KAPITEL SIEBEN
Ungefähr eine dreiviertel Stunde, eine Chips-Packung, zwei Gummibärchen-Tüten und zwei Flaschen Cola später erspähte Ally endlich das lang ersehnte Schild.
Lake Louise: Übernachtung, Restaurant und Campingplatz
Inzwischen war es sechs Uhr abends und der Himmel verfärbte sich zu einem wunderschönen orange-rosa, vor dem sich die Berge erhoben. Ich war noch nie so nah an den Bergen gewesen. Um ehrlich zu sein, war ich noch nie weiter gereist, als bis in die Gemeinschaftswohnung meines Bruders in Calgary. Vielleicht faszinierten mich die Berge deshalb auch so sehr. Ich hatte sie einfach noch nie so nah gesehen, obwohl ich nicht einmal sehr weit davon entfernt wohnte. Oder besser gesagt: Gewohnt hatte. Nein! Bloß nicht daran denken, bloß nicht daran denken, du hast gerade so eine gute Zeit, beschwor ich mich selbst.
Wir folgten der Straße und den Schildern, die uns an den ganzen Besucherzentren, Parkplätzen und Hotels vorbei und auf eine schmälere Straße führten, die links und rechts von hohen Tannen und Kiefern und anderen Bäumen bewachsen war.
Da es bereits Herbst war und die Nächte länger wurden fing es bereits an zu dämmern und aus dem Wald wich ein dunstiger Nebel, der dem ganzen eine mysteriöse Stimmung verlieh. Und genau in der Schneise, die die Straße in die Bäume schnitt erhoben sich in der Ferne die Berge.
„Bist du dir sicher, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind?", fragte ich Simon nach einer Weile skeptisch. Wir waren jetzt schon eine Zeit lang auf dieser Straße gefahren und hatten keine weiteren Schilder oder Abzweigungen gesehen und ich begann mir Sorgen zu machen, dass wir vielleicht die richtige Ausfahrt verpasst hatten. Im Rückspiegel konnte ich sehen, wie Simon darauf nur die Stirn runzelte und schief grinste. Cool, er wusste es also auch nicht und wir fuhren gerade nur auf gut Glück weiter.
Doch in diesem Moment kamen endlich die ersehnten Schilder an einer Abzweigung, die uns sagten, dass wir tatsächlich noch auf dem richtigen Weg waren. Von da an dauerte es nicht mehr lange und wir kamen an einer Siedlung mit roten Bungalows vorbei, die wie ein Miniaturdorf angelegt worden waren. Einerseits sah es ja ganz süß aus, aber andererseits hatte ich mit diesem ganzen Touristenquatsch noch nie wirklich viel anfangen können.
Als wir um die nächste Kurve fuhren begann die Straße auf einmal anzusteigen und Simons altes Auto hatte etwas mit der schweren Ladung zu kämpfen. Es tauchte eine weitere Hotelsiedlung zwischen den Bäumen auf und verschwand wieder hinter uns und dann endlich hatten wir unser Ziel erreicht.
„Bravo. Ich dachte schon dieses ewige herum gekurve würde nie enden, mir ist schon ganz schlecht.", kommentierte Ally ihre Ankunft auf ihre trockene Art mit einem Grinsen. Dass ihr schlecht war, war nach den ganzen Gummibärchen auch kein wunder, befand ich.
Die Straße zweigte sich Y-förmig auf und Simon blinkte links, um auf einen bereits relativ vollen Parkplatz zu fahren, der zwischen einigen Sträuchern hervor lugte. Wir hatten Glück, dass viele der Besucher, die nur tagsüber hergekommen waren den Park jetzt wieder verließen und uns Parkplätze frei machten, sodass Simon schnell eine schöne Lücke in einer Ecke weiter hinten fand.
Wir stiegen aus und ich streckte meinen verkrampften Rücken erst mal ausgiebig. Bildete ich mir die knackenden Knochen dabei nur ein? Auch Ally und Simon stöhnten zufrieden, als sie endlich von ihren Sitzen aussteigen konnten.
