Woche 4, Dienstag
HARRY
Ich hoffe so sehr, dass Robert es geschafft hat. Ja, okay, er ist ein arroganter Aufschneider, der nicht einmal bemerkt hat, dass Sophie ihn betrügt, aber er ist ein Mensch. Ein Mensch, der es nicht verdient hat, dass irgendetwas mit ihm gemacht wird. Von Versuchen bis Mord traue ich den Veranstaltern alles zu. Höchstens ein bisschen übertrieben.
"So, meine Lieben." Raabs Standardbegrüßung, sie geht mir inzwischen dermaßen auf die Nerven. Jeden Tag die Begrüßung, kombiniert mit einem netten Zahnpastalächeln. Wir sitzen alle zusammen an einem Tisch. Lissa, Samantha, Simon, Sophie, Angelina und ich. Schon irgendwie pervers, dass inzwischen noch doppelt so viele Mädchen übrig sind wie Jungs. Und gleichzeitig auch wieder nicht. Robert und Robin waren Hohlköpfe, Charles einfach nur leichtgläubig. Solche wie sie werden in einer Welt wie meiner regelrecht aufgefressen. Sie hätten keine Chance. Da sind die Mädchen unserer Gruppe teilweise wirklich taffer. Lissa hat zwar vermutlich keine Ahnung, doch sie lässt sich nicht unterkriegen, ebenso wenig wie Samantha und Angelina. Auch Sophie ist klug, das sehe ich ihr an, auch wenn ich ein seltsames Gefühl bei ihr habe.
"...habt eine halbe Stunde Zeit, um euch draußen einzufinden.", endet der Veranstalter und Karin fügt hinzu: "Es ist euch erlaubt, Badesachen unter euren eigentlichen Klamotten zu tragen, um Zeit zu sparen." Na toll, jetzt habe ich auch noch die Erklärung verpasst. Das passiert mir so gut wie nie. Ich bin toll im Multitasking. Ein Grund dafür, warum gerade ich von Magdalena ausgewählt wurde. Und vermutlich darum, weil ich die reinste, weiße Weste habe, die es gibt. Ich bin mit keinem der Leute so richtig befreundet, aber Samantha sitzt neben mir, also beuge ich mich zu ihr hinüber. "Was müssen wir tun?" "Mini-Triathlon", wispert sie und ich schnaube. "Räder bekommen wir geliehen, Badesachen dürfen wir auch unter unseren Klamotten anhaben. Du weißt, was ein Triathlon ist?" Ich schaffe es, neutral zu klingen. "Klar." Wasser. Ich bin zwar bei der Floß-Challenge Zweiter geworden, allerdings nur dank Angelinas Tatkraft. Wasser. Ich bin wieder zehn und sehe Dad vor mir. Bilder, unangemessene Bilder schießen mir durch den Kopf, ich muss all meine Beherrschung aufbringen, um sie zu vertreiben. Mein Atem geht schneller. Scheiße. Dad.
***
Wir stehen alle nebeneinander, in Sportklamotten. Sophie hat anscheinend darauf gesetzt, dass weniger Klamotten weniger Zeit zum Ausziehen bedeuten, denn sie ist so knapp bekleidet, dass ich mich richtiggehend wegdrehen muss. Robert hätte das gefallen. Ich hoffe, Robert hat es geschafft.
Wir müssen eine kurze, knapp zwei Kilometer lange Strecke fahren, einen Kilometer laufen und einen halben Kilometer schwimmen. Also wirklich ein Mini-Triathlon. Trotzdem viel. Ich beherrsche zwar einige ausgewählte Sportarten wirklich gut, habe darum auch einige Muskeln, laufen kann ich sogar ziemlich gut, aber meine Radfahrkünste halten sich in Grenzen und ans Schwimmen will ich gar nicht denken.
"Auf die Plätze... fertig... LOS!", gibt Karin das Startkommando, wir springen fast gleichzeitig auf unsere Fahrräder und treten los. Ich merke, wie mir schnell, sobald es ein wenig Bergauf geht, die Puste ausgeht, doch ich halte trotzdem mit den anderen mit.
