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KAPITEL ELF

Ally hielt die Landkarte quer in der Hand und verfolgte eine Linie darauf mit dem Zeigefinger. Ihre Nägel waren kurz. Alle. Sehr kurz. Und sehr hübsch. Konnten Nägel hübsch sein? Wenn nicht so wären Allys Nägel die ersten hübschen.

„Kommt bald die Abfahrt?", wollte Simon ungefähr zum hundertsten Mal wissen und versuchte selbst einen Blick auf die Karte zu erhaschen.

„Hey! Schau gefälligst auf die Straße!", wies ihn Ally augenblicklich zurecht und verschanzte sich nur noch weiter hinter der Landkarte.

So ziemlich exakt seitdem wir auf den Highway Nummer 93 gefahren waren hatte Simon andauernd Angst, er würde die richtige Abfahrt verpassen. Inzwischen war nicht nur Ally davon genervt sondern ich auch und das sollte etwas heißen.

„Du weißt, dass wir es heute nicht mehr schaffen, wenn wir die Ausfahrt verpassen.", erinnerte er sie gefühlt zum hundertsten Mal und unterlegte das ganze mit einem seiner besorgten Hundeblicke. Simon war so regelbewusst, dass er niemals im Leben einfach so auf dem Highway wenden würde.

„Ja! Das weiß ich, Simon, jetzt stress dich nicht so, da wird man ja ganz verrückt.", antwortete Ally mit einem Augenrollen und drehte die Karte um 90° nach links. Daraufhin schwieg Simon demonstrativ für die nächste halbe Stunde, während ich sehr interessiert aus dem Fenster starrte (links Wasser und Berge, rechts Berge und Bäume) und Ally alle paar Sekunden ihre Karte herumdrehte und geräuschvoll damit raschelte.

„Harrrrg.", mit einem Aufstöhnen lies sie die Karte auf ihren Schoß fallen und blickte Simon entschuldigend an. „Es tut mir leid, das vorhin war vielleicht wirklich ein bisschen arg zickig. Verdammt. Dabei bin ich doch gar keine Zicke, sondern mache mich über die eigentlich immer lustig. Ach, komm schon, jetzt verzeih mir halt.", schmollend schob sie ihre Unterlippe nach vorne und tat so lange auf kleines armes 5-jähriges Mädchen, bis selbst der beleidigte Simon nicht mehr böse mit ihr sein konnte und lachen musste.

„Oke, oke, ist ja gut, du hast gewonnen. Wieso kann ich eigentlich nie sauer auf jemanden sein, das ist eine ernst zu nehmende Schwäche.", beschwerte er sich spaßeshalber.

„Will jemand Musik anmachen?", fragte ich, jetzt da die Situation sich wieder entschärft hatte.

„Oh, ja auf jeden Fall.", stimmte Ally zu und öffnete bereits das Handschuhfach. Während sich sämtliche Hüllen über ihre Beine ergossen schlug ich noch vor: „Hey, Simon, willst du mal was aussuchen? Du kennst dich doch am besten mit deiner Musik aus, ich würde wirklich gerne wissen, was du so am liebsten von dem ganzen Kram hörst."

Mit einem schiefen Grinsen drehte er sich kurz zu mir um. „Oke, aber ich muss dich warnen: Ich bin mit meinem Musikgeschmack nicht bis in die Chart Liste vorgedrungen. Das heißt du wirst vermutlich gleich von einer Reihe No-Name-Songs erschlagen.", lachte er.

„Mir egal.", gab ich zurück, gespannt was ich gleich zu hören bekommen würde. Ally tippte nervös mit ihren Fingern auf der Karte auf ihrem Schoß herum und wartete, bis Simon ihr sagte, nach was sie suchen sollte.

Einige Minuten später hatte Ally endlich die gesuchte CD gefunden und öffnete die Hülle. Sie nahm die CD vorsichtig heraus und schob sie in den Player des Autos ein. Dann machte sie sich daran, wieder alle Hüllen zurück in das Handschuhfach zu stopfen, woran sie allerdings kläglich zu scheitern schien. Sie drückte und presste und verlor viel zu schnell die Geduld.

„Warte, lass mich... ", begann ich und streckte schon eine Hand zu ihr nach vorne aus, um sie daran zu hindern, noch irgendeine dieser Hüllen zu Krümeln zu zerdrücken, als mir auf einmal laut und dröhnend die ersten Akkorde der CD entgegen wehten. Vor Schreck wäre ich beinahe gegen die Decke gehüpft, was ich glücklicherweise gerade noch verhindern konnte. Statt dessen schlug ich allerdings Ally mit meinem Arm gegen die Wange. Vor Scham lief ich rot an und überschüttete sie mit Entschuldigungen.

„Alles gut, hat nicht weh getan.", beteuerte sie zum sechsten Mal und ich entschuldigte mich erneut. „Simon, was ist das?", brüllte sie ihm über das Dröhnen der Musik hinweg.

„Sag bloß, das weißt du nicht? Von uns dreien hätte ich dich noch am meisten als den edgy alternativen Hipster eingeschätzt.", brüllte er zurück. „Das ist französisch und Indie! Ally ich bin schwer enttäuscht!"

„Ja, ist okay, ich bin ein Kulturbanause und habe stereotypisch versagt, abgehakt, aber was ist das?", fragte sie erneut.

Das, meine Liebe, ist Adélaïde von Requin Chagrin!", rief er ihr zu.

„Was?", entglitt es ihr entgeistert. „Das ist Requin Chagrin? Meine Güte, wieso haben die so viel Energie?"

Simon lachte. Vor lauter Überraschung nahm Ally ihre Hände von dem Handschuhfach, das sie mehr schlecht als recht zugehalten hatte, sodass sich erneut alle Hüllen über den Beifahrersitz ergossen.

„Ally, lass mich das machen. Ich krieg noch die Krise, wenn ich dir nochmal dabei zusehen muss.", rief ich ihr ins Ohr während die Band über uns hinweg musizierte. Ally nickte, als Zeichen, dass sie verstanden hatte. Wir schnallten uns beide ab und sie quetschte sich mitsamt der Landkarte zu mir nach hinten, während ich bereits mit einer Hälfte meines Körpers auf dem Beifahrersitz saß.

Und in dem Moment sausten wir an einer Abfahrt vorbei.

Wie entgeistert blickte Simon zu Ally. Beziehungsweise: Er schaute auf ihre Beine, weil sich der Rest von ihr inklusive der Landkarte schon im hinteren Teil des Wagens befand.

„Ally.", brüllte er.

„Was.", ein Büschel roter Haare tauchte hinter mir auf und endlich schafften wir es, uns endgültig aneinander vorbei zu quetschen, sodass ich schwer atmend neben Simon landete.

„Sag mir nicht, dass das unsere Abfahrt war.", meinte er besorgt.

„Was? Was denn für eine Abfahrt, ich sehe keine Abfahrt."

„Natürlich nicht, weil wir schon daran vorbei gefahren sind!", rief er ihr leicht panisch zu.

„Ach so. Nene, das war eine andere Abzweigung.", verwarf sie seine Sorgen mit einer laschen Handbewegung.

„Bist du dir da sicher.", hakte er nach.

„Jaja, unsere Abfahrt kommt erst noch irgendwann."

„Du weißt aber schon, was jaja bedeutet, oder?", warf ich mit einer nach oben gezogenen Augenbraue ein.

„Ja, richtig, Ally.", Simon lachte.

„Öhm.", zögerte Ally, die sich offensichtlich in einer Zwickmühle zu befinden schien. „Nein. Also, eigentlich ja, ich weiß es, aber für den Moment sage ich einfach mal nein, weil mir das taktisch klüger erscheint.", meinte sie. Wir lachten.

Aber ich hatte Simons Frage und Ally ausweichende Antwort gedanklich noch nicht abgehakt. Ich bekam so ein Gefühl, dass da irgendwas im Busch war. Ally war mit Sicherheit schon wieder dabei ihren verdammt riesigen Dickschädel durchzusetzen. Und ich wusste, dass sie es auch geschafft hatte. Denn diese Abfahrt wäre unsere gewesen. In Kanada gab es nicht so viele Abzweigungen, die einen irgendwo hinführten. Und wir waren an der einen vorbei gefahren, die nach Edmonton geführt hätte. Aber da ich es für schlauer hielt, Simon selbst drauf kommen zu lassen, hielt ich meine Klappe und überließ es dem Schicksal, ihm die frohe Botschaft zu überbringen. Insgeheim musste ich lächeln. Ally war einfach genial.

„Fünf Favoriten", sagte Simon

„Was?", keine Ahnung, was er damit meinte, aber ich vermutete, dass es eins von diesen Frage Antwort Spielchen sein würde, die auf langen Autofahrten ja so beliebt waren.

„Kennst du nicht? Dann wird's ja aller höchste Zeit.", meinte er schmunzelnd.

„Einer überlegt sich fünf Oberbegriffe und die anderen müssen dann zu jedem dieser Begriffe ihren Favorit nennen.", erklärte er.

„Check ich nicht.", gab ich zu. Also, ehrlich, Simon war wie ein kleiner Sonnenaufgang, aber Erklären war nicht seine Stärke.

„Fang einfach an, sie versteht's dann schon.", meinte Ally. „Das wird lustig, vertrau mir. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel man bei diesem Spiel über andere Leute erfährt.", sie grinste. Ich war mir nicht sicher, ob ich das spielen wollte. Aber worum ging es mir eigentlich? Geoutet hatte ich mich ja irgendwie indirekt schon und vor welchen Fragen sollte ich mich sonst fürchten. Es waren doch nur Fragen. Arrrg, wieso konnte ich mein Hirn bei solchen Sachen nicht einfach abschalten. Innerlich zerrte ich mir dafür an den Haaren.

„Auch gut, soll ich anfangen, oder willst du, Ally?", unterbrach Simon meinen innerlichen Zickenkrieg mit mir selbst.

„Du.", puh, zum Glück. Hätte Ally die Überbegriffe genannt wäre ich jetzt vermutlich schon um einiges gestresster. Himmel, was passierte nur mit mir?

„Oke, lass mich kurz überlegen.", eine Weile lang sagte niemand etwas und Simon überlegte sich fünf Oberbegriffe.

„Also, bereit?", unterbrach er die Stille und drehte die Lautstärke der Musik ein bisschen runter, damit wir uns besser verstehen konnten.

„Yes, Sir.", Ally salutierte.

„Film, Geruch, nostalgische Kindheitserinnerung, guilty-pleasure Song, und einen nie erfüllten Wunsch."

„Fang du an, Kath.", forderte Ally mich auf. Wie? Wieso immer ich? Gott, was sollte ich nur sagen?

„Und wage es ja nicht, nachzudenken, sag einfach das erste, was dir in den Sinn kommt.", setzt sie lächelnd hinzu. Wieso wusste sie, dass ich zum alles-überdenken neigte?

Na gut. Was mochte ich? „Léon: The Professional, Herbstluft, als mein Bruder und ich als Kinder in unserem sehr unspektakulären Garten Indiana Jones nachgespielt haben, The Passenger von Iggy Pop – den hat mein Papa früher immer angehört und wir haben dazu in der Küche getanzt, sorry, falls das jetzt schon wieder als nostalgische Erinnerung zählt – und als Wunsch... vielleicht einmal all meine Haare abschneiden?", ich lachte, innerlich und äußerlich. Und ich war stolz auf mich, dass ich über Papa gesprochen hatte, ohne in Tränen auszubrechen. Auch das unangenehme Ziehen in der Brust war weniger schlimm als gestern noch. Was würde ich nur ohne die beiden hier tun?

„Warte was, Léon: The Professional mit Jean Reno und Natalie Portman? Ich wusste gar nicht, dass du auf solche kontroversen Filme stehst.", stieß Simon sofort hervor.

„Oh mein Gott, dein Bruder ist ein richtiger Engel, in den könnte ja sogar ich mich verlieben.", lachte Ally. Öhm, okay, das lies ich jetzt mal so stehen.

Iggy Pop? Ernsthaft, wenn du suchst findest du die bestimmt auch auf irgendeiner CD im Handschuhfach.", machte Simon ohne Punkt und Komma weiter.