„Verdammt. Ich fühle mich wie ein 90-jähriger Opa.", seufzte Simon, als er um das Auto herum zum Kofferraum schlurfte, um ihn zu öffnen.
„Das Gute ist", meinte er, während er den Kofferraumdeckel öffnete, „dass das das Auto meiner Mutter ist. Das heißt, wir sind bestens für alles Mögliche vorbereitet, weil sie einfach immer alles dabei hat, was man im entferntesten auf einer Autofahrt brauchen könnte.", eröffnete er uns.
Neugierig, was er damit gemeint haben könnte beugten nun auch Ally und ich uns über den geöffneten Kofferraum. Ganz oben auf lag zu aller erst ein klobiger unförmiger Koffer, den ich nichts zuordnen konnte. Doch als Simon ihn vorsichtig herausnahm erkannte ich, dass es ein Gitarrenkoffer war. Er hatte mir gestern in dem Diner erzählt, dass er Gitarre spielte, daran erinnerte ich mich sogar noch dunkel, aber ich hätte nie gedacht, dass er seine Gitarre tatsächlich mitgenommen hatte. Immerhin war er eigentlich nur zu seiner Tante unterwegs, wann sollte er die Gitarre da schon benutzen?
Er musste wohl meinen skeptischen Blick gesehen haben und grinste schief: „Man weiß nie, und siehe da, die merkwürdige Situation, in der man eine Gitarre brauchen könnte hat sich bereits ergeben.", ich musste grinsen. Er hatte recht, das Schicksal war manchmal schon wirklich seltsam.
Simon lehnte seine Gitarre gegen die Seite des Wagens. Damit war der Kofferraum allerdings noch lange nicht leer. In einer Ecke stapelten sich noch haufenweise Stoffdecken – weshalb auch immer seine Mutter der Meinung war, Stoffdecken in dieser Menge seien wichtig, wenn man mit dem Auto unterwegs war. Er nahm sie heraus und drückte sie mir in die Hand. Als nächstes wühlte er noch ein wenig zwischen dem Erste-Hilfe-Set und einer zusammengeschnürten Luftmatratze herum und zog schließlich einige Stofftüten hervor, die er Ally entgegen hielt, mit den Worten: „Pack da mal den ganzen Süßkram und die Getränke rein...Ach ja, und die Weinflasche auch.", er rollte ihr die Glasflasche im Kofferraum zu und Ally warf sie mehr oder weniger unachtsam in eine der Stofftaschen. Dann ging sie nach vorne, um den Süßkram vom Beifahrersitz einzusammeln, der sich über die Fahrt im ganzen Auto verteilt hatte.
Als Ally sicher war, dass sie alle Snacks gefunden und eingetütet hatte und Simon sich die Gitarre um die Schulter gehängt und die Luftmatratze in die Hand genommen hatte schloss er das Auto ab. Daraufhin bekam er von Ally erst mal einen riesigen Anschiss, weil sie ihr Skateboard noch nicht hatte herausholen können.
Also schloss er das Auto mit einem Klicken und einem gespielt dramatischen Seufzen wieder auf und Ally zog ihr Skateboard aus dem Fußbereich des Beifahrersitzes hervor.
„Darf ich?", fragte er mit einem ironischen Grinsen und drückte auf seinem Schlüssel erneut auf Verriegeln.
Dann gingen – oder in Allys Fall rollten – wir los. Sie war immer einige Meter vor uns, fuhr Schlangenlinien und versuchte einige Tricks ohne mit den ganzen Tüten das Gleichgewicht zu verlieren. Ich bewunderte die Leichtigkeit, mit der sie sich in den Kurven in die Schräge legte, ohne dass sie ins Wanken geriet. Ich hatte mir auch schon mal überlegt anzufangen Skateboard zu fahren, aber das war etwas für Jungs gewesen, ich hatte mich nicht getraut, die Grenzen zu überschreiten. Ich bewunderte sie dafür, dass sie einfach das machte, was sie wollte. Sie kümmerte sich nicht um das, was andere über sie sagen könnten.
