Irrwichte
Dienstag, 5. Stunde.
Die Ravenclaws und Gryffindors des sechsten Jahrgangs standen im Klassenzimmer für Verteidigung gegen die dunklen Künste in einem Halbkreis um einen hölzernen Schrank herum, der mit einem eisernen Umhängeschloss verschlossen war. Professor Connor stand direkt davor.
,,Heute beschäftigen wir uns mit Irrwichten." sprach der Professor vor seinen Schülern. Die ersten Hände von Ravenclaws schossen in die Höhe.
,,Professor, Irrwichte haben wir doch schon in der dritten Klasse durchgemacht!" sagte ein kleineres Mädchen und schob ihre Brille zurecht.
,,Tja, es gibt keinen Grund, warum wir die Grundlagen nicht wiederholen sollten!" meinte Connor und seine Augen huschten wieder so gespenstisch durch den Raum. Eine Angewohnheit, die er wohl nicht ablegen konnte.
,,Wer kann mir sagen, was ein Irrwicht ist?" fragte er in die Runde. Die Hände so ziemlich aller Ravenclaws schossen wieder ruckartig in die Höhe, genau wie die einiger Gryffindors.
,,Miss Anderson!"
,,Irrwichte verstecken sich an dunklen Orten. Sie treten einer Person immer in der Gestalt ihrer größten Angst gegenüber. Um einen Irrwicht als Einzelperson unschädlich zu machen, ist der Riddikulus-Zauber wirksam." zitierte Jessica.
,,Absolut richtig. Und wie funktioniert der Riddikulus-Zauber?"
Professor Connor stellte noch allerlei Fragen bezüglich des Irrwichts. Liv hielt sich in einer Ecke zwischen all den anderen Schülern im Verborgenen. Mit verschränkten Armen stand sie an der Wand gelehnt da und lauschte dem Professor gelangweilt. Auch die Rumtreiber waren in der Menge, einige Meter von ihr entfernt. Hin und wieder warfen sie ihr verstohlene Blicke zu.
,,Es scheint sie absolut nicht zu interessieren." zischte Sirius seinen Freunden zu. Er musste an das Gespräch mit Avery denken. Darüber, dass Liv sich schulisch total gehen ließ.
,,Kannst du ihr das verübeln?" fragte Remus belustigt und verdrehte die Augen.
,,Irrwichte... ist das sein Ernst? Wir sind in der Sechsten..."
Sirius musterte nur weiter das schwarzhaarige Mädchen. Plötzlich hob sie ihren Blick und starrte Sirius mit ihren blitzgrauen Augen geradewegs an. Schnell wandte er den Blick ab.
,,Was meint ihr warum sie mit diesem Gefängsniszauber eingesperrt wurde?" grübelte James. ,,Ist sie vielleicht ein Vampir? Oder eine Veela?"
,,Sei nicht albern..." zischte Remus ihm zu. Er neigte seinen Kopf zur Seite um ebenfalls einen Blick auf Liv zu erhaschen.
,,Ich hab' das Gefühl, das ist nicht mal ansatzweise nah dran..."
Die Rumtreiber wurden aus ihren Gedanken gerissen als Professor Connor in die Hände klatschte.
,,So, liebe Schüler!" sprach er laut und machte den Weg zum Schrank frei indem er sich daneben stellte.
,,Wer möchte anfangen? Mister Lawrence, wollen Sie starten?" forderte er einen Schüler aus Gryffindor auf. Nickend stellte er sich vor den Schrank und Professor Connor entfernte das Schloss mit einem Schwung seines Zauberstabes.
,,Moony, du bist Jahrgangsbester. Du kriegst sicher eine Genehmigung für die verbotene Abteilung, oder?" fragte Sirius seinen Freund, während sich der Irrwicht in einen monströsen Oger verwandelte, das aus dem Holzschrank torkelte und grunzend mit seiner Keule um sich schlug. Doch die Rumtreiber schenkten dem wenig Aufmerksamkeit.
,,Ja ich denke schon." murmelte Remus grübelnd. ,,Aber selbst wenn, wir wissen ja nicht einmal genau wonach wir überhaupt suchen müssen."
