- 7.4 - Der goldene Angelhaken
Das Summen ihres Handys ließ Conny aus dem Schlaf fahren. Gähnend griff sie nach ihrem Telefon auf dem Nachttisch. Das grelle Licht des Bildschirms zwang sie dazu die Augen zusammenzukneifen. Es war 1:24 Uhr. Conny rieb sich verschlafen die Augen. Wer schrieb denn zu dieser Uhrzeit noch eine Nachricht?
Ihr Blick fiel zuerst auf den goldenen Angelhaken und dann auf Lunas Namen. Der goldene Angelhaken war ihr persönliches Zeichen, dass es einen Notfall gab. Sie hatten den Angelhaken noch nie wirklich benutzten müssen und darüber war Conny ziemlich froh, doch jetzt schien Luna ein Problem zu haben. Es war unverkennbar, dass es Luna sein musste, die nach Hilf schrie, denn nur sie wusste von ihren geheimen Notfallzeichen. Erneut gähnend rappelte sie sich in ihrem Bett auf. Das Signal konnte sie nicht einfach ignorieren, jedoch starrte sie noch eine Weile auf Lunas Nachricht, um zu schauen, ob sie noch etwas schrieb, aber es kam nichts. Unsicher zog Conny ihren Laptop heraus und hackte sich in das GPS von Lunas Handy ein, um herauszufinden, wo sie sich befand. Oder besser gesagt, das Handy.
Das Tracken von Lunas Handy war ein Kinderspiel für Conny. Der kleine rote Punkt auf ihrem Display blieb jedoch enttäuschend ruhig. Das Signal wurde also vom Wohnheim ausgesendet. Plötzlich fiel ihr Blick wieder auf die Uhr. Es war bereits eine halbe Stunde vergangen, stellte Conny erschrocken fest. In der Zeit, in der sie so herumtrödelte, konnte sonstiges passiert sein. Das wollte sie sich nicht einmal ausmalen.
Im Schlafanzug zog sie sich ihre Slipper an und sprintete die Treppen herunter. Holte ihre Schlüssel und riss die Haustür auf. Unerwartet stand nicht nur irgendjemand vor ihr. Es war Luna, welche spärlich nur mit einem weißen langen Oberteil und einem Schlüpfer bekleidet gerade die Klingel betätigen wollte.
"Du siehst ja aus, wie die aus 'The Ring'", stellte Conny erschrocken und doch etwas erleichtert fest, als sie sah, dass sie weder entführt noch umgebracht wurde. Sie hielt die Dunkelhaarige vom Klingeln ab. Luna sah wirklich schlecht aus. Für einen kurzen Augenblick trafen sich ihre Blicke. Dabei sah Conny wie rot und leer Lunas Augen waren.
An der Hüfte packend schaffte sie ihre Freundin in das Wohnzimmer. Die Barfüßige tappte schlapp an ihrer Freundin hängend nebenher und stöhnte durch ihre Schmerzen hin und wieder auf. Sie setzte Luna auf das Sofa und holte ihr ein Glas Wasser, welches die Dunkelhaarige dankend annahm. Anscheinend war sie den ganzen Weg vom Wohnheim bis hierher gelaufen, ihren Füßen zu urteilen.
Langsam setzte sie sich neben ihre Freundin und betrachtete sie besorgt. "Was ist passiert?"
Luna sah sie nicht an. Ihr Zittern war am ganzen Körper bemerkbar, so als würde sie frieren, doch Conny wusste, dass sie Angst haben musste. Sie schluckte. Luna sagte nichts und atmete noch etwas schwer.
Verständnisvoll strich sie ihrer Freundin über den Rücken, doch sie zuckte kurz zusammen und starrte in das Glas in ihrer Hand. Vorsichtig zog Conny ihre Hand wieder weg. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie war überfordert mit der Situation.
Die Schritte, die die Treppe herunter schritten, lenkten kurzweilig ihre Aufmerksamkeit um. Sie hatte wohl ihre Eltern geweckt, dabei hatte sie sich wirklich bemüht leise zu sein.
Der noch schläfrige Peter trat in das Wohnzimmer und blinzelte die beiden Mädchen aus verschlafenen Augen an.