Es dauerte eine Weile, bis wir endlich den Gebäudekomplex des Hotels erreicht hatten, aber dagegen hatte keiner von uns etwas nach der langen Autofahrt einzuwenden. Die Möglichkeit, sich mal wieder ein bisschen die Beine zu vertreten kam uns allen gelegen. Es waren zwei große Hotelriesen, die vor uns aufragten. Vermutlich hatten die Architekten versucht, sie luxuriös aussehen zu lassen, aber irgendwie hatte das nicht so ganz funktioniert. Ich persönlich fand sie grässlich.
Bevor wir in den Empfangsbereich eintraten sprang Ally von ihren Skateboard und klemmte es sich unter den Arm. Mit dem Rücken lehnte sie sich gegen die Tür, sodass sie aufschwang und wir traten alle mit voll beladenen Armen ein. Wir mussten einen merkwürdigen Anblick geliefert haben.
Als wir den Empfangsbereich betraten kam ich mir erst mal furchtbar fehl am Platz vor. Von der Decke hing ein riesiger Kronleuchter, der Boden war mit Teppich ausgelegt, die Treppen aus glänzendem Holz und alle Gäste und Angestellten unterhielten sich leise und kultiviert. Vielleicht hätten wir doch googeln sollen, welche dieser Übernachtungsmöglichkeiten die Snob-Version war, denn ich befürchtete, dass wir sie eben gefunden hatten. Aber Ally war mal wieder strickt dagegen gewesen. Jetzt wussten wir es auch so. Manchmal fragte ich mich, ob Ally das absichtlich tat, nur um zu sehen, wie andere Menschen reagierten, wenn sie diese unsichtbaren Grenzen der Gesellschaft übertrat.
Gemeinsam traten wir an einen freien Tresen. Der Mann, der dahinter stand, blickte auf und schaffte es gerade noch so seine professionelle Mine aufrecht zu erhalten.
„Wie kann ich Ihnen behilflich sein?", fragte er dann mit einer sanften Stimme. Er war definitiv für den Kundenumgang geschaffen, entschied ich.
„Haben Sie noch Zimmer frei?", kam Ally ohne große Höflichkeitsfloskeln sofort zur Sache.
„Das hängt ganz davon ab, was Sie suchen.", antwortete er und begann auf seinen Computer geschäftig herum zu klicken. „Wir hätten noch zwei Zimmer mit Einzelbett, eines mit zwei Einzelbetten und eines mit einem Doppelbett. Leider sind wir bereits fast ausgebucht und ohne Reservierung kann ich Ihnen nicht mehr zu Verfügung stellen. Ich weiß nicht, wie Sie sich arrangieren möchten?", Ally sah Simon an, Simon sah mich an und ich sah Ally an. Ich zuckte mit den Schultern. Die Auswahl war ja nicht so groß, ich konnte mir schon vorstellen, worauf es hinaus laufen würde: Eine kuschelige Nacht. Egal welches Zimmer wir nahmen.
„Mir ist es egal.", dann fiel mir noch etwas Wichtiges ein: „Können Sie uns die Preise für diese Zimmer nennen?", bat ich den Mann hinter dem Computer. Sofort begann er mehrere Zahlen inklusive und exklusive Frühstück, Spa-Bereich und anderen Freizeitbeschäftigungen runter zu rattern und wir hatten alle drei Schwierigkeiten mit ihm mitzuhalten. Als er fertig war blickte er wieder zu uns auf und wartete mit einem freundlichen Lächeln auf eine Antwort.
Mit gerunzelter Stirn sah ich zu den anderen beiden. „Ich weiß ja nicht, wie es um euch steht, aber ich bin seit heute Mittag pleite.", gab ich zu und hob entschuldigend die Arme in die Höhe. Alle Preise die er genannt hatte waren nicht grade exorbitant teuer gewesen, aber es war mehr, als ich vermutete, dass wir würden zahlen können. Simon und Ally begannen sofort all ihre Sachen auf den sauberen Teppich fallen zu lassen und in ihren Jacken und Hosentaschen zu kramen, dann legten sie ihr Geld zusammen.
