Woche 3, Montag, Teil 1
ANGELINA
"Da waren's nur mehr acht", meine ich zu Samantha, während ich meinen Mannerwaffel-Milch-Mix zubereite. "Charles ist weg. Du hast ihn gemocht, oder?"
"Mhm", meint Samantha, "Er war irgendwie... es kam mir vor, als wäre er der einzige in unserer Gruppe, der nicht ständig Märchen erzählt... Nichts gegen dich, aber er war so... aufrichtig. Nichts gegen dich! Ich vermisse ihn... Erst Laura, dann Charles."
"Und...", beginne ich. Die Frage spukt mir schon lange im Kopf herum. "Glaubst du, Charles ist freiwillig gegangen? Weil, er ist doch so... so sportlich. Warum war er dann bei der letzten Aufgabe so schlecht?"
"Nein", gibt sie hastig zurück. "Ich weiß nicht viel, aber er ist auf jeden Fall nicht freiwillig gegangen."
"Schon gut", meine ich beschwichtigend. "Welche Aufgabe es wohl heute gibt?"
"Keine Ahnung", gibt Samantha abwesend zurück. Mir fällt auf, dass sie blass ist, sofern das bei ihrer Hautfarbe möglich ist, und ihr Blick ständig durch den Raum gleitet.
Herr Raab betritt den Raum, als er sich räuspert, zuckt Samantha zusammen. "So", meint er lächelnd. "Sind alle da?" Ich sehe mich um. Bloß Robin Johnson fehlt.
"Johnson fehlt", antwortet Sophie spöttisch. "Wo ist er?", will er wissen. "Es müssen bei der Erklärung der Aufgabe alle anwesend sein! Das wisst ihr doch!"
"Soll ich ihn holen gehen?", fragt Simon. "Bitte", meint Herr Raab, Simon steht auf und geht zur Tür. "Aber beeil dich."
Heute ist irgendetwas im Raum, das spüre ich ganz genau. Ich merke, wie Karin und Herr Raab sich beunruhigte Blicke zuwerfen, Samantha ist unruhig und rutscht auf ihrem Stuhl herum, was völlig untypisch für die ausgeglichene Vierzehnjährige ist und Harry blickt nervös im Raum umher. Es ist, als wäre ich im völlig falschen Film gelandet und alle außer mir wissen ihre Rolle und können ihren Text.
Simon kommt zurück. "Ähm - er ist nicht in seinem Zimmer."
Herr Raab sieht Karin alarmiert an. "Okay, vielleicht hat er sich nur eine Dusche oder so etwas gegönnt. O1, O2, sucht das ganze Haus nach ihm ab. Genau! Vielleicht... vielleicht ist er mit seinem Rollstuhl die Treppe hinunter gefallen oder so etwas. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was passiert ist!"
"So, ihr habt bis zwei Uhr Zimmerzeit.", wendet sich der Veranstalter an uns. "Danach wird es eine Quizaufgabe geben. Und sollte jemand etwas über Robin wissen, dann bitte melden!"
Ich bin heillos verwirrt. Schließlich ist es ja nichts Schlimmes, wenn Robin gerade nicht da ist. Ich meine, soll er eben spazieren fahren, genug Platz gibt es hier ja.
Ich ziehe eine weiter Packung Waffeln aus meiner Hosentasche und knabbere an einer. "Ich- ich geh dann besser mal", meint Samantha und steht auf. "Schönen Vormittag noch."
Der Speiseraum leert sich in beträchtlichem Tempo, auch ich stehe auf und gehe zurück auf mein Zimmer. Plötzlich höre ich hinter einer Ecke Stimmen und als ich genauer hinhorche, erkenne ich, dass es die Leiter der Fireflyers sind, Herr Raab und Karin.
"-iPdad ist auch weg.", meint Karin und ihre Stimme hat einen leicht panischen Unterton. "Er muss es mitgenommen haben."
"Das ist nicht schlimm", meint Herr Raab. "Geh gleich und sperre sein iPad, ja? Nummer 14, glaube ich. Außerdem- ha! Da hat er sich selbst ausgetrickst, wir können es schließlich orten. Sieh nach, wo er ist und schick O4 nach ihm, ja. So, ja, das müsste gehen."
Ich höre Karin auf ihrem iPad herumtippen. "Es müsste in seinem Zimmer sein.", sagt Karin jetzt und ich kann ihr Stirnrunzeln fast hören. "Sieh mal." "Verdammt!", flucht Herr Raab leise. "Unsere Informationen müssen falsch gewesen sein! Schick O6 in mein Büro! Es hieß, er könne nicht mit Computern umgehen! Es hieß, keiner könne so richtig gut mit Computern umgehen! Sperre wenigstens sein iPad, ja. Die Nachrichtenkanäle sind überwacht?"
"Ja, alles fix und fertig. Wir kriegen alles, was sie über TalkAbout verschicken. WhatsApp können sie nicht runterladen und auf Instagram und allen sozialen Netzwerken sind die Messanger blockiert. Das müsste gehen."
