X
Der Morgen begann genauso beschissen, wie der vorherige Tag. Ich wachte mit dem Gefühl auf, dass ich einfach nicht in der Lage war, heute irgendetwas zu bewältigen. Mein Körper fühlte sich schwer an, mein Kopf brummte, und das Kribbeln, das meine Haut seit Tagen nicht verlassen hatte, machte alles nur noch schlimmer.
Ich zog die Decke über meinen Kopf, als ich Schritte hörte, die den Flur entlang gingen. Es war Minho, der offensichtlich schon wach war. Natürlich. Er war immer wach und immer viel zu perfekt – was in Kombination mit meinem Zustand noch unerträglicher war.
Mit einem Seufzen griff ich nach meinem Handy und tippte eine schnelle Nachricht an meine Eltern.
Ich:
>Kann ich heute bitte zu Hause bleiben? Mir geht’s echt nicht gut.
Die Antwort kam schneller, als ich erwartet hatte:
Mom:
>Nein, Jisung. Schule ist wichtig, auch wenn es dir gerade schwerfällt. Reiß dich zusammen.
Ich starrte auf den Bildschirm, der mir fast spöttisch meine Niederlage entgegenstrahlte.
Natürlich. Meine Eltern waren nie die Sorte Menschen, die Verständnis hatten. Es hätte mich nicht überraschen dürfen, aber es tat trotzdem weh. Ich biss die Zähne zusammen, setzte mich widerwillig auf und schleppte mich ins Bad.
Schon auf dem Weg zur Schule war ich gereizt. Die anderen Schüler schienen sich wie immer viel zu laut zu unterhalten, ihre Stimmen dröhnten in meinem Kopf wie ein überforderndes Chaos. Ich hielt mich nah an den Rand der Flure, mied den direkten Kontakt zu anderen, aber ich spürte trotzdem die Blicke. Vielleicht bildete ich es mir ein, vielleicht aber auch nicht.
Im Klassenzimmer war es kaum besser. Jeder Satz, den der Lehrer sagte, ging an mir vorbei. Stattdessen klopfte mein Fuß nervös gegen den Boden, während ich mich immer wieder umdrehte, um sicherzugehen, dass niemand zu nah kam. Meine Haut kribbelte, mein Herz schlug schneller und es war, als könnte ich jeden Alpha im Raum riechen.
Es war erdrückend.
Jeongin, der neben mir saß, stupste mich irgendwann mit dem Ellbogen an. „Alles okay?“ flüsterte er leise.
„Ja, klar“, log ich, obwohl meine Hände so fest zu Fäusten geballt waren, dass meine Nägel sich in die Haut bohrten. „Warum fragst du?“
„Weil du aussiehst, als würdest du gleich jemanden umbringen.“
Ich verdrehte die Augen, versuchte, etwas Normalität vorzutäuschen, aber es fiel mir schwer. Alles war zu viel – die Geräusche, die Gerüche, die Blicke. Besonders die Blicke.
In der Pause zog ich mich in eine ruhige Ecke zurück, in der Hoffnung, ein wenig Luft zu holen. Doch selbst da spürte ich die latente Angst in mir, dass irgendetwas passieren könnte. Die Erinnerung an den Vorfall gestern – an den Alpha, der mich bedrängt hatte – war wie eine offene Wunde, die nicht heilen wollte.
Ich schaute auf mein Handy und überlegte, ob ich meinen Eltern noch einmal schreiben sollte. Vielleicht würden sie diesmal einlenken, wenn ich ihnen erklärte, wie schlecht ich mich wirklich fühlte. Aber dann hörte ich die Stimme in meinem Kopf, die mir sagte, dass es keinen Sinn hatte. Sie würden nicht zuhören. Sie hatten es noch nie getan.
„Was machst du hier alleine?“
Ich zuckte zusammen, als ich Minhos Stimme hörte. Er stand ein Stück von mir entfernt, die Arme verschränkt, und musterte mich mit diesem typischen Blick, der mir immer das Gefühl gab, dass er mehr wusste, als er zugab.
„Gar nichts“, murmelte ich, wendete den Blick ab und zog meine Knie näher an mich heran.
„Klingt überzeugend.“ Er kam näher, ließ sich neben mir auf die Bank fallen und lehnte sich zurück. „Warum sagst du mir nicht einfach, was los ist?“
Ich schnaubte. „Warum sollte ich?“
„Weil ich es vielleicht wissen will.“
Ich drehte den Kopf zu ihm und sah ihn an. Da war dieses leichte Lächeln, das er immer trug, aber seine Augen wirkten ernst. Fast so, als würde es ihm wirklich etwas ausmachen.