„Wir sollten uns auf jeden Fall noch genug für Benzin und Essen zurück legen.", warf Simon ein und zog wieder einige der Scheine von unserem Haufen zurück. Nachdem wir alle möglichen Kosten abgezogen hatten, die im Laufe unserer Reise noch entstehen könnten blieb nicht mehr viel übrig.
Mit einem entschuldigenden Lächeln meinte der Mann hinter dem Empfangstresen: „Es tut mir wirklich sehr leid, aber wenn ich Ihr Gespräch so mit anhöre, dann muss ich leider zu bedenken gegen, dass wir für diese Summe höchstens das Einzelzimmer mit Doppelbett zur Verfügung stellen können.", und erneut sah Ally Simon an, Simon mich und ich Ally.
„Ok, das passt.", meinte Simon schließlich und mit einem professionellen Lächeln reichte uns der Mann eine Karte, mit der wir unser Zimmer würden entriegeln können und eine kleine Summe an Rückgeld. „Zweiter Stock, den Gang nach links, bis fast ans Ende."
Ich nahm die Karte entgegen, steckte sie in meine Hosentasche, dann hoben wir unseren Kram wieder vom Boden auf und begaben uns auf die Treppe zu, die nach oben führte.
Erst als wir alleine und schwer atmend im Gang des zweiten Stockes standen löste sich unser Schweigen wieder. „Ich fasse es nicht, dass er das gemacht hat?!", rief Ally aufgedreht. Ich musste ihr gedanklich zustimmen. Ich war auch davon ausgegangen, dass sie uns wieder rausschmeißen würden und uns an ein billigeres Hotel verweisen würden wo wir besser hinpassten oder so. Dass er drei jungen Erwachsenen ein Zimmer mit nur einem Doppelbett verkauft hatte war schon verrückt.
Als wir die Tür mit der richtigen Nummer gefunden hatten verlagerte ich die ganzen Decken auf meinen linken Arm, während ich mit meiner rechten Hand die Karte hervorzog und die Tür entriegelte und aufstieß. Gleichzeitig betraten wir alle den Raum.
Erleichtert ließen wir unsere gesamten Sachen einfach auf das Bett fallen und sahen uns um. Der Raum war nicht sonderlich groß, sah aber edel aus. Die Bettdecke war aus einem weichen glänzenden Stoff, die Möbel waren auch hier – wie bereits im Empfangsbereich – aus einem dunklen glänzenden Holz und der Boden war mit einem golden gemusterten Teppich ausgelegt. Neugierig warf ich einen Blick ins Bad. Es war mit Marmor gefliest und roch nach Putzmittel. Der Spiegel war in einen großen goldenen Rahmen eingefasst und rechts und links daneben hingen zwei funkelnde Lampen an der Wand. Ich traute mich nicht, irgendetwas anzulangen, um ja keine Abdrücke darauf zu hinterlassen.
„Halleluja!", rief Ally erleichtert, als sie hinter mir in der Badetür erschien. „Ich muss schon seit einer halben Ewigkeit auf die Toilette.", mit diesen Worten schob sie mich aus dem Bad raus und knallte mir die Tür vor der Nase zu.
Ich setzte mich zu Simon aufs Bett. „Und? Was haben wir jetzt vor?", fragte ich ihn. Er nahm sein Handy raus um auf die Uhr zu schauen. Doch dann viel ihm auf, dass es ja ausgeschaltet war, deshalb steckte er es wieder zurück in seine Hosentasche und sah statt dessen auf die kleine Nachttischuhr neben dem Bett. „Es ist jetzt fast 19:00 Uhr. Wir könnten runter gehen und uns den See anschauen und dann mal gucken, wie wir den Abend verbringen...Und wir sollten die Bettsituation nochmal durchsprechen.", meinte er mit einem verlegenen Grinsen.
