Woche 1, Donnerstag
LISSA
"So, meine Lieben!", Steve Raab betritt den Frühstückssaal, in dem ich mir gerade eine Semmel mit Honig bestreiche und klatscht in die Hände. "Herzlich willkommen zu einem weiteren Tag mit einer weiteren Challenge!"
Ich nehme einen Bissen von meiner Honigsemmel und höre dem Veranstalter zu, der jetzt gerade noch einmal das Gesamtranking vorliest. Auch, wenn es mir bei dem Wettbewerb nicht wirklich ums Gewinnen geht, bin ich irgendwie froh, dass ich mich momentan auf dem ersten Platz befinde.
"Kommen wir nun zur heutigen Aufgabe, sie ist eine meiner Liebingschallenges!" Ich bin wirklich gespannt, was heute kommen wird und lege meine Semmel beiseite. "Nachdem wir bereits eine hatten, in der es um Teamwork und eine, in der es ums Essen geht, also dachte ich, es wird Zeit, mal etwas Kreatives zu machen."
Ich bin davon nicht wirklich überrascht, irgendwie hatte ich bereits mit so etwas gerechnet.
"Ihr werdet heute", beginnt Herr Raab, "ein Kunstwerk zum Thema Baum erschaffen. Es geht aber darum nicht nur um die beste Umsetzung, sondern auch um das Stück, in dem am meisten Kreativität steckt. Ihr dürft entweder in eurem Büro eures Zimmer arbeiten, oder ihr kommt ins Atelier. Alle Materialien könnt ihr euch entweder selbst suchen oder, sollten es Dinge wie Papiere, Farben oder Leinwände sein, von mir oder Karin besorgen." Seine Assistentin schenkt uns ein kurzes Lächeln, als ihr Name fällt.
"Zu Ende ist die Challenge um drei Uhr. Bis dahin habt ihr Zeit, mit einer guten Idee aufzukommen und sie umzusetzen. Schummelei wird, wie gewöhnlich, nicht geduldet. Es gibt auch ganz normal, um zwölf Uhr Mittagessen, ihr könnt aber auch darauf verzichten und euch selbst etwas machen. Nun denn, viel Erfolg!"
Ich stehe auf und mache mich auf den Weg in mein Zimmer, um mich noch umzuziehen. Arbeiten werde ich lieber im Atelier. Schließlich habe ich dort die nötigen Materialien zur Verfügung und zudem noch ein paar andere Leute zum Quatschen da.
In meinem Zimmer schlüpfe ich aus dem schlumpfblauen Jumpsuit, den ich immer zum Schlafen und beim Frühstück trage und in eine Jeans mit Löcher an den Knien. Danach ziehe ich mir noch ein grünes Oversize-Shirt und meine geliebten, schwarzen Boots an, bevor ich noch einmal kurz Insta checke.
Beiträge werde ich keine erstellen, solange ich hier bin. Meinen Freundinnen werde ich später eben alles erzählen und Fotos, um mich zu erinnern, brauche ich nicht. Das Ganze ist fest in meinem Kopf abgespeichert.
Ich schnappe mir noch den Collegeblock, einen der drei, die bereits in meinem Zimmer Vorhand waren, klemme mir einen Kugelschreiber hinters Ohr und mache mich auf den Weg ins Atelier.
Dort angekommen sind bereits vier andere Teilnehmer hier. Die meisten Namen kann ich mittlerweise schon auswendig und so erkenne ich, dass es Simon Everhood, die kleine Sophie Taylor, Angelina Wood und Charles Thomas, die Sportskanone, sind.
Auch Karin, Raabs Assistentin ist hier, sie sitzt hinter einem großen Schreibtisch und sieht uns lächelnd zu. Schnell schnappe ich mir eine freie Leinwand und mustere erst einmal das, was die anderen bisher so fabriziert haben. Laura sitzt noch gedankenverloren mit ihrem Skizzenblock in der Hand da, Angelina mischt sich bereits Farben auf ihrer Palette zusammen, Charles steht etwas verloren da und Simon skizziert gerade einen Baum, ebenfalls auf seinem Collegeblock.
Ich entscheide mich nach einigem Überlegen dafür, den Baum nur aus Naturmaterialien "herzustellen" und fange auch an, die Umrisse eines Baums auf Papier zu bringen. Nur eine knappe Stunde später ziert ein wirklich schöner Baum meine Leinwand und ich mache mich auf den Weg nach draußen, um nach passenden Ästen und Blättern zu suchen.
Als ich zurückkomme, ist es bereits 13 Uhr, unglaublich lange habe ich nicht das gefunden, was ich gesucht habe, und entscheide mich, erst mal eine Lunchpause einzulegen.