"Was ist denn hier los?", räusperte er sich und ging auf die beiden Mädchen zu. Dann hockte er sich vor Luna und musterte sie verwirrt.
Nach einer kurzen Weile rief er seiner Tochter zu: "Cornelia. Hol deine Mutter. Ich glaube, Luna braucht eine Heilerin!"
Dieser Anweisung folgte sie und holte ihre Mutter in das Wohnzimmer. Peter versuchte in der Zwischenzeit ruhig mit ihr zu reden, doch sie gab kein Geräusch von sich. Sie zog lediglich ihre Beine fest an ihren Körper. Das Glas hatte Peter ihr bereits aus der Hand genommen und auf den beistehenden Tisch gestellt.
Quinn hockte sich neben ihren Ehemann und schob ihn ein wenig zur Seite. "Luna, alles wird gut, verstanden? Alles wird gut. Du bist in Sicherheit", erklärte sie der Dunkelhaarigen in einem ruhigen Ton. Ein leichtes Nicken war zu erkennen. "Vorsicht, ich werde dich jetzt berühren, um dich etwas zu beruhigen", fügte Quinn hinzu bevor Luna unter der Berührung erneut leicht zusammenzuckte.
Was war nur passiert, fragte sich Conny mittlerweile ziemlich munter. Der Zustand ihrer Freundin machte sie fertig. Sie wollte ihr irgendwie helfen, wusste jedoch nicht wie und das machte sie noch fertiger. Luna schloss die Augen und atmete tief ein und aus, als Quinn ihre heilenden Kräfte an ihr einsetzte. Als sie sie wieder öffnete fragte Quinn: "Möchtest du uns erzählen, was passiert ist?"
Überlegt schüttelte sie leicht ihren Kopf. "Conny", flüsterte sie leise und ihre Eltern verstanden sofort, dass sie nur mit Conny sprechen wollte oder besser gesagt, konnte. Um in Ruhe reden zu können half Conny ihrer Freundin nach oben in ihr Zimmer und sie setzten sich auf das Bett. Erwartungsvoll schaute sie Luna an, doch lange sagte sie gar nichts.
"Du musst nicht, wenn du nicht willst", sagte Conny vorsichtig zu ihr herüber schielend. Luna wandte sich ein wenig von Conny ab und blickte aus dem Fenster.
"Kann ich heute Nacht bei dir bleiben?" Zum ersten Mal in dieser Nacht, hatte sie einen kompletten Satz gesprochen. Verwundert über diese Frage, willigte Conny ein.
"Danke", sagte sie monoton und rollte sich auf Connys Bett zusammen. "Conny...", hauchte sie tonlos. Aufmerksam richtete Conny ihren Blick wieder auf ihre Freundin. "Z ist wieder da..."
Noch verwirrter als zuvor, fragte Conny nach: "Wer ist Z?"
"Fiona."
Langsam dämmerte es Conny. Fiona hatte Luna mitten in der Nacht angefallen, da sie noch irgendwie unter der Beeinflussung Varjos stand.
"Bei dem Kampf mit Varjo hatte sie mich doch schon einmal attackiert. Ich rief sie bei ihren Namen, doch sie schüttelte nur ihren Kopf und kam bedrohlich näher auf mich zu. Am Pfahl angelangt flüsterte sie mir ins Ohr:", sie hielt kurz schluckend inne, "Fiona ist tot, Z hat jetzt die Macht."
Zitternd lag sie auf dem Bett. Ihre Stimme schwankte zwischen Angst und Traurigkeit. Conny konnte sich die Situation nur zu gut vorstellen und litt mit ihrer Freundin mit. Tränen flossen aus ihren Augen.
"Luna... es tut mir so leid", artikulierte sie sich zu dem Thema, ihre Tränen aus den Augen wischend.
"Ich weiß ja, dass sie es nicht kontrollieren kann, aber ich dachte... ich dachte, es ginge ihr wieder besser. Jetzt habe ich Angst davor, dass es noch einmal passiert...", schluchzend rollte sie sich weiter zusammen und Conny konnte nichts weiter machen, als zusehen. Sie fühlte sich schlecht. Sie wollte etwas dazu sagen, doch konnte es nicht.
Seufzend legte sie sich zu ihr ins Bett. "Durch deine Idee, dass ich mit dem Schatten sprechen kann, haben wir aber schlimmeres verhindern können!" Conny wollte sie ein bisschen aufmuntern. Ein unbeeindrucktes Murren kam zurück.
"Weißt du, dadurch habe ich auch erfahren, warum er hier war", sie wartete auf eine Reaktion ihrer Freundin, doch als sie nichts dazu sagte fuhr sie fort. "Unsere Zeit ist irgendwie aus den Fugen geraten. Jetzt ist es wahrscheinlich an mir die Leute und restlichen Steine zu finden, die das wieder ungeschehen machen könnten. Wie soll ich das eigentlich machen? Ich habe es dem Schatten versprochen...", sagte sie eher zu sich als zu Luna. Doch diese wandte sich Conny nun zu. So war Conny gezwungen in Lunas mit Tränen gefüllten Augen zu schauen.
"Die Sumuinen wussten schon ganz genau, wer die Vision sehen sollte und wer nicht, Conny. Sie haben dir die Erinnerung gelassen, weil du die bist, die mit ihnen reden kann, weil du es warst, die es wissen musste, um sie aufzuhalten."
"Heißt das jetzt, dass du dich mittlerweile wieder daran erinnern kannst?"
Die Dunkelhaarige nickte und ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. "Mit den Steinen meintest du aber schon die 24 Galaxy-Steine der Agententeams?", blinzelte Luna ihre Freundin fragend an. Conny nickte und erzählte, was sie von Varjo erfahren hatte.
Danach richtete sich Luna auf: "Wenn das so ist, dann helfe ich dir. Ich muss sowieso meinen Kopf frei bekommen", erklärte sie ruhig. Das konnte Conny ihr auch nicht übel nehmen, wer weiß, was Z ihr angetan hatte?
"Sag mal Luna, wenn wir schon mal dabei sind: Weißt du warum der Stein der Erinnerungen so kräftezehrend auf dich wirkt?"
Der verwunderte Blick Lunas traf den ihren. Conny sah ihr nervös dabei zu, wie sie ihren Ärmel wieder regelmäßig auf und ab schob. "Die Erinnerungen, die er mir zeigt, sind super intensiv. Diese ganzen Einflüsse sind so überwältigend und dann ist da noch diese schreckliche Angst, die sich in mich hineinbohrt, wenn ich den Stein trage." Gequält richtete sie ihren Kopf zu Boden und atmete wieder schwer. Nach einer kurzen Pause hatte sie sich wieder etwas gefasst und sprach weiter: "Conny, ich glaube ich habe meine Mutter gesehen."
Nun war es an Conny betreten zu schweigen. Luna hatte schon immer gemeint, es fühle sich so an als hätte ihre Mutter nie existiert.
"Warum denkst du das?"
Die blauen gläsernen Augen richteten sich wieder auf Conny. "Es ist nur eine Vermutung, aber ich kann mich wirklich gar nicht an sie erinnern, aber ich weiß mit Sicherheit, dass ich 13 Jahre meines Lebens mit ihr verbracht habe. Verdammte 13 Jahre und alles was ich über sie weiß ist wie ein schwarzer Fleck."
In der Bewegung stoppend fuhr sie fort: "Es war einfach ein Gefühl der Vertrautheit, welches ich nie kannte. Wie kann es sein, dass ich nichts mehr weiß?"
Wie sie es sagte, schrie nur von Verzweiflung. Dabei bemerkte Conny, wie sich eine Träne aus Lunas Auge einen Weg zu ihrem Kinn bahnte. Kopfschüttelnd rieb sie ihre Augen. Sie vermisste ihre Mutter, das konnte Conny ihr ansehen. Auch wenn sie vergessen hatte, wer sie war oder wie sie aussah, war sie dennoch tief in ihrem Herzen verankert.
Eine seltsame Stille erfüllte den Raum. Conny drehte sich von Luna weg, sah an die Decke und überlegte, was sie sagen könnte, um sie irgendwie aufzumuntern.
"Weißt du, vielleicht sind es ja deine Erinnerungen an sie und du hast sie nur verdrängt und der Stein zeigt sie dir jetzt." Conny machte eine Pause, um ihre Reaktion abzuwarten, doch es kam zunächst keine. "Oder es sind die Erinnerungen deiner Mutter, die irgendwie in den Stein eingefangen wurden. Das könnte auch erklären, dass du keine Erinnerungen mehr an sie hast."
Luna drehte sich auf ihren Rücken und starrte nun ebenfalls an die Zimmerdecke. "Ja, ich hatte darüber auch schon nachgedacht... Hast du denn Erinnerungen gesehen, als du den Stein gehabt hast?"
Verlegen kratzte sich Conny am Kopf. Sie war sich nicht sicher, was sie von ihrer 'Erinnerung' halten sollte.
"Weißt du denn, ob der Stein auch die Zukunft zeigen kann?", erwartungsvoll sah sie Luna an.
"Ich glaube nicht, ist ja schließlich der Stein der Erinnerung. Es sei denn, jemand ist in die Zukunft gereist, hat die Erinnerung eingesammelt und ist wieder gekommen. Anscheinend kann man ja Zeitreisen, sonst wäre das Zeitgefüge nicht durcheinander geraten", meinte sie dann schließlich. Conny schluckte. 'Scheiße'.
"Aber warum fragst du mich das, Conny?"
"Naja, ich habe vielleicht oder vielleicht auch nicht unseren Tod gesehen...aber Isaac haben sie nicht erwischt."
Luna entglitten alle Gesichtszüge. Nach einer gefühlten Ewigkeit ergriff sie dann das Wort: "Wenn das wirklich unsere Zukunft sein sollte, kann man sie noch abwenden, sie ist schließlich nicht in Stein gemeißelt... Aber willst du mir sagen, was genau du gesehen hast?"
Conny nickte und begann ihr von der gesehenen Erinnerung genauestens zu berichten. Nachdem die Dunkelhaarige aufmerksam zugehört hatte, sagte sie ruhig: "Vielleicht muss es auch so kommen."
Conny richtete sich verwirrt auf und blickte ihre Freundin verwundert an. "Wieso denn das? Was ist, wenn wir die Zukunft ändern könnten und all das verhindern!"
Nun stützte sich auch Luna auf ihre Arme. "Gab es denn Indizien dafür, dass es vielleicht doch eine Erinnerung aus einer anderen Zeitlinie sein könnte?"
Nach kurzem Überlegen schaute Conny zurück an ihre Zimmerdecke. Noch immer wandte sich Luna nicht von ihr ab. "Ich weiß nur, dass Isaac nach dem verlorenen Stein griff..."
"Du meinst also, dass in dieser Welt ein weiterer Isaac existieren würde? Wie würde sich das dann auf die Zeitlinien auswirken?", problematisierte Luna genauer. "Ich würde mal annehmen, da würden sich schon ein paar Probleme auftun... Gehen wir mal von der Theorie aus, dass wir alle auf einem Zeitstrang leben. Würde jemand zurück in die Vergangenheit reisen und dort etwas verändern, würde sich doch dann automatisch ein neuer eröffnen für die Person, die diesen verändert hat, aber nicht für uns. Wir würden unser Leben weiter leben wie wir es kennen. So unwahrscheinlich ist es gar nicht, dass es eine Alternativversion dieser Welt gibt, wenn Minden Város als eine Parallelwelt mit anderen Lebewesen im Universum existiert. Alternativwelten dagegen sind nur abgewandelte Konstrukte unserer Welt und unterscheiden sich wohl darin, dass etwas irgendwann verändert wurde. Varjo will das anscheinend wieder in Ordnung bringen und dazu braucht er eben die Steine, da sie auch diese Unordnung verursacht haben." Nach einer kurzen Pause fuhr Luna fort. "Daher ist es sehr gut möglich, dass die Erinnerung, die du gesehen hast, wirklich eine Erinnerung aus der Zukunft war, aber dennoch in dieser Welt nicht passieren wird."
Das Kinn von Conny fiel herunter. Hatte ihre Freundin gerade eben diese Theorie einfach so aus dem Ärmel geschüttelt als wäre es nichts gewesen?
"Aber warum wurden die Steine in erster Linie erschaffen?", wunderte Luna sich anschließend laut und ließ sich gedankenverloren auf das Bett fallen.
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