„Und dein Bruder hat heute angerufen...12 Mal. Aber das weißt du vermutlich schon selbst, weil ich dir vorhin mein Handy zum Ausschalten gegeben habe. Er macht sich wohl wirklich Sorgen um dich. Ich glaube du solltest ihn zurück rufen.", fügte er dann mit einem noch verlegenen Grinsen hinzu und wies mit dem Kinn auf das Telefon das auf einem der Nachtkästchen stand. Als ich mich nicht rührte und auch nicht antwortete beugte er sich zu dem Nachttisch und reichte mir den Hörer. Ich nahm ihn entgegen. Er lag kalt und schwer in meiner Hand.
Die Matratze bewegte sich. Als ich aufsah war Simon aufgestanden. „Ähm, ich geh dann mal...also, ähm, den Eiswürfelautomaten suchen.", überlegte er und verschwand dann aus unserem Zimmer. Mir war klar, dass er nicht wirklich vor hatte, den Eiswürfelautomaten zu suchen, aber ich rechnete es ihm dennoch hoch an, dass er mir diese Privatsphäre mit meinem Bruder schenken wollte.
Ich wählte die Nummer von Josh und hielt mir das Telefon ans Ohr. Es piepte genau ein mal, bis er ran ging.
„Hallo?"
„Hey.", sagte ich nur.
„Oh Gott, bin ich froh, dass du anrufst, Kit-Kat. Ich hab's schon den ganzen Tag versucht. Himmel, ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.", war das erste, was er mir entgegenwarf, dann hörte ich ihn einmal tief ausatmen.
„Josh, es tut mir leid. Ich habe dir doch gesagt, dass alles in Ordnung ist, du hättest nicht anrufen müssen.", das meinte ich nicht wirklich ernst. Ich war ehrlich gesagt ziemlich froh, seine vertraute Stimme hören zu können.
„Doch musste ich.", meinte er. Ich konnte das Schmunzeln in seinen Worten hören. Ok, Josh war nicht dumm, natürlich hatte er es verstanden. Er kannte mich einfach zu gut.
„Ja, ok, musstest du...", ich brauchte kurz, bevor ich den nächsten Satz heraus bekam. „Hat Papa bei dir angerufen?"
„Ja, heute Vormittag. Er hat's mir erzählt, Kit-Kat. Und er schämt sich für sein Verhalten zu Tode. Er macht sich auch Sorgen um dich... es ist schwer für ihn von heute auf morgen zu akzeptieren, was für dich seit Jahren Teil deiner Persönlichkeit ist. Es hat ihn überrumpelt."
„Das hat es wohl."
„Kath, wieso hast du nicht mit mir geredet?", es war kein Vorwurf, es war einfach nur eine Frage. Eine berechtigte Frage.
„Kann ich dir nicht sagen. Ich weiß auch nicht, ich habe mich nicht getraut. Ich weiß, das ist dumm...", „Ach was! Gib dir nicht die Schuld daran! Ich will nur sichergehen, dass du weißt, dass du immer mit mir reden kannst, ok, Kit-Kat?"
„Ja, ich weiß.", meine Stimme war leise, aber ich wusste, dass er mich noch hören konnte. Irgendwie schaffte er es mit diesen wenigen Worten die ich ja eigentlich ohnehin schon wusste mein Herz zu füllen und mich strahlen zu lassen.
„Und, Kit-Kat? Ich habe Mum angerufen. Ich weiß du wolltest das nicht, aber ich hatte Angst um dich, ich wollte nur, dass du es weißt. Sie freut sich, ich soll dir sagen, wie lieb sie dich hat und dass du sie auch jederzeit anrufen kannst, wenn irgendwas ist."
„Oke...Danke, Josh. Wirklich, ich glaube, es ist besser so.", überlegte ich ehrlich. Gestern noch hätte ich das als Verrat betrachtet, aber jetzt... fühlte es sich an, als wäre eine Last von meinen Schultern genommen worden. Ich hatte jetzt ein Ziel. Ich flüchtete nicht weiter, jetzt rannte auch ich auf einen Neuanfang zu. Dieser Gedanke brachte mich zum lächeln. Es war halt doch alles miteinander verwoben und man konnte das eine nicht ohne das andere tun.