"Gut, dann sperr endlich sein iPad, er darf es keinesfalls herausfinden!"
"Ja, gleich." Dann ein Fluchen. "Was? Nicht berechtigt? Nicht berechtigt?" "Was soll das heißen?" "Ja, sieh doch einfach her! Da steht, ich bin nicht berechtigt, dieses iPad zu sperren!" "Ach, komm, sei nicht blöd, wir haben die besten Computerspezialisten an Bord, Mike hat das alles überprüft! Man müsste ein fortgeschrittener Hacker sein, um die Sperrung aufzuheben!" "Dann ist er eben ein fortgeschrittener Hacker! Leon, verstehst du das nicht? Er muss es gut zu verbergen gewusst haben, dass er ein Technikgenie ist! Ich hab's doch gesagt, wir hätten die Auswahl genauer überwachen sollen!"
"Aber bitte! Genauer überwachen geht doch gar nicht!", schimpft Herr Raab. "Schau - die Vierzehnjährigen sind kein Problem für uns: Smith - okay, das war ein Missgeschick unsererseits, wegen des Schlüssels, aber die ist absolut pflegeleicht! Thomas - Sportlich und ruhig, nix im Kopf. Mikaela hat ihn in Gewahrsam. Harris - na ja, die hätte uns gefährlich werden müssen, das war mein Fehler, aber wir haben sie unter Kontrolle."
"Was ist mit den anderen? Leon, irgendwo muss eine Sicherheitslücke sein!" "Ich sag's doch, da ist keine Sicherheitslücke! Alle Teilnehmer wurden genauestens überprüft! Schau: Wood: ja, von mir aus, sie ist vielseitig begabt, aber sie ist viel zu naiv und gutgläubig. Walker: Kein Problem! Ruhig, an nichts interessiert! War zwar schwer, Infos aufzutreiben, aber glaub mir, der ist in keinem Verein, keinem sozialen Netzwerk liest viel, hängt seinen Gedanken nach - vermutlich der Harmloseste von allen. Taylor: Die Oberflächlichkeit in Person! Bitte, wie sollte gerade sie eine Sicherheitslücke darstellen?" "Ich weiß es ja nicht, aber irgendwie muss es möglich gewesen sein! Was ist mit den anderen?"
"Also, da ist Everhood. Der ist homo, hat aber angegeben, hetero zu sein. Aber der ist kein Problem für uns, vertraut allen und ist nur wegen eines toten Bruders hergekommen. Dann Parks: Zwar ein wenig temperamentvoll, aber ehrlich: Es war zwar knapp, wir hätten die Auswahl der Statisten in Aufgabe Story genauer auswählen sollen, aber wir haben gerade noch rechtzeitig eingegriffen. Da ist alles paletti. Dann Lewis, genauso schlimm wie Taylor. Der kann uns nicht gefährlich werden!"
"Ja, vielleicht, aber dann bleibt immer noch Johnson!", fuhr Karin ihren Gesprächspartner ungewohnt heftig an. "Hmmm, ja, Johnson, der ist eigentlich ein Hohlkopf! Beleidigt gern alle, die ihm zu nahe kommen, aber er hat keine Begabungen, vor allem nicht im Technikbereich! Lenka, er wurde wie alle anderen genauestens überprüft! Und wir haben die besten Leute an Bord! Es war ein unglücklicher Zufall, dass er das mit Smith herausgefunden hat, ebenso unglücklich wie die Tatsache, dass er überlebt hat! Er ist gerade rechtzeitig geflüchtet, heute hätten wir ihn beseitigt!"
"Womit wir wieder beim alten Problem wären! Wie konnte er fliehen?" "Ich weiß nicht, sie haben noch keine Spur von ihm! Er muss irgendwo draußen sein! Beauftrage nur die Besten und Vertrauenswürdigsten. Nimm nicht die Officer, nimm... nimm Theodore, Tamara und Adam! Und O9 und O10 sollen sie begleiten, die sind die reinen Schoßhündchen, tun alles, was man ihnen sagt. Und verriegelt die Ausgänge! Mann, Mann, Mann, bei Johnson hätten wir früher agieren müssen!" "Das ist jetzt zu spät, Leon! Hör zu: Vor allem müssen wir die Challenges weiterführen! Parks, Taylor, Wood, Everhood, Walker und Lewis haben nach wie vor keine Ahnung und das soll so bleiben!"
"Klar", sagt Herr Raab mit rauer Stimme. "Ich kümmere mich um die Kameraausstattung in den Zimmern."
Ich höre näherkommende Schritte und husche schnell in eine, sich glücklicherweise hier befindende Mädchentoilette. Ich muss mich auf einem Klodeckel niederlassen. Das, was ich gerade gehört habe, verschlägt mir den Atem.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Aber was ich auf jeden Fall tun muss, ist, die anderen zu warnen. Weiß der Teufel wie das gehen soll. Aber ich werde es versuchen müssen.
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