,,Stimmt, da ist was dran..." seufzte Sirius. Die Rumtreiber führten ihr Gespräch eifrig weiter, während Professor Connor immer mehr Schüler vor den Irrwicht stellte.
,,Mister Black, wie wäre es mit ihnen?" unterbrach Connor die vier. Sirius seufzte und zückte seinen Zauberstab.
,,Na dann, Jungs..." murrte er. Mit missmutigen Schritten stellte er sich vor den Kleiderschrank. Er wusste, was jetzt kommen würde...
,,SIRIUS ORION BLACK!!!" kreischte plötzlich eine Stimme aus dem Inneren des Schranks, sodass alle Schüler und sogar Professor Connor zusammenzuckten. Sirius schluckte.
Plötzlich wurden die Türen des Schrankes aufgerissen und eine erwachsene Frau kam mit zügigen Schritten auf Sirius zugestürmt. Sie trug Stiefel mit hohen Absätzen, die bei jedem Schritt klackerten. Ihre schwarzen Haare waren zu einem strengen Dutt nach hinten gekämmt und ihre Lippen waren dunkelrot angemalt. Sie funkelte Sirius mit den selben sturmgrauen Augen an, mit denen er ihr stur entgegen blickte. Voller Wut schrie sie ihn an.
,,Du bist eine Schande!!" kreischte sie und holte mit ihrer freien Handfläche aus, um ihm eine Ohrfeige zu verpassen.
,,Dein Vater hat jeden Tag Scherereien, weil sein Sohn ein missratener Blutsverräter ist! Wir haben dich aufgezogen, dich ernährt und du dankst es uns, indem du uns in den Rücken fällst! Du bist eine Missgeburt!!" schrie sie weiter. Noch bevor sie zuschlagen konnte hielt Sirius ihr seinen Zauberstab vor die Nase und murmelte: ,,Riddikulus!"
Anstelle des schwarzen Kleides und des dunkelroten Lippenstiftes, verwandelten sich die Garderobe der Frau in ein niedliches Clowns-Kostüm mit Rüschen und Schleifchen. Die Schuhe dazu waren quietschgelb und mindestens fünf Nummern zu groß. Anstatt des fein säuberlichen Make-ups zierte ihr Gesicht ein wunderschönes Clownsgesicht, welches eine rote Nase inkludierte.
Die restlichen Schüler begannen augenblicklich alle loszuprusten. Der Irrwicht blickte entsetzt an sich hinunter. Er warf Sirius noch einen letzten verschrockenen Blick zu, ehe er wieder zurück in den Schrank huschte und die Türen wieder zufielen.
,,Ist meine Mutter nicht herzallerliebst?" fragte er sarkastisch und stellte sich zurück zu seinen Freunden.
,,Hab' schon ganz vergessen wie ihre liebliche Stimme klingt." murmelte er James zu der nur belustigt schnaubte.
Sirius' Familie bestand durch und durch aus Todessern. Als er es bei sich Zuhause nicht mehr ausgehalten hat, war er zu James und seinen Eltern gezogen, die ihn liebevoll bei sich aufgenommen hatten. Die Reaktion seiner Eltern war ähnlich gewesen, wie sie der Irrwicht dargestellt hatte.
,,Nun gut... wer war denn noch nicht dran?" fragte Professor Connor und ließ seinen Blick durch die Menge schweifen. Er ignorierte die vielen Ravenclaws, die ihre Hände in die Höhe hielten und wandte sich an die Schüler die ganz hinten standen.
,,Miss Roberts?" fragte er an Liv gewandt, die hellhörig wurde, als sie ihren Namen hörte.
,,Versuchen Sie es doch einmal!" forderte er das Mädchen auf. Liv seufzte und stieß sich von der Wand ab um nach vorne zu gehen. Die Rumtreiber waren nun ebenfalls aufmerksam geworden. Liv nahm die Position vor dem hölzernen Schrank ein.