Die Spülung im Bad röhrte.
„Hey, Josh, ich muss jetzt Schluss machen, aber ich rufe dich an, wenn ich bei Mum bin."
„Versprochen?", fragte er.
„Versprochen."
„Ich hab dich lieb, pass auf dich auf, kleine Schwester."
„Mach ich...großer Bruder.", wir mussten beide grinsen, dann legten wir gleichzeitig auf.
Ally öffnete die Tür und warf sich zu mir aufs Bett. Sie verschränkte die Arme hinter dem Kopf und blickte mich aus den Augenwinkeln an. „Habt ihr schon irgendetwas geplant?", fragte sie. Dann sah sie sich verwirrt um.
„Hey, wo ist dem Simon?"
In dem Moment ging die Tür auf und Simon kam wieder herein. Allys durchdringender Blick heftete sich auf ihn.
Wie durch Zufall antworteten wir beide gleichzeitig. „Eiswürfel!"
„Hm.", Allys Augenbrauen wanderten ihre Stirn hinauf. „Ich muss nicht alles wissen. Also: Was machen wir jetzt?"
„Wir wollten runter zum See gehen.", meinte ich. Sie grinste, bereits wieder irgendeinen von ihren unerwarteten Plänen im Hinterkopf. „Cool. Ich hatte eine bessere Idee.", war ja klar, ich begann mich inzwischen regelrecht auf ihr hinterlistiges Grinsen zu freuen. Es stand ihr unverschämt gut.
„Wieso chillen wir nicht einfach jetzt noch ein bisschen hier und gehen dann, wenn es Nacht ist raus, dann haben wir auch unsere Ruhe, weil die ganzen Touris weg sind.", meinte sie. Ich verstand nicht so richtig worauf sie hinaus wollte und zog nun meinerseits fragend eine Augenbraue in die Höhe, das konnte keines Falls ihr ganzer Plan sein. „Und dann?", hakte ich also nach.
„Und dann.", griff sie meine Frage auf. „Werden wir Spaß haben und einfach mal abschalten." ihr Blick flog zu der Weinflasche. Jetzt verstand ich und grinste. Ich wusste nicht, weshalb ich sie anlächelte. Vermutlich weil ich selbst noch nicht so recht wusste, was ich von dieser Idee halten sollte. Wo war ich hier nur rein geraten? Ally war schon neunzehn und Simon war definitiv auch schon über zwanzig. Ich allerdings nicht. Streng genommen durfte ich noch nicht einmal trinken und ich hatte es auch noch nie getan, ich war niemand, der einfach so gegen Regel verstieß. Es bereitete mir ein mulmiges Gefühl im Magen, daran zu denken, dass sich das in wenigen Stunden vielleicht ändern würde. Als ich Simon ansah, um zu sehen, was er von dieser Idee hielt, blickte er ganz entspannt. Vielleicht lag es wirklich nur an mir, ich seufzte. Ich merkte, wie ich bereits wieder begann alles zu analysieren.
„Was ist so schwer?", fragte mich Ally mit dramatischer Stimme. Ich wollte nicht darüber reden, sie würden es nicht verstehen, also antwortet ich schlicht in einer ebenfalls überdramatisierten Stimme: „Das Leben!", dabei griff ich mir theatralisch mit einer Hand ans Herz und hielt mir die andere gegen die Stirn, dann lies ich mich in die Kissen fallen und spielte tot. Simon und Ally lachten. Das Leben, tja, das war doch eine wahrhaft philosophische Aussage gewesen.
Auf einmal schlug mir etwas mit voller Wucht ins Gesicht und ich schrie erschrocken auf. Es war ein Kissen. Ally hatte mich doch glatt mit einem Kissen beworfen. Das würde ich nicht auf mir sitzen lassen. Und dann brach das Chaos aus. Jeder von uns griff so schnell er konnte nach den größten Kissen und warf sie den anderen an den Kopf und auf den Rücken und... naja, wohin sie halt vielen. Als Simon eines mit voller Wucht auf mich schleuderte duckte ich mich in letzter Sekunde darunter durch und fühlte mich für eine Sekunde, wie ein Ninja. Dann krachte es hinter mir. Erschrocken drehte ich mich um, Simons Kissen hatte eine Nachttischlampe zu Boden gerissen, die jetzt in ihren eigenen Kabeln verheddert am Boden lag. Erschrocken hielt er sich die Hände vor den Mund.