"Gehst du mit mir Mittagessen?", erkundige ich mich bei Simon, der sich gedankenverloren durch seine lockigen braunen Haare fährt und mir immer noch am sympathischsten von allen ist. "Das ganze Kreativsein macht mich hungrig."
Zerstreut schüttelt er den Kopf. "Nein, tut mir leid. Nimm's nicht persönlich, aber wenn ich einmal in einem Kunstprojekt drin bin, kann ich schwer Pausen machen."
"Alles klar." Ich versuche, nicht zu zeigen, dass es mich getroffen hat, dass er nicht wollte und frage stattdessen: "Soll ich dir einen Happen mitbringen?"
"Etwas Obst wäre gut", erwidert Simon. Ich will mich noch verabschieden, aber da ist er schon wieder völlig in seine Arbeit vertieft.
Das Mittagessen geht schnell vonstatten, danach klebe ich die Äste und Blätter in feinster Handarbeit und einem Kleber, der der reinste Chemiehammer ist, auf meiner Leinwand fest. Als ich gegen halb drei endlich fertig bin, sieht es gut aus, aber nicht perfekt. Irgendetwas fehlt noch, doch wie lange ich auch überlege, mir fällt nicht ein, was an dem Ganzen noch verbessert gehören sollte.
Da betritt Steve Raab den Raum. "Ich hoffe, ihr seid alle fertig! Eine Jury wird sich jetzt eingehend mit euren Werken befassen, in einer Stunde wird im Speiseraum das Ranking gezeigt. Bis dahin habt ihr Freizeit." Er lächelt uns noch einmal an und ich verlasse den Raum.
Plötzlich kommt Simon auf mich zu.
"Hey", sagt er. "Sorry, dass ich vorher keine Zeit hatte, aber das ist bei mir nun mal so. Ich bin nun mal ein kreativer Mensch."
"Alles klar.", sage ich erneut, doch diesmal meine ich es ernst. "Willst du jetzt noch kurz auf mein Zimmer mitkommen? Bisschen kennenlernen?"
Und dieses Mal stimmt er zu.
Eine knappe Dreiviertelstunde später weiß ich eine Menge über Simon Everhood. Ich weiß, dass er erst einmal eine Freundin hatte, und mit der nach einem Tag Schluss gemacht hat, weil er nichts für sie empfand. Sein Lieblingsessen sind Makkaroni mit Käsesoße (bäh!). Er ist hierhergekommen, weil er zum Grab seines Bruders wollte, das in Arizona liegt und dass ich der erste Mensch bin, dem er davon erzählt. Ich weiß, dass er "dieses Mädchen mit den hellen Haaren" nicht mag (O-Ton Simon) und dass ihm eigentlich gar nichts am Gewinnen liegt.
Fast wären wir zu spät gekommen.
Zum Glück baut Herr Raab, heute zusammen mit O1, gerade erst den Projektor auf.
Ich bin megaaufgeregt, und als er dann das Ranking zeigt, bin ich ziemlich überrascht.
1. Simon Everhood - 10 Punkte
2. Angelina Wood - 9 Punkte
3. Samantha Harris - 8 Punkte
4. Harry Walker - 7 Punkte
5. Lissa Parks - 6 Punkte
6. Robert Lewis - 5 Punkte
7. Laura Smith - 4 Punkte
8. Charles Thomas - 3 Punkte
9. Sophie Taylor - 2 Punkte
10. Robin Johnson - 1 Punkt
Klar ist 5. Platz nicht schlecht, aber mit meiner ziemlich guten Idee hatte ich schon gute Chancen auf einen Sieg. Dachte ich zumindest. Der Rest verwundert mich nicht wirklich, dennoch bin ich noch immer nicht wirklich zufrieden mit meinem Platz.
"... zeigen wir nun das Gesamtranking", erklärt Herr Raab und wieder wird etwas an die Leinwand gebeamt.
1. Angelina Wood - 29 Punkte
2. Simon Everhood - 27 Punkte
3. Lissa Parks - 26 Punkte
4. Samantha Harris - 24 Punkte
5. Robert Lewis - 19 Punkte
5. Harry Walker - 19 Punkte
6. Robin Johnson - 16 Punkte
7. Laura Smith - 11 Punkte
8. Sophie Taylor - 8 Punkte
9. Charles Thomas - 6 Punkte
An diesem Abend gehe ich früh zu Bett, lese noch ein wenig in einem der hier für mich hinterlegten Bücher und frage mich, welchen Sinn dieser Wettbewerb für den Veranstalter eigentlich hat. Doch noch bevor ich zu einem Entschluss gekommen bin, falle ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
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