkerl. Ich weiß auch nicht, warum ich jetzt fluche. Ich fluche eigentlich nie.
"Du bist in der Rangliste momentan auf Platz 2, oder?" Diese Frage. Ich weiß nicht, was er damit bezwecken will. Er muss doch besser als jeder andere wissen, auf welchem Platz ich im Ranking bin. "Ähm, ja?", sage ich, den letzten Laut in die Länge ziehend.
"Ich hätte dich heute gerne als Assistent", sagt Raab, immer noch lächeln. Es ist ein lauerndes Lächeln. "Was muss ich tun?", frage ich. "Einfach nur die Teams losen", erklärt er. "Die Aufgabe wird gleich verkündet. Setze dich zu mir nach vorne."
In meinem Kopf schießen die Gedanken durcheinander. Warum braucht er plötzlich einen Assistenten zum Auslosen? Wofür hat er denn Karin und Katharina und die Os? Die einzige, logische Erklärung ist, dass er mich loswerden will, verhindern, dass ich den anderen etwas erzähle. Als ob ich das tun würde. Ich weiß schließlich, dass wir gefilmt werden.
Im Speisesaal muss ich dann tatsächlich nichts anderes tun, als Zweierteams für die heutige Aufgabe - ernsthaft ein Dreifußrennen! - zu losen.
Die Teams werden dann folgendermaßen:
Angelina Wood - Simon Everhood
Lissa Parks - Harry Walker
Samantha Harris - Sophie Taylor
Ich bin mit der Wahl mehr als zufrieden. Ich würde es momentan nicht verkraften, mit Lissa zusammenzuarbeiten, auch nicht wirklich mit Harry und auch nicht mit Sophie.
Wir haben eine halbe Stunde Übungszeit. Angelina und ich haben beschlossen, im Partnerlook gehen, um dem Gesamten etwas Witz zu verleihen. Schließlich tragen wir beide ein weißes T-Shirt mit Disney-Aufdrücken - ja, wir besitzen beide ein solches Teil! - knielange, blaue Jeans und weiße, hohe Socken, damit die Schnur uns nicht in die Haut schneidet. Wir sehen irgendwie lächerlich aus, aber das gefällt mir. Überhaupt mag ich Angelina sehr gerne.
Als das Dreifußrennen beginnt, sind wir das erste Team. Es ist nicht nur ein Lauf, es ist ein Hindernisparcours und - ganz ehrlich! - es macht mir tatsächlich Spaß, ihn zu durchqueren. Schnüren zum darübersteigen, ein Skateboard, auf das wir unseren "dritten Fuß" hieven müssen, Slalomstrecken.
Lissa und ich waren einfach... Redefreunde. Sie ist selbstbewusst, lustig, sportlich, aber nicht so albern wie Angelina. Und genau das gefällt mir gerade. Sie hat beschlossen, das Tempo anzugeben und ihr militärisches "Eins und zwei und eins und zwei!" bringt mich nur noch mehr zum Lachen. Ihr braunes Haar weht im Wind und ich fühle mich wirklich gut.
Als wir im Ziel angelangt sind, krümmen wir uns fast vor Lachen. Als ich zu Lissa hinübersehe, die uns mit einem Blick, der mit Eifersucht zu übersetzen wäre, ansieht, verspüre ich sofort einen Stich im Herzen.
Sie kann nichts dafür, aber trotzdem hat sie an diesem einen Morgen die völlig falsche Frage gestellt. Die mich völlig aus der Bahn geworfen hat. Eigentlich war es harmlos, aber nicht für mich. Ich weiß auch nicht, warum.
Als nächstes sind Samantha und Sophie an der Reihe. Sophie trägt Hotpants, dazu ein Bikinoberteil, Samantha eine kurze Hose und ein weißes Oberteil, das einen perfekten Kontrast zu ihrer dunkelbraunen Haut bildet.
Die beiden sind als Duo irgendwie seltsam. Keiner von ihnen scheint unbedingt gewinnen zu wollen, keiner von ihnen scheint Spaß an der Sache zu haben, aber es meckert auch keiner von ihnen den anderen ab, was ich bei zwei solch temperamentvollen Mädchen nicht erwartet hätte.
Lissa und Harry sind gut. Auch sie sprechen nicht miteinander, sind aber völlig im Takt. Eins und zwei und eins und zwei, nur, dass bei ihnen niemand mitzählt. Über eine Schnur springen sie sogar beidbeinig, eine waghalsige Unternehmung und es macht mir sogar richtig Spaß, ihnen dabei zuzusehen.
***
Tagesranking:
1. Lissa Parks - 3 Punkte
1. Harry Walker - 3 Punkte
2. Sophie Taylor - 2 Punkte
2. Samantha Harris - 2 Punkte
3. Angelina Wood - 1 Punkt
3. Simon Everhood - 1 Punkt
Gesamtranking:
1. Samantha Harris - 43 Punkte
2. Simon Everhood - 38 Punkte
3. Harry Walker - 37 Punkte
4. Angelina Wood - 35 Punkte
5. Sophie Taylor - 34 Punkte
6. Lissa Parks - 31 Punkte
Die Stimmung ist ausgelassen, auch noch beim Mittagessen, alle reden durcheinander, lachen, haben Spaß.
Doch je später es wird, desto näher rückt die Nacht und mit ihr der Plan, auszureißen. Wir werden ruhiger, beklommener.
In zwölf Stunden sind wir schon nicht mehr da. Hoffentlich. In zwölf Stunden sind wir in Sicherheit.
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