Woche 1, Montag
SIMON
Es war vor zwei Jahren, als ich herausgefunden habe, dass es nichts Gutes sein muss, anders zu sein. Am besten normal groß, normal klug, normal hübsch und, naja, eben auch hetero. Oft ist es, als würden mich die Jungs nicht mehr mögen, nachdem ich ihnen gesagt habe, dass ich schwul bin. Als würde ich mich jeden Moment in einen von ihnen verknallen und deshalb würde unsere Freundschaft zu Bruch gehen.
Aber der einzige Grund, warum Freundschaften zu Bruch gehen, ist, wenn man dem anderen nicht mehr vertraut. Wenn man dem anderen nicht glaubt, dass man echt nur freundschaftliche Gefühle für den anderen hat.
Deshalb habe ich auch beschlossen, meine Sexualität nicht preis zu geben. Im Anmeldebogen stand nichts davon, doch als mich jetzt der, ehrlicherweise wirklich nette, Veranstalter, Steve Raab, nach meiner Sexualität fragt, ist es mir dennoch unangenehm. Zum einen, weil es nun mal blöd ist, mit jemand Wildfremden darüber zu sprechen, aber hauptsächlich, weil ich nicht gerne lüge.
"Hetero. Ich bin heterosexuell.", sage ich. Noch nie habe ich jemandem verheimlicht, dass ich schwul bin, doch hier auf der Insel möchte ich es einfach einmal versuchen. Ob man jemand anders sein kann, wenn man in die Menge passt, ob einen die anderen mehr mögen, wenn man "normal" ist.
"Okay, eine kleine Frage noch, bevor Sie auf Ihr Zimmer gehen dürfen", erklärt Herr Raab und lächelt. "Sollen wir zum Du kommen?"
"Von mir aus.", meine ich und lächle ebenfalls scheu zurück.
"Sehr gut, sehr gut.", erklärt Herr Raab. "Ich gebe dir dann die Schlüsselkarte für dein Zimmer. Heute wird es noch keine Aufgabe geben, morgen bekommst du dann weitere Informationen.", erklärt er und ich nicke, während er mir die Schlüsselkarte aushändigt.
"Ach ja, eins noch!", fällt es Herrn Raab ein, "Ich bräuchte bitte dein Handy."
"Mein Handy? Wieso das denn?"
"Einfach nur der Fairness halber.", Herr Raab lächelt mich entschuldigend an, "Es wäre unfair, wenn bei etwaigen Quizaufgaben jemand sein Handy benutzt oder jemanden anruft und darum fragt. Wir haben allerdings in jedem Zimmer ein iPad deponiert, das du jederzeit nützen kannst. Es ist auch möglich, es per HauptiPad zu sperren, wovon wir allerdings nur während Quiz-Challenges Gebrauch machen werden."
"Aber - was ist mit Kontakt zu meiner Familie? Sie, sie haben schon ein Kind verloren, sie schaffen das nicht bis zu zehn Wochen ohne Telefonieren."
"Oh, natürlich!", meint Herr Raab, "Du darfst, wann immer du willst, von meinem oder Karins Handy aus nach Hause telefonieren. Tut mir leid, natürlich sollst du den Kontakt nicht abreißen lassen!"
Ich seufze laut hörbar auf und lege mein Handy in seine Hand. "Na, wenn das so ist." Mir waren Social Media oder Spiele schon immer eher egal gewesen - ich würde es schon ein Weilchen ohne Handy aushalten könne, zumal ich es sowieso nicht weit schaffen würde.
"Dann wünsche ich dir viel Spaß und Erfolg hier im Naturschutzgebiet, Simon. Auf Wiedersehen!"
"Auf Wiedersehen", erwidere ich lächelnd. Ich kann es kaum erwarten, auf Entdeckungsjagd zu gehen, schließlich bin ich jetzt, wo ich in Arizona bin, näher an Michel als je zuvor.
Ich schultere meinen Rucksack, in den ich mein spärliches Gepäck gepackt habe und mache mich auf den Weg in mein Zimmer. Es hat die Nummer sieben und ich öffne die Tür.
Das Zimmer ist riesengroß und wirklich schön eingerichtet.
Es gibt einen Schlaf- und Wohnraum mit einem schönen hölzernen Einzelbett. Daneben steht ein riesengroßer Schrank und weiter hinten ein Sofa mit einem Tisch.
Eine Tür weiter geht es in ein riesengroßes Bad, das - ohne Übertreibung - einen Whirlpool hat und eine weiter Tür führt mich in eine Art riesiges Büro.
Zuerst öffne ich den Schrank.
Nach der Reise hierher und dem anschließenden Vorstellungsgespräch bin ich ganz durchgeschwitzt. Anscheinend hat der Assistent, der mich vor der Abreise besucht hat, nicht nur meine Maße genommen, sondern sich auch meine Kleidervorlieben notiert.
Er enthält, bis auf einige kurzärmlige T-Shirts, fast ausnahmslos Pullis. Ich fische mir einen grünen heraus, ziehe ihn mir über den Kopf und sehe mich in den Spiegel, der an einer Wand angebracht ist.
Meine dunkelbraunen Locken fallen mir, wie üblich, ins Gesicht, ich sehe, obwohl ich nicht weiß, wovon genau, geschafft aus und meine Jeans hat einen braunen Fleck, von dem Kakao, den ich blöderweise auf der Hinfahrt verschüttet habe.
Also wechsle ich auch die Hose. In meinem Schrank sind auch die unterschiedlichsten Arten von Jeans vertreten, gedankenverloren hole ich mir eine dunkelblaue mit Löcher an den Knien heraus und schlüpfe hinein.
Als ich mich jetzt etwas genauer im Zimmer umsehe, kann ich auch das iPad erkennen, von dem Herr Raab gesprochen hat. Es liegt auf meinem Nachtkästchen und ich öffne es, nicht einmal ein Code wird verlangt.
Einige Apps, die üblichen von Apple und noch einige andere, sind bereits installiert, ItsAStory möchte ich mir gleich noch herunterladen.
Ich habe erst Angst, dass das Installieren nicht möglich sein würde, doch die ist unbegründet. Kurz darauf lädt die App und ich öffne sie.
ItsAStory ist das Programm, mit dem ich bei weitem am meisten Zeit verbringe. Hinter dem unscheinbaren Namen nämlich verbirgt sich eine Geschichtenplattform, auf der ich selbst sehr aktiv bin.
Ich klicke auf den "LogIn"-Button und gebe meine Email-Adresse sowie das zuständige Passwort an. Sofort komme ich in mein Konto. Ein Schild erscheint, auf dem steht: "Es wurden einig Änderungen an Ihrem ItsAStory-Profil durchgeführt. Möchten Sie diese bestätigen?
Ich klicke auf "Ja" und lese mir den zuständigen Artikel schon gar nicht mehr durch. Bei ItsAStory gibt es ständig irgendwelche Updates und ich habe es aufgegeben, das System zu durchblicken.
Ich mache meinen Teil und bin dort aktiv, sie machen ihren Teil und sehen zu, dass auch alles läuft.
Plötzlich fühle ich mich müde, unglaublich müde.
Jeder Schritt ist eine Anstrengung und so beschließe ich, die Suche nach Michels Grab auf morgen zu verschieben. Es läuft mir ja nicht davon.
Und mit diesen Gedanken werfe ich mich in mein Bett und schlafe tief und fest, bis zum nächsten Morgen.
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