„Es ist nichts“, sagte ich schließlich. „Ich bin einfach nur… genervt.“
„Von mir?“
„Von allem.“
Er nickte langsam, sagte nichts weiter, und ich war fast überrascht, dass er mich nicht weiter drängte. Aber gleichzeitig fühlte ich mich ein kleines bisschen besser, einfach weil er da war. Und das machte mich noch wütender – auf mich selbst, auf ihn, auf alles.
Ich hätte wissen müssen, dass sie mich finden würden. Selbst in meiner halb versteckten Ecke, abseits vom Trubel der Schule, hatten meine Freunde eine Art Radar für mich. Es war nur eine Frage der Zeit.
„Da bist du ja!“ Jeongin war der Erste, der um die Ecke bog, dicht gefolgt von Seungmin. Ihr beunruhigter Blick sagte mehr, als Worte es je könnten.
„Wie geht’s dir? Du siehst… nicht gut aus“, sagte Seungmin vorsichtig, während er sich mir gegenüber auf den Boden setzte.
„Fantastisch“, murmelte ich, mein Kopf schwer gegen die Wand gelehnt.
Chan und Changbin tauchten etwas später auf, hielten jedoch Abstand. Sie blieben einige Schritte entfernt stehen, was ich ihnen ehrlich gesagt nicht verübelte. Der Raum schien mit meinem Duft erfüllt zu sein und obwohl sie versuchten, sich nichts anmerken zu lassen, konnte ich sehen, wie ihre Kiefer angespannt waren.
„Hey“, sagte Chan schließlich, seine Stimme leise und beruhigend.
„Wir wollten nur nach dir sehen.“
„Danke“, murmelte ich, fühlte mich unwohl unter ihren Blicken. Es war, als ob meine Heat wie eine unsichtbare Wand zwischen uns stand.
„Du solltest echt nach Hause gehen“, sagte Jeongin.
„Sag das meinen Eltern“, erwiderte ich bitter.
Das Gespräch war gerade dabei, in diese unangenehme Stille zu kippen, als Jeongin plötzlich inne hielt. Er schielte über meine Schulter, seine Augenbrauen hoben sich.
„Minho? Was machst du hier?“
Ich drehte mich um und entdeckte Minho, der lässig in der Nähe lehnte, die Hände in den Taschen, als ob er gerade zufällig vorbeigekommen wäre.
Natürlich, er war nicht gegangen.
„Ich wollte nach Jisung sehen“, sagte er schlicht und zuckte mit den Schultern.
„Aha.“ Jeongin grinste und wandte sich mit einem wissenden Blick zu mir. „Na, da hat jemand aber einen Beschützer gefunden.“
„Halt die Klappe, Jeongin.“
„Was denn?“ Er lachte, wandte sich aber dann direkt an Minho. „Also, Minho, wie gefällt dir die Schule? Und unser chaotischer Haufen hier?“
„Es ist… interessant“, antwortete Minho mit einem leichten Lächeln, das seine Augen ein wenig zum Funkeln brachte.
„Interessant?“ Seungmin schnaubte. „Das ist alles, was du dazu zu sagen hast?“
„Ich bin nicht wirklich jemand, der große Worte macht.“
„Ach komm, jetzt mal ehrlich.“ Jeongin lehnte sich vor und sah ihn eindringlich an. „Wie kommst du klar mit Jisung? Der kann echt eine Herausforderung sein.“
„Ich sitze direkt hier!“ rief ich empört.
Minho grinste. „Es ist… erfrischend.“
„Erfrischend?“ Seungmin zog eine Augenbraue hoch. „Das ist das diplomatischste Wort, das ich je gehört habe.“
„Was soll ich sagen?“ Minho zuckte mit den Schultern. „Er hat seine Eigenheiten, aber es ist nicht langweilig.“
Die anderen lachten und ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte, die aufkommende Wut zu ignorieren.
„Okay, okay“, sagte Jeongin schließlich und winkte ab. „Erzähl uns lieber, woher du eigentlich kommst. Und warum du hier bist. Du bist echt ein Mysterium.“
Minho warf mir einen kurzen Blick zu, bevor er antwortete.
„Ich bin Austauschschüler. Ich komme praktisch von Überallher.“
„Das ist so ein Standard-Antwort-Satz“, murmelte Felix, was Minho ein Lachen entlockte.
„Es ist die Wahrheit“, sagte er mit einem Schulterzucken.
Das Gespräch wandte sich schnell anderen Themen zu, aber ich bemerkte, dass Minho immer wieder den Blick zu mir schweifen ließ. Es war nicht unangenehm, aber auch nicht etwas, was ich einfach ignorieren konnte. Und obwohl ich es nicht zugeben wollte, war ich froh, dass er da wär.
💘
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro