5. Epsilon - Der Stein der Erinnerungen
Wie ein Schlag in die Magengrube offenbarte sich ihr verwüstetes Zimmer vor ihren Augen. Sie hatten alles durchsucht und eine schreckliche Unordnung hinterlassen. Wut stieg in ihr auf, als sie sich zu den Polizisten umdrehte, die sie schon seit einer Stunde ausfragten, ob sie denn irgendwelche Informationen über die Regierung weitergegeben hatte. Conny stellte sich dumm, so als ob sie nichts von all dem wusste, und auch nicht verstehen konnte, warum sie überhaupt hier waren. Tatsächlich hatte Luna gerade ihr kleines verdammtes Leben erleichtert, indem sie einfach vor ihrer Haustür erschienen war und Conny gestellt hatte. Wo sie jedoch ihre Festplatte mit all den Informationen hinbrachte, hatte sie ihr nicht offenbart und darüber ärgerte sie sich jetzt. Obwohl, so konnte ihr nichts gegenüber der Polizei herausrutschen, wo die Informationen sein könnten, denn sie wusste es ja wirklich nicht.
Ihre Eltern standen im Türrahmen von der Küche und beobachteten die Polizisten mit Argwohn, wie sie die Wohnung komplett auf den Kopf stellten. Conny hoffte, dass sie keine weitere Person in Gefahr brachte durch diese hirnlose Aktion, die Informationen an die Presse zu senden.
'Was hatte ich mir nur dabei gedacht?'
Unsicher und mit gesenktem Blick lief Conny zu ihren Eltern und sah sie fragend an. Ein Officer schien ihr zu folgen, richtete seine Augen dann aber auf ihre Eltern. Peter ging beschützend einen Schritt nach vorne und verschränkte seine Arme vor seiner Brust und sah den Officer misstrauisch an: "Können Sie mir vielleicht sagen wie lange diese sinnlose Hausdurchsuchung noch dauern wird?"
"Dr. Miracle, es tut mir leid, es wird wohl noch etwas dauern. Mein Vorgesetzter hat zusätzlich gerade eben ein Inspektionsteam der Regierung angefordert."
"Hören Sie, Officer...", Peter beugte sich ein Stück nach vorne, um das Namensschild besser lesen zu können, "... Spencer, meine Frau und ich arbeiten für die Regierung, also warum sollten wir ihr Schaden wollen? Bitte nehmen Sie ihr Team und ermitteln Sie den oder die richtigen Täter*innen."
Conny war wirklich dankbar, dass ihr Vater auch in solchen Momenten einen kühlen Kopf bewahren konnte.
Einige Minuten später wandelte eine Inspektorin der Regierung elegant die Treppe herauf. Conny vermutete, dass es sich um Merith Bolt handeln könnte, die bekannt für ihre grandiosen Inspektionen und Aufklärungen war. Conny, ihre Eltern und das restliche Inspektionsteam folgten ihr. Ein Gesicht kam ihr besonders vertraut vor: Liam. Vor ihrem Zimmer blieben sie stehen, um sich ein Bild von den Fundobjekten zu machen und Bolt schaute Conny genauer an.
"Junge Dame, ich hörte Sie haben ausgezeichnete Technikfähigkeiten." Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Conny schnürte es die Kehle immer weiter zu. 'Sie will bestimmt meine Reaktion testen', vermutete sie, möglichst ohne auffällige Bewegungen zu tätigen.
"Das ist vielleicht übertrieben", lächelte sie schwach. Doch anstelle, dass Bolt weitere Fragen stellte, ging sie strikt an Conny vorbei ohne sie zu beachten.
Sie begann zu leicht zu zittern, als eine Hand ihren Weg auf ihre Schulter fand. "Ich glaube nicht, dass wir etwas finden werden", flüsterte Liam ihr leise entgegen. Als sie sich aufraffen konnte, ihm ins Gesicht zu sehen, zwinkerte er ihr leicht zu. Danach nahm er seine Hand von ihrer Schulter und begab sich in ihr Zimmer, um bei der Beweismittelsicherung zu helfen.
Nervös, wie sie war summte sie ein Lied, um sich etwas zu beruhigen. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie schon insgesamt zwei Stunden hier wild herum irrten und wohl noch nichts wichtiges gefunden hatten. Doch Conny bangte darum, dass sie die Rolle über das Schattenmonster aus Minden Város nicht fanden oder zumindest als Fiktion abtaten. Einige Zeit später verließen die Polizisten ihr Zimmer ohne großen Erfolg. Bolt drehte sich jedoch noch einmal um, bevor sie die Treppe wieder herunterschritt.
"Cornelia." Sie wusste ihren Namen also. "Du bist aus der Sache fein raus. Entschuldige die Unordnung und die Störung beim Lernen", lächelte sie ihr vorsichtig zu, "Viel Glück bei den Abschlussprüfungen." Bolt verschwand und ließ eine erleichterte Cornelia zurück.
"Danke", hauchte sie ihr noch geräuschlos hinterher.
Mit einem Mal war es still im gesamten Haus. Es war vorbei. Die Last fiel, wie ein Stein von ihren Schultern, sodass sie wieder freier atmen konnte. Jedoch hatte sie eine leise Ahnung, dass das nicht ihre letzte Begegnung mit der Regierung gewesen sein würde.
In der Zwischenzeit begannen Quinn und Peter das Haus wieder etwas aufzuräumen. Als Conny die Verwüstung betrachtete, konfrontierten sie ihre Eltern schließlich mit fragenden Blicken. Kurz darauf schlossen sie sie in ihre Arme.
"Wir hatten große Sorgen um dich, Liebling", erklärte ihre Mutter bekümmert und strich Conny in regelmäßigen Abständen über den Kopf.
"Irgendein Idiot kam wohl auf die geniale Idee, das Volk gegen die Regierung aufzuhetzen", wirbelte Peter genervt durch das Haus und sammelte die zersplitterten Vasenreste wieder auf. Schuldgefühle drohten Conny zu verschlingen. Langsam, aber mit einer zielgerichteten Kontrolle ihr gutes Gewissen zu zerstören. War es das wert, die Regierung zu hacken?
Diese Frage konnte sie nur mit ja beantworten. Die Welt musste es irgendwann erfahren und sie musste vermutlich irgendwann wieder mit dieser Schuld konfrontiert werden. Sie hasste dieses Gefühl zu lügen und doch tat sie es. Ständig log sie Leute an, obwohl sie versuchte immer ehrlich zu sein. Sie hatte jedoch schon lange versagt. Ihre Freunde, ihre Familie und insbesondere sich selber log sie immer wieder an und es zerfraß sie innerlich Stück für Stück, Tag für Tag immer weiter.
Die Gefühle überfielen sie mit einer Wucht vergleichbar mit der einer Tsunami. Es war einfach zu viel und doch konnte sie nicht aufhören. Sie war jetzt mitten drin gefangen in ihrem eigenen kleinen Gefängnis.
"Liebling, keine Sorge, wir werden dafür sorgen, dass dir nichts zustößt", versicherte Peter etwas aufmunternder.
In dem ganzen Trubel hatte sie Leon ganz vergessen und blickte panisch nach oben. "Wo ist Leon?" Ihre Tränen standen ihr schon in den Augen. Bevor sie jedoch völlig aufgelöst nach oben sprinten konnte, hielt ihre Mutter sie am Oberarm fest und drehte sie zu sich um. Mit ihrem sanften Blick griff sie in ihre Strickjackentasche und holte den eingekringelten Leon hervor.
"Wir haben ihn noch schnell aus deinem Zimmer retten können, bevor die Polizisten das Haus verunstaltet haben", grinste sie ihre Tochter breit an. Dankbar fiel Conny ihrer Mutter in die Arme und tätschelte leicht Leons Kopf.
Auf einmal fiel ihr jedoch wieder ein, wie die Daten der Regierung an die Öffentlichkeit gelangen konnten. In der schrecklichen Müdigkeit, hatte sie nicht mehr wirklich über die Konsequenzen nachgedacht und hat die Mail einfach abgesendet. Da dachte sie noch, dass sich vielleicht die Sicht der Bevölkerung ändern könnte, wüssten sie, was hinter ihren Rücken gespielt wurde, aber jetzt wurde ihr klar, dass die Regierung diese Fakten als riesige Lüge abtaten. Was würde passieren, wenn sie keinen Schuldigen finden? Das wollte sich Conny nicht einmal ausmalen.
Der Klingelton ihres Handys riss sie aus ihren Tagtraum und beanspruchte nun ihre volle Aufmerksamkeit. Ihre Hand glitt in ihre Hosentasche, um nachzusehen, wer sie sprechen wollte. Sie hatte mit allem gerechnet, mit einer unterdrückten Nummer, der Polizei, Luna oder auch Isaac, aber diesen einen Namen hatte sie nicht erwartet. Laya.
Conny verzog sich wieder in ihr noch immer verwüstetes Zimmer und ging zögerlich an ihr Telefon. Verwundert, dass Laya sie anrief, setzte sie sich auf ihren Schreibtischstuhl und versuchte ein bisschen ihre Notizen für die Prüfung wieder zu ordnen.
"Mir fällt das jetzt echt schwer, aber kannst du mich wieder in die Stadt bringen?" Das war eine ungewöhnliche Bitte, doch Layas Stimme klang so verzweifelt in diesem Moment, dass Conny stutzig innehielt in ihrer Tätigkeit.
"Du willst jetzt in die Stadt", wiederholte Conny irritiert.
"Irgendwie muss ich mich... ablenken", ihre Stimme brach ab und wandelte sich zu einem Schluchzen. Conny konnte den Schmerz durch das Handy förmlich hören. Es musste noch wegen der Trennung von Luc sein. Das Leid war auch verständlich, denn sie hatte sich nicht nur von Luc getrennt, sondern auch ihre gesamte Freundesgruppe stellte sich gegen sie.
Auch Conny musste sich gerade von dem Ereignis vor einigen Minuten erholen und versprach Laya, sie in die Geisterstadt mitzunehmen. Somit schlich sie sich aus dem Zimmer und traf sich mit Laya an dem ausgemachten Treffpunkt.
Ihre roten Augen versteckte sie hinter einer Sonnenbrille und die Haare hatte sie zu einem Zopf hochgebunden. Schüchtern begrüßten sie sich mit einem Nicken und machten sich anschließend auf dem Weg nach Minden Város.
"Ist es wegen Luc?", brach Conny die Stille. Laya holte tief Luft bevor sie zum Reden ansetzte.
"Dieser Vollidiot hat mich einfach per Textnachricht abserviert, vermutlich wegen Sandy. Die schmeißt sich ja mit ihrer ekligen schleimigen Art an ihn ran und er findet das bestimmt auch noch geil. Dann sein ständiges selbstsüchtiges Geschwafel. Entschuldige, dass ich mich so über ihn auslasse, aber ich könnte ihm echt den Hals umdrehen nachdem, was er mir geschrieben hat." Während sie sprach gestikulierte sie wild in der Luft herum. Vielleicht half es ja darüber zu reden.
"Wie war er eigentlich so als Person?", wollte Conny wissen, denn sie kennt ihn nur als einen egoistischen Schnösel. Doch eventuell hat er ja auch eine andere Seite.
"Ich habe ihm alles erzählt, wirklich alles, bei ihm war es schließlich sicher aufgehoben. Dachte ich. Vielleicht hat er es auch Sandy erzählt, wer weiß das schon," sagte sie fast schon bissig, "doch mir gegenüber hatte er sich anscheinend nie wirklich geöffnet. Ich weiß ehrlich gesagt fast nichts über ihn. Wenn man ihn zum Beispiel auf seinen Vater angesprochen hatte, ist er immer ausgetickt und hat mich geschlagen, aber immer nur dann. Sonst war er ein echter Engel möchte ich behaupten. Er war immer sehr vorsichtig und sanftmütig."
"Diese Seite kenne ich absolut nicht von ihm." Nachdenklich biss sie sich dabei auf die Unterlippe.
"Und doch ist er ein Arschloch, ein absolutes verdammtes Arschloch", führte sie sich völlig in Rage redend aus. "Danke Conny, dass du zugehört hast, aber das kannst du jetzt gerne alles vergessen", beharrte sie kurz darauf.
Um Laya wirklich klar zu machen, dass sie ihr vertrauen konnte, wollte auch sie das offenbaren, worüber sie eigentlich den Kopf frei bekommen wollte:
"Dann erzähle ich dir auch etwas. Das fällt mir aber extrem schwer." Conny schluckte, sie musste der anderen jetzt vertrauen. "Heute hat die Regierung mein Haus durchsucht, wegen den angeblich gefälschten Regierungsinfos."
Layas Augen huschten über Connys Gesicht: "Und, warst du's auch, oder warum sagst du mir das?"
Überlegt nickte sie. "Sie haben aber nichts gefunden, da Luna mich kurz davor aus der Situation gerettet hat." Es sammelten sich schon wieder alle ihre Emotionen, wie ein Kloß im Hals zusammen.
Verstehend nickte sie und nahm sie in eine leichte Umarmung. Daraufhin wechselte sie prompt das Thema. "Du und Luna, ihr zwei seid ganz schön dicke was?"
Bestätigend lächelte Conny leicht. "Vor Luna kann man fast nichts verheimlichen, auch wenn man ihr es nicht gleich sagt. Sie sieht es einem irgendwie an, dass etwas nicht stimmt", machte Conny Laya klar, dass sie ihre Freundin sehr schätzte.
"Sie hat auch echt eine faszinierende Ausstrahlung. Ich habe mich schon immer gefragt, wie sie das macht, in allen Situationen so ruhig zu bleiben." Das konnte auch Conny nicht beantworten. "Weißt du eigentlich, was sie mit ihr gemacht haben, als sie Luc damals gelähmt hatte?"
"Ja, aber ich bin der Meinung, sie soll es dir selbst erzählen", versuchte sie ihr klar zu machen. Sie nickte verstehend.
Daraufhin erzählte sie, wie Luc sich nach der Lähmung nicht mehr wirklich bewegen konnte. Nachdem die Heilerin alles versucht hatte, damit er nicht länger versteinert herumlag, konnte er sich zwar wieder bewegen, aber erst nach fünf Stunden wieder richtig laufen. Anscheinend hatte Luna ihn wirklich stark getroffen. Conny war sich aber sicher: hätten sie sie nicht abgeführt, hätte sie Luc im Nu, wieder agil machen können.
Durch ein schillerndes Portal schritten sie nach Minden Város. Es war mittlerweile später Nachmittag und der Wind blies unerlässlich stark. Ein Blick in den Himmel verriet Conny, dass es wohl bald schütten würde und so machten sie sich schnell auf den Weg zum Marktplatz. Die Stadt war wie immer sehr belebt von den unterschiedlichsten Wesen.
Conny bemerkte jedoch, dass seit dem letzten Vorfall mit den Leichen einige Freiheitskämpfer überall in der Stadt verteilt herum standen. Unter ihnen erkannte sie auch den Ghost Boy und andere bekannte Gesichter. Zusammen mit Laya bewegte sie sich auf ihn zu und sprach ihn darauf an, warum sie überall in der Stadt Wache standen. Dieser drehte sich nur steif um und schaute Conny fragend an.
"Kennen wir uns?", fragte Ghost Boy mit einem kühlen scharfen Ton die beiden Mädchen mit einer hochgezogenen Augenbraue.
Zurückhaltend nickte Conny. Diese Persönlichkeit des Ghost Boy schüchterte sie ungemein ein.
"Schätzchen, du meinst vielleicht jemanden anderen in unserem System", sagte Ghost Boy leicht lächelnd.
"Ja, das kann sein. Mit Onya und Dark habe ich schon mal geredet", überlegte Conny und hoffte, dass sie nicht in irgendein Fettnäpfchen tappte. "Ich bin Conny und das neben mir ist Laya", stellte sie sich vor.
Ghost Boy führte die rechte Hand an die Schläfe. "Ich bin der Caregiver im System und Soldatin. Mein Name ist Shaya."
Shaya war also die Persönlichkeit einer Frau. Conny staunte nicht schlecht, doch sie konnte die pure Verwirrung in Layas Gesicht erkennen. Sie würde es ihr danach wohl erklären müssen.
"Ihr wolltet also wissen, was los ist." Shaya hielt kurz inne und schaute sich auf dem Marktplatz um. "Die Muna meinte, dass uns ein großes Unheil erwartet."
"Muna?" Es war Laya, welche ziemlich konfus schien. Sie selbst hatte den Begriff einer Muna noch nie gehört und konnte Layas Reaktion gut nachvollziehen, aber so wie Shaya dieses Wort verwendete, musste es so etwas wie eine Hellseherin sein. Etwas anderes konnte sie sich darunter auch nicht vorstellen.
Die Frage war jedoch: Welches Unheil sollte sie hier erwarten?
Kaum war der Gedanke ausformuliert wurde ihr förmlich der Boden mit einem lauten Rumpeln unter den Füßen weggezogen. Zerstreut von dem, was gerade passiert war, fand sie sich auf dem Boden wieder. Neben ihr lagen Laya und Ghost Boy ebenso irritiert wie sie selbst. Mit Schrecken musste sie feststellen, dass sich ein meterlanger und schmaler klaffender Riss vor ihnen auftat und die Stadt entzwei zu spalten drohte. Bei diesem Anblick blieb Conny die Luft weg. Keiner der Stadtbewohner hatte sich groß verletzt, doch nun bildete sich eine Traube um den Riss in der Straße, als wäre er eine beliebte Attraktion.
"Da hat sich wohl wirklich jemand gewünscht, dass sich der Boden unter ihm auftun soll. Man sollte wirklich aufpassen, was man sich wünscht", lachte Laya argwöhnisch. "Die Ablenkung hat zwar gut funktioniert, würde ich behaupten. Aber jetzt sehe ich irgendwie andere Probleme sich vor uns auftun."
Wäre es nicht so eine beklemmende Situation, wäre Conny sicher in Gelächter ausgebrochen. Wenigstens hatte Laya Sinn für Humor, dachte Conny. Ghost Boy stand ebenfalls am Riss und bat alle davon wegzutreten, falls es zu neuen Eruptionen kommen würde. Somit half Conny Laya auf die Beine und schlug ihr vor, sich in Sicherheit zu bringen.
Sie kamen in einem Pub an und stiegen eilig durch das Porth, doch das Rumpeln der nächsten Eruption war kaum zu überhören.
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