„Ist noch ganz!", entwarnte Ally, dann warf sie ihr Kissen gegen seine Seite und der Krieg begann von neuem. Mein Herz raste. Mein Körper war voller Glücksgefühle. Mein Kopf schaltete aus, ich liebte diese Momente, in denen ich nicht mehr nachdenken musste und einfach im jetzt leben konnte. Ich lachte und wehrte mit meinem Arm ein Kissen von Ally ab.
Mit der Zeit wurden die Kissen immer schwerer und irgendwann lagen wir einfach nur noch schwer atmend auf dem Bett und starrten gegen die Decke.
„Das ist verrückt.", flüsterte ich. Ich hatte es eigentlich nur zu mir selbst gesagt, doch Simon lachte heißer und stimmte mir zu. „Ja, ist es, meine Tante killt mich, wenn ich nicht noch heute Abend bei ihr aufkreuze.", stöhnte er und rieb sich mit den Händen über das Gesicht.
Ally drehte sich auf den Bauch, was das gesamte Bett zum wackeln brachte und sah ihn an: „Du weißt aber, dass sie dich nicht dafür verklagen kann, dass du dein Leben lebst. Sie sollte dir dankbar sein, dass du das überhaupt für sie machst.", meinte sie mit einem schiefen Grinsen. Ihre Augen sprühten Funken. Goldene Funken aus ihren fast schwarzen Augen, mir war zuvor noch überhaupt nicht aufgefallen, wie außergewöhnlich hübsch ihre Augen waren. Ich zwang meinen Blick wieder an die Decke, Leute anstarren war unhöflich.
„Keine Ahnung. Ja. Nein. Vielleicht. Für dich ist so etwas leicht, du hast dich noch nie um Regeln geschert, nicht mal, als du dir mit fünfzehn die Tattoos hast stechen lassen. Von dir erwarten die Leute nichts.", meinte er nur. Ich konnte ihn zu gut verstehen. Die Menschen stellten keine Ansprüche an sie. Ally zuckte nur mit den Schultern:„Es ist nie zu spät, Dinge zu ändern. Und überhaupt: Dein Handy ist aus, sie kann dich gar nicht anrufen, also hör auf darüber nachzudenken. Das ist lediglich verschwendete Zeit.", dann wühlte sie sich aus der eingesunkenen Matratze hoch und stand auf.
Simon und ich blieben einfach noch auf dem Bett liegen und hingen jeder seinen Gedanken nach während Ally begann, alles, was ihrer Meinung nach heute Abend von Nutzen sein könnte, in eine Tüte zu stopfen.
„Kommt, hoch mit euch!", rief sie uns schließlich zu und klatsche in die Hände um uns zum aufstehen zu bewegen. Ich knurrte nur demotiviert und hielt mir die Augen zu. Ally machte kurzen Prozess und griff mich an den Beinen und zog mich vom Bett. Verdammt, sie war stärker, als ich erwartete hatte, erschrocken hielt ich mich an der Decke fest. Doch das half auch nicht viel. Ally zog mich einfach mitsamt der Decke und einigen einzelnen Twix Packungen auf den Boden, auf dem ich mit einem dumpfen Knall aufkam.
„Uhh, Kath, du klingst ja wie die Lampe, als ich sie von dem Nachttisch gefegt habe, denkst du, mit dir ist alles in Ordnung?", fragte Simon aus Spaß und grinste über seinen eigenen schlechten Witz. Ich grinste gequält zurück und rieb mir den schmerzenden Ellbogen „Ja, ich klinge immer, wie eine billige Möchte-Gern-Luxuslampe, wenn ich auf den Boden geworfen werde."
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