Angelina ist vorne, danach Samantha. Dicht hinter ihnen halten sich Simon, Lissa und Sophie, die allerdings auch schon bedenklich schnaufen, ich bin knapp danach. Die Ziellinie ist bald in Sicht -Angelina hat inzwischen einen beträchtlichen Vorsprung rausgeholt und läuft bereits - und wir anderen strampeln inzwischen mit besserer oder schlechterer Kondition darauf zu. Ich bin zwar der Letzte, der ankommt, weiß aber, dass ich beim Laufen einiges aufholen werde. Schnell überhole ich Sophie und Simon, mit Lissa bin ich eine Zeitlang auf Gleichstand, bis ich schließlich auch an ihr und danach an Samantha vorbeiziehe. Ich wurde schließlich in wochenlangen Trainings auf Kurzsprints trainiert. Angelina ist da schon ein härterer Brocken, aber auch sie kann ich schließlich überholen und als Erster stehe ich schließlich an dem See, durch den wir schwimmen sollen.
Ich ziehe mir das T-Shirt über den Kopf und schlüpfe aus den Schuhen, dann blicke ich auf das ruhige, türkisblaue Wasser. Noch ist es ruhig, aber jederzeit könnte es überschnappen, mich mit sich ziehen, mich zu demselben Schicksal verdammen wie Dad. Mit seinen teuflischen Armen nach mir schnappen, mich Wasser schlucken lassen, das mir in die Lungen läuft. Tod durch Ertrinken sollen wir vermeiden, das das einzige, was Magdalena uns beigebracht hat. Sie ahnt nichts von den inneren Todesqualen, die ich gerade ausstehe. Ein Teufelskampf. Angelina ist in Sichtweite, schon während dem Laufen schlüpft sie aus ihrem verschwitzten T-Shirt - es ist schon jetzt heiß - als sie bei mir angekommen ist, auch aus den Schuhen und Leggings. Ohne zu zögern stürzt sie sich in das - anscheinend - kühlende Nass und beginnt, gleichmäßig davonzukraulen. Ein schöner Schwimmstil. Aber ich kann das nicht. Habe viel zu viel Angst. Allerdings, wenn Magdalena Recht hat, sollte ich Raab meine Schwächen besser nicht zu erkennen geben. Ich hadere noch einen Augenblick mit mir, dann setze ich mich auf den Uferrand und lasse mich ins Wasser gleiten. Es ist schön kühl, aber ich traue dem nicht. Wasser ist hinterhältig, listig, unberechenbar. Samantha schwimmt nicht schnell, aber selbst sie überholt mich, ich schaffe es nicht, schneller zu schwimmen.
Auch die anderen überholen mich nach und nach und ich kann nichts tun, muss zusehen, wie ich Letzter werde. Als ich nach einem haarsträubenden halben Kilometer aus dem Wasser steige, fühle ich mich nicht annähernd so großartig, wie ich sollte. Ich höre Magdalenas Stimme in meinem Ohr. Wer es nicht schafft, gegen seine Ängste anzukämpfen, hat es gar nicht erst verdient, als Agent ausgebildet zu werden. Also bringt es unter Kontrolle oder ihr fliegt schneller raus, als ihr ,Fliegenschiss' sagen könnt.
Aber ich kann es nicht unter Kontrolle bringen. Wasser hat mir meinen eigenen Dad genommen, ist es nicht verständlich, dass ich darum eine gewisse Furcht hege? Trotzdem. Es fühlt sich an, als würde ich Magdalena und das ganze Team verraten.
***
Tagesranking:
1. Angelina Wood - 6 Punkte
2. Samantha Harris - 5 Punkte
3. Simon Everhood - 4 Punkte
4. Lissa Parks - 3 Punkte
5. Sophie Taylor - 2 Punkte
6. Harry Walker - 1 Punkt
Gesamtranking:
1. Samantha Harris - 30 Punkte
2. Angelina Wood - 29 Punkte
3. Harry Walker - 28 Punkte
4. Simon Everhood - 27 Punkte
5. Sophie Taylor - 25 Punkte
6. Lissa Parks - 24 Punkte
Ich verstehe, dass ich nicht Erster geworden bin, dennoch fühlt es sich beschissen an, Dritter zu sein. Morgen werde ich mich mehr anstrengen, verspreche ich Magdalena im Geheimen. Und das nächste Ziel ist dann, die anderen von meinem Plan zu überzeugen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro