Laborratte
Liv schlug die Augen auf. Ihr war schwindelig, auch ein wenig schlecht. Ganz kurz sah sie alles vor ihren Augen verschwommen. Doch dann wurde ihr Blick klarer...
Das erste was sie bemerkte war Wasser. Überall um sie herum. Sie blickte auf ihre Hände, auf denen sich zwischen ihren Fingern Schwimmhäute gebildet hatten. Als sie ihren Kopf herumdrehte, erkannte sie sofort die schillernden blauen Schuppen ihrer Schwanzflosse. Verwundert blickte Liv auf sich herab. Sie hatte sich verwandelt. Doch als sie ihren Blick hob und auf ihre Umgebung achtete, erkannte sie, dass sie sich nicht im Meer oder in irgendeinem See befand.
Sie legte ihre Hände an die Glaswand, die sie von dem Rest des Raumes trennte. Sie befand sich in einem quer auf dem Boden liegenden Glasbehälter, der in einem düsteren, steinigen Zimmer, das alles andere als einladend aussah, stand. In der Mitte des Raumes stand ein riesiger, unordentlicher Schreibtisch, auf dem einige spitze und scharfe Instrumente lagen. Etwas, das aussah wie eine Lupe, daneben ein Ding, das aus ganz vielen spitzen Nadeln bestand und zahlreiche Pinzetten. Es waren auch einige Reagenzgläser vorzufinden, in jeglicher Form und Größe.
Zwei Meter von dem Schreibtisch entfernt stand der gläserne, mit Wasser gefüllte Kanister, in welchem Liv gerade vor sich hintrieb. Er war gerade so groß, dass sie sich ausstrecken konnte, doch wirkliche Bewegungsfreiheit hatte sie keine.
Liv hatte keine Ahnung wo sie gerade war oder wie sie hergekommen war. Sie versuchte sie stark daran zu erinnern, was passiert war. Sie konnte sich noch erinnern, wie sie gemeinsam mit den Rumtreibern und Professor Connor auf dem Gelände gestanden hatte. Sie wusste noch, dass Remus derjenige gewesen war, der ihr die Halskette abgenommen hatte. Sie konnte sich noch ganz genau an das befreiende Gefühl erinnern, das sie durchströmt hatte, als der Fluch endlich von ihr gelöst worden war. Liv wusste noch, dass sie mit zügigen Schritten auf den schwarzen See zugegangen war... Doch plötzlich war alles schwarz geworden.
Das nächste, woran sie sich erinnern konnte war, dass sie verwandelt in diesem gläsernen Becken aufgewacht war. Sie wusste zwar nicht wo sie sich befand, doch sie hatte kein gutes Gefühl dabei. Außer ihr war niemand im Raum. Dennoch pochte sie so fest sie konnte mit ihren Fäusten gegen die Scheibe. Unter Wasser konnte sie nichts sagen, geschweige denn irgendwelche Namen rufen.
Sie legte ihre Hände an den Deckel des Beckens und versuchte es mit aller Kraft zu öffnen. Doch es war viel zu schwer. Nach einigen Minuten gab sie kraftlos auf. Langsam bekam sie Angst. Warum war sie hier? Und warum waren Remus und die anderen Rumtreiber nicht bei ihr? Wo waren sie überhaupt?
Plötzlich merkte Liv, dass sie sich irgendwie matt und ausgelaugt fühlte. Sie fasste sich an ihren Kopf. Das lag vermutlich am Wasser, in welchem sie sich befand. Es handelte sich hierbei nicht um eine natürliche Wasserquelle, sondern um Wasser, dass aus seiner natürlichen Umgebung herausgerissen und in diesen Glasbehälter gefüllt wurde. Es hatte kein Leben mehr in sich. Es war tot. Das wiederum schien Liv zu schwächen.
Liv zuckte zusammen, als sie plötzlich das Knarren einer Tür vernahm, die offenbar geöffnet und dann wieder geschlossen wurde. Sie hörte dumpfe Schritte, die offenbar immer näher kamen. Ängstlich blickte sie sich um. Sie erkannte die verschwommenen Umrisse einer Person, die immer näher auf sie zukam. Je näher sie kam, desto klarer konnte Liv ihr Gesicht erkennen. Ihr blieb beinahe das Herz stehen, als zwei wässrige Augen sie durch das Glas anstarrten.
,,Wie schön... Du bist wach..." zischte Professor Connor zufrieden und musterte ihren ganzen Körper.
,,Ein Prachtexemplar... wunderschön..."
Liv wusste überhaupt nicht, was gerade geschah. Sie pochte nochmals gegen die Scheibe und versuchte sich irgendwie zu befreien, doch das gelangt ihr nicht. Professor Connor sah ihr zu, wie sie sich ängstlich windete.
,,Versuch ruhig dich zu befreien." kicherte er und ging hinüber zu seinem Schreibtisch.
,,Es wird dir nicht gelingen. Du bleibst schön hier. Bei mir."
Liv starrte ihn ungläubig an. War er es etwa gewesen, der sie in diesen Kanister verfrachtet hatte? Was hatte er mit ihr vor?
,,Du fragst dich sicher, was genau du hier zu suchen hast." begann Professor Connor, während er etwas von dem Schreibtisch nahm, das aussah wie eine Spritze oder Ähnliches. Als hätte er ihre Gedanken gelesen.