,,Sind Sie bereit?" fragte Connor. Liv nickte kaum bemerkbar. Doch eine Zeit lang schien es so, als würde nichts geschehen. Liv stand vor dem Schrank und es geschah nichts. Gespannt warteten alle darauf, dass der Irrwicht seine Gestalt annehmen würde. Bis auf Liv... sie nahm die Situation nicht ernst.
Plötzlich öffnete sich eine Tür den Schranks einen Spalt weit. Eine Hand kam zum Vorschein, die die Tür umklammert hatte. Die Hand drückte die Tür auf und gab den Blick auf die Gestalt des Irrwichts frei. Ein erschrockenes Raunen ging durch die Menge der Schüler. Die Rumtreiber rissen überrascht die Augen auf. Liv stand einfach nur steif da und bewegte sich nicht. Denn sie starrte ihrem kompletten Ebenbild entgegen.
Wie als würde sie in einen Spiegel schauen ging Livs Doppelgänger auf sie zu. Sie hatte ein höhnisches Schmunzeln im Gesicht. Zwei Meter vor ihr blieb sie stehen. Liv traute sich nicht sich zu bewegen. Sie atmete zitternd ein und aus während sie sich selbst in die Augen starrte. Sie blickte auf ihr eigenes Gefängnis!
Livs Doppelgänger griff plötzlich nach der Kette, die um ihren Hals hing. Sie hielt sie in der Hand, sodass der Anhänger mit der Perle vor Livs Gesicht baumelte und sie ihn direkt anstarren musste. Liv spürte wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie starrte auf diesen jämmerlichen Körper, in welchem sie seit jenem Tag eingesperrt war. Und sie starrte auf die Träne des Ozeans, welche an der Kette baumelte und ihr stur vor das Gesicht gehalten wurde.
Die Schüler um sie herum tuschelten gespannt. Sie fragten sich, warum Liv nichts gegen den Irrwicht unternahm. Sie hatte nicht einmal ihren Zauberstab gegen ihn gerichtet. Sie starrte ihn lediglich an.
,,Miss Roberts, der Zauberspruch! Riddikulus!" zischte ihr Professor Connor zu. Doch Liv hörte nicht auf ihn. Selbst wenn, sie könnte ohnehin nichts gegen den Irrwicht ausrichten. Sie beherrschte den Zauberspruch nicht.
Ihr Doppelgänger schmunzelte schadenfroh und blickte ihr trotzig entgegen.
,,Du wirst sie nie loswerden!" zischte ihr Ebenbild ihr zu.
,,Du wirst mich nie loswerden!"
Das war Liv zu viel. Ohne Vorwarnung wandte sie den Blick ab, riss sich los und stürmte ohne Weiteres aus dem Klassenzimmer. Sie ignorierte die Rufe von Professor Connor und stürmte den Gang entlang davon. Ihre Sicht verschwamm, als die Tränen, die sich in ihren Augen bildeten immer mehr wurden. Sie lief weiter und weiter, ohne stehen zu bleiben. Sie lief raus auf das Gelände und rannte bis zur peitschenden Weide nach Hinten. Schnaufend blieb sie stehen.
Tränen rannten ihr über die Wangen. Sie tastete mit ihren Fingern nach der Kette, die um ihren Hals hing. Sie spürte, wie das warme Metall ihre Haut umspielte.
Liv begann kräftig an der Kette zu zerren. Sie zog und zerrte so stark daran, dass sich das Metall um ihren Hals schmerzhaft in ihre Haut grub. Sie zog und zog und ignorierte die Schmerzen, doch die Kette war nicht abzubekommen! Sie stieß einen verzweifelten Schrei aus, während sie wie wild an der Kette zerrte. Auch wenn sie wusste, dass der Zauber der Träne dafür sorgte, dass sie sie niemals abnehmen konnte. Sie war wie festgeschweißt... und keine Kraft der Welt könnte sie von Liv losreißen.
Die Worte des Irrwichts gingen ihr durch den Kopf.
Du wirst sie nie loswerden!
So stand Liv da. Schreiend und weinend, während sie in ihrer Verzweiflung keinen anderen Ausweg sah. Der Irrwicht gerade hatte ihr für den Moment allen Mut genommen...
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