„Warte, was."

„Stopp, nochmal."

Beide sahen mich an – was mir in Simons Fall ordentlich zu denken gab, man hatte nicht ohne Grund vorne im Auto eine Scheibe zum raus gucken eingebaut. Mir wäre es lieber, er würde dieser aktiv seine Aufmerksamkeit schenken. Und dann keuchten beide im Chor: „Du willst deine Haare abschneiden?"

„Kathleen, du hast so schöne Haare.", heulte Simon ihnen bereits nach, obwohl sie immer noch fest auf meinem Kopf waren.

„Das kannst du nicht machen. Du siehst aus wie Kristen Stewart in American Ultra, nicht jeder sieht aus wie Kristen fucking Stewart!", setzte Ally hinzu. Okay, ich wusste noch nicht, was ich von dieser Bemerkung halten sollte. Also, eigentlich wusste ich das schon, aber...Halt! Stopp! Ich konnte mich nicht einfach in die erstbeste Lesbe verknallen, der ich über den Weg lief.

„Ähm... ", setzte ich an, ohne recht zu wissen, was ich eigentlich sagen wollte.

„Sieh einer an, Kath, du bist ja ein richtiger kleiner Rebell.", Ally begann zu lachen und wir stimmten alle mit ein. Ally wuschelte mir durch die Haare, die ich mittlerweile aus der Katastrophe eines Zopfes befreit hatte und die mir wellig über die Schultern hingen. Ich spürte ihre kalten Fingerspitzen auf meiner Kopfhaut.

„Ich wollte schon immer mal Haare schneiden.", fügte Ally dann gedankenversunken und mit einem schiefen Grinsen an.

Okay. Nein. Nein, nein, nein. Sicherlich nicht.

„Hör mal. Wie lange brauchen wir denn jetzt noch, bis zu unserer Abfahrt.", wechselte Simon besorgt das Thema und lies sowohl Ally als auch mich ruckartig Inne halten.

„Ally?", hakte er nach. Inzwischen wusste er, dass irgendwas im Busch sein musste.

„Simon, nimm's mir jetzt bitte nicht übel... aber das vorhin wäre unsere Abfahrt gewesen.", gab Ally zu und sah dabei möglichst zerknirscht drein.

„WAS?", Simon trat in die Eisen und der Wagen kam schlingernd und quietschend zum stehen, was kein Problem war, da wir die einzigen weit und breit auf dem Highway waren. Zum Glück!

„NICHT DEIN ERNST?", rief er entsetzt und drehte sich zu ihr nach hinten um.

„Doch?", inzwischen sah Ally wirklich zerknirscht drein. „Simon, bitte, es tut mir leid, dass ich nichts gesagt habe, das war nicht fair, aber du hättest niemals zugestimmt, weil du nicht loslassen kannst.", verteidigte sie sich.

„Ally. Ich habe dir vertraut. Ich kann es nicht fassen, dass du mich angelogen hast, du weißt genau, dass meine Tante keinen Spaß versteht und meine Geschwister keine 10 Minuten allein gelassen werden können."

„Ja, ich... ", setzte Ally an.

„Nein! Ally, einfach nein! So was kannst du nicht machen. Also, ich meine, was mach ich jetzt?"

„Simon.", sagte ich vorsichtig und streckte eine Hand nach seinem Arm aus.

„Nein, nicht du auch noch Kathleen. Du verstehst das nicht, meine Eltern müssen alle beide von morgens bis abends arbeiten, damit wir uns das Haus mit dem verschwindend winzigen Garten überhaupt leisten können und meine kleine Schwester hat ADHS, sie braucht jemanden, der für sie da ist. UND ICH BIN NUN MAL DIESER VERDAMMTE JEMAND. Ihr könnt nicht einfach darüber bestimmen, was meine Aufgabe in dieser Familie ist. Ich weiß, dass ich nicht ihr Daddy bin, aber ihr Daddy arbeitet den ganzen Tag, damit sie einen Garten zum Spielen hat und eine gute Zukunft, die ihr ein schönes Leben ermöglicht. Das kannst du nicht einfach so ändern, Ally.", voller Enttäuschung schlug er mit der flachen Hand auf das Lenkrad und die Hupe ertönte unangenehm laut und schrill. Ich zuckte zusammen und nahm meine Hand wieder zurück.

„Verdammte Scheiße, Simon, das tut mir leid, aber du sprichst ja nie darüber, woher hätte ich das mit deiner Schwester denn wissen sollen?", rief Ally, während sie wild mit ihren Händen gestikulierte. Dann riss sie die Autotür auf, stieg aus und lief einfach der Straße entlang, um sich in einiger Entfernung an den Straßenrand zu setzen.

Nachdem die Autotür wieder zugeschlagen war, war es unangenehm still im Wagen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, oder ob ich auch gehen und ihn in Ruhe lassen sollte. Simon neben mir schien nicht zu wissen, wohin er seine Hände tun sollte und fuhr sich alle fünf Sekunden durch die zerzausten Haare, während sein Blick unruhig und glasig umherschweifte.

„Mir hast du es erzählt. In dem Diner, erinnerst du dich?", Ruhe. Simon lies seine Hände in seinen Schoß sinken und starte müde auf das Lenkrad vor ihm.

„Warum?", fragte ich nur. Er atmete schwer ein. Und sah dann flüchtig zu mir herüber, bevor er wieder nach unten blickte.

„Ich schätze, weil du so bist, wie du bist. Du hörst zu, anstatt dauernd dazwischen zu reden. Ich liebe Ally über alles, aber sie kann ihre Klappe einfach nicht halten. Und manchmal braucht man das einfach."

„Was? Stumme Fische?", ich grinste und zu meiner großen Begeisterung sah ich, dass auch seine Mundwinkel sich nach oben bewegten, als er den Kopf schüttelte.

„Simon, ich weiß, wie es ist, kein Geld zu haben und auch keine Eltern, die sich um dich kümmern können. Es ist verdammt scheiße, aber so ist es halt. Und ich will jetzt nicht, dass du denkst ich hätte es je besser gemacht, als du, aber manchmal musst du loslassen, weil du sonst untergehst, okay? Manchmal ist loslassen besser, als an etwas festzuhalten, das nicht wirklich stabil ist."

Er sah mich an. „An meinen Arm hast du dich aber ganz schön fest geklammert, als du da an der Brücke gehangen hast und der war auch nicht so stabil.", meinte er mit einem schiefen Grinsen.

Ich sog tief die Luft ein, das hatte ich nicht kommen sehen.

„Tut mir leid. Das hätte ich nicht sagen sollen.", setzte er schnell hinterher und eine tiefe Falte bildete sich zwischen seinen Augenbrauen.

„Oh, doch, doch, ist schon okay. Tod schweigen ist ja auch keine Lösung.", ich sah nun selbst auf meine Hände und begutachtete meine Nägel mit außerordentlichem Interesse.

„Und warum hast du dich jetzt festgehalten.", wollte er nochmal wissen.

Ich überlegte. „Weil ich wirklich nicht loslassen wollte. Von meinem Papa schon, aber nicht vom Leben. Hätte ich mal vorher nachgedacht, was?", ich lachte unsicher und Simon streichelte mir über die Schulter.

„Aber dann wären wir uns nie begegnet.", meinte er.

„Wären wir wohl nicht.", bestätigte ich leise.

„Aber ich bin froh, dass wir uns begegnet sind.", er sah mich an und ich blickte ebenfalls zu ihm auf.

„Ich auch, Simon. Ich auch.", einige Sekunden blickten wir uns einfach nur an und wäre dies nun ein zu tiefst heterosexueller romantischer Moment, dann hätte ich mich vermutlich zu ihm hoch gestreckt und er hätte mein Gesicht in seine Hände genommen und wir hätten uns geküsst. Doch das hier war kein zutiefst heterosexueller Moment. Es war eher ein zutiefst freundschaftlicher Moment, bei dem sich ein Mädchen von einem Jungen das Leben retten lies und sich dann dafür bedankte, indem sie sich postwendend in die lesbische beste Freundin dieses Jungen verliebte. Ging es eigentlich noch komplizierter? Und hatte ich mir gerade wirklich eingestanden, dass ich mich in Ally verguckt hatte? Heilige Scheiße, mein Leben war eine einzige Katastrophe aus Gefühlsexplosionen.

„Was machen wir jetzt mit dir?", unterbrach ich diese merkwürdig intensive Stille.

„Keine Ahnung.", seufzte er und sah zur Heckscheibe hinaus zu Ally, die immer noch am Straßenrand saß und gelangweilt mit einem Stock auf dem Teer herumkratzte. Wartete sie jetzt ernsthaft darauf, dass einer von uns kommen und sie wieder ins Auto einladen würde? Ich wusste nicht, ob ich darüber lachen oder die Augen verdrehen sollte.

„Naja, also du hast jetzt zwei Optionen – wenn man es mal sehr vereinfacht betrachtet.", setzte ich an.

„Und die wären.", hoffnungsvoll blickte er zu mir rüber. Ernsthaft? Simon wollte eigentlich selber wirklich lieber zum Jasper National Park, aber war zu feige es zuzugeben. Das würde sich jetzt ändern, beschloss ich. Seit wann war ich bitte so tatkräftig?

„Erstens – und davon würde ich dir strengstens abraten – du machst jetzt einen U-Turn und wir fahren zu der Abfahrt zurück. Du kommst zu spät zu deiner Tante wirst von ihr zusammengestaucht und hast dafür noch nicht einmal etwas erlebt. Oder: Zweitens, du sammelst jetzt die schmollende Ally da hinten wieder ein und wir fahren jetzt alle zusammen weiter zum Jasper National Park und genießen mal für eine Sekunde das Leben. Und – bevor du jetzt gegen argumentierst: drei Tage von 20 Jahren als Daddy-Ersatz sind wirklich nicht der Rede wert. Ich weiß, dass du deine Schwester liebst. Aber das Problem ist, dass du dich für deine Eltern um sie kümmerst und nicht, weil du wirklich willst. Du hast auch Wünsche und Träume und die sind genau so wichtig, wie die anderer Leute.", ich sah, wie Simon innerlich mit sich rang und schon kurz davor war, abzulehnen und wirklich einfach schnurstracks nach Edmonton zu fahren, doch dann schien er seine Meinung kurzfristig zu ändern und sagte: „Okay, lass uns fahren. Lass uns fahren. Lass uns verdammt noch mal fahren.", bei jedem mal, dass er es sagte, wurde er lauter und das Lachen auf seinem Gesicht breiter.

„Dann lass uns jetzt die beleidigte Ally wieder in das Auto verfrachten. Wenn du mich fragst, schämt sie sich eher, als dass sie wirklich sauer auf dich ist und ist nur zu stolz um es zuzugeben.", tröstete ich ihn.

„Willst du sie holen gehen?", bat Simon mich. Verdutzt antwortete ich mit Ja. „Danke.", meinte er und dann – bevor ich es wirklich realisiert hatte oder gar etwas dagegen tun konnte – umarmte er mich. Ich legte meine Arme auf seinen Rücken und streichelte ihn. „Ich glaube kaum, dass wir je erwachsen genug werden, um rational über solche Dinge hinweg zu sehen, wie?", flüsterte ich ihm ins Ohr und er lachte leise. „Hoffentlich nicht, wäre doch schade. So ein Leben ohne filmreifes Drama."

Dann lösten wir uns wieder von einander und ich stieg aus, um nach Ally zu sehen. Als ich die Tür hinter mir zuschlug blickte sie in meine Richtung und stand sogar auf, um ganz von selbst zu mir zu kommen. Sie hatte wohl wirklich ein schlechtes Gewissen wegen vorhin.

„Wenn du jetzt ganz lieb zu ihm bist, dann musst du dich vermutlich noch nicht einmal bei ihm entschuldigen, weil er einfach so gönnerhaft ist, dass er es Leuten durchgehen lässt, wenn ihr Stolz sie an solchen Formalitäten hindert.", sagte ich und öffnete ihr die Tür, damit sie einsteigen konnte. Dankbar lächelte sie mich an und ich zwinkerte zurück.


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