,,Nun, das kann ich dir verraten. Du... wirst der Beginn meiner Karriere werden!" zischte er mit einem wahnsinnigen Flimmern in den Augen. Livs Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie befand sich in einer Art Schockstarre.
,,Hast du denn wirklich geglaubt, ich lasse eine Meerjungfrau einfach so gehen, wenn ich sie vor der Nase habe? Auf keinen Fall... Du bist viel zu wertvoll, als dass ich dich einfach wieder in die Tiefen des Meeres verschwinden lassen könnte. Jetzt... Jetzt wird die ganze Welt sehen, dass ich Recht hatte! Meerjungfrauen existieren noch! Und du bist mein lebender Beweis!!" sagte er triumphierend.
Livs Herz schien kurz davor stehen zu bleiben. Wollte Connor sie vorführen? Sie der ganzen Welt zeigen? Das würde ihr Rudel in große Gefahr bringen! Das durfte auf keinen Fall passieren! Sie musste unbedingt irgendwie aus diesem Behälter rauskommen.
,,Oh, und mach' dir keine Hoffnungen, dass deine Freunde nach dir suchen werden." fügte er noch im Nebenbei hinzu.
,,Ich habe sie mit einem Gedächtniszauber belegt. Sie glauben, du wärst quietschvergnügt in den schwarzen See gesprungen und abgehauen. Sie glauben du bist fort. Für immer."
Als Connor die Rumtreiber erwähnte, riss Liv augenblicklich die Augen auf. Sie legte eine Hand auf die Glasfläche und warf Connor einen besorgten Blick zu.
,,Du willst wissen, was mit ihnen passiert ist?" fragte er, nachdem er ihre Reaktion offenbar richtig gedeutet hatte.
,,Nun, nachdem ich dich mit einem Schockzauber belegt hatte, habe ich die vier durch einen weiteren Zauber ausgeknockt. Ich habe ihr Gedächtnis so verändert, dass sie alle vier denken, sie hätten Schwindelanfälle gehabt und hab' sie in den Krankenflügel verfrachtet. Sie werden aufwachen und denken, du wärst für immer fort."
Liv glaubte gar nicht was er ihr sagte. Ihr kam das alles nur wie ein einziger, böser Albtraum vor. Am liebsten wollte sie gleich wieder aufwachen und wieder mit der Träne des Ozeans um ihren Hals in ihrem Schlafsaal aufwachen, mit den schlimmsten Mitbewohnerinnen der Welt. All das wünschte sie sich jetzt zurück.
,,Mach dir keine Sorgen..." sagte Connor, als er Livs schockierten Gesichtsausdruck bemerkte und sie wieder begann um sich zu tasten und einen Ausweg zu suchen.
,,Ich werde dich nicht gleich der Welt präsentieren. Davor möchte ich noch ein bisschen an dir forschen... Ich will ja das, was ich entdeckt habe auch verstehen, richtig?" meinte er grinsend und hob die Spritze in die Höhe, die er von seinem Schreibtisch geholt hatte. Mit der anderen Hand griff er in die Tasche seines Umhanges und holte seinen Zauberstab heraus. Aus den Augenwinkeln konnte Liv erkennen, wie Connor sich rechts neben den Behälter stellte.
Leise murmelte er eine Zauberformel, die Liv durch das Glas nicht verstand. Plötzlich fuhren jedoch in Sekundenschnelle metallene Ketten aus dem Boden des Behälters und schlangen sich um ihre Handgelenke, ihre Taille und ihre Schwanzflosse. Erschrocken begann Liv herumzuzappeln und versuchte sich irgendwie zu befreien, doch das führte nur dazu, dass sich die Ketten enger um ihre Haut schnürten. Sie hörte, wie Connor offenbar den Deckel des Behälters beiseite schob. Sie merkte, wie er sich über das Becken beugte.
Auf einmal spürte sie das kalte Metall der spitzen Nadel, die sich langsam in ihren Rücken bohrte. Liv begann sofort zu kreischen und zu schreien und zappelte wie verrückt herum, doch die Ketten sorgten dafür, dass sie dadurch nichts bewirken konnte. Die Ketten rieben schmerzhaft an ihrer Haut und die Nadel ging immer tiefer in ihren Rücken. Durch das Wasser wurden ihre schreie gedämpft, doch tausende Blubberblasen stiegen an die Wasseroberfläche.
Connor hingegen machte keine Aufzuhören. Er schreckte auch nicht davor zurück, die Ketten noch enger zu schnüren. Er sah in Liv nichts weiter als eine einfache Laborratte. Ihre Schreie ließen ihn kalt.
Liv wusste nicht, wie lange der Schmerz angehalten hatte. Als sie merkte, dass Connor von ihr abgelassen hatte, sackte sie erschöpft auf den Grund des Beckens und hörte, wie der Deckel zugeschoben wurde. Aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, wie Connor mit der Spritze vollgefüllt mit Livs Blut zurück zu seinem Schreibtisch ging.
Unter Wasser konnte man keine Tränen erkennen. Doch Liv weinte. Sie weinte bitterlich. Sie hatte keine Ahnung wo sie war und ob irgendjemand sie jemals finden würde. Sie wünschte sich in dem Moment einfach nur, dass Remus und die anderen gerade bei ihr wären...
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